Nötigungserfolg bei „vis absoluta“

15. Juli 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T möchte „Sommerhaus der Stars“ im Fernsehen schauen. Seine Freundin O verfolgt aber gerade die Fußball-EM und will nicht umschalten. Um sein Ziel zu erreichen, drückt T ihr ein mit Chloroform getränktes Tuch aufs Gesicht. O ist betäubt. T schaut seine Sendung.

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Einordnung des Falls

Nötigungserfolg bei „vis absoluta“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T „Gewalt“ an O ausgeübt (§ 240 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Der Begriff der Gewalt ist umstritten. Der klassische Gewaltbegriff ist die anerkannte Grundlage aller Definitionsversuche. Er setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.Indem T der O das Tuch mit Chloroform auf ihr Gesicht drückt, entfaltet er körperliche Kraft, und übt dadurch auf O Zwang aus, um erwarteten Widerstand zu überwinden.
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2. O hatte noch Handlungsspielraum, als T ihr das Tuch mit Chloroform ins Gesicht drückte.

Nein, das trifft nicht zu!

Unter den Begriff der Gewalt fallen zwei verschiedene Formen: (1) vis compulsiva (lat. „zwingende Gewalt“): Der Täter erzeugt durch Einwirkungen auf den Körper des Opfers einen psychischen Druck, der dem Genötigten noch Handlungsspielräume offenlässt (2) vis absoluta (lat. „absolute Gewalt“): Der Täter macht dem Opfer jede Willensbildung oder Realisierung eines vorhandenen Willens gänzlich unmöglich.O ist durch das Chloroform bewusstlos geworden. In diesem Zustand ist ihr die Willensbildung oder die Realisierung eines gebildeten Willens unmöglich. Es liegt Gewalt in Form von vis absoluta vor. Liegt vis absoluta vor, so ist umstritten, ob ein Nötigungserfolg i.S.v. § 240 Abs. 1 StGB eintreten kann. Liegt nach dem Sachverhalt vis absoluta vor, solltest Du sie auch immer (kurz) als solche benennen.

3. Nach h.M. kann ein Nötigungserfolg (§ 240 Abs. 1 StGB) auch dann eintreten, wenn der Täter vis absoluta ausgeübt hat. Liegt danach ein Nötigungserfolg in Form einer Duldung der O vor?

Ja!

Der Nötigungserfolg liegt in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung des Opfers. Handlung meint ein positives Tun, Duldung, die Untätigkeit gegenüber der Handlung des Täters oder eines Dritten.Aus der Struktur des Nötigungstatbestands ergibt sich, dass der erduldete Nötigungserfolg nicht allein in der Erduldung der Gewalt liegen darf.O „nimmt“ die Betäubung „hin“. Über diese Gewalthinnahme hinaus ist O bewusstlos geworden und duldet damit, dass T die Sendung schauen kann. Nach Ansicht der h.M. liegt darin der Nötigungserfolg.Eine Mindermeinung argumentiert, bei vis absoluta fielen Gewalt und der Nötigungserfolg zusammen, es würde gerade kein willentliches Verhalten erzwungen. Vis absoluta sei deshalb nicht von § 240 StGB erfasst. Dagegen spricht aber ein „Erst-Recht-Schluss“: gerade die stärkste Form der Gewalt, die dem Opfer die Möglichkeit der Willensbildung vollständig nimmt, muss von der Nötigung erfasst sein.

4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt die Duldung der O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).

Genau, so ist das!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen: das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt.O ist bewusstlos geworden, weil T sie betäubt hat. Im Zustand der Bewusstlosigkeit musste sie dulden, dass T die Sendung schaut. Dieses Dulden ist gerade spezifische Folge der Betäubung.
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