Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, § 250 StPO

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Zeuge Z soll in der Hauptverhandlung vernommen werden. Um sich Arbeit und Zeit zu sparen, ordnet die Vorsitzende stattdessen die Verlesung von As polizeilichem Vernehmungsprotokoll an, in dem Z die Angeklagte A schwer belastet. A wird verurteilt.

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Einordnung des Falls

Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, § 250 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Inhalt des Vernehmungsprotokolls wird im Wege des Urkundenbeweises eingeführt (§ 249 Abs. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen (§ 249 Abs. 1 StPO). Urkunden sind Schriftstücke jeder Art, die verlesbar und geeignet sind, durch ihren Gedankeninhalt Beweis zu erbringen. Urkundsbeweis bedeutet dabei die Ermittlung und Bewertung des gedanklichen Inhalts eines Schriftstücks.Das Vernehmungsprotokoll ist verlesbar und geeignet, über den Inhalt der Vernehmung Beweis zu erbringen. Damit handelt es sich um eine Urkunde, deren Inhalt durch Verlesung Gegenstand der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) wird.
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2. Die Vernehmung einer Wahrnehmungsperson in der Hauptverhandlung darf grundsätzlich nicht durch die Verlesung eines früheren Vernehmungsprotokolls ersetzt werden (§ 250 S. 2 StPO).

Ja, in der Tat!

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Verhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden (§ 250 StPO). Die §§ 251 ff. StPO kennen Rückausnahmen von diesem Verbot. Dies ist der Grundsatz der sogenannten materiellen Unmittelbarkeit. Er sichert eine zuverlässige Beweisgewinnung und gewährleistet, dass das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von der Vernehmungsperson erhält, indem sie persönlich aussagt.Hiervon ist die formelle Unmittelbarkeit zu unterscheiden. Sie erfordert, dass die Beweisaufnahme grundsätzlich vor dem erkennenden Gericht selbst erfolgen muss.

3. Indem das Gericht das Vernehmungsprotokoll durch Verlesung einführt und dessen Inhalt im Urteil verwertet, verstößt es gegen § 250 StPO.

Ja!

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Verhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden (§ 250 StPO). Die §§ 251 ff. StPO kennen Rückausnahmen von diesem Verbot.Z war im Prozess zu vernehmen. Stattdessen ersetzte das Gericht Zs Vernehmung unzulässigerweise durch die Verlesung der Vernehmungsniederschrift und verstieß damit gegen § 250 StPO. Eine Rückausnahme, insbesondere aus § 251 Abs. 1 StPO ist nicht einschlägig. V verlas die Urkunde nur, um sich Arbeit zu sparen.Die Ermittlung und Verwertung des gedanklichen Inhalts eines Schriftstückes ist grundsätzlich immer zulässig, soweit das Gesetz dies nicht ausdrücklich untersagt. § 250 StPO stellt die wichtigste Einschränkung des Urkundsbeweises dar (Beweismittelverbot).

4. Für eine erfolgreiche Revision hätte A schon in der Hauptverhandlung die Rüge des § 238 Abs. 2 StPO erheben müssen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht (§ 238 Abs. 2 StPO). Ist eine solche Rüge statthaft, ist sie Voraussetzung für eine spätere Revision. Denn zunächst soll die Kompetenz des ganzen Gerichts aktiviert werden, bevor Revision eingelegt werden muss. Die Rüge ist nicht statthaft bei der Verletzung zwingenden Rechts oder dem Unterlassen unverzichtbarer Maßnahmen durch den Vorsitzenden. Nur wenn dem Vorsitzenden ein Ermessen eingeräumt wird, soll der gesamte Spruchkörper an dessen Stelle entscheiden.Zwar handelt es sich um eine sachleitende Anordnung der Vorsitzenden, da sie in As Rechtskreis eingreift. Da § 250 StPO kein Ermessen eröffnet, war die Rüge nicht statthaft.

5. A kann erfolgreich in Revision gehen (§ 337 StPO).

Ja, in der Tat!

A kann erfolgreich in Revision gehen, wenn das Urteil auf dem Verstoß gegen § 250 StPO beruht und sie durch diesen Fehler beschwert ist (§ 337 Abs. 1 StPO).Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Z sich in der Hauptverhandlung anders geäußert oder das Gericht einen anderen Eindruck vom Beweiswert seiner Aussage gewonnen hätte. Zwar ist Z derjenige, dessen Zeugnisverweigerungsrecht missachtet wurde. Jedoch schützt § 250 StPO gerade die Beweisqualität und berührt damit auch As Rechtskreis.
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