Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung, u.a.
Heimtückische Tötung eines Säuglings
Heimtückische Tötung eines Säuglings
31. Mai 2025
17 Kommentare
4,8 ★ (18.328 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M und V leben zusammen mit ihrer drei Monate alten Tochter T. M ist überlastet und fühlt sich überfordert. Als ihr alles zu viel wird, ersticht sie T mit einem Messer. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich V 350 m von der Wohnung entfernt, sodass er nichts mitbekommt.
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Einordnung des Falls
Heimtückische Tötung eines Säuglings
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M könnte sich des Mordes schuldig gemacht haben (§§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. M könnte das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht haben (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).
Ja!
3. Heimtückisches Handeln ist in der Regel auch direkt gegenüber Kleinstkindern möglich.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Stattdessen kommt es in diesen Fällen maßgeblich auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten an.
Ja, in der Tat!
5. Ein Heimtückemord scheidet vorliegend aber aus, weil V nicht nahe genug am Geschehen dran war, um eingreifen zu können.
Ja!
6. M hat sich folglich nicht strafbar gemacht.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
7.5.2024, 08:14:29
Wäre der Fall anders zu beurteilen, wenn M den V weggeschickt hätte, gerade um die Tötung der zu ermöglichen?

Maximilian Puschmann
7.5.2024, 10:55:03
Hallo QuiGonTim, Hierzu gibt es noch keine Rechtsprechung. Jedoch lässt sich mit dem Wortlaut der hier zitierten BGH-Rechtsprechung argumentieren, dass trotzdem keine Heimtücke gegen den Ehemann vorliegen kann, weil dieser als potenziell schutzbereiter
Dritterden Schutz nicht mehr wirksam erbringen kann. Die »gewisse räumliche Nähe« ist zwingende Voraussetzung. Der Gedanke, dass man die „heimtückische Handlung“ aufs Wegschicken bezieht und dann später die Tötungshandlung vorgenommen wird, dürfte auch im Lichte des
Koinzidenzprinzips zu Problemen führen. Beste Grüße, Max – für das Jurafuchs-Team

Maximilian Puschmann
7.5.2024, 14:21:26
Hallo QuiGonTim, ich muss mich korrigieren. Der BGH hat deinen beschriebenen Fall bereits 1952 entschieden: BGH, Urteil vom 25. 11. 1952 - 1 StR 477/52. Das Täuschen der Aufsichtsperson, die dadurch planmäßig weggelockt wird, um das nun schutzlose Kind ungehindert zu töten, erfüllt den Tatbestand der Heimtücke. Hierzu auch ausführlich: MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl. 2021, StGB § 211 Rn. 177. Ein Verstoß gegen das
Koinzidenzprinzipliegt auch nicht vor, da der Täter gerade täuscht, um seine Tat zu erfüllen, und einen umfassenden durchgehenden Vorsatz hat. Ent
schuldige die Verwirrung und weiterhin beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team
Franziiiiiii
10.2.2025, 16:25:24
Wäre ein ähnlich gelagerter Fall anzunehmen, wenn V die Wohnung alleinig deshalb verlässt, weil er darauf vertraut, dass M sich um K sorgt?

Moltisanti
7.5.2024, 16:27:23
Die Mutter Ist doch überwacherGarant und gesetzliche Fürsorgepflichten, ist es mithin nicht auf sittlich tiefster Stufe sein Kind zu töten weil man meint ausgebrannt zu sein? ehrliche frage

Lukas_Mengestu
7.5.2024, 18:02:48
Hi Uncle Ruckus, die niedrigen Beweggründe sind - wie vieles an dem unter den Nationalsozialisten eingeführten Mordparagraphen - ein recht schwammiges Tatbestandsmerkmal. Liegt wie hier eine deutliche Überforderungssituation vor und handelt die Mutter weniger aus Eigensucht, sondern schlicht aus Hilflosigkeit, so liegen letztlich zumindest nachvollziehbare Gründe vor. Diese können Tat zwar nicht rechtfertigen, aber gleichzeitig auch nicht die Strafverschärfung (lebenslängliche Freiheitsstrafe) begründen, die mit der Annahme der niedrigen Beweggründe einhergehen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CR7
1.6.2024, 09:27:40
Auch wenn es schwer nachzuvollziehen sein mag, finde ich das Urteil im Ergebnis richtig.
annsophie.mzkw
8.1.2025, 19:26:56
@[CR7](145419) Wieso ist es aus deiner Sicht richtig? Weil die Tötung des eigenen angesichts der Überforderung zumindest noch in „irgendeiner“ Weise menschlich nachvollziehbar ist, sodass es für dich nicht ausreicht niedrige Beweggründe zu bejahen?

