Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Verwaltungsvollstreckung

Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßmahme 1

Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßmahme 1

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A parkt sein Auto vor einem abgesenkten Bordstein. Behörde B lässt das Auto nach 30 Minuten Wartezeit durch ein privates Unternehmen (U) abschleppen. Auf dem Armaturenbrett des Autos lag ein Zettel mit As Handynummer und dem Hinweis, er wäre bei Problemen schnell vor Ort.

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Einordnung des Falls

Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßmahme 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Rechtsgrundlage für Bs Maßnahme ist § 6 Abs. 1 VwVG.

Nein!

Der Verwaltungszwang gemäß § 6 Abs. 1 VwVG setzt einen wirksamen Grundverwaltungsakt voraus, welcher unanfechtbar oder sofort vollziehbar ist oder gegen den ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Hat die Behörde keinen Grundverwaltungsakt erlassen, kommt eine Vollstreckungsmaßnahme im Sofortvollzug gemäß § 6 Abs. 2 VwVG in Betracht. B hat das Auto des A abschleppen lassen, ohne vorher einen entsprechenden Verwaltungsakt gegenüber A zu erlassen. Die Vollstreckungsmaßnahme erfolgte daher im Sofortvollzug gemäß § 6 Abs. 2 VwVG.
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2. B hat sich für das Zwangsmittel der Ersatzvornahme entschieden.

Genau, so ist das!

Die Behörde kann im Rahmen der Ersatzvornahme (§ 10 VwVG) einen Dritten mit der Vornahme einer Handlung beauftragen und im nächsten Schritt dem Pflichtigen die Kosten auferlegen. Die Ersatzvornahme kommt nur bei vertretbaren Handlungen in Betracht, also solchen, die durch Dritte ausgeführt werden können. Bei höchstpersönlichen Handlungen dagegen ist eine Ersatzvornahme nicht möglich. Das Versetzen des Fahrzeugs ist durch Dritte möglich (= vertretbare Handlung). Durch Us Beauftragung hat B eine Ersatzvornahme durchgeführt. Man könnte auf den ersten Blick eine unvertretbare Handlung annehmen, weil nur A das Auto umparken kann. Die Ersatzvornahme richtet sich aber nur darauf, dass das Auto versetzt wird. Auf welche Weise dies geschieht, ist unerheblich und könnte dem Pflichtigen durch die Behörde auch gar nicht vorgeschrieben werden.

3. Bei der Wahl des Zwangsmittels muss die Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.

Ja, in der Tat!

Egal, ob das Zwangsmittel im gestreckten Verfahren (§ 6 Abs. 1 VwVG) oder im Sofortvollzug (§ 6 Abs. 2 VwVG) angewendet wird, muss dieses verhältnismäßig sein (vgl. § 9 Abs. 2 VwVG). Dies muss die Behörde sowohl bei Ausübung ihres Auswahlermessens zwischen den zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln, als auch bei der konkreten Anwendung des jeweiligen Zwangsmittels, beachten.

4. Weil A seine Telefonnummer und die Nachricht in seinem Auto hinterlassen hat, ist die Ersatzvornahme durch B nicht erforderlich.

Nein!

Die Wahl und die konkrete Anwendung des Zwangsmittels muss verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen muss und es möglichst so zu bestimmten ist, dass der Betroffene und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden (vgl. § 9 Abs. 2 VwVG). Mit dieser Formulierung wird letztlich eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert: (1) Legitimer Zweck, (2) Geeignetheit, (3) Erforderlichtkeit, (4) Angemessenheit. Der Zweck, nämlich die Verletzung von § 12 Abs. 3 StVO zu beenden, kann am zuverlässigsten mit dem sofortigen Abschleppen erreicht werden. P muss gerade nicht erst A anrufen, weil damit der Zweck der Maßnahme nicht unmittelbar erreicht würde.

5. Die Ersatzvornahme ist aber unangemessen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Abwägung zwischen der Belastung des Betroffenen der Ersatzvornahme und der Effektivität der Gefahrenabwehr kann in Einzelfällen dazu führen, dass die Behörde zumindest eine Weile abwarten muss, bevor sie das Zwangsmittel anwendet. Die Annahme, die Behörde müsste dem Pflichtigen aktiv hinterher telefonieren geht jedoch über ein solches Abwarten hinaus und kann nicht erwartet werden. B hat hier 30 Minuten gewartet, bevor sie As Auto hat abschleppen lassen. Der andauernde Verkehrsverstoß des A führt zu einer geringeren Schutzwürdigkeit seiner Belange. Weiterhin besteht keine Pflicht der B, den A vor der Beauftragung des Abschleppunternehmens aktiv zu kontaktieren. Dies würde die Funktionalität der Gefahrenabwehr gefährden. Die Ersatzvornahme ist verhältnismäßig. In der Klausur liegt hier meist der Schwerpunkt, also argumentiere so viel wie möglich. Schau Dir als Beispiel mal den verlinkten Originalfall an!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PETE

Peter

24.1.2024, 18:05:33

aber hier ist die Entscheidung nachzulesen: https://www.bverwg.de/090414U3C5.13.0 :-)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.1.2024, 17:15:19

