Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub, u.a.
Anforderungen an das objektive Element der Zueignung (BGH, Beschluss vom 29.11.2023 - 6 StR 191/23)
Anforderungen an das objektive Element der Zueignung (BGH, Beschluss vom 29.11.2023 - 6 StR 191/23)
10. Juni 2025
13 Kommentare
4,7 ★ (32.451 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T erwirbt für seine Baufirma einen Tieflader. Dieser wird zur Sicherheit an die B-Bank übereignet. Nach einer wirtschaftlichen Schieflage geht T insolvent, lässt aber den Insolvenzverwalter über den Besitz des Tiefladers in Unkenntnis und gibt ihn auch nicht an die B heraus.
Diesen Fall lösen 74,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Anforderungen an das objektive Element der Zueignung (BGH, Beschluss vom 29.11.2023 - 6 StR 191/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T könnte sich wegen Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Tieflader ist eine für T fremde, bewegliche Sache.
Ja!
3. Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB hat ein subjektives sowie ein objektives Element.
Genau, so ist das!
4. Muss nach den Manifestationstheorien ein objektiver Zueignungserfolg vorliegen?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Andere Ansätze setzen einen Zueignungserfolg voraus.
Ja!
6. Nach der von der Rspr. vertretenen Manifestationstheorie hat T sich den Tieflader zugeeignet.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Abweichend von der bisherigen Rspr. hat der 6. Senat klargestellt, dass er fortan für die Zueignung einen Zueignungserfolg verlangen will.
Ja, in der Tat!
8. Legt man die Rechtsauffassung des 6. Senats zugrunde, hat T sich der Unterschlagung schuldig gemacht.
Nein!
9. Hätte der 6. Senat aufgrund seiner abweichenden Rechtsauffassung eine Anfrage nach § 132 Abs. 3 GVG machen müssen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
okalinkk
8.2.2025, 14:14:32
es ist etwas verwirrend formuliert, dass der BGH nach den Manifestationstheorien die schlichte Nichtherausgabe nicht genügen lasse. Abgesehen vom BGH würden die Manifestationstheorien das doch aber genügen lassen oder? also der BGH vertritt jetzt nicht mehr die Manifestationstheorie, sondern die Zueigungstheorie? die Ansichten (Manifestationstheorie vs
Zueignungstheorie) würden hier zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen?
Erik_1995
5.5.2025, 12:39:26
Dacht ebenfalls dass ein Nichtherausgeben zumindest nach der weiten Manifestationstheorie bei § 246 I genügt hätte

Sebastian Schmitt
12.5.2025, 13:00:53
Hallo @[okalinkk](253888), nach der weiten Manifestationstheorie könnte der aus unserer Zeichnung ersichtliche innere Vorbehalt iVm dem vorläufigen Behalten wohl ausreichen, um hier den Tatbestand zu bejahen, @[Erik_1995](177911). Auch das scheint mir aber nicht zwingend, denn T dürfte sich nocht nicht endgültig zum Behalten der Sache entschlossen zu haben, sondern will sie nur "erstmal" (!) nicht zurück geben (vgl LK-StGB/Vogel/Brodowski, 13. Aufl 2023, § 246 Rn 43). Zumindest tendenziell keine Strafbarkeit hätten wir nach der engen Manifestationstheorie, die objektive Anhaltspunkte für die Manifestation des
Zueignungswillens verlangt. Der innere Vorbehalt des T wäre also unbeachtlich, die bloße Nichtherausgabe genügt für sich nicht und die fehlende Offenlegung ggü dem Insolvenzverwalter könnte ja theoretisch auch versehentlich erfolgt sein, zB wegen Überforderung mit der finanziellen Situation. Wir bräuchten hier weitere Infos, um das abschließend beurteilen zu können. In unserer Aufgabe folgen wir (insbesondere bei Frage 6) demjenigen Verständnis der bisherigen Rspr, wie es der 6. Senat in der unserer Aufgabe zugrunde liegenden Entscheidung darlegt (NJW 2024, 1050). Und er sieht eben selbst nach dieser bisherigen Rspr keine hinreichende Manifestation. Die dort gegebene Begründung kann man aus guten Gründen kritisch sehen, wir möchten sie aber für den Moment gerne so stehen lassen. Nach der
Zueignungstheorie, der sich der 6. Senat hier anschließt, ist der Tatbestand erst recht nicht erfüllt, weil die bloße Nichtherausgabe/Nichtinformation noch nicht die erforderliche Schwelle der Eigentumsbeeinträchtigung überschreitet. "Der BGH" ist (schon im Allgemeinen, aber hier im Speziellen) kein Organ einheitlicher Willensbildung. Die unserem Fall zugrunde liegende Entscheidung stammt eben vom Leipziger 6. Senat. Er verlangt in seinem
Beschlusseinen
Zueignungserfolg. Der 4. Senat hat dagegen schon mitgeteilt, dass er an der bisherigen Rspr festhalten wolle (s unser Vertiefungshinweis zur letzten Frage). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Findet Nemo Tenetur
24.3.2025, 22:03:15
Also kann man mit dem 6. Senat bzw all jenen, die einen
Zueignungserfolg wollen, mit der gegebenen Begründung eigentlich keine Unterschlagung durch Unterlassen begehen?

