Zivilrecht

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Entscheidungen von 2021

Anforderungen an ein gemeinschaftliches Testament

Anforderungen an ein gemeinschaftliches Testament

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E bestimmt ihren Ehemann M erbvertraglich zum Alleinerben. Später schreibt M mit E abwechselnd ein Testament, wobei überwiegend E schreibt. Das Testament ist aus Ms Sicht in "Ich-Form" formuliert und bestimmt, dass E 75% und Enkel S 25% des Erbes erhalten sollen. Tochter T wird nicht erwähnt. Beide unterzeichnen. M stirbt.

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Einordnung des Falls

Anforderungen an ein gemeinschaftliches Testament

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Unterstellt die letztwilligen Verfügungen des Testaments sind wirksam, so wäre T enterbt.

Ja!

Die Testierfreiheit gibt dem Erblasser das Recht, nach freiem Belieben durch eine Verfügung von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen. Sie ist Ausdruck der Privatautonomie und hat im Bereich der Erbfolge Vorrang vor dem Prinzip der Familienerbfolge. Nach § 1937 BGB ist daher die gewillkürte Erbfolge vorrangig gegenüber der gesetzlichen Erbfolge. Gestaltungsmöglichkeiten sind etwa die Einsetzung eines Erben (§ 1937 BGB) oder die Enterbung des gesetzlichen Erben (§ 1938 BGB). Im Testament bestimmt M, dass sein Erbe auf E und S verteilt werden soll. Ist dieses wirksam, so wäre T durch diese Erbeinsetzung zugleich enterbt. Achtung: Als Tochter verbliebe T aber zumindest ein schuldrechtlicher Anspruch gegenüber den Erben auf Auszahlung eines Pflichtteils (§ 2303 BGB).
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2. Testamente können nur getrennt für eine einzelne Person errichtet werden (§§ 2265ff. BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich wird ein Testament für eine Einzelperson errichtet. Eheleute und Lebenspartner können ein Testament aber auch gemeinschaftlich errichten (§ 2267 BGB). Die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments ist in allen für allgemeine Testamente vorgesehenen Formen möglich. Voraussetzung ist, dass bereits im Zeitpunkt der Errichtung die Ehe oder Lebenspartnerschaft bestanden haben muss. Für das gemeinschaftliche, privatschriftliche Testament gilt eine Formerleichterung nach § 2267 BGB. Danach genügt es, wenn einer der Ehegatten es niederschreibt, solange der andere mitunterzeichnet.

3. Genügt das von M und E errichtete Testament den Formanforderungen des § 2267 BGB?

Ja, in der Tat!

Nach § 2267 BGB gilt für eigenhändige gemeinschaftliche Testamente eine Formerleichterung. Es genügt daher, wenn (1) ein Ehegatte die beiderseitige Verfügung in der Form des § 2247 BGB niederschreibt und (2) der andere Ehegatten diese lediglich mitunterzeichnet. Neben dieser im Gesetz ausdrücklich geregelten Form ist es nach der herrschenden Meinung ebenfalls zulässig, dass die Ehepartner den Text des gemeinschaftlichen Testaments abwechselnd schreiben und anschließend unterschreiben. M und E haben das Testament abwechselnd niedergeschrieben und beide unterschrieben. Damit genügt es den Formanforderungen des § 2267 BGB.

4. Enthält das von M und E errichtete Testament letztwillige Verfügungen der E?

Nein!

Der Inhalt von Testamenten ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu ermitteln. Keine Berücksichtigung bei der Auslegung findet der objektive Empfängerhorizont (§ 157 BGB). Im Testament bestimmt M, dass seine Ehefrau E und sein Enkelsohn S sein Vermögen erben sollen. Fraglich bleibt, ob damit auch E letztwillige Verfügungen getroffen hat. Dagegen spricht, dass das Testament aus Sicht des M in Ich-Form formuliert ist. Zudem gibt es an keiner Stelle Anordnungen zum Vermögen der E. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht mehr an ihren früheren erbvertraglichen Verfügungen festhalten will.

5. Stellt das von M und E errichtete Testament ein wirksames gemeinschaftliches Testament dar, obwohl es keine letztwilligen Verfügungen der E enthält?

Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Wirksamkeit benötigt ein gemeinschaftliches Testament Verfügungen beider Ehegatten. Es genügen hierfür sowohl wechselbezügliche als auch einseitige Verfügungen. Mangels letztwilliger Verfügungen der E stellt das Schriftstück kein wirksames gemeinschaftliches Testament dar.

