Eingehungsbetrug bei vertragswidriger Nutzung eines Point of Sales Terminals (BGH, Beschl. v. 04.10.2023 - 6 StR 258/23)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist Einzelhändler. Er schließt mit O, der Kartenlesegeräte für das elektronische Lastschriftverfahren (ELV) anbietet, einen Vertrag über ein Kartenlesegerät. Zusätzlich vereinbaren sie, dass O noch bevor er die Gelder der Kunden einzieht, eine Gutschrift an A überweist („Clearing Service“). A will dies nutzen, um unberechtigt an Gutschriften durch O zu gelangen.

Einordnung des Falls

Eingehungsbetrug bei vertragswidriger Nutzung eines Point of Sales Terminals (BGH, Beschl. v. 04.10.2023 - 6 StR 258/23)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Beim elektronischen Lastschriftverfahren erhält der Händler die Gutschriften grundsätzlich erst, wenn der Zahlungsdienstleister (hier: O) die Zahlungen von den Konten der Kunden abgebucht hat.

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Genau, so ist das!

Für die Bezahlung mit Girokarten stehen den Händlern eine Reihe verschiedener Systeme zur Verfügung. Eines davon ist das elektronische Lastschriftverfahren (ELV). Dabei läuft der Prozess grundsätzlich wie folgt ab: (1) Kunden des Händlers bezahlen einen bestimmten Betrag mit der Karte, (2) der Händler übermittelt die Zahlungen an den Zahlungsdienstleister (Kassenschnitt), (3)der Zahlungsdienstleister zieht die Beträge von den Bankkonten der Kunden ein und (4)überweist sie in regelmäßigen Abständen als Gesamtbetrag auf das Konto des Händlers. Ist ein Konto eines Kunden nicht gedeckt und scheitert daher die Abbuchung durch den Zahlungsdienstleister, geht dies zu Lasten des Händlers. Er erhält den entsprechenden Betrag nicht.

2. Durch die Vereinbarung des „Clearing Service“ geht O in Vorleistung und übernimmt damit zum Teil das Risiko, dass das Kundenkonto nicht gedeckt ist.

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Ja, in der Tat!

Ist ein Konto eines Kunden nicht gedeckt und scheitert daher die Abbuchung durch den Zahlungsdienstleister, geht dies grundsätzlich zu Lasten des Händlers. Er erhält den entsprechenden Betrag nicht. Dieses Ausfallrisiko wird mit der Vereinbarung eines „Clearing Services“ auf den Zahlungsdienstleister verlagert: Denn in diesen Fällen werden die über das Lesegerät getätigten Zahlungen auf dem Konto des Händlers gutgeschrieben, noch bevor diese vom Kunden eingezogen wurden. Der Händler kann direkt über das Geld verfügen. Wird eine Forderung wegen mangelnder Kontodeckung eines Kundens nicht beglichen (i.d.R. widerruft die kartenausgebende Bank die Lastschriftzahlung) muss sich der Zahlungsdienstleister das Geld vom Händler zurückholen. Der Zahlungsdienstleister trägt damit das Risiko, dass der Händler das Geld zwischenzeitlich bereits ausgegeben hat.

3. Bereits bei Vertragsabschluss hat A die Absicht, Os System nur dafür zu nutzen, mit eigenen, ungedeckten Konten „Bezahlungen“ vorzunehmen, um an Gutschriften von O zu gelangen. Hat A den O insofern bei Vertragsschluss getäuscht (§ 263 Abs. 1 StGB)?

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Ja!

Der objektive Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter durch (1)Täuschung über Tatsachen einen (2)Irrtum erregt, der zu einer (3)Vermögensverfügung des Geschädigten führt, durch die (4)ein unmittelbarer Vermögensschaden beim Geschädigten eintritt. Zu 1: Eine Täuschung ist die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel bewusster Irreführung. A ist gegenüber O als „normaler“ Geschäftspartner aufgetreten. Er hat damit (zumindest konkludent) erklärt, das Gerät im Sinne eines regulären Geschäftsbetriebs nutzen zu wollen. A hatte aber von Anfang an vor, dass Gerät nur dafür zu nutzen, selbst Abbuchungen mit ungedeckten Karten vorzunehmen. In As Verhalten gegenüber O liegt eine bewusste Irreführung, die As wahre Absichten verschleiern soll.

4. A hat O zwar getäuscht, es fehlt allerdings der kausale Irrtum des O (§ 263 Abs. 1 StGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Irrtum liegt vor, wenn die subjektive Vorstellung des Getäuschten und die objektive Wirklichkeit auseinanderfallen. O hat durch As Verhalten die Vorstellung, A wolle das Gerät und den vereinbarten Clearing Service in vertragsgemäßer Weise nutzen. Da A dies von Anfang an nicht vor hatte, fallen Os Vorstellung und die Wirklichkeit insbesondere im Hinblick auf das Ausfallrisiko bei den Kartenzahlungen auseinander.