Hallo Peter, super - danke dir für den Hinweis! Wir haben sie nun auch in den Hinweisen zur Aufgabe ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ABA

Al Bandy

1.2.2024, 22:30:32

Zur Klarstellung könntet ihr eventuell ergänzen, dass der Bedienstete tatsächlich (vergeblich) versucht hat, den Falschparker zu erreichen. So war es auch im Originalfall :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.2.2024, 17:02:35

Hallo Luca, in der Tat war im Originalfall ein vergeblicher Kontaktanruf vorausgegangen - dieser ist allerdings nicht zwingend. Nach der st. Rechtsprechung des BVerwG ist das Abschleppen nur dann unverhältnismäßig wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Verantwortliche kurzfristig wieder am Fahrzeug erscheinen und es unverzüglich selbst entfernen wird. Allein das Auslegen eines Zettels mit der Angabe einer Telefonnummer reicht beispielsweise regelmäßig nicht, da dann nicht klar wird, wann der Fahrer eintreffen wird und kein Bezug zur konkreten Situation besteht (vgl. zB Oberverwaltungsgericht Hamburg: Urteil vom 14.08.2001 – 3 Bf 429/00 = https://www.iww.de/quellenmaterial/id/2527). Letztlich ist es aber - wie immer bei der Prüfung der Angemessenheit - eine Frage der konkreten Fallumstände. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ABA

Al Bandy

5.2.2024, 21:43:09

Vielen Dank!

ALE

Aleks_is_Y

6.3.2024, 11:44:28

Vielen Dank für deine Antwort und Klarstellung Lukas! Ich bin aber trotzdem noch ein wenig verwirrt, weil in der Aufgabe auch konkret steht, dass der Fahrer bei Anruf in "3 Minuten" zurück wäre. Im konkreten Fall erscheint das Abschleppen nach 30 Minuten zu warten ohne den Versuch einer Kontaktaufnahme zumindest zweifelhaft. Vielleicht könnte die Aufgabe in dieser Hinsicht tatsächlich präzisiert werden, damit die Verhältnissmäßigkeit deutlicher zu Tage tritt.

TO

Tom98

6.6.2024, 13:47:32

30 Minuten da rumstehen und warten, ohne jeglichen Anhaltspunkt, ob und wann die Person zurückkommt ist also angemessener, als kurz anzurufen? Naja…Klingt für mich nach Behördenlogik

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

3.9.2024, 13:24:34

Hallo Tom, danke für deinen Hinweis. Bei der Frage der Angemssenheit geht es nicht darum, ob das Verhalten der Behörde „zweckmäßig“ ist. Sondern lediglich, ob das gewählte Verhalten auf unverhältnismäßige Weise in die Rechte des Adressaten eingreift. Die Frage, ob die Behörde den Halter des Fahrzeugs hätte anrufen müssen, ist allein eine Frage der der Erforderlichkeit. Also: Musste die Behörde anrufen, weil das ein milderes, gleichgeeignetes Mittel ist im Vergleich zum Abschleppen ohne vorherigen Anruf war? Dies wird hier aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr verneint. Dass die Behörde vorher 30 Minuten gewartet hat, ist für die Frage, ob das Abschleppen als solches erforderlich war, nicht von Bedeutung. (Es könnte im Prozess ggf. lediglich ein Anhaltspunkt für die Bewertung der Gefahrenlage sein.) Aus einer „praktischen“ Betrachtung verstehe ich Deine Anmerkung natürlich, aber die rechtlich richtige Argumentation ist ja (leider) häufig nicht die praktikabelste ;) Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

jeci

jeci

12.7.2024, 16:02:05

Im Sachverhalt steht "abschleppen". Darunter würde ich jetzt verstehen, dass das Fahrzeug auf den Hof des Abschleppunternehmens verbracht wird. Tatsächlich kann es beim Parken vor einem abgesenkten Bordstein aber ggf. ausreichen, das Fahrzeug verkehrsgemäß an eine andere Stelle umzusetzen. Dies bleibt hier im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vollkommen unberücksichtigt.

jeci

jeci

12.7.2024, 16:02:31

Im Sachverhalt steht "abschleppen". Darunter würde ich jetzt verstehen, dass das Fahrzeug auf den Hof des Abschleppunternehmens verbracht wird. Tatsächlich kann es beim Parken vor einem abgesenkten Bordstein aber ggf. ausreichen, das Fahrzeug verkehrsgemäß an eine andere Stelle umzusetzen. Dies bleibt hier im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vollkommen unberücksichtigt.

jeci

jeci

12.7.2024, 16:02:52

Im Sachverhalt steht "abschleppen". Darunter würde ich jetzt verstehen, dass das Fahrzeug auf den Hof des Abschleppunternehmens verbracht wird. Tatsächlich kann es beim Parken vor einem abgesenkten Bordstein aber ggf. ausreichen, das Fahrzeug verkehrsgemäß an eine andere Stelle umzusetzen. Dies bleibt hier im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vollkommen unberücksichtigt.

Ala

Ala

12.9.2024, 12:02:26

Könnte man die Rechtmäßigkeit des

Sofortvollzug

s an der Voraussetzung des § 6 II VwVG „zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig“ scheitern lassen?


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