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Klassisches Klausurproblem

T bringt seine Mutter M um, da er frühzeitig erben möchte. Sein Cousin C leistet ihm dabei Hilfe, ohne selbst materielle Vorteile zu erstreben. C weiß aber, dass T aus Gewinnstreben handelt.

Einordnung des Falls

Nur der Täter handelt habgierig

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat die M aus "Habgier" (§ 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 3 StGB) getötet.

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Ja, in der Tat!

Habgier ist das gesteigerte abstoßende Gewinnstreben um jeden Preis, auch um den eines Menschenlebens. T hat die M getötet, um frühzeitig zu erben. Er erfüllt das Mordmerkmal der Habgier und ist aus § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 3 StGB zu bestrafen.

2. Nach der Literaturmeinung hat sich C wegen Beihilfe zum Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

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Ja!

Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) setzt (1) eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat, (2) eine taugliche Teilnehmerhandlung (Hilfeleistung) und (3) den "doppelten Teilnehmervorsatz" (bezüglich der Haupttat und der Hilfeleistung) voraus sowie (4) rechtswidriges und schuldhaftes Handeln des Hilfeleistenden. Nach der Literatur ist das Vorliegen eines täterbezogenen Merkmals beim Haupttäter unbeachtlich für die Strafbarkeit des Teilnehmers. Denn nach § 28 Abs. 2 StGB muss das Mordmerkmal als besonderes persönliches Merkmal bei dem Beteiligten selbst vorliegen. Im Mord des T an M ist die vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat zu sehen. C hat Hilfe geleistet. C hatte auch doppelten Teilnehmervorsatz. Die Habgier bei T ist unbeachtlich für die Strafbarkeit des C, C handelt nicht aus Habgier. Auch die Kenntnis des C, dass T aus Habgier handelt, ist unerheblich.Es bietet sich in der Klausur an, die Tatbestandsverschiebung nach § 28 Abs. 2 StGB im Anschluss an den subjektiven Tatbestand zu prüfen.

3. Auch nach der Rechtsprechung hat sich C wegen Beihilfe zum Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Im Gegensatz zur Literatur wendet die Rechtsprechung § 28 Abs. 1 StGB an, da sie täterbezogene Mordmerkmale als strafbegründend (und nicht strafschärfend) einordnet. C kennt die Habgier des T, weswegen nach der Rechtsprechung Beihilfe zum Mord vorliegt (§§ 211, 27 StGB). Allerdings wird die Strafe des C aus §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 1 Var. 3 , 27 StGB jedoch doppelt gemildert. Zum einen nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB und zum anderen nach § 28 Abs. 1 StGB. Hier zeigt sich ein weiteres Defizit der Meinung der Rechtsprechung: Durch die Strafmilderung wird der Anstifter zum Mord letztlich geringer bestraft als der Anstifter zum Totschlag. Die Rechtsprechung löst diesen Widerspruch mit einer Strafuntergrenze des § 212 StGB, welche nicht unterschritten werden darf.

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NADI

Nadine

8.6.2022, 15:16:46

Soweit ich weiß, nimmt der BGH doch gerade keine Doppelmilderung über §§ 27 II, 28 I StGB vor, sondern mildert auch beim Gehilfen nur einmalig über § 28 I StGB oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

1.7.2022, 11:23:37

Hallo Nadine, der BGH kommt durch die Prämisse der Unanwendbarkeit des § 28 Abs. 2 StGB bei den Tötungsdelikten zu der Situation in der die Strafe doppelt zu mindern ist, nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB sowie § 28 Abs. 2 StGB. Dies führt allerdings zu einem Wertungwiderspruch im Verhältnis zur Strafe am Totschlag führt, die dann höher wäre als die zur Teilnahme am Mord. Daher nimmt die Rechtsprechung eine Sperrwirkung der Mindeststrafe aus Teilnahme am Totschlag an. Es wird also doppelt gemindert, aber nur bis zu dieser "Mindeststrafe". Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