6. Ergibt die Auslegung, dass ein als gemeinschaftlich gewolltes Testament nur Verfügungen eines Ehegatten enthält, kann im Wege der Umdeutung (§ 140 BGB) ein Einzeltestament anzunehmen sein.

Ja, in der Tat!

Ist ein als gemeinschaftlich gewolltes Testament unwirksam, ist (für jede Verfügung einzeln) zu prüfen, ob sie eventuell in ein wirksames Einzeltestament umgedeutet werden kann (§ 140 BGB). Dazu muss die zu erhaltende Verfügung selbst formwirksam erklärt sein und vom Willen des Testierenden gedeckt sein.

7. Können die im „gemeinschaftlichen“ Testament getroffenen Verfügungen zugunsten von E und S in ein wirksames Einzeltestament des M umgedeutet werden?

Nein!

Eine Umdeutung setzt voraus, dass (1) die zu erhaltende Verfügung selbst formwirksam erklärt und (2) vom Willen des Testierenden gedeckt ist.Eine Umdeutung der Verfügungen des M zugunsten von E und S scheitert daran, dass große Teile des Hauptexts nicht von ihm, sondern von E geschrieben worden sind. Dies entspricht nicht den Vorgaben des § 2247 Abs. 1 BGB, der eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung verlangt. Damit scheidet eine Umdeutung aus.

8. Da das Testament unwirksam ist, erben T, S und E jeweils ein Drittel von Ms Vermögen (§§ 1924 ff., §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Mangels wirksamer letztwilliger Verfügung gilt die gesetzliche Erbfolge, §§ 1924ff. BGB. Als Tochter des Erblassers gehört T zu den gesetzlichen Erben erster Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB). Ihren Sohn S (den Enkel von E und M) schließt sie von der Erbfolge aus (Repräsentationsprinzip, § 1924 Abs. 2 BGB). Überlebende Ehegatten erben neben Verwandten erster Ordnung zu 1/4 (§ 1931 Abs. 1 BGB). Dieser Erbteil erhöht sich aber bei im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehegatten um ein weiteres Viertel (§§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB). Demnach erben T und E hälftig, S geht leer aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jurista

Jurista

21.10.2023, 01:10:08

Wäre eine Umdeutung zulässig, wenn M den Großteil des Testaments geschrieben hätte? Oder muss er auf Grund des Formerfordernisses alles komplett allein schreiben?

VALA

Vanilla Latte

25.10.2023, 10:54:52

Würde ich auch gerne wissen

LAY

Lay

25.10.2023, 17:38:43

Ich schätze mal, das würde nicht reichen, da ein Einzeltestament nach § 2247 ja auch vom Erblasser komplett handschriftlich verfasst werden muss. Bei einem öffentlichen Testament gem. § 2232 (Abs. 1 Alt. 2; bei Alt. 1 würde der Notar vermutlich verhindern, dass so ein Fall überhaupt eintritt XD) müsste die Umdeutung wegen Abs. 2 doch aber möglich sein?

VALA

Vanilla Latte

25.10.2023, 18:01:59

Klingt logisch, Danke! Habe mich auch gewundert, aber dachte dann, dass irgendein Fall ja möglich sein muss. Ansonsten könnte man bei gemeinschaftlichen Testamenten nie undeutlich.

VALA

Vanilla Latte

25.10.2023, 18:02:09

*umdeuten

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.10.2023, 09:34:06

Hallo ihr beiden, eine Umdeutung kommt in der Tat eigentlich vor allem bei dem "Standardfall" des gemeinschaftlichen Testaments in Betracht, bei dem ein Partner das Testament verfasst und der andere nur noch unterzeichnet. Denn in diesem Fall hat er es ja komplett handschriftlich erstellt. Sofern sein mutmaßlicher Wille dahingehend auszulegen ist, dass trotz des fehlenden Beitritts des Partners die Verfügung aufrecht erhalten werden soll, so kann das gemeinschaftliche Testament umgedeutet werden (MüKoBGB/Musielak, 9. Aufl. 2022, BGB § 2267 Rn. 24). Eine Umdeutung des bloß mitunterzeichnenden Partners bzw. im Fall, dass beide schreiben, scheidet somit aus. Ein klassischer Umdeutungsfall ist übrigens, dass der mitunterzeichnende Partner nicht mehr testierfähig ist, als das gemeinschaftliche Testament errichtet wurde (OLG München, Beschluss vom 19. 5. 2010 - 31 Wx 38/10 = NJW-RR 2010, 1382). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DerChristoph

DerChristoph

16.11.2023, 15:22:38

In der Erklärung zur letzten Frage ist vom "Sohn S" die Rede, tatsächlich handelt es sich hier – zumindest nach dem Sachverhalt – aber um den Enkel, oder?

