Abwesenheit des Verteidigers - Grundfall

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) vor dem Schöffengericht angeklagt. Zu Verhandlungsbeginn fragt der Vorsitzende A, ob er einen Pflichtverteidiger wolle. A verneint. Er könne sich gegen die „läppischen Vorwürfe” auch selbst verteidigen. Ohne Verteidiger wird A verurteilt.

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Einordnung des Falls

Abwesenheit des Verteidigers - Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Urteil ist rechtsfehlerhaft, wenn in Abwesenheit eines Verteidigers verhandelt wurde, obwohl dessen Anwesenheit vorgeschrieben war (§§ 140, 338 Nr. 5 StPO).

Ja, in der Tat!

Ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO liegt vor, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Ein Wahl- oder Pflichtverteidiger muss zwingend anwesend sein, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) vorliegt.
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2. Ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, bestimmt sich nach § 141 StPO.

Nein!

Die Fälle der notwendigen Verteidigung sind in § 140 StPO genannt. § 141 StPO regelt dagegen den Zeitpunkt, ab dem ein Verteidiger im Falle des Vorliegens einer notwendigen Verteidigung bestellt werden muss.

3. Lag hier ein Fall notwendiger Verteidigung vor (§ 140 StPO)?

Genau, so ist das!

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt unter anderem vor, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO).Da hier die Verhandlung im ersten Rechtszug vor dem Schöffengericht stattfand, lag ein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Das Gericht hätte A spätestens bei Eröffnung der Anklage einen Pflichtverteidiger bestellen müssen (§ 141 Abs. 2 Nr. 4 StPO). As Verteidigung war also entgegen §§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 141 Abs. 2 StPO abwesend.Seit 2020 reicht für die Variante des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO nunmehr die bloße „Erwartung” der Anklage vor den genannten Gerichten, statt der tatsächlich stattfindenden Verhandlung. Damit sollte erreicht werden, dass möglichst schon im Ermittlungsverfahren auf eine Pflichtverteidigerbestellung hingewirkt wird.

4. Da A hier wirksam auf die Bestellung eines Verteidigers verzichtet hat, ist dieser Verfahrensverstoß aber geheilt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Normen zur Pflichtverteidigung sind aufgrund ihrer hohen Bedeutung für das rechtsstaatliche Verfahren nicht disponibel. Das Institut der notwendigen Verteidigung sichert das rechtsstaatliche Interesse an einem prozessordnungsgemäßen Verfahren und einer wirksamen Verteidigung des Angeklagten.A konnte damit nicht wirksam verzichten. Ein revisibler Verstoß gegen §§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 141 Abs. 2 Nr. 4 StPO ist gegeben. Das Beruhen des Urteils auf diesem Verstoß wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO unwiderleglich vermutet.

5. Es wird vermutet, dass das Urteil auf der Abwesenheit des Verteidigers beruht (§ 338 Nr. 5 StPO).

Ja!

Das Beruhen wird vermutet, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO). Die Anwesenheit der Verteidigung war hier gesetzlich vorgeschrieben, da ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag (§ 140 StPO). Die Abwesenheit erstreckte sich auch nicht nur auf unwesentliche Teile der Hauptverhandlung, weshalb ein Beruhen nicht schon von vorneherein ausgeschlossen ist. A ist durch den Fehler auch beschwert und wird ihn beweisen können, da die Anwesenheit der Verteidigung als wesentliche Förmlichkeit in das Protokoll aufgenommen wird (§ 273 Abs. 1 StPO) und so die negative Beweiskraft des Protokolls greift (§ 274 StPO).
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