Referendariat

Die Revisionsklausur im Assessorexamen

Begründetheit II: Verletzungen des Verfahrensrechts (Verfahrensrüge)

Abwesenheit des Angeklagten als absoluter Revisionsgrund - Vorübergehende Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung eines Zeugen oder eines Mitangeklagten (§ 247 StPO)

Abwesenheit des Angeklagten als absoluter Revisionsgrund - Vorübergehende Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung eines Zeugen oder eines Mitangeklagten (§ 247 StPO)

10. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Körperverletzung verurteilt. Da Zeuge Z mit ängstlichem Blick angab, er sage vor A „lieber nichts”, weil dieser ihn angerufen und gedroht habe, Z bekomme „heftig aufs Maul”, wenn er „sich verplappere”, wird A bis zu den Plädoyers aus dem Saal entfernt.

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Einordnung des Falls

Abwesenheit des Angeklagten als absoluter Revisionsgrund - Vorübergehende Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung eines Zeugen oder eines Mitangeklagten (§ 247 StPO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Urteil ist rechtsfehlerhaft, wenn der Angeklagte entgegen § 230 Abs. 1 StPO nicht an der Verhandlung teilnimmt, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.

Ja!

Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht statt (§ 230 Abs. 1 StPO). Die Verletzung des Anwesenheitsrechts (bzw. Pflicht), die nicht durch einen gesetzliche normierten Rechtfertigungsgrund gedeckt ist, ist revisibel.
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2. Die Verhandlung ohne den Angeklagten ist zulässig, wenn zu befürchten ist, ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen (§ 247 S.1 StPO).

Genau, so ist das!

Das Gericht kann anordnen, dass sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernen muss, wenn aus Sicht des Gerichts zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen (§ 247 S. 1 StPO). Hierzu muss eine konkrete Gefahr für die Wahrheitsfindung bestehen, zu deren Abwendung die zeitweise Entfernung des Angeklagten notwendig und unvermeidbar erscheint. Der bloße Wunsch des Zeugen, in Abwesenheit des Angeklagten auszusagen oder die fehlende Bereitschaft zur Aussage in Gegenwart des Angeklagten reicht nicht.

3. Die Anordnung der Entfernung (§ 247 S. 1 StPO) war bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil keine Gefahr für die Wahrheitsfindung vorlag.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Ausschluss kommt nur in Betracht, wenn eine konkrete Gefahr für die Wahrheitsfindung besteht, zu deren Abwendung die zeitweise Entfernung des Angeklagten notwendig und unvermeidbar erscheint Ob die Befürchtung begründet ist, entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Revisionsgericht kontrolliert die Entscheidung nur auf Rechtsfehler.Zwar genügt der bloße Wunsch eines Zeugen für sich genommen noch nicht. Z hatte dem Gericht hier aber glaubhaft bekundet, aufgrund der unverhohlenen Drohungen des A aus Angst nicht aussagen zu wollen. Die Angst des Z und die damit einhergehende Befürchtung, er werde nicht aussagen, beruht auf konkreten von Z geschilderten Tatsachen und ist damit auch hinreichend dargetan.

4. Der Verstoß gegen § 230 Abs. 1 StPO war somit gerechtfertigt und das Urteil damit rechtsfehlerfrei (§ 337 StPO).

Nein!

Das Gericht kann anordnen, dass der Angeklagte „während einer Vernehmung” aus dem Sitzungssaal entfernt wird (§ 247 S. 1 StPO). Wegen der hohen Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten für die Wahrheitsfindung und den Schutz des Angeklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) ist die Möglichkeit der Entfernung schon nach dem Wortlaut eng beschränkt und nur auf den absolut notwendigen Zeitraum zu erstrecken.Vorliegend konnte A nur für die Vernehmung des Z und der eng damit in Zusammenhang stehenden Verfahrensvorgänge entfernt werden. Spätestens bei der Verhandlung über die Entlassung des Z hätte A wieder teilnehmen müssen, um sein Fragerecht (§ 240 Abs. 2 S. 1 StPO) nicht auszuhöhlen. Der Ausschluss war zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr von § 247 S. 1 StPO gedeckt, sodass ein Verstoß gegen § 230 Abs. 1 StPO vorlag. Das Urteil war rechtsfehlerhaft.

5. Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 338 Nr. 5 StPO).

Genau, so ist das!

Da A während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung abwesend war, wird nach § 338 Nr. 5 StPO unwiderleglich vermutet, dass das Urteil auf der ungerechtfertigten Abwesenheit des A beruht. Es ist auch nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass A durch sein Mitwirken im Rahmen der Beweisaufnahme ein für ihn günstigeres Urteil erwirkt hätte.
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