Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Diebstahl (§ 242 StGB)
Täter hat einen Anspruch auf die Sache | Ausnahme: Gattungsschuld
Täter hat einen Anspruch auf die Sache | Ausnahme: Gattungsschuld
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K hat bei V 120 Eier aus Freilandhaltung gekauft. Da V nicht vereinbarungsgemäß liefert, sucht K den Stall des V auf, sammelt 120 Eier und trägt diese nach Hause. K dachte, dieses Verhalten "stünde ihm zu".
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Einordnung des Falls
Täter hat einen Anspruch auf die Sache | Ausnahme: Gattungsschuld
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat die 120 Eier „weggenommen“ (§ 242 Abs. 1 StGB). K hatte auch Zueignungsabsicht.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Zueignung war objektiv rechtswidrig.
Ja!
3. K hatte jedoch keinen Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der Zueignung, sodass eine Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) ausscheidet.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🔥1312🔥
22.7.2021, 08:21:11
Wie wäre denn der umgekehrte Fall, wenn K zwar einen fälligen durchsetzbaren Anspruch auf eine konkretisierte Sache hätte, diese dann wegnimmt und davon ausgeht, dass er damit einen Diebstahl begeht obwohl er weiß, dass ein Anspruch auf die Sache hat. Wäre dann eine Strafbarkeit aus einem Versuch dennoch zu bejahen? Oder wie verhält es sich damit, dass er sich einerseits seines obj. Vorhanden Anspruchs bewusst, aber über die Auswirkungen dieses Anspruchs auf den Tatbestand des Diebstahls irrt?
Lukas_Mengestu
22.7.2021, 12:05:13
Hallo jolojo, spannende Frage! Hierbei sind zwei Fälle zu unterscheiden. In dem von Dir gebildeten Beispiel, in dem der Täter sämtliche Merkmale des Tatbestandes richtig einordnet, liegt noch nicht einmal ein strafbarer (untauglicher)Versuch vor, sondern lediglich ein
Wahndelikt. Der Täter subsumiert lediglich falsch zu seinen Ungunsten (sog. umgekehrter Subsumtionsirrtum). Anders liegt der Fall dagegen, wenn K fälschlicherweise davon ausgeht, dass ihm kein Anspruch auf die konkretisierte Sache zusteht. Da der Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Zueignung als objektives Tatbestandsmerkmal eingeordnet wird, liegt in diesem Fall ein
untauglicher Versuch(also ein
umgekehrter Tatbestandsirrtum) vor (vgl. BeckOK-StGB/Wittig, § 242 Rn. 42), der strafbewehrt ist (ergibt sich aus § 23 Abs. 3 StGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Juraluchs
19.10.2022, 21:12:05
Auch hier macht mir die Formulierung "Verletzung der Eigentumsordnung" im Zusammenhang mit der Rwk. der Zueignung etwas Bauchweh...
Lukas_Mengestu
26.10.2022, 19:07:08
Hallo Juraluchs, das Unbehagen kann ich durchaus nachvollziehen. Zivilrechtlich klingt es in der Tat unschön, wenn man den Begriff Eigentum, das bekanntlich nur an "Sachen" bestehen kann (vgl.
§ 903 BGB) und schuldrechtliche Forderungen in einen Topf wirft und daraus die "Eigentumsordnung" macht. Nichtsdestotrotz ist dies in Rechtsprechung und Kommentarliteratur durchaus verbreitet (vgl. BGH, NJW 1962, 971; BeckOK StGB/Wittig, 54. Ed. 1.8.2022, § 242 RdNr. 40). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Marco
28.12.2022, 21:03:27
Das ist aber nicht herrschende Meinung. Auch
Leihen sind sich bewusst, dass dem Verkäufter ein irgendwie geartetes Aussonderungsrecht zusteht. Der
Vorsatzentfällt nach BGH nur bei Geldschulden nach § 16 I 1 StGB. In diesem Fall hier handelt es sich vielmehr um einen (vermeidbaren) Verbotsirrtum nach
§ 17 StGB.
