Formfreiheit, § 311b Abs. 1 BGB

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft sein Anwesen mit Blick auf die Hamburger Elbe an K (Preis €1,2 Mio.). K fragt, ob sie nicht zu einem Notar gehen sollten, damit der Vertrag auch wasserdicht sei. V meint, das sei nicht nötig und verweist auf den hanseatischen, kaufmännischen Ehrenkodex.

Diesen Fall lösen 81,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Formfreiheit, § 311b Abs. 1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und K über das Grundstück zustande gekommen.

Nein!

Das BGB erlegt manchen Verträgen einen Formzwang auf. Darin liegt eine Einschränkung der grundrechtlich geschützten Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Der Formzwang dient u.a. dem Schutz vor Übereilung und der Beweissicherung. Zur Wirksamkeit von Verträgen, die die Verpflichtung zur Übereignung oder zum Erwerb eines Grundstücks enthalten, ist die Form der notariellen Beurkundung erforderlich (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB). Wird eine gesetzlich vorgeschriebene Form nicht eingehalten, so ist der Vertrag nichtig (§ 125 S. 1 BGB). V und K haben den Grundstückskaufvertrag nicht notariell beurkunden lassen. Er ist nichtig.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Wenn V sich wie ein hanseatischer Ehrenmann verhält und K Eigentum an dem Grundstück durch Auflassung und Eintragung (§§ 873, 925 BGB) verschafft, wird der Kaufvertrag wirksam.

Genau, so ist das!

Die Vornahme des Verfügungsgeschäfts heilt den Formfehler des Verpflichtungsgeschäfts (§ 311b Abs. 1 S. 2 BGB). Die Übertragung des Eigentums am Grundstück auf K durch Auflassung und Eintragung (§§ 873, 925 BGB) heilt den Formfehler des Kaufvertrags. Wenn der Kaufvertrag erfüllt wird, indem das Grundstück übertragen wird, ist ein Schutz vor Übereilung nicht mehr erforderlich. Eine vergleichbare Heilung sieht § 766 S. 3 BGB vor für die Heilung eines formnichtigen Bürgschaftsvertrags, wenn der Bürge die Hauptforderung erfüllt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JUL

JulianK

11.4.2021, 21:45:07

Ein Anwesen in Hamburg mit Blick für 1,2 Mio? Mich haben gerade die '80 angerufen und sie wollen ihre Grundstückspreise zurück.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

11.4.2021, 22:12:17

😂 True that!

Steinfan

Steinfan

16.4.2024, 16:17:30

V verweist hier auf den “hanseatischen Kodex”. In solchen Fällen muss mMn stets geprüft werden, ob die “Berufung” auf den Formmangel nach Treu und Glauben wegen unzulässiger Rechtsausübung ausnahmsweise ausgeschlossen ist, § 242 BGB. Im vorliegenden Fall würde man das wohl ablehnen, da K sich der Formbedürftigkeit bewusst ist und keine weiteren Umstände erkennbar sind. Stichwort: “Edelmann”-Fall.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

18.6.2024, 10:00:39

Danke für Deine Anmerkung @[Steinfan](235363). Hätte der Verkäufer V sich hier gegenüber Käufer K auf die Formnichtigkeit berufen, müsste man in der Tat thematisieren, ob dies als unzulässige Rechtsausübung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, weil V auf den hanseatischen, kaufmännischen Ehrenkodex verwiesen hat. Wie Du richtig schreibst, griffe § 242 BGB hier nicht durch, weil auch K sich der Formbedürftigkeit bewusst war (vgl. dazu den Edelmann-Fall, RGZ 117, 121). Darauf kommt es in diesem Fall aber gar nicht an, weil der Fall darauf ausgelegt ist zu erläutern, dass ein Formmangel geheilt wird, wenn die Verfügungsgeschäft vollzogen wird. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

QUAR

Quarklo

20.8.2024, 00:47:21

Es wäre super, wenn ihr dazu einen eigenen Fall machen könntet

JC1909

jc1909

18.6.2024, 08:12:21

Besonders erwähnenswert wäre hier, dass sich V ausnahmsweise nicht auf die Formnichtigkeit wegen § 242 BGB berufen kann.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

18.6.2024, 10:04:16

Danke für Deine Anmerkung @[jc1909](167873). Du spielst auf folgende Konstellation an: Hätte der Verkäufer V sich hier gegenüber Käufer K auf die Formnichtigkeit berufen, müsste man thematisieren, ob dies als unzulässige Rechtsausübung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, weil V auf den hanseatischen, kaufmännischen Ehrenkodex verwiesen hat. Eine Berufung auf die Formnichtigkeit ist wegen § 242 BGB jedoch nur ausgeschlossen, wenn derjenige, der sich auf die Wirksamkeit des Vertrags beruft, die Formnichtigkeit nicht kannte (vgl. dazu den Edelmann-Fall, RGZ 117, 121). Hier war K sich jedoch der Formbedürftigkeit bewusst. Auf diese bekannte und beliebte Frage kommt es in diesem Fall aber gar nicht an, weil der Fall darauf ausgelegt ist zu erläutern, dass ein Formmangel geheilt wird, wenn das Verfügungsgeschäft vollzogen wird. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

ÖA

ÖA

18.6.2024, 15:11:12

Es scheint, als fehlen hier die Verlinkungen zu den §§.


© Jurafuchs 2024