15.1.2023, 14:29:18

Eine zusammenfassende Gegenüberstellung der Anwendung von 28 I und II durch BGH und Lit würde mir in diesem Kapitel helfen. So verwirrt es mich nach wie vor.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.1.2023, 15:25:03

Vielen Dank für die Anregung, Isirider! Das nehmen wir gerne noch mit auf. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

27.8.2023, 09:04:47

Verstehe ich das richtig:? 1. § 28 I gilt dem BGH zufolge nur für die 1 und 3 Gruppe des § 211 2. § 28 II gilt laut BGH nicht für die 1 und 3 Gruppe

TUBAT

TubaTheo

31.8.2023, 13:54:03

Genau so ist es. Die Rechtsprechung sieht den Mord nicht als Qualifikation, sondern als eigenständiges Delikt, weshalb die Mordmerkmale strafbegründende (Wortlaut des § 28 I) und keine strafschärfenden Merkmale (Wortlaut des § 28 II) sind.

LELEE

Leo Lee

9.9.2023, 11:17:39

1894 Hallo Diaa und TubaTheo, wie TubaTheo richtigerweise angemerkt hat, gilt nur § 28 I StGB lt. BGH (weil täterbezogen und strafbegründend) für die erste und dritte Gruppe. Hierzu kann ich die Lektüre von Rengier BT II 21. Auflage, § 5 Rn. 4 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

TUBAT

TubaTheo

31.8.2023, 14:00:58

Ist es nicht so, dass ein Mörder nach der Ansicht der Rechtsprechung trotzdem auch einen Totschlag begangen hat? D.h., dass jeder Mörder auch gleichzeitig Totschläger ist und die § 212 und § 211 in Tateinheit stehen. Denn, wenn das so ist, ist doch nach der Ansicht der Rechtsprechung jeder Anstifter zum Mord auch gleichzeitig Anstifter zum Totschlag und damit die letzte Frage nicht vollständig korrekt. Ich hoffe, meine Gedanken sind nachvollziehbar. Falls ich falsch liege, freue ich mich über jegliche Korrektur :)

LELEE

Leo Lee

3.9.2023, 20:09:29

Hallo TubaTheo, nach der Rechtsprechung stehen u.a. aufgrund des Wortlauts von § 212 StGB („ohne Mörder zu sein“) Totschlag und Mord im Exklusivitätsverhältnis zueinander. D.h., wenn Mord vorliegt, ist Totschlag ausgeschlossen und andersrum. Deshalb können die beiden Taten (nach der Rspr.) nie zusammen vorliegen und mithin auch nicht in Tateinheit. Beachte allerdings, dass die Rechtsprechung „zwischendurch“ auch einräumt, dass der Unrechtsgehalt des 212 in 211 enthalten ist (also gibt die Rechtsprechung über paar Ecken der Literatur irgendwie Recht). Die Grundhaltung jedoch ist nach wie vor, dass Totschlag und Mord sich ggs. ausschließen. Hierzu kann ich die Lektüre von Rengier BT II, 23. Auflage, § 4 Rn. 1 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Cosmonaut

Cosmonaut

17.1.2024, 13:02:18

Hallo, mich verwirrt die Formulierung in der „Vertiefung“ etwas. Vielleicht böte es sich angesichts der Komplexität des Themas an, in diesem Vertiefungshinweis zwecks Präzisierung / Klarstellung zu ergänzen, dass nur derjenige Anstifter zum Mord milder bestraft würde als der Anstifter zum Totschlag, der selbst kein Mordmerkmal verwirklicht (soweit ich das richtig verstehe). mE also etwa: Dies zeigt einen weiteren Wertungswiderspruch der Rspr. auf: Die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB führt dazu, dass jener Anstifter, der selbst kein Mordmerkmal verwirklicht (!), jedoch an einem Mord des Haupttäters beteiligt ist und dies weiß, geringer bestraft würde, als jener Anstifter, der - weiterhin ohne eigenes Mordmerkmal - den Haupttäter zu einem Totschlag anstiftet.


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