Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2022
Einbruch in die Wohnung eines Verstorbenen - Konkurrenz zwischen versuchtem schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl und Wohnungseinbruchsdiebstahl
Einbruch in die Wohnung eines Verstorbenen - Konkurrenz zwischen versuchtem schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl und Wohnungseinbruchsdiebstahl
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T dringt durch das verschlossene Fenster in Rs Einfamilienhaus ein. Sie geht davon aus, dass es bewohnt ist. Sie nimmt ein wertvolles Gemälde mit. Tatsächlich ist der alleinige Bewohner R wenige Tage zuvor gestorben. Alleinerbin E hatte das Haus bislang nur gesichtet, nicht aber ausgeräumt.
Diesen Fall lösen 84,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Einbruch in die Wohnung eines Verstorbenen - Konkurrenz zwischen versuchtem schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl und Wohnungseinbruchsdiebstahl
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T könnte sich des Wohnungseinbruchsdiebstahls strafbar gemacht haben (§§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist Rs Gemälde durch seinen Tod herrenlos geworden, sodass ein Diebstahl ausscheidet (§ 242 Abs. 1 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Auch die Frage, ob ein Erbe Gewahrsamsinhaber ist, bestimmt sich nach den zivilrechtlichen Regelungen.
Nein!
4. Hat T das Bild durch die Mitnahme „weggenommen“ (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
5. Ist die Wohnungseigenschaft des Hauses iSv § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nach der Rechtsprechung des BGH entfallen, weil R zum Zeitpunkt der Tat schon verstorben war?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Hat sich T damit auch des Einbruchs in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung strafbar gemacht (§ 244 Abs. 4 StGB)?
Nein!
7. T hat sich allerdings des versuchten Einbruchs in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung strafbar gemacht (§§ 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
8. Verdrängt der versuchte Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung den vollendeten Wohnungseinbruchsdiebstahl im Wege der Gesetzeskonkurrenz?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Rubinho
7.11.2023, 11:24:56
Die Ausführungen zur Wegnahme verstehe ich so, dass - sofern die Alleinerbin das Haus nicht zumindest gesichtet hätte - eine Wegnahme mangels
Gewahrsamsbruchgescheitert wäre. Ist das richtig? Es erscheint mir unlogisch, dass der Erbe die Wohnung betreten oder sichten muss, um Gewahrsam zu begründen.
Ani
11.1.2024, 09:57:27
Das würde mich auch interessieren. Wie wäre zu entscheiden, wenn die E das Haus noch nicht betreten oder vllt. sogar noch gar nichts vom Tod des Erblassers wusste?
ahimes
27.1.2024, 22:02:45
Dieselbe Frage beschäftigt mich auch. Das alleinige Sichtigen fand ich merkwürdig.
Charliefux
8.4.2024, 16:28:36
Der BGH hat das 2020 folgendermaßen beurteilt: Gewahrsamsinhaber war ja ursprünglich der Tote. Nach dem Tod kann er keinen mehr Gewahrsam haben, da ihm die Fähigkeit fehlt den natürlichen Gewahrsamswillen zu bilden. Der Gewahrsam kann an den Erben über gehen, wenn dieser den Willen zur Sachherrschaft hat. (Im Falle der in der Wohnung befindlichen Gegenstände kann man den über die Zugänglichkeit bzw Schlüsselinhaberschaft begründen) In diesem Fall wäre von einem generellen Gewahrsam auszugehen (also alle Gegenstände in der Wohnung) ,da sich der Herrschaftswille des Erben auf den gesamten Nachlass und somit auf die gesamte Wohnung und dessen Bestandteile erstreckt. Eine genaue Kenntnis über den Inhalt der im Gewahrsam stehenden Sachen ist nicht erforderlich. Jedoch übt der Erbe keine tatsächliche Sachherrschaft über die Sachen aus. Solange aber die grundsätzliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache besteht, das heißt, dass der Gewahrsamsinhaber die Möglichkeit hat, ohne Hindernisse das Gewahrsam ausüben zu können (bsp. durch Wohnungsschlüssel) und den grundsätzlichen Herrschaftswillen über die Sache hat, kann die Sachherrschaft aufgrund einer
