Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Normalfall Verwendungsersatzanspruch des verklagten oder bösgläubigen Besitzers (§ 994 Abs. 2 BGB i.V.m. GoA)

Normalfall Verwendungsersatzanspruch des verklagten oder bösgläubigen Besitzers (§ 994 Abs. 2 BGB i.V.m. GoA)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Dieb D lässt eine defekte Bremse an dem gestohlenen Rad für 50 € reparieren. Kurz darauf verlangt Eigentümer E von D das Fahrrad heraus.

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Einordnung des Falls

Normalfall Verwendungsersatzanspruch des verklagten oder bösgläubigen Besitzers (§ 994 Abs. 2 BGB i.V.m. GoA)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es bestand eine Vindikationslage.

Ja!

Dazu musste ein Vindikationsanspruch vorliegen. Dieser setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. E war ursprünglich Eigentümer. Ein Übergang des Eigentums an D nach den §§ 929 ff. BGB kommt nicht in Betracht, da keine Einigung zwischen E und D vorlag. D war Besitzer. Ein Recht zum Besitz ist nicht ersichtlich. Die Vindikationslage bestand.
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2. Bei der Reparatur der Bremsen handelt es sich um eine notwendige Verwendung.

Genau, so ist das!

Verwendungen sind willentliche Vermögensaufwendungen, die der Sache selbst zugute kommen, indem sie ihrer Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung dienen. Notwendig sind diese, wenn sie objektiv erforderlich sind, um die Sache in ihrer Substanz oder Nutzbarkeit zu erhalten. Die Zahlung der Reparatur ist ein freiwilliges Vermögensopfer, wodurch die Funktionsfähigkeit des Fahrrades wiederhergestellt wird. Da ein Fahrrad mit defekten Bremsen grundsätzlich nicht gefahren werden kann, ist diese Verwendung zum Erhalt der Nutzbarkeit objektiv erforderlich.

3. D hat daher gegen E einen Anspruch auf Ersatz der notwendigen Verwendungen nach § 994 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Voraussetzungen für einen Verwendungsersatzanspruch aus § 994 Abs. 1 S. 1 BGB sind (1) eine Vindikationslage, (2) Vornahme einer notwendigen Verwendung durch den Besitzer und (3) Gutgläubigkeit und Unverklagtheit des Besitzers. Da D das Fahrrad gestohlen hat, ist er nicht gutgläubig, weshalb ein Anspruch nach § 994 Abs. 1 S. 1 BGB ausscheidet.

4. Auch der bösgläubige Besitzer kann teilweise Ersatz für notwendige Verwendungen verlangen.

Ja!

Gemäß § 994 Abs. 2 BGB kann auch der bösgläubige Besitzer Ersatz für notwendige Verwendungen nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen. Es handelt sich dabei um eine partielle Rechtsgrundverweisung, da der Fremdgeschäftsführungswille logischerweise nicht vorliegen muss.

5. D hat gegen E einen Anspruch auf Verwendungsersatz nach §§ 994 Abs. 2, 683 S. 1, 670 BGB.

Genau, so ist das!

Die Voraussetzungen für den Anspruch sind (1) eine Vindikationslage, (2) Vornahme einer notwendigen Verwendung durch den Besitzer, (3) Bösgläubigkeit oder Verklagtheit des Besitzers und (4) Verwendung im Interesse und mit Willen des Geschäftsherrn (§ 683 S. 1 BGB). Die ersten drei Voraussetzungen liegen wie dargelegt vor. Da kein wirklicher Wille erkennbar ist, ist auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. Ohne sonstige Angaben ist davon auszugehen, dass E der notwendigen Reparatur zugestimmt hätte. Da sie ihm objektiv auch nützlich ist, liegt sie in seinem Interesse. Daher besteht der Anspruch.

6. Entspricht die Verwendung nicht dem Interesse und Willen des Eigentümers, besteht kein Anspruch auf Verwendungsersatz.

Nein, das trifft nicht zu!

