Durchsuchung beim Beschuldigten IV

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizist P erlangt Kenntnis davon, dass sich in der Wohnung des inhaftierten Beschuldigten ein Koffer mit wichtigen Dokumenten befindet. P teilt dies Staatsanwältin S mit. Diese ordnet daraufhin sofort eine Wohnungsdurchsuchung an. Der Koffer wird gefunden und sichergestellt.

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Einordnung des Falls

Durchsuchung beim Beschuldigten IV

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Anordnung der Wohnungsdurchsuchung durch die Staatsanwaltschaft ist nur ausnahmsweise zulässig.

Genau, so ist das!

Durchsuchungen dürfen durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) nur ausnahmsweise bei Gefahr im Verzug angeordnet werden, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO. Gefahr im Verzug ist gegeben, wenn die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird.
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2. Die Gestattung der Durchsuchung durch die zuständige Staatsanwältin muss auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der sich aus § 105 Abs. 1 S. 1 StPO ergebenden Eilkompetenz beruht haben. Dies ist hier der Fall, weil Gefahr im Verzug vorlag.

Nein, das trifft nicht zu!

Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahmen -regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln- gefährdet würde. Der Beschuldigte wurde bereits vor der Durchsuchungsanordnung festgenommen. Der inhaftierte B konnte somit nicht zum Verlust von Beweismitteln beitragen. Auch lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Mitbeschuldigte oder Dritte Zugang zur Wohnung verschaffen und die Dokumente vernichten würden. Eine Gefahr im Verzug ist daher abzulehnen. Die Durchsuchungsanordnung der Staatsanwältin war nicht ausreichend. Die Durchsuchung war somit nicht rechtmäßig.

3. Wird ein Beweismittel bei einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung aufgefunden und beschlagnahmt, so unterliegt es im Hauptverfahren stets einem Beweisverwertungsverbot.

Nein!

Sofern bei Verstößen gegen Verfahrensvorschriften nicht explizit ein Beweiserhebungsverbot normiert ist, führen diese nach der Abwägungslehre nur dann zu einem (unselbstständigen) Beweiserhebungsverbot, wenn das Interesse an der Sicherung der Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren die Wahrheitserforschungspflicht und das Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren der Strafrechtspflege überwiegt. Ein solches Überwiegen der Interessen des Beschuldigten kann dabei grundsätzlich nur bei schwerwiegenden Verfahrensverstößen angenommen werden.

4. Liegt hier ein solch schwerwiegender Verfahrensverstoß vor, sodass ein Verwertungsverbot besteht?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein schwerwiegender Verstoß liegt vor,wenn die Durchsuchung willkürlich unter bewusster Missachtung des Richtervorbehalts oder in grober Verkennung der Rechtslage erfolgte. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dann überwiegt das staatliche Verfolgungsinteresse jedenfalls dann gegenüber dem Richtervorbehalt und dem Interesse des Beschuldigten, wenn der Richter die Durchsuchung ohne Weiteres hätte anordnen müssen, weil die Voraussetzungen dafür erfüllt waren (hypothetischer Ersatzeingriff). Die Staatsanwältin ging nur irrig von Gefahr im Verzug aus. Sie missachtete nicht willkürlich den Richtervorbehalt. Es lag kein schwerwiegender Verfahrensverstoß vor. Hier lagen auch die Voraussetzungen für eine Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten vor (§ 102 StPO). Der Richter hätte diese somit bei einem entsprechenden Antrag anordnen müssen (hypothetischer Ersatzeingriff). Der Koffer darf somit als Beweismittel verwertet werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Daniel

Daniel

28.9.2023, 13:11:50

Liebes Jurafuchsteam, dem Sachverhalt kann tatsächlich nicht entnommen werden, dass die Staatsanwältin nur irrigerweise Gefahr in Verzug angenommen hat :-)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.9.2023, 15:49:32

Hallo Daniel, der entscheidende Hinweis ist hier, dass der Beschuldigte bereits in Haft sitzt.

Gefahr im Verzug

ist nur gegeben, wenn die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Das wird regelmäßig der Fall sein, wenn der Verlust von Beweismitteln droht. Im vorliegenden Fall ist dies allerdings unwahrscheinlich, da B bereits in Haft sitzt. Anhaltspunkte dafür, dass noch weitere Personen involviert sind, gibt es nicht. Deswegen bleibt es bei dem Grundsatz, dass es einer richterlichen Anordnung bedurft hätte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

Johannes

4.10.2023, 14:52:32

Ich glaube es ging Daniel um die letzte Frage bzgl. der Abwägung für und wider ein Verwertungsverbot. In der Erklärung steht, dass hier kein vorsätzlicher Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vorliegt, sondern die StA'in nur irrig Gefahr in Verzug angenommen hat. Das ergibt sich aber - wie Daniel richtig schreibt - hier nicht aus dem Sachverhalt.

Nocebo

Nocebo

21.7.2024, 20:15:59

Das ist immer noch nicht behoben.

Juriano

Juriano

13.10.2024, 15:21:24

Das wird man in Wirklichkeit, aber wohl auch nicht immer wissen. Ich würde sagen, dass es keine Anhaltspunkte für ein willkürliches vorsätzliches Verhalten gibt und daher davon ausgegangen werden muss, dass die Gefahr in Verzug irrigerweise angenommen wurde.


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