Zivilrecht

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Unwirksames „testamentum mysticum“ – es genügt nicht, dass sich Erbe aus Anlage ergibt

Unwirksames „testamentum mysticum“ – es genügt nicht, dass sich Erbe aus Anlage ergibt

26. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F und M setzen sich durch gemeinschaftliches Testament wirksam gegenseitig als Erben ein. „Schlusserben: Freunde aus Anlage 7.“ Die ausgedruckte und datiert unterschriebene Anlage 7 nennt Fs engste Freunde X und Y. F stirbt. M setzt seine Tochter T als Alleinerbin ein. M stirbt.

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Einordnung des Falls

Unwirksames „testamentum mysticum“ – es genügt nicht, dass sich Erbe aus Anlage ergibt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mit dem Tod der F ist M deren alleiniger Erbe geworden (§§ 1922, 1937, 2265ff. BGB)

Ja, in der Tat!

Durch gemeinschaftliches Testament (§§ 2265ff. BGB) können sich Eheleute zunächst gegenseitig als Erben einsetzen und für den Todesfall des Überlebenden einen Dritten (Berliner Testament). Entweder werden der Überlebende als Vorerbe und der Dritte als Nacherbe des Erstversterbenden eingesetzt (§§ 2100 ff. BGB, Trennungslösung) oder der Überlebende als Vollerbe des Erstversterbenden und der Dritte als Vollerbe des Überlebenden (Einheitslösung). Im Zweifel ist die Einheitslösung gewollt (§ 2269 Abs. 1 BGB). Die Zweifelsregelung greift durch: M ist Vollerbe der F. Laut Sachverhalt ist seine Einsetzung wirksam.
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2. X und Y könnten durch das gemeinschaftliche Testament als alleinige Erben des M bestimmt worden sein. Könnte M - bei unterstellter Wirksamkeit dieser Verfügung - dies durch Einsetzung der T als Alleinerbin widerrufen (§ 2254 BGB)?

Nein!

Eine wechselbezügliche Verfügung (§ 2269 BGB) durch gemeinschaftliches Testament ist nach dem ersten Erbfall grundsätzlich unwiderruflich (§ 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB). Eine wechselbezügliche Verfügung treffen Ehegatten im Zweifel, wenn der vom Erstversterbenden bedachte Überlebende zugunsten Angehöriger oder Nahestehender des Erstversterbenden verfügt (§ 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB). F hat M bedacht. „Im Gegenzug“ hat M für den Fall seines Überlebens zugunsten der der F nahestehenden X und Y verfügt. Beide Verfügungen sind also wechselbezüglich und deshalb seit dem Tod der F unwiderruflich. Insoweit hat M nach Fs Tod seine Testierfreiheit verloren.

3. X und Y könnten alleinige Erben des M geworden sein. Dazu müsste neben der Erbeinsetzung des M auch ihre Erbeinsetzung durch gemeinschaftliches Testament wirksam sein (§§ 2267, 2247 BGB).

Genau, so ist das!

BGH: Jede durch (gemeinschaftliches) Testament getroffene Verfügung muss für sich genommen (RdNr. 12, vgl. § 2085 BGB) formwirksam sein (§§ 2267, 2247 BGB). F und M haben in demselben Testament zwei Verfügungen getroffen, nämlich die gegenseitige Erbeinsetzung, sowie die Einsetzung der X und Y (sogenannte Schlusserben). Erstere ist laut Sachverhalt wirksam, letztere könnte dagegen unwirksam sein. Anders als § 1937 BGB suggeriert, sind Testament und letztwillige Verfügung keine Synonyme. Ein Testament kann mehrere letztwillige Verfügungen bündeln.

4. Die Einsetzung der Schlusserben X und Y ist schon deshalb formunwirksam, weil diese nicht innerhalb des gemeinschaftlichen Testaments, sondern in dessen Anlage 7 erfolgte (§§ 2267, 2247 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

§§ 2267, 2247 BGB verlangen nicht, dass alle Bestandteile einer Verfügung in derselben Urkunde niedergelegt sind. Auf eine für sich genommen formwirksame Urkunde darf der Erblasser verweisen, ohne dass seine Verfügung dadurch formunwirksam würde (RdNr. 12). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Gesamtverständlichkeit der Verfügung erst aus dem Zusammenspiel beider Urkunden ergibt (BGH BeckRS 2010, 15461 RdNr. 7). Allein die Tatsache, dass X und Y nicht im gemeinschaftlichen Testament, sondern erst in einer externen Urkunde (Anlage 7) genannt werden, führt noch nicht zur Unwirksamkeit der X und Y als Schlusserben einsetzenden Verfügung.

5. Anlage 7 entspricht jedoch für sich genommen nicht der Form der §§ 2267, 2247 BGB und kann daher nicht ohne Weiteres zur Auslegung der Verfügung herangezogen werden.

Ja!

