Heimtückische Tötung eines Säuglings

12. Juni 2025

17 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M und V leben zusammen mit ihrer drei Monate alten Tochter T. M ist überlastet und fühlt sich überfordert. Als ihr alles zu viel wird, ersticht sie T mit einem Messer. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich V 350 m von der Wohnung entfernt, sodass er nichts mitbekommt.

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Einordnung des Falls

Heimtückische Tötung eines Säuglings

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M könnte sich des Mordes schuldig gemacht haben (§§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Den Tatbestand des Mordes verwirklicht, wer vorsätzlich (1) einen anderen Menschen tötet und dabei (2) mindestens ein Mordmerkmal erfüllt. M hat T mit dem Messer getötet. Ob sie den Tatbestand des Mordes verwirklicht hat, hängt davon ab, ob sie zusätzlich ein Mordmerkmal verwirklicht hat. Anders als beim Totschlag besteht beim Mord kein Spielraum im Hinblick auf die Bestrafung des Täters. Das Gesetz sieht ausschließlich die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Aufgrund dieses Umstandes ist das Vorliegen von Mordmerkmalen - und damit die Abgrenzung zum Totschlag - besonders gründlich zu prüfen!
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2. M könnte das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht haben (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).

Ja!

Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Wehrlos ist, wer infolge der Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist aufgrund seiner hohen praktischen Bedeutung und der vielen verschiedenen möglichen Fallkonstellationen in Klausuren besonders beliebt. Hier solltest du dich gut auskennen.

3. Heimtückisches Handeln ist in der Regel auch direkt gegenüber Kleinstkindern möglich.

Nein, das ist nicht der Fall!

Heimtücke gegenüber Kleinstkindern (bis circa 3 Jahre) ist in der Regel nicht möglich, weil sie nicht fähig sind, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Folglich fehlt ihnen die Fähigkeit zum Argwohn. Zudem sind sie aufgrund ihres Alters noch nicht zur Gegenwehr fähig. Daher kann es bei der Frage der Heimtücke nicht auf ihre Arg- und Wehrlosigkeit ankommen. Eine andere Ansicht wird teilweise vertreten, wenn der Täter die natürlichen Abwehrinstinkte des Kindes ausschaltet. So bejahte der BGH Heimtücke in einem Fall, in dem der Täter ein Schlafmittel in die Babynahrung mischte, damit es dieses nicht aufgrund des Geschmacks verweigert oder ausspuckt.

4. Stattdessen kommt es in diesen Fällen maßgeblich auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten an.

Ja, in der Tat!

Bei der Tötung von Kleinstkindern kann die Heimtücke in der Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter liegen (BGH, NStZ-RR 2006, 43). Dafür muss jedoch ein schutzbereiter Dritter, der den Schutz des Kleinstkindes übernommen hat, den Schutz über das Kind im Augenblick der Tat tatsächlich ausüben oder dies nicht tun, weil er dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde. Der schutzbereite Dritte muss den Schutz aufgrund der Umstände des Einzelfalls wirksam erbringen können.

5. Ein Heimtückemord scheidet vorliegend aber aus, weil V nicht nahe genug am Geschehen dran war, um eingreifen zu können.

Ja!

BGH: Der potenziell schutzbereite Dritte muss nach den Umständen des Einzelfalls den Schutz wirksam erbringen können. Dies setzt nicht voraus, dass er unmittelbar zugegen ist, jedoch ist eine „gewisse räumliche Nähe“ unerlässlich. Daran fehlt es aber jedenfalls, wenn aufgrund der räumlichen Entfernung der tödliche Angriff nicht wahrgenommen werden kann und eine Gegenwehr des Dritten auch deshalb zu spät käme, weil hierfür erst eine erhebliche räumliche Distanz überwunden werden muss (RdNr. 6). Vorliegend war V außerhalb des Gebäudes 350m vom Tatort entfernt. Er hatte an seinem Standort keine Möglichkeit, einen Angriff auf T überhaupt wahrzunehmen (beispielsweise durch Hören eines Schreies). Er war deshalb zur Tatzeit nicht schutzbereit. Denkbar wäre auch, niedrige Beweggründe zu prüfen. Hierfür fehlen allerdings Anhaltspunkte und auch im zugrundeliegenden BGH-Urteil findet dies keinerlei Erwähnung.

6. M hat sich folglich nicht strafbar gemacht.

Nein, das ist nicht der Fall!

M hat T vorsätzlich mit dem Messer getötet und sich deshalb zumindest wegen Totschlags strafbar gemacht (§ 212 Abs. 1 StGB). M hat sich durch den Messereinsatz auch der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Jedoch tritt diese im Wege der Subsidiarität hinter dem Tötungsdelikt zurück. Mit diesem Fall knüpft der BGH an seine ständige Rechtsprechung zur Heimtücke bei Kleinstkindern an. Es wird deutlich, dass die Umstände des Einzelfalles auch in Bezug auf potenziell schutzbereite Dritte genau geprüft werden müssen und es darauf ankommt, ob diese im konkreten Fall überhaupt wirksam Hilfe erbringen können.
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