Unzulässige Einwirkung auf Beschuldigten

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gegen B besteht der Anfangsverdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in geringen Mengen. B wird von einem verdeckten Ermittler angesprochen, ob er 3kg Kokain beschaffen könne. Als B nicht sofort liefert, erhöht V den Druck durch wiederholtes Nachfragen. Beim Liefertermin wird B festgenommen.

Diesen Fall lösen 81,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Unzulässige Einwirkung auf Beschuldigten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B wurde durch die Einwirkung des verdeckten Ermittlers V zur Begehung der Tat (Beschaffung und Veräußerung von 3kg Kokain) provoziert (sog. Tatprovokation).

Ja!

Eine Tatprovokation liegt nicht schon bei jeder Einwirkung auf die Zielperson vor, sondern nur dann, wenn auf Veranlassung oder mit Einwilligung einer staatlichen Dienststelle auf eine Zielperson eingewirkt wird, um deren Verhalten so zu steuern, dass sie einer Straftat überführt werden kann. Erforderlich ist, dass die Einwirkung (1) auf das Handeln staatlicher Organe zurückzuführen ist und sie (2) erheblich ist. Der Einsatz des V als verdeckter Ermittler gem. §§ 110a, 110b StPO und die Einwirkung erfolgten auf Veranlassung staatlicher Organe. Zudem wurde nicht nur die bereits offen erkennbare Bereitschaft des B zur Begehung von Straftaten durch Schaffen der Tatgelegenheit ausgenutzt. Vielmehr übte V massiven Druck auf B aus. Die Einwirkung war somit erheblich.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Ist jede Tatprovokation unzulässig?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nicht jede Tatprovokation ist unzulässig. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Art und Intensität einer zulässigen Einwirkung sind aber jedenfalls überschritten, wenn eine bislang unverdächtige, nicht tatgeneigte Person zur Straftatbegehung verleitet wird. Es muss zumindest ein gewisser Verdacht bestehen, dass die Person an einer Straftat beteiligt war oder künftig Straftaten begehen wird. Die Tatprovokation ist auch dann rechtsstaatswidrig, wenn die Person allein durch die Einwirkung eine Tat mit erheblich höherem Unrechtsgehalt begeht („Aufstiftung“). Zudem ist sie unzulässig, wenn sich der „agent provocateur“ zur Herbeiführung der Tatbegehung strafbarer oder unlauterer Mittel bedient. Grundsätzlich gilt: Je stärker der Verdacht ist, desto stärker darf die Einflussnahme durch den agent provocateur sein.

3. Stellt die vorliegende Einwirkung auf B eine zulässige Ermittlungsmaßnahme dar?

Nein, das trifft nicht zu!

Gegen B bestand ein Anfangsverdacht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in geringer Menge (§ 29 BtMG). Allein durch den von V ausgeübten und dessen erhebliche Einwirkung war B bereit, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen (Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, § 29a BtMG). Durch die Art und Intensität der Einflussnahme wurden somit die rechtsstaatlichen Grenzen überschritten. Folglich liegt eine unzulässige Tatprovokation vor.

4. Aufgrund der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation liegt ein Verfahrenshindernis vor, sodass B nicht bestraft werden kann.

Ja!

Der BGH wertet die rechtsstaatswidrige Tatprovokation als Verfahrenshindernis. Dies führt dazu, dass der Täter dann nicht nur milder, sondern gar nicht bestraft werden kann.Aufgrund des bestehenden Verfahrenshindernisses ist das Verfahren gegen B einzustellen.Die früher vertretene “Strafzumessungslösung”, wonach eine unzulässige Provokation lediglich strafmildernd zu berücksichtigen sei, hat der BGH mittlerweile aufgegeben. Die Entscheidungsbesprechung zur Rechtsprechungsänderung des ersten Senates findest Du in unserer aktuellen Rechtsprechung.Liegt ein Verfahrenshindernis vor, so fehlt es an dem Anlass zur Klageerhebung und das Verfahren ist insoweit einzustellen (§ 170 Abs. 2 StPO).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURAFU

jurafuchsles

16.9.2024, 08:59:26

Ich verstehe an welcher Stelle ich die Tatprovokation im Fall der StA Klausur und in der Revision prüfen muss, aber an welcher Stelle prüft man die unzulässige Tatprovokation bei einer „normalen Prüfung des Straftatbestandes“?


© Jurafuchs 2024