Sebastian Schmitt
12.5.2025, 11:26:11
Hallo @[Findet
Nemo Tenetur](254807), letztlich hängt das davon ab, welche Anforderungen man genau an den von Dir genannten
Zueignungserfolg stellt - auch das wird nämlich nicht einheitlich beurteilt. Zumindest für diejenigen, die insoweit eher streng sind, wird man in der Tat nur in recht speziellen Konstellationen mal eine Strafbarkeit durch Unterlassen annehmen können - für ganz ausgeschlossen halte ich das aber nicht. LK/Vogel/Brodowski, StGB, 13. Aufl 2023, § 246 Rn 45 sagt allgemein, dass die
Zueignungauch durch Unterlassen iSd § 13 StGB erfolgen könne und nennt das die "hA", ohne allerdings Nachweise für eine eventuelle aA zu liefern. Dort findet man allerdings auch ein ganz interessantes, wenn auch mittlerweile altes Beispiel (OLG Oldenburg NJW 1952, 1267): Pfändung einer beim Mieter befindlichen, aber dem Vermieter gehörenden Sache durch den Gerichtsvollzieher. Der Mieter nimmt diese Pfändung ohne besondere Reaktion hin und informiert auch den Mieter nicht, um so seine eigenen
Schulden zu reduzieren. Die Frage der
Garantenstellungmal außen vor gelassen: Hier hätten wir tatsächlich ein reines Unterlassen, könnten gleichzeitig durch die Pfändung aber wohl auch schon einen
Zueignungserfolg annehmen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Findet Nemo Tenetur
12.5.2025, 14:04:05
Danke @[Sebastian Schmitt](263562) für die Antwort. Und das Beispiel ist ja wirklich sehr interessant!

Wesensgleiches Minus
25.3.2025, 12:32:43
Der BGH sagt, dass nach der Manifestationstheorie eine Unterschlagung sicherungsübereigneter Gegenstände zB vorliegt, wenn ein Verbergen der Sache durch den Täter vorliegt. Im SV steht: „… lässt aber den Insolvenzverwalter über den Besitz des Tiefladers in Unkenntnis“. Das ist doch ein Verbergen?!
Vanilla Latte
20.4.2025, 05:00:57
Der Lader stand im ET des B. Ihm gegenüber hat er es nicht verborgen sondern lediglich die Sache nicht herausgegeben auf Aufforderung. Fremdes ET gehört nicht zur Insomasse.

Wesensgleiches Minus
20.4.2025, 12:28:51
Oh ja, danke @[Vanilla Latte](217055)! Dann frage ich mich jetzt jedoch, warum diese Info zu dem Insolvenzverwalter im SV steht..
Vanilla Latte
20.4.2025, 14:07:35
Ja ich war tatsächlich auch erst verwirrt aber in den Fragen davor wird immer auf B abgestellt.

Sebastian Schmitt
12.5.2025, 10:12:39
Hallo @[
Wesensgleiches Minus](241758), hallo @[Vanilla Latte](217055), nach dem BGH ist erforderlich, dass der Täter "sich als Eigentümer „geriert“, wobei ein Verbergen [...], ein Verkauf [...], aber auch ein Gebrauch der Gerätschaften ausreichen kann." (BGH NJW 2024, 1050, 1051, Rn 13) Das ist also unser Maßstab der Rspr für die Tathandlung, die Frage der
Zueignungim objektiven Tatbestand. Ein bloßes Unterlassen der Rückgabe als solches reicht dafür eben noch nicht aus (MüKoStGB/Hohmann, 4. Aufl 2021, § 246 Rn 28), zumal unser T ja laut der Zeichnung "nur" denkt, dass er die Sache erstmal (!) nicht zurückgeben will. Für ein Verbergen bräuchten wir als in tatsächlicher Hinsicht mehr, zB ein gezieltes Verstecken der Sache. Bei MüKoStGB/Hohmann, 4. Aufl 2021, § 246 Rn 26 ff findet man auch einige instruktive Beispiele für verschiedene (tatsächliche) Verhaltensweisen, die für eine
Zueignungin objektiver Hinsicht genügen oder auch nicht genügen können (allerdings eher aus dem Blickwinkel der Manifestationstheorien). Und der Insolvenzverwalter steht in unserer Sachverhaltsdarstellung, weil sie im Kern auf dem oben zitierten Originalfall des BGH beruht, in dem der Insolvenzverwalter ebenfalls auftauchte. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team