Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2020

Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins

Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins

6. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und S beerben den E zu gleichen Teilen. Zum Nachlass zählt ein Grundstück. Gleich nach dem Erbfall beantragt T zwecks Grundbuchberichtigung einen gemeinschaftlichen Erbschein, obwohl S widerspricht. Hierzu zahlt T an das Nachlassgericht 2.000€ und verlangt 1.000€ von S ersetzt.

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Einordnung des Falls

Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Baden-Württemberg 2021

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T und S bilden eine Erbengemeinschaft (§ 2032 Abs. 1 BGB).

Ja!

Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, so wird der Nachlass gemeinschaftliches Vermögen der Erben (§ 2032 Abs. 1 BGB). Diese bilden gemeinsam eine Erbengemeinschaft. Die Erbengemeinschaft ist neben GbR (§§ 705, 54 S. 1 BGB) und ehelicher Gütergemeinschaft (§ 1419 BGB) die dritte Gesamthandsgemeinschaft des BGB. Eine Gesamthandsgemeinschaft hat, anders als natürliche oder juristische Personen, kein eigenes Vermögen. Im Fall der Erbengemeinschaft bildet vielmehr der Nachlass ein Sondervermögen, über das die Miterben gemeinschaftlich verfügen. Die Erbengemeinschaft ist nicht rechtsfähig.
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2. Ein Anspruch der T gegen S in Höhe von 1.000€ könnte sich aus §§ 2058, 426 Abs. 2 BGB ergeben. Dazu müsste die Kostenforderung des Gerichts eine Nachlassverbindlichkeit darstellen.

Genau, so ist das!

Für Nachlassverbindlichkeiten haften die Miterben als Gesamtschuldner (§ 2058 BGB), und zwar abweichend von § 426 Abs. 1 S. 1 BGB entsprechend ihrem Erbteil. Eine Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) entsteht auch, indem ein Miterbe die Erbengemeinschaft als ganze verpflichtet (BGH BeckRS 2003, 6352 RdNr. 8). Eine Maßnahme der Nachlassverwaltung verpflichtet die Erbengemeinschaft als ganze, wenn der handelnde Miterbe im Innenverhältnis die Grenzen des § 2038 BGB beachtet. Denn dann hat er zugleich die im Außenverhältnis erforderliche Vertretungsmacht (BGHZ 56, 47). Soweit der Erbe nach Außen im eigenen Namen aufritt, geht er eine persönliche Eigenverbindlichkeit ein (BGH NJW 2013, 3446 RdNr. 14), die in den Grenzen des § 2038 BGB zugleich Nachlassverbindlichkeit ist („Doppelnatur“, BGH NJW-RR 2020, 6 RdNr. 23).

3. T hat durch Beantragung des Erbscheins keine Nachlassverbindlichkeit begründet, da sie die Grenzen des § 2038 BGB überschritten hat.

Ja, in der Tat!

Die Nachlassverwaltung steht den Mitgliedern der Erbengemeinschaft grundsätzlich nur gemeinsam zu (§ 2038 Abs. 1 S. 1 BGB). Nur ausnahmsweise ist Mehrheitsverwaltung (§ 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB) oder Notgeschäftsführung (§ 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB) zulässig. Mehrheitsverwaltung scheidet im Fall zweier gleich großer Stimmanteile von vornherein aus. S hat der Beantragung des Erbscheins (§ 2353 BGB i.V.m. § 23 FamFG) durch T widersprochen. Schon deshalb liegt weder Gemeinschafts- noch Mehrheitsverwaltung vor. Auch die Voraussetzungen einer Notgeschäftsführung sind nicht erfüllt.

4. Da die gerichtliche Kostenforderung keine Nachlassverbindlichkeit darstellt, kann T von S keinen Ausgleich der Gesamtschuld verlangen (§§ 2058, 426 Abs. 2 BGB).

Ja!