Jede durch gemeinschaftliches eigenhändiges Testament (§ 2265 BGB) getroffene Verfügung muss ein Ehegatte eigenhändig verfassen und unterschreiben (§ 2247 BGB) und der andere Ehegatte mindestens eigenhändig mitunterzeichnen (§ 2267 S. 1 BGB). Eigenhändigkeit setzt voraus, dass der Erblasser den gesamten Wortlaut der Verfügung selbst schreibt, sodass deren Echtheit aufgrund individueller Merkmale der Handschrift nachprüfbar ist. Maschinenschrift und Fotokopien genügen nicht. Anlage 7 ist ausgedruckt. Die Namen der X und Y sind damit nicht eigenhändig geschrieben. Trotz datierter Unterschrift ist Anlage 7 für sich genommen also formunwirksam.

6. Eine testamentarische Verfügung ist formunwirksam und damit nichtig, soweit sie auf eine formunwirksame externe Urkunde verweist (§ 125 S. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine auf formunwirksame externe Inhalte bezugnehmende Verfügung ist in zwei Fällen formwirksam, nämlich wenn ihr formwirksamer Teil (1) für sich genommen hinreichend bestimmt ist oder (2) auslegungsfähig ist und ein mithilfe formunwirksamer externer Inhalte gefundenes Auslegungsergebnis wenigstens versteckt andeutet (RdNr. 13, 18, Andeutungstheorie). Beide Varianten setzen also voraus, dass wenigstens ein Teil der Verfügung formwirksam ist.

7. Der Wortlaut „Schlusserben: Freunde aus Anlage 7.“ ist ein für sich genommen hinreichend bestimmter Teil der Verfügung.

Nein, das trifft nicht zu!

Das erbrechtliche Bestimmtheitsgebot erfordert, dass Geltungsanordnung, Zuwendungsempfänger und Zuwendungsgegenstand mit praktisch hinreichender Sicherheit aus der Verfügung zu entnehmen sind (RdNr. 15). Der Wortlaut lässt völlig offen, um welche Freunde es sich handelt, ist also unbestimmt und isoliert betrachtet zur Erbeinsetzung der X und Y ungeeignet. Ein Testament, das die Identität der Erben nicht (formwirksam) bestimmt, ist ein sogenanntes testamentum mysticum.

8. Der Wortlaut „Schlusserben: Freunde aus Anlage 7.“ ist auslegungsfähig und deutet das Auslegungsergebnis - Erbeinsetzung der formunwirksam benannten X und Y - zumindest versteckt an.

Nein!

Ein durch Auslegung mithilfe formunwirksamer externer Inhalte ermittelter Wille ist nur beachtlich, wenn er im formwirksamen Teil des Rechtsgeschäfts wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck kommt (Andeutungstheorie). BGH: Hierfür genüge die bloße Bezugnahme auf den formunwirksamen Inhalt nicht. Auch die Andeutung einer bloß generellen Willensrichtung sei nicht ausreichend (RdNr. 13, 19). BGH: F und M hätten zwar auf „Freunde“ verwiesen, damit jedoch lediglich eine generelle Willensrichtung vorgegeben, die Identität der konkret einzusetzenden Erben aber nicht einmal angedeutet (RdNr. 20). Der BGH rechtfertigt diese strenge Auslegung der Formvorschriften mit deren Zweck, die Echtheit der Erklärungen sicherzustellen und Streitigkeiten vorzubeugen (RdNr. 20).

9. Ist die Einsetzung von X und Y als Schlusserben formwirksam (§§ 2267, 2247 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Sämtlicher zur Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes erforderlicher Inhalt jeder einzelnen testamentarischen Verfügung unterliegt dem Formzwang (§§ 2247, 2267 BGB). Diesen Grundsatz schränkt die Andeutungstheorie ein: Formunwirksame (externe) Inhalte sind zur Auslegung einer für sich genommen unbestimmten, aber formwirksamen Verfügung heranzuziehen, wenn der formwirksame Teil das Auslegungsergebnis wenigstens andeutet. Auch unter Berücksichtigung der Andeutungstheorie ist die Erbeinsetzung der X und Y formunwirksam. Ob der Verweis auf die Anlage 7 für sich genommen formwirksam ist, kann also endgültig dahinstehen. Es handelt sich um ein testamentum mysticum.

10. Alleinerbin des M ist T (§§ 1922, 1937 BGB).

Ja, in der Tat!

M hat T nach dem Tod der F wirksam als Alleinerbin eingesetzt (§§ 1937, 2064 BGB). Ihre Erbeinsetzung wäre, wie gesehen, aufgrund der Unwiderruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen unwirksam (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB), wenn die Einsetzung von X und Y als Schlusserben wirksam wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Originalfall hatten X und Y einen Erbschein beantragt. Diesen hätte ihnen das Nachlassgericht verweigern müssen (§ 2353 BGB i.V.m. §§ 352ff. FamFG).
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