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Eigentumserwerb durch „Fund“ eines verschlossenen Fahrzeugs?

Eigentumserwerb durch „Fund“ eines verschlossenen Fahrzeugs?

25. Juni 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eigentümerin E parkt ihr Auto über einen längeren Zeitraum verschlossen und ordnungsgemäß abgestellt in einer Parkbucht am Fahrbahnrand in der Stadt S. F meldet das Fahrzeug bei der Polizei. Drei Monate später lässt S es auf ihren Betriebshof abschleppen. E meldet sich nicht bei S.

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Einordnung des Falls

Eigentumserwerb durch „Fund“ eines verschlossenen Fahrzeugs?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F macht geltend, er sei Eigentümer des Pkw geworden. Könnte F ein Herausgabeanspruch gegen S aus § 985 BGB zustehen?

Genau, so ist das!

Der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB setzt voraus: (1) Eigentum des F, (2) Besitz der S, (3) Fehlendes Recht zum Besitz der S (§ 986 BGB). Behalte stets die Reihenfolge der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen im Kopf: (1) vertragliche, (2) quasi-vertragliche, (3) dingliche, (4) deliktische und (5) bereicherungsrechtliche Ansprüche. Der Anspruch aus § 985 BGB ist ein dinglicher Anspruch. Weil hier aber keine vertraglichen oder quasi-vertraglichen Ansprüche ersichtlich sind, steigen wir direkt in die sachenrechtliche Prüfung ein.
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2. Ursprünglich stand das Auto im Eigentum der E. Könnte F durch Fund das Eigentum daran erlangt haben (§ 973 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Nach § 973 Abs. 1 S. 1 BGB erwirbt Eigentum, wer (1) eine verlorene Sache (§ 965 BGB) (2) als Finder entdeckt und an sich nimmt. (3) Der Fund muss außerhalb einer öffentlichen Behörde oder Verkehrsanstalt (§ 978 BGB) stattfinden. (4) Zudem muss der Finder seinen Fund innerhalb von sechs Monaten bei der zuständigen Behörde anzeigen (§ 965 BGB), ohne dass (5) ihm in dieser Zeit ein Empfangsberechtigter bekannt geworden ist oder (6) ein Empfangsberechtigter sein Recht bei der zuständigen Behörde angemeldet hat (§ 973 Abs. 1 S. 1 BGB). F könnte das Eigentum an dem Auto durch Fund erlangt haben (§ 973 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei der Prüfung des Eigentums startest Du stets mit der Überlegung, wer laut Sachverhalt ursprünglich das Eigentum an der Sache hatte. Anschließend prüfst Du chronologisch, wodurch und an wen diese Person ihr Eigentum verloren haben könnte.

3. E hat nach der Meldung durch F nicht auf Kontaktversuche seitens S reagiert. Spricht das zweifelsfrei dafür, dass E bereits zum Zeitpunkt des „Fundes“ die tatsächliche Sachherrschaft über das Auto aufgegeben hatte (§ 965 BGB)?

Nein!

Wir prüfen die erste Voraussetzung des Anspruchs aus § 973 Abs. 1 S. 1 BGB: Es Auto müsste verloren i.S.v. § 965 BGB gewesen sein. Eine Sache ist verloren, wenn sie zwar besitz-, aber nicht herrenlos ist. Die Beendigung des Besitzes erfolgt nach § 856 Abs. 1 BGB durch Aufgabe oder Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft. OLG Celle: Dass sich E nach der Meldung durch F nicht bei S gemeldet hat, bedeutet ebenfalls nicht zweifelsfrei, dass sie ihren Besitz bereits im Zeitpunkt des Fundes aufgegeben hatte (RdNr. 29). E könnte ihren Besitz auch erst danach aufgegeben und sich dazu entschieden haben, nicht auf S zu reagieren. Es bestehen damit nicht genug Anhaltspunkte dafür, dass S' Auto bereits im Zeitpunkt des „Fundes“ durch F besitzlos war. E hat zudem darauf verwiesen, dass das Fahrzeug in einem Industriegebiet stand. Auch das ließ das OLG nicht ausreichen, um eine Besitzaufgabe zu begründen. Das LG hatte noch entschieden, dass das Auto eine verlorene Sache gewesen sei. Laut OLG hat der beweisbelastete F zu wenig Tatsachen für eine Besitzlosigkeit vorgetragen. Deine Klausur wäre an dieser Stelle vorbei, allenfalls kommt eine Prüfung im Hilfsgutachten in Betracht, wenn es einen entsprechenden Bearbeiterinnenvermerk gibt. Da der „Knackpunkt des Falles“ erst bei der Prüfung liegt, ob F auch Finder gewesen sein könnte, prüfen wir – wie das OLG – hier noch weiter.