T konnte wegen Überschreitung der Grenzen des § 2038 BGB die Erbengemeinschaft nicht wirksam verpflichten. Dabei kann dahinstehen, ob sie gegenüber der Gerichtskasse im eigenen oder fremden Namen gehandelt hat (§§ 164 Abs. 2, 133, 157 BGB). Eine persönliche Eigenverbindlichkeit wäre nicht zugleich zur Nachlassverbindlichkeit geworden (Doppelnatur) und T hatte im Außenverhältnis keine Vertretungsmacht. BGH: Kostenschulden für einen Erbschein im Besonderen seien auch nicht etwa per se Nachlassverbindlichkeiten. Denn die Erbscheinerteilung erfolge allein im subjektiven Interesse der Person, die sich für erbberechtigt halte und zu deren Gunsten der Erbschein bewilligt werde (RdNr. 20).

5. Da T die Grenzen des § 2038 BGB überschritten hat, hat sie gegen S auch keinen Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 2038 Abs. 2, 748 BGB

Genau, so ist das!

Kosten einer von § 2038 BGB gedeckten Maßnahme der Nachlassverwaltung haben alle Miterben nach Erbteilen zu tragen (§§ 2038 Abs. 2, 748 BGB). Geht ein Miterbe in Vorleistung, steht ihm gegen die übrigen ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zu (§ 748 BGB). Dieser Anspruch ist nicht erst nach Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, sondern sofort fällig. Das unterscheidet ihn von § 2058 BGB (s.o.), dem die Miterben die Einrede des § 2059 BGB entgegenhalten können (Ann, in: MüKoBGB, 8.A. 2020, § 2058 RdNr. 35). Anders als der BGH (RdNr. 6), musst Du § 748 BGB mitzitieren. Denn § 2038 BGB allein verhält sich nicht zu einem Aufwendungsersatz (RdNr. 13) und ist schon gar keine darauf gerichtete Anspruchsgrundlage.

6. Überschreitet ein Miterbe die Grenzen des § 2038 BGB, steht ihm auch aus Geschäftsführung ohne Auftrag kein Aufwendungsersatz zu (§§ 677ff. BGB). § 2038 BGB entfaltet insoweit Sperrwirkung.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag findet neben § 2038 BGB Anwendung (stRspr., RdNr. 10). BGH: § 2038 BGB betreffe allein die Meinungsbildung der Erbengemeinschaft, verhalte sich aber weder zu Aufwendungsersatz noch zu einem Bereicherungsausgleich (§§ 684 S. 1, 812 BGB) (RdNr. 13). Auch aus einem Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 21 Abs. 4 WEG a.F. lasse sich keine Sperrwirkung herleiten. Denn die Wohnungseigentümergemeinschaft sei auf Dauer angelegt, die Erbengemeinschaft dagegen auf Auseinandersetzung gerichtet (§ 2032 Abs. 2 BGB) (RdNr. 12). Die Interessen beider Gemeinschaften seien daher nicht vergleichbar.

7. T hat gegen S einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter berechtigter GoA (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB).

Nein!

Eine GoA ist echt, wenn der Geschäftsführer mit Fremdgeschäftsführungswillen handelt. Dieser wird bei Führung eines auch-fremden Geschäfts regelmäßig vermutet (RdNr. 8). Ein Geschäft ist auch-fremdes, wenn es seiner äußeren Erscheinung nach nicht nur dem Geschäftsführer, sondern auch dem Geschäftsherrn zugute kommt. Über die Berechtigung der GoA entscheidet regelmäßig der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn (§ 683 S. 1 BGB). Ein Fremdgeschäftsführungswille der T wird vermutet, da die Beantragung des gemeinschaftlichen Erbscheins aus ihrer Sicht ein auch-fremdes Geschäft war. Dessen Übernahme stand jedoch der wirkliche Wille des S entgegen. Die Geschäftsführung war daher unberechtigt.