Nora Mommsen
3.1.2023, 15:27:47
Hallo Marco, Achtung - es ist beim
Vorsatznicht danach zu differenzieren, was er "gewusst haben könnte oder müsste" sondern was er sich tatsächlich vorgestellt hat. Ob dies am Ende vorwerfbar ist, ist wie von dir richtigerweise angemerkt eine Frage der Schuld. Vorliegend hat er sich vorgestellt ein Recht auf "Mitnahme" zu haben, er stellt sich somit gerade nicht die Rechtswidrigkeit der Zueignung vor. Nach der Rechtsprechung lässt dies den
Vorsatzfür ein
Tatumstandsmerkmal entfallen und ist somit über § 16 I 1 StGB und nicht über
§ 17 StGBzu lösen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Geithombre
18.1.2024, 10:28:30
An Marco: da würde ich nicht mitgehen. Dem juristischen Laien (ich gehe davon aus, dass bei dir die Autokorrektur zugeschlagen hat; sowas in der Klausur bringt Korrektoren völlig auf die Palme) ist mit Sicherheit nicht bekannt, dass der Verkäufer zunächst aussondern muss. Im Kopf des Durchschnittskäufers macht es überhaupt keinen Unterschied, welche Eier vereinbarter bzw. mittlerer Art & Güte er bekommt. Er weiß abstrakt, dass es noch nicht "seins" ist, aber er geht davon aus, dass er einen
Anspruch auf Übereignunghat (falls er überhaupt so viel Abstraktionsprinzip berücksichtigt). Und nur darauf kommt es hier ja an in der Parallelwertung in der juristischen Laiensphäre.
Marco
18.1.2024, 10:59:32
BGHSt 17, 90: „ Nimmt der Täter bei einer
Gattungsschuldan, zur Mitnahme einer Sache aus der Gattung berechtigt zu sein, so handelt er jedoch vorsätzlich bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung. Der Täter glaubt in solchen Fällen nur an einen Rechtfertigungsgrund, welchen die Rechtsordnung nicht anerkennt.“ Glaubt der Täter also zur Mitnahme der Sache berechtigt zu sein, fehlt ihm nach § 17 S.1 StGB die Einsicht Unrecht zu tun. Dieser Irrum ist jedoch vermeidbar nach S.2. Nach 16 StGB sollten daher nur Fälle der Geldschuld behandelt werden.
Geithombre
6.3.2024, 18:37:17
Lieber Marco, eine Sache vorab, die mich stark irritiert hat. Es wurde höflich mit Dir in eine Diskussion eingetreten, wenn Du Widerspruch nicht ertragen kannst und für abweichende Beiträge ohne persönlichen Einschlag Daumen runter vergeben musst, ist eine Beteiligung in einem Forum nicht sonderlich zielführend. Nach Recherche ist es sicherlich so, dass Deine Ansicht die h.Lit. darstellt, bei der Rspr. wäre ich mir da allerdings nicht so sicher, zumal angesichts des Alters der Entscheidung (1962). Nun zum Inhalt. Das von Dir gebrachte Zitat ist in BGHSt 17 nirgends auf S. 87 ff. zu finden, hast du da evtl. einen Leitsatz einer Zusammenfassung herauskopiert? Der BGH hat in der betreffenden Entscheidung in BGHSt 17, 87 [90–92] vielmehr folgendes ausgeführt: „Der Irrtum eines Täters, Gattungssachen zur Befriedigung des auf
Übereignungeiner bestimmten Sache gerichteten Anspruchs wegnehmen zu dürfen, ist allerdings grundsätzlich ein den
Vorsatznicht ausschließender Verbotsirrtum, weil der Täter regelmäßig weiß, daß sein Anspruch auf eine bestimmte Sache und nicht auf irgendwelche Sachen gleicher Art und Güte gerichtet ist. Diesen Unterschied wird aber der nicht rechtskundige Täter häufig gerade bei Geld als der schlechthin gleichartigen und vertretbaren Gattungssache nicht machen. Hier glaubt er möglicherweise, als Gläubiger einer Geldforderung jeweils die gerade im Besitz des Schuldners befindlichen Geldmittel als die ihm unmittelbar und nicht nur vertretungsweise geschuldeten beanspruchen zu dürfen. Dieser Meinung kann auch der Angeklagte gewesen sein, weil ihm das Landgericht den guten Glauben an das seiner Natur nach notwendig auf bestimmte Gegenstände gerichtete Recht zur Wegnahme mit dem Ziel der Befriedigung zugebilligt hat. Wenn er zu dieser Meinung auch infolge eines falschen rechtlichen Schlusses gekommen wäre, so entspräche der Inhalt seiner Vorstellung dennoch im Ergebnis der Vorstellung des Gläubigers, der eine Forderung auf