Gewahrsamslockerungangenommen werden. Auch wenn der Erbe keine tatsächliche Sachherrschaft ausübt, hat er Willen zur Sachherrschaft an den Sachen, die sich im Nachlass der Wohnung des befinden. Damit kann der Dieb diesen Gewahrsam dann brechen. Sofern der Erbe nicht weiß, dass der Erbfall eingetreten ist, kann er auch kein
gelockerter Gewahrsambestehen, der WILLE zur Sachherrschaft fehlt ja. Hoffe das hilft :) Hier gehts zum BGH Beschluss: BGH, Beschluss vom 22.1.2020 – 3 StR 526/19
Sambajamba10
14.4.2024, 16:11:25
Wie @[Charliefux](56873) bereits ausgeführt hat, ist dies auch logisch. Gewahrsam besteht objektiv aus einer tatsächlichen Sachherrschaft und subjektiv aus einem Herrschaftswillen. Diese kann ein Toter nicht mehr ausüben. Der Erbe wird zwar zivilrechtlich mit dem Todesfalle Besitzer (§ 857 BGB), allerdings ist der Gewahrsamsbegriff nicht zivilrechtsakzessorisch, sondern enger als der Besitz im Zivilrecht. Das lässt sich bspw. Daran erkennen, dass das Strafrecht die §§ 855, 868 BGB so nicht kennt. Mit dem Todesfall hat auch der Erbe zunächst keine Sachherrschaft. Er muss diese erst bspw. durch einen Hausbesuch dokumentiert haben. Daraufhin entsteht bei ihm Gewahrsam, der durch den Dieb gebrochen werden kann.
Timurso
12.9.2024, 16:43:43
Eine kurze Anmerkung zu den guten Ausführungen meiner beiden Vorredner/innen: Selbst wenn der Diebstahl ausscheidet, macht der Täter sich natürlich dennoch der Unterschlagung strafbar. Somit ist der Erbe auch nicht schutzlos gestellt. Nur falls das irgendjemand nicht auf dem Schirm gehabt haben sollte.
as.mzkw
12.10.2024, 14:24:11
@[Timurso](197555) zudem bleibt die Versuchsstrafbarkeit nach den §§ 242 ff. StGB ja auch erhalten, da T sich ja vorstellte Gewahrsam zu brechen - so oder so kommt es mithin nicht zu Strafbarkeitslücken
Sebastian Schmitt
14.10.2024, 17:47:06
Hallo @[Rubinho](135006), Du hast bereits viele gute und richtige Hinweise zu Deiner Frage bekommen, insbesondere von @[Sambajamba10 ](197381). Die Ausführungen von @[Charliefux](56873) klingen ebenfalls einleuchtend, auch wenn ich sie der angegebenen Entscheidung des BGH offen gesagt nicht entnehmen konnte, weil es da nach meinem Eindruck nahezu ausschließlich um den Wohnungsbegriff ging. Von meiner Seite daher nur abschließend zu Deiner Frage: So ist es tatsächlich. Solange der Erbe das Haus nicht tatsächlich gesichtet hat, wird man mangels tatsächlicher Besitzergreifung keinen Gewahrsam des Erben annehmen können. Es fehlt nämlich dann an einem vom tatsächlichen Willen getragenen Herrschaftsverhältnis bzw, wie es schon das RG ausgedrückt hat, an einer "Bemächtigung" durch den Erben (RGSt 58, 228, 229). Besonders deutlich dürfte das in denjenigen Fällen sein, in denen der Erbe nicht einmal von seiner Erbenstellung und/oder von der Wohnung und den darin befindlichen Gegenständen weiß. Über dieses Ergebnis kann man natürlich diskutieren. Nach dem vorherrschenden Gewahrsamsbegriff scheint es aber in Literatur und Rspr erstaunlich wenig umstritten (s zB BeckOK-StGB/Wittig, 62. Ed, Stand 1.8.24, § 242 Rn 12; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl 2023, § 242 Rn 8a; Epik, JA 2023, 823, 824). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
G0d0fMischief
22.7.2024, 14:44:41
Kann man eine dauerhaft genutzte Wohnung annehmen, wenn der Erbe vorhat die Wohnung zu beziehen und zwischen dem Tod des Erblassers und dem Einzug durch den Erben nur ein kurzer Zeitraum liegt? Eine
dauerhaft genutzte Privatwohnungliegt ja dann vor, wenn der Nutzer die Wohnung regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg aufsucht und als Wohnung nutzt. Hier wäre ja keine Personenidentität gegeben, jedoch würde ja dennoch weiterhin der Nutzer (bzw. der Berechtigte) die Wohnung als solche regelmäßig nutzen.