4. Wenn das Auto „verloren“ i.S.v. § 965 BGB gewesen wäre, müsstest Du im nächsten Schritt prüfen, ob F Finder war (§ 973 Abs. 1 S. 1 BGB). Erfordert dies, dass F das Auto an sich genommen hat?

Genau, so ist das!

Finder ist, wer die verlorene Sache findet, d.h. entdeckt und an sich nimmt (§ 965 Abs. 1 BGB). Eine Sache wird an sich genommen, wenn sie in Besitz genommen wird. Die Ansichnahme ist ein Realakt. Sie kann auch durch Besitzmittler oder Besitzdiener erfolgen. In der Besitzbegründung liegt die entscheidende Tatbestandsvoraussetzung des Fundes: Finder wird also nicht immer, wer die Sache als erster sieht, sondern, wer als erster Besitz an ihr begründet. Finder kann also auch derjenige sein, der eine Sache auf Hinweis einer anderen Person an sich nimmt. Merke: „Ansichnehmen“ bedeutet nichts anderes als „Inbesitznehmen“. Es kommt also auf die Prüfung des § 854 Abs. 1 BGB (= unmittelbarer Besitz) bzw. § 868 BGB (= mittelbaren Besitz) an.

5. F hatte keinen Schlüssel zu dem Fahrzeug, aber hat die Polizei über seine Entdeckung informiert. Hat er dadurch unmittelbaren Besitz daran erlangt (§ 854 Abs. 1 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) ist die (1) von einem Besitzwillen getragene (2) tatsächliche Sachherrschaft einer Person über eine Sache. Tatsächliche Sachherrschaft setzt eine räumliche Beziehung zur Sache in der Weise voraus, dass man in der Lage ist, jederzeit beliebig auf die Sache einzuwirken. Sie muss von gewisser Dauer sein. Ob die Intensität der räumlichen und zeitlichen Beziehung zur Sache ausreicht, beurteilt sich nach der Verkehrsanschauung. F hat das Fahrzeug lediglich bei der Polizei gemeldet. Das Fahrzeug war aber verschlossen und ordnungsgemäß abgestellt. F hatte keinen Schlüssel und somit keine Möglichkeit, das Fahrzeug in Eigenbesitz zu nehmen und fortzubewegen. Er hatte folglich keine tatsächliche Gewalt über die Sache. Dies ist der Kern der Entscheidung: Das LG hatte noch entschieden, dass F das Auto bereits dadurch an sich genommen habe, dass er die Polizei informierte und deswegen das Fahrzeug später auf den Betriebshof der Klägerin verbracht wurde. Das LG ließ damit ein aktives Handeln mit Sicherungsabsicht ausreichen. Dem trat das OLG entgegen. Nach der Rspr. des BGH muss der Finder Besitz an der Sache begründen (vgl. BGH, Urt. v. 27. November 1952 - IV ZR 178/52, BGHZ 8, 130-134, RdNr. 10).

6. S hat den Pkw nach der Meldung des F abschleppen lassen. Könnte F den Besitz daran erlangt haben, wenn S Besitzmittlerin des F ist (§ 868 BGB)?

Ja!

Das „Ansichnehmen“ i.S.v. § 973 Abs. 1 S. 1 BGB setzt nicht zwingend voraus, dass der Finder unmittelbaren Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) an der Fundsache begründet hat. Vielmehr reicht auch der mittelbare Besitz aus. Dieser kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Finder die Sache zwar „entdeckt“, sodann aber eine andere Person einschaltet, die den unmittelbaren Besitz an der Sache begründet. Mittelbarer Besitz setzt voraus: (1) ein tatsächliches/vermeintliches Besitzmittlungsverhältnis, (2) Fremdbesitzwillen des unmittelbaren Besitzers und (3) einen Herausgabeanspruch des mittelbaren gegen den unmittelbaren Besitzer. Als Besitzmittlungsverhältnis kommt jedes Rechtsverhältnis in Betracht, das dem Besitzmittler Herausgabe- oder Sorgfaltspflichten bezüglich der Sache auferlegt.