Major Tom(as)
18.1.2025, 10:37:29
Liebes Jurafuchs-Team, Dies ist mir gerade bei dieser Aufgabe aufgefallen, es ist aber eigentlich ein allgemeiner Punkt. Gerade im Strafrecht ist das Bilden von überzeugenden Obersätzen wichtig - dazu gehört das Benennen der Tathandlung. Diese nennt ihr, soweit ich es gerade im Kopf habe, in den "generellen Falllösungen" nie. Das ist schade, weil es ein wichtiger "Skill" ist, den man trainieren und an den man immer wieder erinnert werden muss. Vielleicht könnte man in der Zukunft hier ansetzen? Danke euch im Voraus und LGs!

Wendelin Neubert
24.4.2025, 16:36:00
Danke für Deinen Hinweis und Deine Anregung @[Major Tom(as)](258980). Du hast vollkommen recht, dass das Bilden von überzeugenden Obersätzen eine ganz wichtige Fähigkeit ist, die in den Klausuren eine zentrale Rolle spielt. Wir beschränken uns in diesen systematischen Kursen jedoch primär auf die Vermittlung von Lerninhalten, Rechtskenntnissen und Systemverständnis. Klausurtypische Formulierung wie Obersätze kommen dadurch bedingt etwas zu kurz (obgleich wir teilweise in Klausur- oder Vertiefungshinweisen sowie Formulierungsbeispielen erläutern, wie Obersätze oder andere typische Klausur-Formulierungen zu erfolgen haben). Wir werden in Zukunft aber einen Klausuren-Trainer hinzufügen, in dem ihr dann auch Obersätze bilden müsst, die dann mithilfe von KI überprüft werden, um dort diese Fähigkeit zu trainieren. Im Kurs VwGO gibt es teilweise schon den Obersatz-Trainer. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

FalkTG
27.1.2025, 22:29:40
s.o.
Vincent
3.2.2025, 14:43:00
"Dafür muss jedoch ein schutzbereiter
Dritter, der den Schutz des Kleinstkindes übernommen hat, den Schutz über das Kind im Augenblick der Tat tatsächlich ausüben oder dies nicht tun, weil er dem Täter vertraut oder vom Täter ausgeschaltet wurde." "oder dies nicht tun, weil er dem Täter vertraut" liegt dies nicht gerade vor ?
Kate7
6.3.2025, 21:54:33
Mir stellt sich die gleiche Frage, vielleicht könntet ihr hierauf kurz eingehen?
SimonRe1995
24.4.2025, 14:55:11
Könnte man noch auf § 212 Absatz 2 StGB eingehen?

Wendelin Neubert
24.4.2025, 16:49:18
Hallo @[SimonRe1995](220114), danke für Deine Frage. Das könnte man sicherlich! Nach der Rechtsprechung des BGH ist „Voraussetzung für einen besonders schweren Fall des
Totschlages und damit die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe [...] ein in der Tat zum Ausdruck gekommenes, außergewöhnlich großes Ver
schulden des Täters, das dem eines Mörders gleichzusetzen sein muß.“ (BGH, Beschl. v. 04.03.1993 – 2 StR 520/92 –, NStZ 1993, 342). Das im Zurückbleiben hinter den
Mordmerkmalen liegende Minus muss durch ein Plus an
Verwerflichkeit ausgeglichen werden (Fischer, StGB, 67.A. 2020, § 212 RdNr. 19; vgl. auch BGH, Urt. v. 17.12.1998 –4 StR 563/98 –, StV 2000, 309, RdNr. 12). Dies könntest Du hier sicherlich thematisieren. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team