In diesem Fall sind die Vorschriften über die unberechtigte GoA anzuwenden. Bei §§ 994 Abs. 2, 684 S. 1 BGB handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht (§§ 818 f. BGB). Der Besitzer kann dann also nur bedingt Verwendungsersatz verlangen. Der Anspruch besteht nur soweit der Eigentümer bei Herausgabe der Sache tatsächlich bereichert ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FUCH

Fuchsfrauchen

18.1.2023, 21:30:10

Es kommt mir schon sehr absurd und realitätsfremd vor, meinen Dieb auch noch zu belohnen. Auch wenn reparierte Bremsen prinzipiell in meinem Sinne sind, wird der Dieb ausschließlich egoistisch gehandelt haben.🙄

Doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

Doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

19.2.2023, 16:24:05

Das Gefühl teile ich. Was ist denn die gesetzgeberische Intention hinter der Regelung in § 994 Abs. 2 BGB?

Edward Hopper

Edward Hopper

23.2.2023, 14:21:12

Sehe ich auch so. Würde hier schon im Interesse des

Eigentümer

s verneinen. Ich kann nicht was stehlen und gleichzeitig so tun als ob ich im Interesse des

Eigentümer

s umbaue. Würde über 812 auf 817 kommen, Dieb darf nicht davon ausgehen dass er Verwendungen zuruckkriegt

Edward Hopper

Edward Hopper

23.2.2023, 14:21:35

Bzw gibt es da ein Urteil

INDUB

InDubioProsecco

10.6.2023, 11:28:46

Da es um

notwendige Verwendung

en geht, liegt m . E. nahe, dass es um den Erhalt wirtschaftlichen Wertes geht. Wenn auch dem Bösgläubigen ein Anspruch auf

Verwendungsersatz

zusteht, erhält dieser die Sache eher. Ist aber nur ein educated guess.

QUAR

Quarklo

19.7.2024, 09:29:07

Das Zivilrecht ist nicht dafür da, Leute zu bestrafen, wie man auch am Schadensersatz sieht. Folglich ist es konsequent, beim

Eigentümer

das abzuschöpfen, was er durch den Dieb erlangt hat. Der

Eigentümer

wird ausreichend über die

Entreicherung

und ggf. die Grundsätze der aufgedrängten Bereicherung geschützt

JC1909

jc1909

1.2.2023, 11:23:43

Scheitert es bei der GoA nicht am Fremdgeschäftsführungswillen? Der Dieb wollte das Fahrrad ja vermutlich für sich behalten und daher auch die Reparatur eigennützig durchführen…

Paul

Paul

1.2.2023, 15:17:00

Hallo jc1909, eine sehr gute Frage. Hierbei ist eine Trennung zwischen vollständigem und partiellem Rechtsgrundverweis notwendig. Würde man einen vollständigen Rechtsgrundverweis annehmen, so wäre deine Anmerkung zutreffend. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die heute ganz hm. im § 994 II BGB nur einen partiellen Rechtsgrundverweis sieht(vgl. Lösungsanmerkungen, BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 994 Rn. 59, MüKoBGB/Raff BGB § 994 Rn. 43). Entscheind ist hierbei das Argument, welches auch schon deiner Frage zu Grunde liegt. Würde man den Fremdgeschäftsführungswillen nicht ausklammern, so liefe die Vorschrift für den Eigenbesitzer leer (BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 994 Rn. 59). Das stellt aber gerade den typischen Fall des § 994 II dar (Staudinger/Thole (2019) Vorbemerkung zu §§ 994 ff Rn. 44) . Wenn du weitere Nachweise zu den Mindermeinungen finden möchtest, welche einen Rechtsfolgenverweis oder vollständigen Rechtsgrundverweis annehmen, dann kannst du auch hier „Staudinger/Thole (2019) Vorbemerkung zu §§ 994 ff Rn. 44“ nachschauen.

ajboby90

ajboby90

22.1.2024, 01:19:08

Wieso ist die Antwort auf die letzte Frage "stimmt nicht"? Wenn die Verwendung gegen ausdr. oder mtm. Willen des E geschieht, ist man doch bei der aufgedrängten Bereicherung, wonach kein Anspruch besteht?

DAV

david1234

19.2.2024, 18:37:22

Die

aufgedrängte Bereicherung

innerhalb des Rechtsfolge des Bereicherungsrechts zu prüfen, also eine Stufe danach.

STE

StellaChiara

26.2.2024, 14:07:37

Der Geschäftsherr wäre hier aber bereichert, weil er eigene Aufwendungen hinsichtlich der Bremse eingespart hätte, oder?

QUAR

Quarklo

19.7.2024, 09:30:20

Ja genau und ebendiese werden abgeschöpft


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