7. Eine Mitarbeiterin der Stadt S hat beim Abschleppen gegenüber F erklärt, dass die behördlichen Ermittlungen ergeben haben, dass die Sache „nicht als Fundsache“ betrachtet werden könne. Hat S damit zum Ausdruck gebracht, den unmittelbaren Besitz für F ausüben zu wollen (§ 868 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Erinnerung: Wir befinden uns immer noch in der Prüfung, ob F durch Besitzerwerb den Pkw als Finder „an sich genommen” und auf diese Weise Eigentum daran erlangt hat (§ 973 Abs. 1 S. 1 BGB). Hier prüfst Du sämtliche Umstände, die zu einem Besitz des F geführt haben könnten. Mittelbarer Besitz setzt voraus, dass der unmittelbare Besitzer mit Besitzmittlungswillen handelt (§ 868 BGB): Er muss eine andere Person als mittelbaren Besitzer anerkennen und für diesen besitzen. Im Gegensatz dazu besitzt der Eigenbesitzer eine Sache als ihm gehörend (§ 872 BGB). Nach Anzeige des Fundes durch F hat S nicht bestätigt, den Pkw als Fundsache aufgenommen zu haben oder aufnehmen zu wollen. Auch hat sie nicht erklärt, für F auf das Fahrzeug achten zu wollen und dessen potenziellen Rechte als Finder zu wahren. Stattdessen hat S mitgeteilt, dass der Vorgang nicht als Fund betrachtet werden könne. S handelte somit ohne Besitzmittlungswillen und ist nicht Besitzmittlerin. F hat keinen mittelbaren Besitz an dem Auto erlangt (§ 868 BGB). Im Originalfall teilte S dem F zusätzlich mit, dass in der Sache gegen E ermittelt würde und auch aus diesen Umständen der Vorgang nicht als Fund behandelt würde.

8. Hat F das Eigentum an dem Pkw nach § 973 Abs. 1 S. 1 BGB erlangt?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 973 Abs. 1 S. 1 BGB erwirbt Eigentum, wer (1) eine verlorene Sache (§ 965 BGB) (2) als Finder entdeckt und an sich nimmt. (3)Der Fund muss außerhalb einer öffentlichen Behörde oder Verkehrsanstalt (§ 978 BGB) stattfinden. (4) Zudem muss der Finder seinen Fund innerhalb von sechs Monaten bei der zuständigen Behörde anzeigen (§ 965 BGB), ohne dass (5) ihm in dieser Zeit ein Empfangsberechtigter bekannt geworden ist oder (6) ein Empfangsberechtigter sein Recht bei der zuständigen Behörde angemeldet hat (§ 973 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Auto war zum Zeitpunkt des Fundes keine verlorene Sache. F hat es zudem nicht an sich genommen. Er hat deshalb kein Eigentum nach § 973 Abs. 1 S. 1 BGB erlangt. Das OLG lehnt nur knapp ab, dass das Auto verloren bzw. verweist darauf, dass diese Frage letztlich auch unbeantwortet bleiben könnte, da F jedenfalls kein Finder sein. Der Schwerpunkt des Falles liegt bei der Prüfung des „Ansichnehmens“. In solchen Konstellationen solltest Du besonders auf den Bearbeitungshinweis und die Sachverhaltsgestaltung schauen. Sofern Dich der Sachverhalt auf einen bestimmten Aspekt lenkt, solltest Du ihn immer ansprechen, auch, wenn Du dafür ein Hilfsgutachten schreiben musst. Unproblematische Punkte solltest Du dafür weglassen.

9. Könnte F Eigentum an dem Pkw erlangt haben, indem er ihn als herrenlose bewegliche Sache in Eigenbesitz genommen hat (§ 958 Abs. 1 BGB)?

Ja!

