Strafrecht
BT 3: Straftaten gegen Freiheit u.a.
Nötigung, § 240 StGB
Nötigungserfolg bei „vis absoluta“
Nötigungserfolg bei „vis absoluta“
22. Februar 2025
7 Kommentare
4,8 ★ (17.524 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T möchte „Sommerhaus der Stars“ im Fernsehen schauen. Seine Freundin O verfolgt aber gerade die Fußball-EM und will nicht umschalten. Um sein Ziel zu erreichen, drückt T ihr ein mit Chloroform getränktes Tuch aufs Gesicht. O ist betäubt. T schaut seine Sendung.
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Einordnung des Falls
Nötigungserfolg bei „vis absoluta“
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T „Gewalt” an O ausgeübt (§ 240 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. O hatte noch Handlungsspielraum, als T ihr das Tuch mit Chloroform ins Gesicht drückte.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Nach h.M. kann ein Nötigungserfolg (§ 240 Abs. 1 StGB) auch dann eintreten, wenn der Täter vis absoluta ausgeübt hat. Liegt danach ein Nötigungserfolg in Form einer Duldung der O vor?
Ja!
4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt die Duldung der O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Dominic
27.7.2023, 08:33:13
Also wenn jemand bewusstlos ist, duldet er doch überhaupt nicht. Er hat gerade nicht mehr die Möglichkeit einen Willen zu bilden. Und da die Freiheit der Willensentschließung geschützt sein soll, würde ich eher annehmen, dass bei
vis absolutakein
Nötigungserfolg(willensgetragene Handlung, Duldung oder Unterlassung) vorliegen kann.
Leo Lee
3.8.2023, 12:02:38
Hallo Dominic, es stimmt natürlich, dass ein Bewusstloser ab der Bewusstlosigkeit nichts mehr dulden kann. Jedoch ist das Opfer zuvor noch bei Bewusstsein, weshalb es genötigt wird durch
vis absoluta, quasi den "Eintritt" der Bewusstlosigkeit zu dulden. Vergleichbar hiermit ist der Fall, wo das Opfer mit K.O.-Tropfen ausgeschaltet wird (hier wird es auch dazu genötigt, den Eintritt der Bewusstlosigkeit zu dulden):) Liebe Grüße Leo
MusterschüLAW
12.12.2023, 16:09:34
Hallo Leo, könntet ihr die Lösung dann bitte korrigieren oder weiter differenzieren? Danke
der D
25.11.2024, 14:06:40
Finde das auch etwas konstruiert, allerdings würde sonst bei
vis absolutadie Nötigung ja automatisch ausgeschlossen werden, da diese sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass das Opfer nicht mehr in der Lage ist einen Willen zu bilden, oder?
Tinki
27.11.2024, 19:30:12
Also nach hM und Rspr. ist auch die
vis absolutaals taugl. Tathandlung erfasst. Teilweise wird das zwar mit der Begründung verneint, dass der
Tatbestandserfolg in einem Handlung, Dulden oder Unterlassen besteht, was voraussetze, dass das Opfer die Möglichkeit hat, eine andere Verhaltensweise (willentlich) zu ergreifen, was bei Anwendung der
vis absolutagerade nicht der Fall sein kann. Die hM sieht diese Möglichkeit aber gerade nicht als notwendig an für den
Tatbestandserfolg: + nach allg. Sprachgebrauch spricht man auch von einem Dulden bzgl. Verhaltensweisen, die jemand hinnehmen muss, ohne sie verhindern zu können. zB Dulden, gefesselt zu sein/geschlagen zu werden. + es wäre widersprüchlich, wenn man durch diese Beschränkung Verhaltensweisen, die durch die gravierendere Form der
Gewaltanwendungabgenötigt werden, nicht als
tatbestandlichen Erfolg ansehen könnte (Erst- Recht- Schluss). bezogen auf den Bsp.- Fall würde ich also sagen: -
Gewaltanwendungin Gestalt
vis absoluta= Betäuben -
Nötigungserfolg= Duldung des Fußballguckens
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Linne_Karlotta_
3.2.2025, 17:00:48
Hey in die Runde. um die bestehenden Unklarheiten zum
Nötigungserfolgbei
vis absolutaaufzuklären, haben wir die Antworten im Fall präzisiert. Tatsächlich gibt es eine (Minder-)Meinung, nach deren Ansicht
vis absolutanicht von § 240 StGB erfasst wird: das Erleiden von Gewalt (in Form von
vis absoluta) zwinge den Willen nicht, sondern negiere ihn bloß. Der
Nötigungserfolgmüsse ein selbstständiges willentliches Verhalten sein – dieses läge bei
vis absolutagerade nicht vor (vgl. etwa Köhler, NJW 1983, 10, 11f.). Wie @[Tinki](200906) aber bereits ausgeführt hat, erfasst der § 240 StGB nach h.M. auch
vis absoluta: die gravierendste Form der
Gewaltanwendungmüsse erst recht durch die Norm erfasst werden. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team