5. Bereits der Abschluss des Vertrages über das Kartenlesegerät ist eine relevante Vermögensverfügung des O (§ 263 Abs. 1 StGB).

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Ja, in der Tat!

Eine Vermögensverfügung (§ 263 Abs. 1 StGB) ist jedes bewusste, freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, durch welches das Vermögen unmittelbar gemindert wird. Das Vermögen umfasst grundsätzlich alle wirtschaftlich verwertbaren (geldwerten) Positionen einer Person. Zum Vermögen gehören damit z.B. auch Ansprüche gegen eine andere Person. Durch den Vertragsschluss ist O bewusst und freiwillig die Verbindlichkeit eingegangen, A das Lesegerät inklusive dem Clearing Service zur Verfügung zu stellen. Also insbesondere die Verbindlichkeit, die gezahlten Beträge der Kunden noch vor deren Einziehung zu überweisen. A hat somit einen entsprechenden Anspruch gegen O erworben. Hierin liegt Os Vermögensverfügung.

6. Liegt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch ein Vermögensschaden vor, obwohl an A noch keine Zahlungen erfolgt sind?

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Ja!

Liegt die Vermögensverfügung in der Eingehung einer Verbindlichkeit, die erst später erfüllt werden soll, so liegt in dem Moment der Vermögensverfügung wirtschaftlich zwar noch kein tatsächlicher Vermögensabfluss vor. Bereits eine schadensgleiche Vermögensgefährdung wird in den Fällen des sog. Eingehungsbetrugs für einen Vermögensschaden als ausreichend erachtet. Eine solche liegt vor, wenn der Täuschende bereits mit Vertragsabschluss in der Weise Zugriff auf das Vermögen des Getäuschten erhält, dass er ohne Weiteres in der von ihm geplanten Weise darauf zugreifen kann. Dieser Schadensgefährdung steht keine ausreichende Kompensation gegenüber, wenn z.B. der Täuschende nicht vor hat, seine Verbindlichkeit gegenüber dem Getäuschten zu erfüllen.A hatte von Anfang an vor, zu Lasten von O Abbuchungen mit ungedeckten Konten vorzunehmen. Os Vermögen war damit bereits in dem Moment, in dem er A das System vertragsgemäß zur Verfügung stellte, konkret gefährdet. Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung und damit ein Schaden i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB liegt vor. Wenn Du das Thema des Gefährdungsschadens wiederholen möchtest, kannst Du das hier tun.

7. Der Eingehungsbetrug ist aber erst vollendet, wenn O tatsächlich auch Geld an das Firmenkonto überweist.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nein! Der Gefährdungsschadens zeichnet sich gerade dadurch aus, dass bereits im Zeitpunkt, in dem der Getäuschte eine bestimmte Verbindlichkeit eingeht, ohne dass der Täuschende vorhat, die entsprechenden Ansprüche des Getäuschten zu erfüllen, ein Vermögensschaden bejaht wird. Der Betrug ist damit schon nach Abschluss des Vertrags vollendet und nicht erst in dem Moment, in dem sich ein Schaden wirtschaftlich tatsächlich realisiert. Das bedeutet: Selbst, wenn später kein Schaden eintritt, weil das Vorhaben des Täuschenden z.B. vorher auffliegt, liegt kein versuchter, sondern ein vollendeter (Eingehungs-)Betrug vor. A hat bereits mit Abschluss des Vertrags den objektiven Tatbestand des Betrugs verwirklicht. Auch handelte A vorsätzlich und mit der Absicht stoffgleichher, rechtswidriger Bereicherung. A handelte rechtswidrig und schuldhaft. Er hat sich bereits durch den Abschluss des Vertrags nach § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

8. Beim Eingehungsbetrug ist somit die Bezifferung der Schadenshöhe entbehrlich.

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Nein, das trifft nicht zu!

Bei einem Eingehungsbetrug wird auf eine schadensgleiche Vermögensgefährdung abgestellt. Zur Bemessung des Schadens wird auf den Gegenstand der eingegangenen Vertragsverpflichtungen abgestellt. Der Getäuschte ist in der Höhe geschädigt, in der sein Anspruch gegenüber dem Täter hinter dem Wert seiner Verpflichtung zurückbleibt (sog. Negativsaldo). Auch in den Fällen der schadensgleichen Vermögensgefährdung muss die Schadenshöhe konkret beziffert werden. Dies erfolgt unabhängig davon, ob der Schaden später auch in dieser Höhe eintritt oder nicht. Denn die Vermögensgefährdung zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass bereits ohne tatsächlich eingetretenen Schaden ein solcher angenommen wird. Die Bezifferung des Gefährdungsschadens erfolgt als Prognose anhand von Kriterien wie der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in einer konkreten Höhe und der Wahrscheinlichkeit, dass der Getäuschte seine Forderung doch (gerichtlich) gegen den Täuschenden durchsetzen kann.

9. Nach Vertragsschluss nutzt A das Gerät in 78 Fällen mit ungedeckten Konten, sodass O insgesamt €300.000 überweist. Kann dieser Betrag nach der Rechtsprechung des BGH zur Bestimmung des Gefährdungsschadens herangezogen werden?

