+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T erwirbt für seine Baufirma einen Tieflader. Dieser wird zur Sicherheit an die B-Bank übereignet. Nach einer wirtschaftlichen Schieflage geht T insolvent, lässt aber den Insolvenzverwalter über den Besitz des Tiefladers in Unkenntnis und gibt ihn auch nicht an die B heraus.
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Einordnung des Falls
Anforderungen an das objektive Element der Zueignung (BGH, Beschluss vom 29.11.2023 - 6 StR 191/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T könnte sich wegen Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
Ja, in der Tat!
Eine Unterschlagung setzt (1)objektiv voraus, dass der Täter sich oder einem Dritten eine fremde, bewegliche Sache rechtswidrig zueignet. (2)Subjektiv ist Vorsatz erforderlich und (3) der Täter muss rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Um eine veruntreuende Unterschlagung nach § 246 Abs. 2 StGB handelt es sich dann, wenn die Sache dem Täter anvertraut ist. Dies ist der Fall, wenn sie dem Täter mit der Maßgabe überlassen wurde, mit ihr nur zu einem bestimmten Zweck zu verfahren, das heißt sie nur zu einem bestimmten Zweck zu verwenden und sie ggf. zurückzugeben.
Nach § 246 Abs. 1 StGB handelt es sich bei der Unterschlagung um einen Auffangtatbestand (Subsidiarität). An die Unterschlagung musst Du insbesondere immer dann denken, wenn eine Strafbarkeit nach § 242 StGB daran scheitert, dass kein Gewahrsamsbruch vorliegt.
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2. Der Tieflader ist eine für T fremde, bewegliche Sache.
Ja!
Eine Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Sie ist für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist. Eine Sache ist dann beweglich, wenn sie tatsächlich fortgeschafft werden kann. Es genügt, wenn die Sache dazu erst beweglich gemacht wird.
Der Tieflader ist ein körperlicher Gegenstand, der fortgeschafft werden kann. Da er im Eigentum der B steht, ist er für T auch fremd.
3. Die Zueignung im Sinne des § 246 StGB hat ein subjektives sowie ein objektives Element.
Genau, so ist das!
Die Tathandlung der Unterschlagung besteht darin, dass der Täter die Sache sich oder einem Dritten zueignet (§ 246 Abs. 1 StGB). Anders als beim Diebstahl (§ 242 StGB) ist die Zueignung bei § 246 StGB also ein objektives Tatbestandsmerkmal. Die bloße Zueignungsabsicht reicht nicht aus.
Bei § 246 StGB ist daher neben dem (subjektiven) Zueignungswillen auch ein objektives Element der Zueignung vorausgesetzt.
Der Zueignungswille liegt vor, wenn der Täter die Sache selbst oder wenigstens den in ihr verkörperten Sachwert unter dauerndem Ausschluss des Berechtigten dem eigenen Vermögen zumindest vorübergehend einverleiben will.
Umstritten ist hingegen, wie das objektive Element auszusehen hat.
4. Muss nach den Manifestationstheorien ein objektiver Zueignungserfolg vorliegen?
Nein, das trifft nicht zu!
Vertreter der Manifestationstheorien verlangen als objektives Element, dass sich der Zueignungswille nach außen erkennbar manifestiert. Ein Erfolg wird nicht verlangt.
Nach der weiten Manifestationstheorie soll bereits jede beliebige Handlung genügen, die von einem objektiven Beobachter bei Kenntnis des Täterwillens als Betätigung dieses Willens verstanden werden kann.
Nach der engen Manifestationstheorie wird ein Verhalten gefordert, aus dem ein objektiver Beobachter auch ohne Kenntnis des Vorsatzes des Täters den Schluss ziehen kann, dass dieser sich die Sache zueignen will.
Gegen die Theorien spricht, dass nach ihnen schon bloße Vorbereitungshandlungen als Zueignungen angesehen würden. Der Versuch liefe leer. Nur durch eine restriktive Auslegung der „Zueignung“ könne man den weiten Tatbestand des § 246 StGB begrenzen. Dafür spricht insbesondere auch, dass das Strafrecht als „ultima ratio“ nicht zu weit ausgedehnt werden darf.
5. Andere Ansätze setzen einen Zueignungserfolg voraus.
Ja!
Die Kritik an den Manifestationstheorien hat zu Ansätzen geführt, die einen Zueignungserfolg voraussetzen. Wann dieser Erfolg eingetreten ist, wird jedoch uneinheitlich beurteilt.
