+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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E ist sadomasochistisch veranlagt und bittet ihren Lebensgefährten L, sie mit einem Metallrohr zu würgen. L äußert Bedenken, lässt sich letztlich jedoch überzeugen. Ihm ist die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs bewusst, aber er vertraut ernsthaft darauf, dass alles gut gehen wird. E erstickt.

Einordnung des Falls

Rechtfertigende Einwilligung/ Sittenwidrigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L macht sich wegen Totschlags nach § 212 StGB strafbar.

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Nein, das ist nicht der Fall!

L hat den Tod der E durch das Würgen kausal verursacht. Möglicherweise ist ihm der Erfolg aufgrund eigenverantwortlicher Selbstgefährdung der E nicht objektiv zurechenbar. Dies setzt Tatherrschaft des Opfers voraus. L würgte E jedoch so heftig, dass sie den Tatbestandsverlauf nicht mehr in ihren Händen hielt. Es liegt vielmehr eine einverständliche Fremdgefährdung vor. Allerdings vertraute E ernsthaft auf das Ausbleiben des Erfolgs, handelte also nicht vorsätzlich.

2. L erfüllt den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB).

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Ja, in der Tat!

Eine Körperverletzung in Form der körperlichen Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird. Demgegenüber ist eine Gesundheitsschädigung jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands. Das Würgen mit der Eisenstange als gefährlichem Werkzeug ist sowohl eine körperliche Misshandlung als auch eine Gesundheitsschädigung (§ 224 Abs.1 Nr. 2 StGB). Zudem liegt auch eine das Leben gefährdende Behandlung vor (§ 224 Abs.1 Nr. 5 StGB).

3. L ist aufgrund der Einwilligung der E gerechtfertigt.

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Nein!

Die rechtfertigende Einwilligung stellt einen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund dar. Voraussetzung ist unter anderem, dass die Tat trotz der Einwilligung nicht nach § 228 StGB gegen die guten Sitten verstößt. Der BGH hat angenommen, dass die Tat jedenfalls dann sittenwidrig ist, wenn „bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird. Dafür spräche der Zweck des § 228 StGB als auch die Wertung des § 216 StGB. Die Einwilligung der E war also aus § 228 StGB unwirksam.

4. L macht sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) strafbar.

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Genau, so ist das!

L erfüllt den Grundtatbestand des §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB. Die schwere Folge ist durch den Tod der E eingetreten. In der schweren Folge hat sich auch die spezifische Gefahr des Grunddelikts niedergeschlagen. Dieser Erfolg war für L auch objektiv und subjektiv vorhersehbar.

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Samia

Samia

15.2.2023, 19:50:10

Warum liegt hier keine Fahrlässigkeit vor?

JAEL

Jael

23.3.2023, 16:17:59

Hab ich mich auch gerade gefragt... Vielleicht geht er geht in Bezug auf den tödlichen Ausgang davon aus, dass alles gut gehen wird, handelt hier also fahrlässig. Aber in Bezug auf die Körperverletzung ging er schon davon aus, dass es Schäden, wenn auch nur blaue Flecken, hervorrufen kann, und nahm dies billigend in Kauf. So erkläre ich es mir.

Paul

Paul

24.5.2023, 18:38:20

Mir erschließt sich noch nicht ganz, auf welches Delikt sich deine Frage bezieht. Die Körperverletzung plus ihre Qualifikation sind gerade das Ziel der ganzen Handlung und somit in jedem Fall vom Vorsatz gedeckt. Für die Todesfolge des § 227 StGB reicht als erfolgsqualifiziertes Delikt nach § 18 StGB auch Fahrlässigkeit aus. Ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen.

REUS04

Reus04

26.9.2023, 20:04:22

Kommt hier auch eine fahrlässige Tötung in Betracht? Oder wird diese nicht behandelt da die fahrlässige Tötung hinter den §227 StGB zurücktritt?

SE.

se.si.sc

26.9.2023, 20:47:20

In Betracht kommt ohnehin erstmal vieles. Hier hast du aber völlig Recht, nach den Schilderungen im Sachverhalt kann man fahrlässige Tötung (problematisch ist hier höchstens die subjektive Fahrlässigkeit) annehmen. Der Lösungsvorschlag tut das auch implizit: Die subjektive Vorhersehbarkeit des Todeseintritts iRd § 227 StGB ist vorliegend nämlich nichts anderes als die subjektive Fahrlässigkeit iRd § 222 StGB. Daran erkennt man auch, dass § 222 StGB hier im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten muss, er ist nämlich vollständig in § 227 StGB enthalten, der auch die deutlich höhere Strafdrohung hat. Idealerweise und der Vollständigkeit halber würde ich auf § 222 StGB in der (Gutachten-)Klausur nicht ganz verzichten, sonst setzt man sich schnell dem Vorwurf aus, ihn übersehen zu haben. Man sollte die Prüfung dazu aber schon (sehr) knapp halten, weil es auf ihn iE eben überhaupt nicht ankommt und er ohnehin zurücktritt.


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