8. T hat gegen S einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter unberechtigter GoA (§§ 684 S. 1, 812 BGB), da S die Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Erlangt im Sinne des § 812 BGB ist jeder vermögenswerte Vorteil. Dieser kann in der Befreiung von einer Verbindlichkeit bestehen. Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins schuldet derjenige, der ihn beantragt hat (§ 22 Abs. 1 GNotKG). T hat die Kostenforderung des Nachlassgerichts beglichen. Unabhängig davon, ob T den Erbschein im eigenen oder ohne Vertretungsmacht auch im Namen des S beantragt hat, ist die Kostenforderung wegen Überschreitung des § 2038 BGB aber keine Verbindlichkeit des S. Ob § 684 S. 1 BGB eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung (hM) ist, ist nur für die Ausschlusstatbestände der §§ 814ff. BGB relevant, spielt hier also keine Rolle.

9. T hat gegen S jedoch einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter unberechtigter GoA (§§ 684 S. 1, 812 BGB), da sich S Aufwendungen für einen Erbschein erspart hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein vermögenswerter Vorteil kann auch darin bestehen, dass sich der Geschäftsherr Aufwendungen erspart hat (RdNr. 15). Insoweit gilt ein subjektiver Maßstab. Nachdem das Eigentum am Grundstück von E auf T und S in Erbengemeinschaft übergegangen war (Universalsukzession, § 1922 BGB), wollte T das Grundbuch berichtigen lassen. Hierzu war die Vorlage eines Erbscheins erforderlich (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). BGH: Die Grundbuchberichtigung sei für S jedoch subjektiv nutzlos gewesen. Dies ergebe sich aus § 40 Abs. 1 GBO. Auch ein Zwangsberichtigungsverfahren drohe regelmäßig nicht früher als zwei Jahre nach dem Erbfall (§ 82 S. 2 GBO) (RdNr. 17). Schließlich sei die Gutglaubenswirkung des Erbscheins (§ 2366 BGB) bei unstreitiger Zusammensetzung der Erbengemeinschaft verzichtbar.

10. T hat gegen S keinen Anspruch auf anteiligen Ersatz der Kosten für den Erbschein in Höhe von 1.000€.

Ja!

Ein Anspruch der T kommt hier aus keiner denkbaren Anspruchsgrundlage in Betracht. Merkposten: (1) Ungeschriebener Gleichlauf zwischen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (d.h. Innen- und Außenverhältnis) bei § 2038 BGB; (2) Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB) entstehen auch durch ordnungsgemäße Nachlassverwaltung nach dem Erbfall; (3) § 2038 BGB entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber GoA und Bereicherungsrecht; (4) ein Erbschein ist nicht ohne Weiteres zur Nachlassverwaltung erforderlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PPE

Philipp von Pentz

28.6.2022, 00:12:25

Ich muss zugeben, dass mir mangels Kenntnisse im Grundbuchrecht der Kniff mit 40 GBO (der dazu führt, dass 39 nicht anwendbar ist) noch nicht ganz klar geworden ist. Warum ist denn der Erbschein für die Nachlassverwaltung nicht erforderlich? Ganz praktisch gefragt: Warum hat T das dann überhaupt beantragt? Sein Interesse dürfte ja kein anderes sein als das des S, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.6.2022, 18:53:46

Hallo Phillipp, sehr gute Frage! Am einfachsten nähert man sich dem ganzen Schritt für Schritt. 1) E war früherer

Eigentümer

und ist in das Grundstück eingetragen. 2) Durch seinen Tod werden T und S im Wege der Gesamtrechtsnachfolger

Eigentümer

(§ 1922 BGB), im Grundbuch steht aber weiter E. Das Grundbuch ist damit unrichtig geworden. Das ist also zunächst die Ausgangslage. Will T nun als

Eigentümer

in eingetragen werden, so kann sie nicht einfach zum Grundbuchamt gehen und behaupten sie sei Erbin. Vielmehr benötigt sie zum Nachweis ihrer Berechtigung einen Erbschein (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). Ohne diesen Nachweis kann die Berichtigung nicht erfolgen. Nun zu deiner eigentlichen Frage: Warum hat T überhaupt ein Interesse an der Berichtigung - materiell ist sie doch ohnehin