Die Aneignungslehre fordert den zumindest vorübergehenden Eintritt des Aneignungserfolgs bei einem Enteignungsvorsatz.
Nach der Enteignungslehre liegt der tatbestandliche Erfolg in einer auf die Enteignung bezogenen konkreten Gefährdung.
Nach der Zueignungstheorie muss der Taterfolg sowohl hinsichtlich Aneignung als auch hinsichtlich der Enteignung eingetreten sein.
An diesen Theorien wird kritisiert, dass sie den Vollendungszeitpunkt auf einen sehr viel späteren Moment verlagern und so den Anwendungsbereich des § 246 StGB stark einschränken.
6. Nach der Manifestationstheorie hat T sich den Tieflader zugeeignet.
Nein, das ist nicht der Fall!
BGH: Für eine Unterschlagung sicherungsübereigneter Gegenstände sei auch unter Zugrundelegung der Manifestationstheorien erforderlich, dass der Täter - über ihr „Behalten” hinaus - ein Verhalten an den Tag legt, aus dem geschlossen werden kann, dass er sich als Eigentümer „geriert”. Ein Verbergen oder ein Verkaufen würden reichen, ebenso ein Gebrauch, wenn mit ihm ein erheblicher Wertverlust einhergeht (RdNr. 13).
T hat sich vorliegend nicht als Eigentümer geriert oder den Tieflader verborgen, sondern er hat ihn schlichtweg nicht herausgegeben.
Das LG Neuruppin hat die Zueignung bejaht und T wegen veruntreuender Unterschlagung des Tiefladers verurteilt.
7. Abweichend von der bisherigen Rspr. hat der 6. Senat klargestellt, dass er fortan für die Zueignung einen Zueignungserfolg verlangen will.
Ja, in der Tat!
Bisher wurde in der Rspr. die Manifestationslehre vertreten.
Der 6. Senat sieht die Manifestation des Zueignungswillens zwar als Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand. Eine Zueignung i.S.v. § 246 StGB setze aber voraus, dass der Täter sich die Sache oder den in ihr verkörperten wirtschaftlichen Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt (Zueignungstheorie). Denn nach dem Wortlaut sei § 246 StGB als Erfolgsdelikt ausgestaltet sein. Zudem gebiete es die Begrenzung des Strafrechts als ultima ratio sich am Schutzgut (Eigentum) zu orientieren (Teleologie). Eine vom Rechtsgut losgelöste Interpretation der Zueignung würde den zulässigen Anwendungsbereich des Strafrechts überdehnen. Auch Historie und Systematik sprächen für dieses Verständnis (s. RdNr. 6-9).
8. Legt man die Rechtsauffassung des 6. Senats zugrunde, hat T sich der Unterschlagung schuldig gemacht.
Nein!
BGH: In einem bloßen Unterlassen der geschuldeten Rückgabe sicherungsübereigneter Gegenstände liege keine vollendete Zueignung. Das bloße Unterlassen der Rückgabe beeinträchtige nämlich die Eigentümerbefugnisse nicht weitergehend, als bereits durch die im Rahmen des Miet- oder Leasingvertrags erfolgte Gebrauchsüberlassung geschehen (RdNr. 12).
Würde der Täter jedoch Gegenstände, die sich in seinem Besitz befinden, verbergen oder verkaufen, liegt nach Ansicht des 6. Senats der notwendige Zueignungserfolg vor, da der Täter sich dadurch die jeweiligen Sachen bzw. deren Sachwert wenigstens in sein Vermögen einverleibe und den Berechtigten insoweit von seinen Nutzungsmöglichkeiten ausschließe.
9. Hätte der 6. Senat aufgrund seiner abweichenden Rechtsauffassung eine Anfrage nach § 132 Abs. 3 GVG machen müssen?
Nein, das ist nicht der Fall!
In § 132 Abs. 2 GVG ist geregelt, dass dann, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, der Große Senat entscheidet. Eine Vorlage an diesen ist jedoch nur zulässig, wenn vorher beim Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, angefragt wird, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält (§ 132 Abs. 3 GVG).
Für eine Vorlage ist jedoch erforderlich, dass die divergierenden Rechtsauffassungen entscheidungserheblich sind.
Im vorliegenden Fall sah der 6. BGH-Senat keinen Grund für ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei seinen Schwestersenaten, da die divergierenden Auffassungen im konkreten Einzelfall zum gleichen Ergebnis - keine Strafbarkeit wegen Unterschlagung - kommen. Es fehlt daher an der Entscheidungserheblichkeit.