Beweisperson – Sachverständige

14. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der T schickt seiner Ex-Frau F einen mit dem Gift Anthrax gefüllten Brief. F verstirbt an der Vergiftung. Das Gericht beauftragt den mit der F befreundeten Rechtsmediziner R mit der Klärung des Todesfalls und lädt ihn zur Hauptverhandlung.

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Einordnung des Falls

Beweisperson – Sachverständige

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R ist Sachverständiger.

Genau, so ist das!

Der Sachverständige soll auf Grund seiner besonderen Sachkunde dem Gericht bei der Beurteilung einer Beweisfrage helfen („Gehilfe des Gerichts“). Er hilft, indem er (1) Tatsachen feststellt, zu deren Ermittlung man besonders qualifiziert sein muss (Befundtatsachen), (2) allgemeine Erfahrungssätze mitteilt und (3) Schlussfolgerungen aus Tatsachen zieht, Bewertungen vornimmt oder Prognosen abgibt. Der Sachverständige wird grundsätzlich vom Richter beauftragt (§ 73 Abs. 1 S. 1 StPO). Der Unterschied zum Zeugen liegt darin, dass der Zeuge lediglich von Tatsachen berichten, der Sachverständige aus Tatsachen aber auch Schlüsse ziehen soll. R soll für das Gericht die Umstände des Todes feststellen und daraus Schlussfolgerungen hinsichtlich der Ursache und der Art feststellen.
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2. R kann den Auftrag des Gerichts ablehnen.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundsätzlich ist der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet (§ 75 StPO). Ausnahmsweise kann er aus denselben Gründen wie Zeugen über ein Gutachtenverweigerungsrecht verfügen (§ 76 StPO iVm §§ 52, 53 StPO). Ein Gutachtenverweigerungsrecht des R aus persönlichen oder beruflichen Gründen ist hier nicht ersichtlich.

3. T kann den R wegen Befangenheit ablehnen.

Ja!

Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 74 Abs. 1 S. 1 StPO). Daher kann er wie ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 24 Abs. 1 Alt. 2 StPO). Die Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit spielt es keine Rolle, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Es reicht aus, dass für einen objektiven Beobachter aus der Perspektive des Angeklagten bei verständiger Würdigung der Umstände ein solcher Eindruck entstehen kann. Ein solcher Eindruck der Befangenheit kann für einen objektiven Beobachter wegen der Freundschaft des R zur F entstehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Helena

Helena

30.3.2022, 20:39:55

Gibt es kein Gutachtenverweigerungsrecht (beziehungsweise auch Zeugnisverweigerungsrecht) Aus persönlichen Gründen oder sogar aus Grundrechtlich geschützten Gründen? Ich finde es moralisch etwas zweifelhaft, wenn das Gericht wirklich jemanden zwingen könnte, einen verstorbenen Freund Aufschneiden zu müssen, wie es beim Rechtsmediziner der Fall wäre.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.4.2022, 14:30:42

Hallo Helena, ein Verweigerungsrecht besteht grds. erst einmal nur in den nach §§ 52-53a StPO genannten Fällen. Ein darüber hinausgehender Verweigerungsgrund wegen persönlichen Gründen, besteht nicht. Allerdings kann der Sachverständige nach § 76 Abs. 1 S. 2 StPO von seiner Pflicht entbunden werden. Dies kommt insbesondere bei Überlastung oder im Falle einer besonderen Härte wie zB hohes Alter in Betracht (Hadmitzky, in: KK-StPO, 8.A. 2019, § 76 RdNr. 4). Vor diesem Hintergrund könnte jedenfalls eine Entbindung erfolgen. Zudem wäre im vorliegenden Fall die Begutachtung ohnehin im Hinblick auf die mögliche Befangenheit ausgeschlossen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

22.1.2023, 15:09:43

Wäre nicht gerade bei der erhöhten Gefährlichkeit von Milzbranderregern an ein Gutachtenverweigerungsrecht zu denken? Das kann ja nicht von jedem x-beliebigen Sachverständigen verlangt werden.. Die erhöhte Gefährlichkeit von Anthrax erfordert ja auch (sogar nur bei Verdacht) eine gewisse Laborsicherheitsstufe, welche nicht gerade häufig anzutreffen ist

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.1.2023, 14:34:28

Hallo Imponderabilie, danke für deine Frage. Grundsätzlich entsteht für den Gutachter durch die Ernennung eine Pflicht zu Erstattung des Gutachtens. Dies ergibt sich aus § 75 Abs. 1 StPO. Der Sachverständige hat die gleichen Verweigerungsrechte die auch Zeugen zustehen, § 76 Abs. 1 i.V.m. § 52-53a StPO. Darüber hinaus kommt eine Entbindung von der Begutachtungspflicht gem. § 76 Abs. 1 S. 2 StPO in Betracht. Diese Entbindung wegen Unzumutbarkeit liegt in der Ermessung des Gerichts. Die besondere Härte kann sich insbesondere aus hohem Alter, Krankheit und Überlastung sowie wegen erwiesener Ungeeignetheit, mangelnder Sachkunde, erkennbarer Befangenheit, auch wenn kein dahingehender Antrag gemäß § 74 gestellt wird, sowie Unfähigkeit oder Unwilligkeit das Gutachten zeitnah zu erstatten ergeben. Sollte es also an einer Laborsicherheitsstufe mangeln ist dies natürlich ein Grund befreit zu werden, genauso wie mangelnde Fachkenntnis bezüglich des Gefahrenstoffes. Die Gefährlichkeit des in Frage stehenden Erregers hingegen nicht per se. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

26.1.2023, 13:21:04

Super, vielen Dank für die ausführliche Antwort!

FW

FW

24.9.2024, 15:01:32

Hi, hier hat der Sachverhalt jetzt von einem Freundschaftsverhältnis gesprochen. Wie sieht das denn bei entfernteren Bekannten aus? Also gibt es da eine Differenzierung in der Rechtsprechung zwischen engen Freunden, normalen Freunden und Bekannten. Ich persönlich kenne zum Beispiel einen Richter, mit dem ich früher im Sportverein war. Wir verstehen uns gut, aber wir sehen uns 3-4mal im Jahr auf Veranstaltungen in der Nähe. Wenn ich jetzt ermordet werden würde und dieser Richter für den Fall zuständig wäre, wäre das schon als Befangenheit einzuordnen?

jonas0108

jonas0108

4.10.2024, 14:23:41

Erhalten Gutachter für die Erstellung ihres Gutachtens eine Vergütung oder Aufwandsentschädigung? Das Erstellen von Gutachten kann ja je nach Fall kosten- und zeitaufwendig sein.

LELEE

Leo Lee

6.10.2024, 05:15:08

Hallo jonas0108, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Selbstverständlich werden die Gutachter vergütet/entschädigt mit einem Stundensatz (der je nach Branche sehr lukrativ sein kann!). Die richten sich nach dem sov. Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

jonas0108

jonas0108

6.10.2024, 14:48:13

Vielen Dank für die Antwort! :)


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