Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2020
Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins
Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T und S beerben den E zu gleichen Teilen. Zum Nachlass zählt ein Grundstück. Gleich nach dem Erbfall beantragt T zwecks Grundbuchberichtigung einen gemeinschaftlichen Erbschein, obwohl S widerspricht. Hierzu zahlt T an das Nachlassgericht 2.000€ und verlangt 1.000€ von S ersetzt.
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Einordnung des Falls
Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T und S bilden eine Erbengemeinschaft (§ 2032 Abs. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ein Anspruch der T gegen S in Höhe von 1.000€ könnte sich aus §§ 2058, 426 Abs. 2 BGB ergeben. Dazu müsste die Kostenforderung des Gerichts eine Nachlassverbindlichkeit darstellen.
Genau, so ist das!
3. T hat durch Beantragung des Erbscheins keine Nachlassverbindlichkeit begründet, da sie die Grenzen des § 2038 BGB überschritten hat.
Ja, in der Tat!
4. Da die gerichtliche Kostenforderung keine Nachlassverbindlichkeit darstellt, kann T von S keinen Ausgleich der Gesamtschuld verlangen (§§ 2058, 426 Abs. 2 BGB).
Ja!
5. Da T die Grenzen des § 2038 BGB überschritten hat, hat sie gegen S auch keinen Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 2038 Abs. 2, 748 BGB
Genau, so ist das!
6. Überschreitet ein Miterbe die Grenzen des § 2038 BGB, steht ihm auch aus Geschäftsführung ohne Auftrag kein Aufwendungsersatz zu (§§ 677ff. BGB). § 2038 BGB entfaltet insoweit Sperrwirkung.
Nein, das trifft nicht zu!
7. T hat gegen S einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter berechtigter GoA (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB).
Nein!
8. T hat gegen S einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter unberechtigter GoA (§§ 684 S. 1, 812 BGB), da S die Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. T hat gegen S jedoch einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter unberechtigter GoA (§§ 684 S. 1, 812 BGB), da sich S Aufwendungen für einen Erbschein erspart hat.
Nein, das trifft nicht zu!
10. T hat gegen S keinen Anspruch auf anteiligen Ersatz der Kosten für den Erbschein in Höhe von 1.000€.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp von Pentz
28.6.2022, 00:12:25
Ich muss zugeben, dass mir mangels Kenntnisse im Grundbuchrecht der Kniff mit 40 GBO (der dazu führt, dass 39 nicht anwendbar ist) noch nicht ganz klar geworden ist. Warum ist denn der Erbschein für die Nachlassverwaltung nicht erforderlich? Ganz praktisch gefragt: Warum hat T das dann überhaupt beantragt? Sein Interesse dürfte ja kein anderes sein als das des S, oder?
Lukas_Mengestu
29.6.2022, 18:53:46
Hallo Phillipp, sehr gute Frage! Am einfachsten nähert man sich dem ganzen Schritt für Schritt. 1) E war früherer
Eigentümerund ist in das Grundstück eingetragen. 2) Durch seinen Tod werden T und S im Wege der Gesamtrechtsnachfolger
Eigentümer(§ 1922 BGB), im Grundbuch steht aber weiter E. Das Grundbuch ist damit unrichtig geworden. Das ist also zunächst die Ausgangslage. Will T nun als
Eigentümerin eingetragen werden, so kann sie nicht einfach zum Grundbuchamt gehen und behaupten sie sei Erbin. Vielmehr benötigt sie zum Nachweis ihrer Berechtigung einen Erbschein (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). Ohne diesen Nachweis kann die Berichtigung nicht erfolgen. Nun zu deiner eigentlichen Frage: Warum hat T überhaupt ein Interesse an der Berichtigung - materiell ist sie doch ohnehin
Eigentümerin? Für den konkreten Fall geht dies nicht aus dem Sachverhalt des Urteils hervor. In Betracht kommen aber vor allem zwei Gründe: a) zum einen wird dadurch die materielle Rechtslage auch im Grundbuch festgeschrieben. Dies wiederum ist zB notwendig, um das Grundstück zu belasten (Aufnahme einer Hypothek...), b) vor allem aber besteht eine Pflicht nach § 82 S. 1 GBO die entsprechende Berichtigung vornehmen zu lassen (Zwangsberichtigungsverfahren). Kommt man dieser Pflicht nicht nach, so kann dies mit einem Zwangsgeld durchgesetzt werden (vgl. § 35 FamFG). Dies wird allerdings in der Praxis frühestens zwei Jahre nach Erbfall drohen (vgl. § 82 S. 2 GBO, Nr. 14110 Kostenverzeichnis GNotKG).Was hat es nun mit § 40 GBO auf sich und warum hat S kein Interesse? Grundsätzlich kann nur derjenige eine Eintragung bewilligen bzw. die Auflassung des Grundstücks erklären, der im Grundbuch eingetragen ist (§ 39 GBO). Das wäre hier der tote E. Davon macht § 40 GBO eine pragmatische Ausnahme. Wenn der Erbe ohnehin das Grundstück veräußern will, dann wäre es ziemlich widersinnig und wenig effektiv ihn zunächst in das Grundbuch einzutragen, um die Voreintragungspflicht zu erfüllen und im Anschluss daran direkt den Erwerber einzutragen und den Erben wieder zu löschen. Für diesen Fall normiert § 40 GBO, dass eine Zwischeneintragung des Erben nicht notwendig ist. Die Argumenation des BGH greift an dieser Stelle allerdings etwas zu kurz. Zwar bedarf es in diesem Fall keiner Voreintragung. Aber auch für eine Veräußerung nach § 40 GBO muss sich der Erbe durch den Erbschein ausweisen (§ 35 GBO). Überzeugender ist da der Hinweis auf die Zwangsversteigerung bzw. die Auseinandersetzung der Erben untereinander. Denn wenn T und S sich zB im Rahmen der Erbauseinandersetzung einigen, dass T das Eigentum an dem Grundstück zufallen soll, dann hätte S wiederum kein Bedürfnis für die Beantragung des Erbscheins. Ich hoffe, jetzt ist es noch ein wenig klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
CitiesOfJudah
21.9.2023, 11:49:00
Nochmal eine sehr ausführliche und verständliche Erklärung. Dankesehr Lukas! :)
jeci
26.1.2024, 23:18:57
Ihr habt hier einmal „Geschäftswirkung ohne Auftrag“ geschrieben. :)
Leo Lee
27.1.2024, 14:24:10
Hallo jeci, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir haben den Fehler nun korrigiert und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Julia
25.4.2024, 19:30:11
Die Kurzzusammenfassung der wesentlichen "Lernpunkte" am Ende finde ich sehr nützlich! Danke dafür! Ich würde das gern häufiger bei Urteilsaufbereitungen sehen :)
Leo Lee
26.4.2024, 16:46:07
Halo Julia, vielen Dank für dein Feedback und die lieben Worte, über die wir uns sehr gefreut haben! Worte wie deine treiben uns täglich dazu an, mehr solcher tollen Fälle zu konzipieren und ins Leben zu rufen. Wir werden weiterhin unser Bestes geben, damit solche hilfreichen Aspekte mehr Eingang finden in die Fälle und danken dir nochmals für die lieben Worte! Wir wünschen dir weiterhin viel Spaß mit den anderen – ebenfalls sehr tollen – Aufgaben :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo