+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T und S beerben den E zu gleichen Teilen. Zum Nachlass zählt ein Grundstück. Gleich nach dem Erbfall beantragt T zwecks Grundbuchberichtigung einen gemeinschaftlichen Erbschein, obwohl S widerspricht. Hierzu zahlt T an das Nachlassgericht 2.000€ und verlangt 1.000€ von S ersetzt.
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Einordnung des Falls
Regress aus GoA gegen Miterben wegen Kosten der Beantragung eines Erbscheins
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T und S bilden eine Erbengemeinschaft (§ 2032 Abs. 1 BGB).
Ja!
Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, so wird der Nachlass gemeinschaftliches Vermögen der Erben (§ 2032 Abs. 1 BGB). Diese bilden gemeinsam eine Erbengemeinschaft.
Die Erbengemeinschaft ist neben GbR (§§ 705, 54 S. 1 BGB) und ehelicher Gütergemeinschaft (§ 1419 BGB) die dritte Gesamthandsgemeinschaft des BGB. Eine Gesamthandsgemeinschaft hat, anders als natürliche oder juristische Personen, kein eigenes Vermögen. Im Fall der Erbengemeinschaft bildet vielmehr der Nachlass ein Sondervermögen, über das die Miterben gemeinschaftlich verfügen. Die Erbengemeinschaft ist nicht rechtsfähig.
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2. Ein Anspruch der T gegen S in Höhe von 1.000€ könnte sich aus §§ 2058, 426 Abs. 2 BGB ergeben. Dazu müsste die Kostenforderung des Gerichts eine Nachlassverbindlichkeit darstellen.
Genau, so ist das!
Für Nachlassverbindlichkeiten haften die Miterben als Gesamtschuldner (§ 2058 BGB), und zwar abweichend von § 426 Abs. 1 S. 1 BGB entsprechend ihrem Erbteil. Eine Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) entsteht auch, indem ein Miterbe die Erbengemeinschaft als ganze verpflichtet (BGH BeckRS 2003, 6352 RdNr. 8). Eine Maßnahme der Nachlassverwaltung verpflichtet die Erbengemeinschaft als ganze, wenn der handelnde Miterbe im Innenverhältnis die Grenzen des § 2038 BGB beachtet. Denn dann hat er zugleich die im Außenverhältnis erforderliche Vertretungsmacht (BGHZ 56, 47).
Soweit der Erbe nach Außen im eigenen Namen aufritt, geht er eine persönliche Eigenverbindlichkeit ein (BGH NJW 2013, 3446 RdNr. 14), die in den Grenzen des § 2038 BGB zugleich Nachlassverbindlichkeit ist („Doppelnatur“, BGH NJW-RR 2020, 6 RdNr. 23).
3. T hat durch Beantragung des Erbscheins keine Nachlassverbindlichkeit begründet, da sie die Grenzen des § 2038 BGB überschritten hat.
Ja, in der Tat!
Die Nachlassverwaltung steht den Mitgliedern der Erbengemeinschaft grundsätzlich nur gemeinsam zu (§ 2038 Abs. 1 S. 1 BGB). Nur ausnahmsweise ist Mehrheitsverwaltung (§ 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB) oder Notgeschäftsführung (§ 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB) zulässig. Mehrheitsverwaltung scheidet im Fall zweier gleich großer Stimmanteile von vornherein aus.
S hat der Beantragung des Erbscheins (§ 2353 BGB i.V.m. § 23 FamFG) durch T widersprochen. Schon deshalb liegt weder Gemeinschafts- noch Mehrheitsverwaltung vor. Auch die Voraussetzungen einer Notgeschäftsführung sind nicht erfüllt.
4. Da die gerichtliche Kostenforderung keine Nachlassverbindlichkeit darstellt, kann T von S keinen Ausgleich der Gesamtschuld verlangen (§§ 2058, 426 Abs. 2 BGB).
Ja!
T konnte wegen Überschreitung der Grenzen des § 2038 BGB die Erbengemeinschaft nicht wirksam verpflichten. Dabei kann dahinstehen, ob sie gegenüber der Gerichtskasse im eigenen oder fremden Namen gehandelt hat (§§ 164 Abs. 2, 133, 157 BGB). Eine persönliche Eigenverbindlichkeit wäre nicht zugleich zur Nachlassverbindlichkeit geworden (Doppelnatur) und T hatte im Außenverhältnis keine Vertretungsmacht.
BGH: Kostenschulden für einen Erbschein im Besonderen seien auch nicht etwa per se Nachlassverbindlichkeiten. Denn die Erbscheinerteilung erfolge allein im subjektiven Interesse der Person, die sich für erbberechtigt halte und zu deren Gunsten der Erbschein bewilligt werde (RdNr. 20).
5. Da T die Grenzen des § 2038 BGB überschritten hat, hat sie gegen S auch keinen Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 2038 Abs. 2, 748 BGB
Genau, so ist das!
Kosten einer von § 2038 BGB gedeckten Maßnahme der Nachlassverwaltung haben alle Miterben nach Erbteilen zu tragen (§§ 2038 Abs. 2, 748 BGB). Geht ein Miterbe in Vorleistung, steht ihm gegen die übrigen ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zu (§ 748 BGB).
Dieser Anspruch ist nicht erst nach Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, sondern sofort fällig. Das unterscheidet ihn von § 2058 BGB (s.o.), dem die Miterben die Einrede des § 2059 BGB entgegenhalten können (Ann, in: MüKoBGB, 8.A. 2020, § 2058 RdNr. 35).
Anders als der BGH (RdNr. 6), musst Du § 748 BGB mitzitieren. Denn § 2038 BGB allein verhält sich nicht zu einem Aufwendungsersatz (RdNr. 13) und ist schon gar keine darauf gerichtete Anspruchsgrundlage.
6. Überschreitet ein Miterbe die Grenzen des § 2038 BGB, steht ihm auch aus Geschäftsführung ohne Auftrag kein Aufwendungsersatz zu (§§ 677ff. BGB). § 2038 BGB entfaltet insoweit Sperrwirkung.
Nein, das trifft nicht zu!
Das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag findet neben § 2038 BGB Anwendung (stRspr., RdNr. 10).
BGH: § 2038 BGB betreffe allein die Meinungsbildung der Erbengemeinschaft, verhalte sich aber weder zu Aufwendungsersatz noch zu einem Bereicherungsausgleich (§§ 684 S. 1, 812 BGB) (RdNr. 13). Auch aus einem Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 21 Abs. 4 WEG a.F. lasse sich keine Sperrwirkung herleiten. Denn die Wohnungseigentümergemeinschaft sei auf Dauer angelegt, die Erbengemeinschaft dagegen auf Auseinandersetzung gerichtet (§ 2032 Abs. 2 BGB) (RdNr. 12). Die Interessen beider Gemeinschaften seien daher nicht vergleichbar.
7. T hat gegen S einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter berechtigter GoA (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB).
Nein!
Eine GoA ist echt, wenn der Geschäftsführer mit Fremdgeschäftsführungswillen handelt. Dieser wird bei Führung eines auch-fremden Geschäfts regelmäßig vermutet (RdNr. 8). Ein Geschäft ist auch-fremdes, wenn es seiner äußeren Erscheinung nach nicht nur dem Geschäftsführer, sondern auch dem Geschäftsherrn zugute kommt. Über die Berechtigung der GoA entscheidet regelmäßig der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn (§ 683 S. 1 BGB).
Ein Fremdgeschäftsführungswille der T wird vermutet, da die Beantragung des gemeinschaftlichen Erbscheins aus ihrer Sicht ein auch-fremdes Geschäft war. Dessen Übernahme stand jedoch der wirkliche Wille des S entgegen. Die Geschäftsführung war daher unberechtigt.
8. T hat gegen S einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter unberechtigter GoA (§§ 684 S. 1, 812 BGB), da S die Befreiung von einer Verbindlichkeit erlangt hat.
Nein, das ist nicht der Fall!
Erlangt im Sinne des § 812 BGB ist jeder vermögenswerte Vorteil. Dieser kann in der Befreiung von einer Verbindlichkeit bestehen. Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins schuldet derjenige, der ihn beantragt hat (§ 22 Abs. 1 GNotKG).
T hat die Kostenforderung des Nachlassgerichts beglichen. Unabhängig davon, ob T den Erbschein im eigenen oder ohne Vertretungsmacht auch im Namen des S beantragt hat, ist die Kostenforderung wegen Überschreitung des § 2038 BGB aber keine Verbindlichkeit des S.
Ob § 684 S. 1 BGB eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung (hM) ist, ist nur für die Ausschlusstatbestände der §§ 814ff. BGB relevant, spielt hier also keine Rolle.
9. T hat gegen S jedoch einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 1.000€ aus echter unberechtigter GoA (§§ 684 S. 1, 812 BGB), da sich S Aufwendungen für einen Erbschein erspart hat.
Nein, das trifft nicht zu!
Ein vermögenswerter Vorteil kann auch darin bestehen, dass sich der Geschäftsherr Aufwendungen erspart hat (RdNr. 15). Insoweit gilt ein subjektiver Maßstab.
Nachdem das Eigentum am Grundstück von E auf T und S in Erbengemeinschaft übergegangen war (Universalsukzession, § 1922 BGB), wollte T das Grundbuch berichtigen lassen. Hierzu war die Vorlage eines Erbscheins erforderlich (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). BGH: Die Grundbuchberichtigung sei für S jedoch subjektiv nutzlos gewesen. Dies ergebe sich aus § 40 Abs. 1 GBO. Auch ein Zwangsberichtigungsverfahren drohe regelmäßig nicht früher als zwei Jahre nach dem Erbfall (§ 82 S. 2 GBO) (RdNr. 17). Schließlich sei die Gutglaubenswirkung des Erbscheins (§ 2366 BGB) bei unstreitiger Zusammensetzung der Erbengemeinschaft verzichtbar.
10. T hat gegen S keinen Anspruch auf anteiligen Ersatz der Kosten für den Erbschein in Höhe von 1.000€.
Ja!
Ein Anspruch der T kommt hier aus keiner denkbaren Anspruchsgrundlage in Betracht.
Merkposten: (1) Ungeschriebener Gleichlauf zwischen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (d.h. Innen- und Außenverhältnis) bei § 2038 BGB; (2) Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB) entstehen auch durch ordnungsgemäße Nachlassverwaltung nach dem Erbfall; (3) § 2038 BGB entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber GoA und Bereicherungsrecht; (4) ein Erbschein ist nicht ohne Weiteres zur Nachlassverwaltung erforderlich.