Timurso
12.9.2024, 16:52:18
Halte ich für schwierig. Ich finde ein Erlöschen der Eigenschaft als
dauerhaft genutzte Privatwohnungmit dem Tod und ein Wiederaufleben mit dem Einzug des Erben deutlich überzeugender. Ansonsten würde dieses Tatbestandsmerkmal alleine von den subjektiven Vorstellungen eines Dritten abhängen und wäre weder für den Täter noch für die Strafverfolgung sinnvoll zu erkennen. Dogmatisch würde ich das daran aufhängen, dass die Wohnung nach dem Wortlaut "genutzt" sein muss. Also im Tatzeitpunkt genutzt. Zwischen Tod des Bewohners und Einzug des Erben ist das jedoch nicht der Fall, da ist die Nutzung lediglich geplant.
Timurso
12.9.2024, 16:55:34
Der Irrtum der T darüber, dass nicht der Verstorbene, sondern der Erbe den Gewahrsam an dem Bild innehat, wäre als wegen Gleichwertigkeit unbeachtlicher
error in personaeinzuordnen, richtig?
as.mzkw
12.10.2024, 14:25:34
Ich denke ja, zumal T ja nur davon ausgeht, dass (!) das Haus bewohnt ist, ohne sich konkrete Gedanken darüber zu machen von welcher Person genau.
Sebastian Schmitt
14.10.2024, 17:50:28
Hallo @[Timurso](197555), hallo @[as.mzkw](244917), das klingt mir alles sehr plausibel, so sehe ich es auch! Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Pilea
18.9.2024, 08:45:53
Der Vollständigkeit halber würde ich in die Prüfung des Versuchs die Feststellung des nicht erfolgten Rücktritts aufnehmen.
Sebastian Schmitt
28.9.2024, 21:36:16
Hallo @[Pilea ](189001), man kann dazu sicherlich einen Satz schreiben, falsch ist das nicht. Ich sehe aber keinen Grund, warum man das zwingend tun muss. Wir haben hier nicht einmal ein Verhalten der T, an das wir theoretisch für einen Rücktritt anknüpfen könnten. Sie steigt in das Haus ein und nimmt ein Bild mit, das wars. Keine Änderung des Tatplans, keinerlei Maßnahmen, die den Erfolgseintritt in irgendeiner Form verhindern oder rückgängig machen sollen. ME ist der Rücktritt hier so fernliegend, dass er auch einfach unerwähnt bleiben kann. Vielen Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Pilea
29.9.2024, 08:47:29
Ja, da spricht auch viel für! Ich denke, dass der Rücktritt ein oft vergessenes TBMerkmal ist, sodass es sich mit Erwähnung mehr einschleifen würde. Aber ich verstehe auch eure Ansicht dazu. :)
Shei
21.10.2024, 18:30:00
Kam heute etwas abgewandelt in Berlin dran
Linne_Karlotta_
22.10.2024, 17:07:00
Hallo Shei, vielen Dank für Deinen Hinweis! Es ist großartig zu hören, dass einer unserer Fälle tatsächlich im Examen dran kam. Wir haben diese Information notiert und werden sie in unserer App entsprechend kennzeichnen, um die Examensrelevanz für die Community sichtbar zu machen. Deine Rückmeldung hilft uns, die Vorbereitung für alle Nutzer zielgerichteter zu gestalten und die Qualität unserer Inhalte stetig zu verbessern. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald die Kennzeichnung in der App sichtbar ist. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team