Übereignungeiner ihm als bestimmte Leistung geschuldeten Sache zu haben glaubt und sich etwa nur über die Nämlichkeit der von ihm weggenommenen Sache geirrt hat (vgl. dazu Schröder, DRiZ 1956, 72). Er müßte deshalb rechtlich genau so wie dieser behandelt werden. Dieser Gläubiger würde aber bei eigenmächtiger Wegnahme einer irrigerweise für die geschuldete gehaltenen Sache infolge Annahme der Merkmale eines vermeintlichen Rechtfertigungsgrundes im Tatbestandsirrtum handeln und deshalb gemäß § 59 StGB straffrei bleiben (BGHSt 3,105, 107, 194, 271, 357). Dabei geht der Senat davon aus, daß bei einem solchen Irrtum über die Rechtswidrigkeit ein für den Tatbestand der Zueignungstaten erforderlicher Verstoß gegen die Eigentumsordnung nach der Vorstellung des Täters fehlen würde. c) Das Landgericht will dem Angeklagten nur einen das Selbsthilferecht betreffenden Verbotsirrtum zugute halten, den es als vermeidbar ansieht. Ob er sich auch wegen der Rechtswidrigkeit des Verlangens auf
Übereignunggeirrt haben könnte, ist nicht zulänglich geprüft. Dieser Mangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Falle G.“ -> „grundsätzlich“ beinhaltet immer auch die Ausnahme. Der Fall gibt gerade vor, dass der Täter denkt, das Verhalten „stünde ihm zu“. Die Kommentarliteratur legt diese Passage zugegebenermaßen eher dahingehend aus, dass nur im Falle von Geldschulden ein Tatbestandsirrtum vorliege. BeckOK § 242 Rn. 42 oder Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger § 242 Rn. 117 f. plädieren z.B. abweichend dafür, bei
Gattungsschulden keinen Unterschied zu machen. Der BGH selbst hat neben der Beschäftigung mit extrem vielen Fällen der eigenmächtigen Zueignung vermeintlich geschuldeten Geldes jedoch auch selbst folgendes geurteilt: BGH 23.11.1972 – 2 StR 533/72 „Nach den bisherigen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte sowohl bei der Ansichnahme der 50,- DM wie bei der Wegnahme des Fernsehgeräts in der Vorstellung handelte, zu eigenmächtiger Befriedigung seiner behaupteten Forderung berechtigt zu sein. Hierzu wird auf BGHSt 4, 105 und 17, 87 verwiesen.“ BGH 03.05.1985 – 4 StR 211/85 „Die Rechtswidrigkeit der Bereicherung ist ein Tatbestandsmerkmal des § 253 StGB (Dreher/Tröndle, 42. Aufl. § 253 StGB Rdnr. 14 m. w. Nachw.); wenn der Täter glaubt, einen Rechtsanspruch auf Zahlung oder Herausgabe einer Sache zu haben, so hat er nicht das Bewußtsein, dem anderen einen Vermögensnachteil zuzufügen. Daran ändert es nichts, wenn er weiß, daß er nicht berechtigt ist, seine vermeintliche Forderung auf diesem Wege einzutreiben. Die irrige Annahme der Forderung bewirkt einen Tatbestandsirrtum (vgl. BGHSt 4, 105; 17, 87; BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 1978 - 3 StR 352/78, mitgeteilt bei Holtz MDR 1979, 107 [OLG Stuttgart 07.02.1979 - 3 Ss 3 24/79], und vom 2. März 1984 - 3 StR 37/84 m. w. Nachw.).“ Ich konnte keine ständige Rspr. finden, in der explizit die Nichtanwendbarkeit der Gedanken auch auf andere geschuldete Gegenstände festgestellt wurde. Wenn es solche Fundstellen gibt, freue ich mich über Nachweise, dann wäre der Fall zumindest für das Assessorexamen eindeutig.