Eigentümer

in? Für den konkreten Fall geht dies nicht aus dem Sachverhalt des Urteils hervor. In Betracht kommen aber vor allem zwei Gründe: a) zum einen wird dadurch die materielle Rechtslage auch im Grundbuch festgeschrieben. Dies wiederum ist zB notwendig, um das Grundstück zu belasten (Aufnahme einer Hypothek...), b) vor allem aber besteht eine Pflicht nach § 82 S. 1 GBO die entsprechende Berichtigung vornehmen zu lassen (Zwangsberichtigungsverfahren). Kommt man dieser Pflicht nicht nach, so kann dies mit einem Zwangsgeld durchgesetzt werden (vgl. § 35 FamFG). Dies wird allerdings in der Praxis frühestens zwei Jahre nach Erbfall drohen (vgl. § 82 S. 2 GBO, Nr. 14110 Kostenverzeichnis GNotKG).Was hat es nun mit § 40 GBO auf sich und warum hat S kein Interesse? Grundsätzlich kann nur derjenige eine Eintragung bewilligen bzw. die Auflassung des Grundstücks erklären, der im Grundbuch eingetragen ist (§ 39 GBO). Das wäre hier der tote E. Davon macht § 40 GBO eine pragmatische Ausnahme. Wenn der Erbe ohnehin das Grundstück veräußern will, dann wäre es ziemlich widersinnig und wenig effektiv ihn zunächst in das Grundbuch einzutragen, um die Voreintragungspflicht zu erfüllen und im Anschluss daran direkt den Erwerber einzutragen und den Erben wieder zu löschen. Für diesen Fall normiert § 40 GBO, dass eine Zwischeneintragung des Erben nicht notwendig ist. Die Argumenation des BGH greift an dieser Stelle allerdings etwas zu kurz. Zwar bedarf es in diesem Fall keiner Voreintragung. Aber auch für eine Veräußerung nach § 40 GBO muss sich der Erbe durch den Erbschein ausweisen (§ 35 GBO). Überzeugender ist da der Hinweis auf die Zwangsversteigerung bzw. die Auseinandersetzung der Erben untereinander. Denn wenn T und S sich zB im Rahmen der Erbauseinandersetzung einigen, dass T das Eigentum an dem Grundstück zufallen soll, dann hätte S wiederum kein Bedürfnis für die Beantragung des Erbscheins. Ich hoffe, jetzt ist es noch ein wenig klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CitiesOfJudah

CitiesOfJudah

21.9.2023, 11:49:00

Nochmal eine sehr ausführliche und verständliche Erklärung. Dankesehr Lukas! :)

jeci

jeci

26.1.2024, 23:18:57

Ihr habt hier einmal „Geschäftswirkung ohne Auftrag“ geschrieben. :)

LELEE

Leo Lee

27.1.2024, 14:24:10

Hallo jeci, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir haben den Fehler nun korrigiert und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Julia

Julia

25.4.2024, 19:30:11

Die Kurzzusammenfassung der wesentlichen "Lernpunkte" am Ende finde ich sehr nützlich! Danke dafür! Ich würde das gern häufiger bei Urteilsaufbereitungen sehen :)

LELEE

Leo Lee

26.4.2024, 16:46:07

Halo Julia, vielen Dank für dein Feedback und die lieben Worte, über die wir uns sehr gefreut haben! Worte wie deine treiben uns täglich dazu an, mehr solcher tollen Fälle zu konzipieren und ins Leben zu rufen. Wir werden weiterhin unser Bestes geben, damit solche hilfreichen Aspekte mehr Eingang finden in die Fälle und danken dir nochmals für die lieben Worte! Wir wünschen dir weiterhin viel Spaß mit den anderen – ebenfalls sehr tollen – Aufgaben :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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