LOU

louoni

17.11.2023, 19:48:20

Sehe es auch so wie du, S ist der Enkel und deshalb von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Ich war auch kurz verwirrt!

LELEE

Leo Lee

18.11.2023, 17:45:44

Hallo DerChristoph und louoni, vielen Dank für die Hinweise! Beachtet allerdings, dass im Erklärungstext zur letzten Frage steht, dass „Ihren Sohn“ sich auf die Person im vorigen Satz – also T – bezieht. Sprich, der Satz ist von der Warte der T aus geschrieben: T ist die Tochter, die IHREN Sohn ausschließt. Wir haben allerdings nochmal in Klammern ergänzt, dass S immer noch der Enkel von E und M ist, damit keine Verwirrungen mehr passieren :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

ISAB

Isabelle.Sophie

12.1.2024, 09:41:04

wie würde ich hier in der klausur vorgehen also welcher Anspruch wird geprüft? ich würde ja nicht lediglich die wirksamkeit des testaments unabhängig von einem anspruch prüfen…

TI

Timurso

12.1.2024, 10:24:26

Entweder die Fallfrage fragt nicht nach einem Anspruch, sondern danach, wer die Erben des M geworden sind. Oder du prüfst es inzident im Pflichtteilsanspruch der T bzw. einem Anspruch nach § 2018 BGB.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

11.2.2024, 23:40:57

Was das Testament nicht formunwirksam schon wegen der Missachtung des 2267 S 2 durch den mitunterzeichnenden Ehegatten?

TI

Timurso

12.2.2024, 11:54:07

Nein, § 2267 S. 2 BGB ist eine Soll-Vorschrift und hat bei Missachtung daher nicht die Unwirksamkeit des Testaments zur Folge.

Sustainable Finance

Sustainable Finance

23.3.2024, 09:39:18

Hi! Das gemeinschaftliche Testament scheitert daran, dass keine Verfügungen der E enthalten sind. Muss eine solche Verfügung ausdrücklichen Niederschlag finden? ich habe mich gefragt, ob in der (konkludenten) Enterbung der T nicht auch eine Verfügung der E gesehen werden kann, sodass das gemeinschaftliche Testament doch wirksam errichtet wurde. Habe ich einen Denkfehler? lg

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

5.4.2024, 11:38:24

Hallo Sustainable Finance, die maßgeblichen (unwirksamen) Verfügungen sind hier die Erbeinsetzungen der E und S (gem. § 1937 BGB). Die Enterbung der T ginge, wären die Verfügungen wirksam, bloß notwendigerweise damit einher, ohne eine eigene Verfügung von Todes wegen darzustellen (vgl. § 1938 BGB). Aber: Auch unterstellt, die Enterbung hätte einen eigenen Verfügungscharakter (etwa, wenn das gesamte Testament i.S.d. § 1938 BGB nur Ts Enterbung enthalten würde), wäre sie nach § 133 BGB auszulegen und wir würden zu dem Ergebnis kommen, dass es sich nur um eine Verfügung des M über sein eigenes Vermögen handelt. Auch insoweit läge folglich kein wirksames gemeinschaftliches Testament vor, und ein Einzeltestament des M wäre formunwirksam! Ich hoffe, das hat geholfen. Beste Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team, @[Lukas_Mengestu](136780)

JC1909

jc1909

27.5.2024, 15:45:13

Vielleicht wäre es sinnvoll, explizit zu erwähnen, dass S der Sohn von T ist - er könnte ja genau so gut ihr Neffe sein und dann auch etwas erben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.5.2024, 08:57:15

Hallo jc1909, vielen Dank für Deine Nachfrage! Eine Besonderheit bei Jurafuchs ist, dass die Illustrationen nicht nur nett anzusehen, sondern Bestandteil unserer Sachverhalte sind. Aus dem dort abgebildeten Stammbaum ergibt sich insoweit, dass S der Sohn von T und nicht (wie sonst in der Tat möglich) bloß ihr Neffe ist. Beste Grüße, LUkas - für das Jurafuchs-Team

MUS

MusterschüLAW

4.9.2024, 19:01:22

Ist E mangels Erwähnung nicht auch enterbt?


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