§ 958 Abs. 1 BGB regelt, dass jemand, der eine (1) herrenlose, (2) bewegliche Sache in (3) Eigenbesitz nimmt (§ 872 BGB), das Eigentum daran erwirbt, wenn (4) kein Aneignungsverbot oder kein ausschließliches Aneignungsrecht eines anderen besteht. Grundsätzlich kann also die bloße Inbesitznahme einer Sache dazu führen, dass man Eigentümer wird. Es handelt sich um einen Eigentumserwerb kraft Gesetzes. Der entscheidende Unterschied zwischen § 958 Abs. 1 BGB und § 973 Abs. 1 S. 1 BGB ist, dass es bei § 958 Abs. 1 BGB auf das fehlende Eigentum und nicht den fehlenden Besitz ankommt.

10. Das Auto war zum Zeitpunkt des „Fundes” 70.000 Euro wert und wurde ordnungsgemäß verschlossen und abgestellt. Kann man zweifelsfrei annehmen, dass E das Eigentum daran aufgegeben hat, sodass F es nach § 958 Abs. 1 BGB erwerben könnte?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Sache, die ursprünglich im Eigentum einer Person stand, kann insbesondere durch Aufgabe des Eigentums (Dereliktion) herrenlos werden (§ 959 BGB). Die Dereliktion setzt voraus, dass der Eigentümer den Besitz an einer beweglichen Sache aufgibt, und zwar in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten. Diese Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, ist eine nicht-empfangsbedürftige Willenserklärung, die nach § 133 BGB auszulegen ist. OLG Celle: Sowohl der Umstand, dass der Pkw ordnungsgemäß und verschlossen abgestellt wurde, als auch der Wert des Fahrzeugs sprechen dafür, dass die bisherige Eigentümerin ihr Eigentum an dem Pkw auch künftig behalten wollte (RdNr. 41). Anhaltspunkte, die für eine Derelektion sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Somit hat E ihr Eigentum daran nicht aufgegeben (§ 959 BGB). Im ersten Examen müsst ihr nur die gegebnen Tatsachen auswerten. In der Originalentscheidung scheiterte dieser Punkt erneut daran, dass F darlgeungs- und beweisbelastet hinsichtlich der Dereliktion war und den erforderlichen Beweis nicht erbringen konnte. In diesem Fall kommt es an verschiedenen Stellen auf die Darlegungs- und Beweislast bzw. auf die Beweiswürdigung an. Darüber hinaus hat F das Auto auch nicht in Besitz genommen, weshalb zusätzlich kein Eigentumserwerb nach § 958 Abs. 1 BGB möglich ist.

11. Hat F gegen S einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeugs (§ 985 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB setzt voraus: (1) Eigentum des F, (2) Besitz der S, (3) Fehlendes Recht zum Besitz der S (§ 986 BGB). F ist nicht Eigentümer des Pkw geworden. Somit hat er keinen Anspruch auf Herausgabe gegen S (§ 985 BGB). F steht auch kein öffentlich-rechtlicher Herausgabeanspruch gegen S zu. Zwar ist anerkannt, dass ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis entsteht, wenn eine Behörde in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben Gegenstände in Besitz nimmt, die im Eigentum einer Privatperson stehen. In diesem Fall hatte F aber gerade kein Eigentum, sodass kein Verwahrungsverhältnis zwischen F und S entstanden ist. Zusammenfassung: Kein Besitz – kein Fund – kein Eigentum Eine Sache ist nur dann „verloren“ im Sinne des § 965 Abs. 1 BGB, wenn sie besitzlos, aber nicht herrenlos ist. Bei wertvollen, verschlossenen Fahrzeugen spricht vieles gegen eine Besitzaufgabe. Entscheidend ist zudem, dass der Finder die Sache auch „an sich nimmt“, d.h. Besitz erlangen. Eine bloße Anzeige bei der Polizei oder Fundbehörde genügt nicht, um unmittelbaren Besitz zu begründen. Für den mittelbaren Besitz muss der Besitzmittlungswillen sorgfältig geprüft werden. Ohne tatsächliche Sachherrschaft liegt kein Fund vor – und damit auch kein Eigentumserwerb nach § 973 BGB.
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