Wiederaufleben der Eilkompetenz

6. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Wohnung des B soll durchsucht werden. Dazu beantragt Polizist P beim Ermittlungsrichter R eine Durchsuchungsanordnung. R lehnt den Erlass einer solchen ohne Vorlage weiterer Unterlagen ab. P sorgt sich, dass durch die dadurch bedingte Verzögerung ein Beweismittelverlust droht und ordnet nun selbst die Durchsuchung an.

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Einordnung des Falls

Wiederaufleben der Eilkompetenz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Durchsuchung der Wohnung eines Beschuldigten bedarf grundsätzlich einer richterlichen Durchsuchungsanordnung (§ 105 Abs. 1 StPO).

Ja!

Nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO bedarf die Durchsuchung beim Beschuldigten wegen des damit verbundenen Grundrechtseingriffs (bei Wohnungsdurchsuchung, Art. 13 GG) grundsätzlich einer richterlichen Anordnung (Richtervorbehalt).
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2. Ausnahmsweise ist auch die Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen ausreichend (§ 105 Abs. 2 StPO).

Genau, so ist das!

Bei Gefahr im Verzug dürfen Durchsuchungen auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden. Gefahr im Verzug ist gegeben, wenn die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird.

3. Bestand Gefahr im Verzug, als P die Durchsuchungsanordnung beantragte (§ 105 Abs.1 S.1 2.Hs. StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden ist nur bei Gefahr im Verzug gegeben. Also dann, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte. Wenn der zuständige Ermittlungsrichter aber einmal mit der Sache befasst wird, endet die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden. P erreichte R und beantragte bei R den Erlass einer Durchsuchungsanordnung. Damit gab P zu erkennen, dass zu diesem Zeitpunkt keine Eilkompetenz vorlag. Es war daher Sache des R, über den beantragten Eingriff zu entscheiden. Nach Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG besteht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen richterlicher und nicht-richterlicher Durchsuchungsanordnung.

4. Es besteht hier allerdings die Gefahr eines Beweismittelverlusts während des durch den Richter in Anspruch genommenen Entscheidungszeitraums. Lebt dadurch die Eilkompetenz des P wieder auf?

Nein!

Wenn der Ermittlungsrichter durch einen bei ihm gestellten Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung mit der Sache befasst wird, endet die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden. Sie lebt auch nicht wieder auf, unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung unterbleibt. Dies gilt auch, bei einem drohenden Beweismittelverlust während des Entscheidungszeitraumes. Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden wird nur neu begründet, wenn nach der Befassung des Richters tatsächliche Umstände eintreten, die die Gefahr eines Beweismittelverlusts begründen und sich diese nicht nur aus dem Prozess der Prüfung über den Antrag ergeben. Der Beweismittelverlust drohte hier nur aufgrund der längeren Prüfung durch R, nicht aufgrund einer veränderten Sachlage. Die Eilkompetenz des P lebte nicht wieder auf.

5. Mangels Wahrung des Richtervorbehalts war die Durchsuchung hier rechtswidrig. Unterliegen Beweismittel, die bei einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung gefunden und beschlagnahmt werden, im Hauptverfahren stets einem Beweisverwertungsverbot?

Nein, das ist nicht der Fall!

Sofern bei Verstößen gegen Verfahrensvorschriften nicht explizit ein Beweiserhebungsverbot normiert ist, führen diese nach der Abwägungslehre nur dann zu einem (unselbstständigen) Beweiserhebungsverbot, wenn das Interesse an der Sicherung der Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren die Wahrheitserforschungspflicht und das Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren der Strafrechtspflege überwiegt. Ein solches Überwiegen der Interessen des Beschuldigten kann dabei grundsätzlich nur bei schwerwiegenden Verfahrensverstößen angenommen werden.

6. Liegt hier ein solch schwerwiegender Verfahrensverstoß vor, sodass ein Verwertungsverbot hinsichtlich der sichergestellten Dokumente besteht?

Ja, in der Tat!

Ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn die Durchsuchung willkürlich unter bewusster Missachtung des Richtervorbehalts oder in grober Verkennung der Rechtslage erfolgte. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dann überwiegt das staatliche Verfolgungsinteresse jedenfalls dann gegenüber dem Richtervorbehalt und dem Interesse des Beschuldigten, wenn der Richter die Durchsuchung ohne Weiteres hätte anordnen müssen, weil die Voraussetzungen dafür erfüllt waren (hypothetischer Ersatzeingriff). Es lag ein schwerwiegender Verstoß vor. P verkannte die Bedeutung des Richtervorbehalts grundlegend, als er sich über die Weigerung des Richters hinwegsetzte, weil dieser Unterlagen verlangte. Dass P keine Anstrengungen unternahm, R die nötigen Unterlagen beizubringen, entbehrt eines nachvollziehbaren Grundes. Es besteht ein Verwertungsverbot.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Daniel

Daniel

28.9.2023, 13:28:43

Liebes Jurafuchsteam, meines Erachtens wird es im Sachverhalt nicht deutlich, dass

Gefahr im Verzug

dadurch entsteht, WEIL der Richter so lange braucht. Vielleicht könnte man es noch näher präsizieren?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.9.2023, 15:54:12

Danke für den Hinweis, Daniel! Wir haben den Sachverhalt nun weiter präzisiert :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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