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Ja!

Die Bezifferung des Gefährdungsschadens erfolgt grundsätzlich unabhängig davon, ob später tatsächlich ein Schaden eintritt, als Prognose (z.B. Wahrscheinlichkeit des Eintritts, voraussichtliche Schadenshöhe). BGH: Der eingetretene Schaden sei vollständig in dem durch die Vertragserfüllung herbeigeführten Vermögensschaden enthalten, sodass auf diesen abgestellt werden könne. Insbesondere lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der eingetretene Erfüllungsschaden den Gefährdungsschaden übertreffe. Der eingetretene Vermögensnachteil habe seinen Ursprung vollständig in dem irrtumsbedingten Vertragsschluss (RdNr. 11).Das Urteil der Vorinstanz hatte offensichtlich keine Feststellungen dazu enthalten, mit welcher Schadenshöhe bei Vertragsschluss zu rechnen war. Durch diesen Kniff konnte der BGH auf eine Zurückverweisung verzichten. Auch, wenn es letztlich zulässig sein kann, für die Bezifferung des Gefährdungsschadens auf den später eingetretenen tatsächlichen Schaden abzustellen, solltest Du ganz deutlich machen, dass Du weißt, dass sich ein Gefährdungsschaden gerade dadurch auszeichnet, dass er sich nicht realisieren muss.

10. A könnte sich neben dem Eingehungsbetrug im Hinblick auf die eingelösten Lastschriften auch des Erfüllungsbetrugs in 78 Fällen strafbar gemacht haben (§ 263 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

Realisiert sich der in dem Eingehungsbetrug angelegte Gefährdungsschaden später, so stellt sich die Frage, ob ein einheitlicher Betrug oder mehrere Betrugstaten vorliegen. Wenn sich der Gefährdungsschaden später realisiert, ohne dass der Täter weitere Betrugshandlungen vornehmen muss, ist regelmäßig von einem einheitlichen Geschehen auszugehen. Denn dann ist der Eintritt des Schadens nur auf die Tathandlung des Eingehungsbetrugs zurückzuführen und es liegt keine neue Tat vor. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein Mieter bei Vertragsschluss über die Absicht täuscht, die Miete zahlen zu wollen und diese dann tatsächlich einfach nicht zahlt. Beim elektronischen Lastschriftverfahren werden die Lastschriften eines Tages gesammelt und nach Kassenschluss gebündelt an den Zahlungsdienstleister gesendet. A hat somit durch das Einreichen der 78 Zahlungen jeweils konkludent den Anschein erweckt, das System werde vertragsgemäß mit gedeckten Konten genutzt (= Täuschung über Tatsachen) und O hierdurch zu einer irrtumsbedingten Überweisung der veranlasst. O ist hierdurch ein Schaden i.H.v. €300.000 entstanden.

11. Nach Ansicht des BGH hat sich durch die 78 Abbuchungen nur die Tathandlung des Eingehungsbetrugs fortgesetzt. Es handele sich deswegen um eine einheitliche Betrugstat.

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Ja, in der Tat!

Der BGH hat in der vorliegenden Konstellation darauf verwiesen, dass der Eintritt des Schadens in Höhe von €300.000 nur die Fortsetzung der Betrugshandlung bei Vertragsabschluss darstelle. A sei deswegen nur wegen Betruges in einem Fall strafbar. Dies wird in der Literatur durchaus kritisch bewertet (vgl. Heghmanns, ZJS 2024, 431). Denn im Gegensatz zu dem geschilderten Mietenfall musste A hier noch weitere Täuschungen, nämlich die einzelnen Lastschriftzahlungen, vornehmen, um den Schaden eintreten zu lassen. Es erscheint insoweit durchaus naheliegend in der Einreichung der Lastschriften 78 weitere, eigenständige Betrugstaten anzunehmen.

12. Sofern man vertritt, A habe sich durch die Lastschriftzahlungen weitere 78 Mal wegen Betrugs schuldig gemacht, so stellt sich die Frage, in welchem Konkurrenzverhältnis diese Taten zum Eingehungsbetrug stehen.

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Ja!

Liegen sowohl ein Eingehungsbetrug als auch weitere Erfüllungsbetrugstaten vor, so stellt sich auf der Ebene der Konkurrenzen die Frage, wonach der Täter bestraft werden soll. Ist der Erfüllungsbetrug letztlich die Fortsetzung des Eingehungsbetrugs, so tritt der Eingehungsbetrug in der Regel als mitbestrafte Vortat hinter den Erfüllungsbetrug zurück.Die Vorinstanz hat A wegen Betrugs in 78 tateinheitlichen Fällen bestraft. Der BGH nahm dagegen eine einzige, einheitliche Betrugsstraftat an, weil er die 78 Abbuchungen nur als Fortsetzungen des Eingehungsbetrugs qualifizierte (RdNr. 12).

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