§ 28 StGB bei tatbezogenen Mordmerkmalen (2. Gruppe) – 3


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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T erschießt die nichtsahnende O, während diese schläft, mit einer Pistole. Die Pistole hat B ihm besorgt. Er wusste zwar, dass mit der Pistole die O erschossen werden sollte. Dass T die O im Schlaf erschießen wollte, war B nicht bekannt.

Einordnung des Falls

§ 28 StGB bei tatbezogenen Mordmerkmalen (2. Gruppe) – 3

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat die O "heimtückisch" (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB) getötet.

Ja, in der Tat!

Das objektive Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt der Täter, der die Arg- und die darauf beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt. O hat mit keinem Angriff auf ihr Leben beim Einschlafen gerechnet und nahm ihre Arglosigkeit mit in den Schlaf. Sie war infolgedessen auch in ihrer Verteidigungsfähigkeit stark eingeschränkt. Bei der Tötung der O handelte T zudem in feindseliger Willensrichtung und er nutzte die Arg- und Wehrlosigkeit der O bewusst für die Tötung aus.

2. Indem B dem T die Pistole besorgte, hat er sich wegen Beihilfe zum Mord (§§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1, 27 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Nein!

Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) setzt (1) eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat, (2) eine taugliche Teilnehmerhandlung (Hilfeleistung) und (3) den "doppelten Teilnehmervorsatz" (bezüglich der Haupttat und der Hilfeleistung) voraus sowie (4) rechtswidriges und schuldhaftes Handeln des Hilfeleistenden. Im Mord des T an O ist die vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat zu sehen. Zudem hat B zumindest die Haupttat erleichtert, indem er dem T die Tatwaffe besorgte. Jedoch scheitert die Strafbarkeit am Vorsatz bezüglich der Haupttat, denn sein Gehilfenvorsatz hatte als Haupttat nur einen Totschlag beinhaltet. B unterliegt hinsichtlich des Heimtückemordes des T einem Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB) und handelt nicht vorsätzlich.

3. B kann das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB) über § 28 StGB zugerechnet werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 28 StGB ist auf alle Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe anwendbar, da diese besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 StGB sind. Objektive Mordmerkmale sind keine besonderen persönliche Merkmale im Sinne des § 28 StGB. Die Zurechnung solcher Mordmerkmale richtet sich nach allgemeinen Akzessorietäts- und Vorsatzregeln (§§ 26, 27, 15, 16 StGB). Merke: § 28 StGB ist auf alle Mordmerkmale der 2. Gruppe nicht anwendbar. Bei dem Mordmerkmal der Heimtücke handelt es sich um ein tatbezogenes objektives Mordmerkmal.

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Natze

Natze

22.1.2024, 00:25:39

und nochmal für die Dummen (mich) unter uns: er hat sich dann der Behilfe zum Totschlag strafbar gemacht?

Cosmonaut

Cosmonaut

22.1.2024, 10:48:36

Ganz genau! Aus Sicht des B handelt es sich hier um einen (wesentlichen) Täterexzess durch T. B stellte sich Umstände vor, die eine Strafbarkeit wegen §§ 212 I, 27 begründen („einfache“ Tötung der O, die er mit seiner Waffenbeschaffung förderte). Er stellte sich gerade nicht die Verwirklichung eines Mordmerkmals durch T vor. Da T jedoch eines, namentlich das tatbezogene MM der Heimtücke verwirklichte, für welches die allgemeinen Regeln gelten (insb. § 16 I 1), hatte er keinen Vorsatz bzgl. einer Haupttat iSd § 211, wohl aber bzgl. einer Haupttat iSd § 212 I. Nach hLit. Ist dieses Ergebnis unproblematisch: 211 ist nur die Quali von 212; Beihilfe zum Grunddelikt geht aber immer, wenn die Quali nicht vom Gehilfen gewollt war. Auch die Rspr. Muss mE konsequenterweise anerkennen, dass § 211 den § 212 konsumiert (=Gesetzeskonkurrenz). Das bedeutet allerdings auch, dass B unproblematisch zu diesem „Unrechts-geringeren“ Delikt Beihilfe leisten konnte. Lieben Gruß C

Natze

Natze

22.1.2024, 11:16:51

Vielen Dank dir für die ausführliche Erklärung :) hilft mir sehr viel weiter!

FL

Flohm

25.4.2024, 11:16:25

Vielleicht könnte das in der Lösung ergänzt werden ?

Liese

Liese

16.5.2024, 10:03:23

Kann man in einem Fall wie diesem davon ausgehen, dass der Beihelfer die Heimtücke des Haupttäters billigend in Kauf nimmt, wenn er keine Informationen zum geplanten Vorgehen des Haupttäters einholt?

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

16.5.2024, 13:54:57

Hallo Liese, hierzu kann ich Dir nur meine persönliche Ansicht sagen. Gerade im ersten Examen würde ich keine Informationen in den Sachverhalt hineinlesen, die nicht wortwörtlich drinstehen. Der Sachverhalt steht im ersten Examen als solches fest.  Natürlich hätte er noch Informationen einholen können, um sich einen entsprechenden Vorsatz bilden zu können. Aber dies ändert nichts daran, dass er im Tatzeitpunkt nichts davon wusste, und dann kann auch kein Vorsatz fingiert werden aus einem pflichtwidrigen Unterlassen oder Ähnlichem. Für die Beurteilung, ob ein Vorsatz vorlag, gelten halt die konkreten Vorstellungen des Täters, die natürlich durch eine Gesamtbetrachtung aller Tatumstände ermittelt werden müssen, da der Tatrichter dem Täter auch nur vor die Stirn gucken kann. Es gibt aber keinen Rechtssatz: "Der vernünftige Waffenhändler erkundigt sich immer, wie der Täter vorhat, jemanden zu erschießen". Das wirkt vielleicht unbefriedigend, aber wenn der Waffenhändler sich keine Gedanken darüber macht, wie jemand umgebracht werden soll mit seinen Waffen, hat er auch keinen Vorsatz bzgl. einer möglichen vorliegenden Heimtücke. Weiterhin gilt ja auch "in dubio pro reo". Beste Grüße  Max

Liese

Liese

17.5.2024, 08:19:22

Hey, danke für deine Antwort. Anders als im Fall des Waffenhändlers wusste der Beihelfer aber sicher, dass die konkrete Haupttat begangen wird. In einem solchen Fall, in dem der Haupttäter ein konkretes Opfer ausgesucht hat, liegt eine heimtückische Begehungsweise meiner Meinung nach nicht fern, da der Täter sein Ziel so am einfachsten erreichen kann. Andererseits müssen Mordmerkmale restriktiv ausgelegt werden, deshalb bin ich hin- und hergerissen 😅

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

20.5.2024, 10:30:37

Hallo Liese,  das stimmt, jedoch wusste der Beihelfer nicht, wie genau die Haupttat begangen werden sollte. "Erschießen" kann man jemanden auch nicht heimtückisch. Nur weil man es sich hätte denken können, liegt kein Vorsatz vor. Auch für den dolus eventualis muss der Beihelfer heimtückische Begehungsweise "als nicht ganz fernliegend erkennen und für möglich halten". Wenn er sich überhaupt keine Gedanken macht und dazu auch nichts im Sachverhalt angelegt ist, schreibt man dem Täter Dinge zu, die nicht da waren, und trifft die Musterlösung eher nicht. Beste Grüße  Max - Für das Jurafuchs-Team


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