Zivilrecht

Sachenrecht

Der Besitzschutz

Anspruch gegen den bösgläubigen Besitzer gem. § 1007 Abs. 1 BGB

Anspruch gegen den bösgläubigen Besitzer gem. § 1007 Abs. 1 BGB

6. Juli 2025

23 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Arbeitgeber A überlässt seinem Arbeitnehmer N einen Dienstwagen zu rein dienstlichen Zwecken. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gibt N den Wagen nicht an A heraus. A fordert den Wagen zurück.

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Einordnung des Falls

Anspruch gegen den bösgläubigen Besitzer gem. § 1007 Abs. 1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses war N Besitzer des Dienstwagens.

Nein, das trifft nicht zu!

Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen (subjektives Element) getragene tatsächliche Sachherrschaft (objektives Element) über eine Sache. Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, ist Besitzdiener (§ 855 BGB).N ist als Angestellter den Weisungen des A unterworfen und damit Besitzdiener. Ein Besitzdiener ist kein Besitzer. Besitzer war allein A.
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2. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses hatte A jederzeit einen Herausgabeanspruch gegen N (§ 1007 Abs. 1 BGB).

Nein!

Der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Früherer Besitz des Anspruchstellers an beweglicher Sache, (2) jetziger Besitz des Anspruchsgegners, (3) Bösgläubigkeit des Anspruchsgegners bei Besitzerwerb, (4) kein Ausschluss des Anspruchs nach § 1007 Abs. 3 BGB.Diese Voraussetzungen liegen nicht vor: A ist nicht "früherer Besitzer", sondern weiterhin alleiniger Besitzer. Und N hat als Besitzdiener keinerlei Besitz am Wagen.

3. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat N Besitz am Firmenwagen erworben.

Genau, so ist das!

Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen (subjektives Element) getragene tatsächliche Sachherrschaft (objektives Element) über eine Sache.Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegt kein Weisungsverhältnis (§ 855 BGB) zwischen A und N mehr vor. N ist nicht mehr Besitzdiener des A, da er die tatsächliche Sachherrschaft nicht mehr für A ausübt. Indem er mit dem Wagen davonfährt, hat er einen eigenen natürlichen Herrschaftswillen gebildet.

4. N war bei Besitzerwerb bösgläubig im Sinne des § 1007 Abs. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Bösgläubigkeit liegt nach der Wertung des § 932 Abs. 2 BGB vor, wenn der Anspruchsgegner das Fehlen eines gegenüber dem Anspruchsteller wirkenden Besitzrechts kannte oder grob fahrlässig verkannt hat (§ 932 Abs. 2 BGB).Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte N nicht mehr von einem Recht zum Besitz gegenüber A ausgehen. N war daher bösgläubig.

5. A hat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Herausgabenanspruch gegen N (§ 1007 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Früherer Besitz des Anspruchstellers an beweglicher Sache, (2) jetziger Besitz des Anspruchsgegners, (3) Bösgläubigkeit des Anspruchsgegners bei Besitzerwerb, (4) kein Ausschluss des Anspruchs nach § 1007 Abs. 3 BGB. A war ursprünglich Besitzer des Dienstwagens. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde N Besitzer. N war bei Besitzerwerb bösgläubig. Der Anspruch ist weder nach § 1007 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB (Bösgläubigkeit des Anspruchstellers bei Besitzerwerb), noch nach § 1007 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BGB (freiwillige Besitzaufgabe), noch nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB (derzeitiges Besitzrecht des jetzigen Besitzers) ausgeschlossen.

6. Der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB ist ein petitorischer Anspruch.

Genau, so ist das!

Bei petitorischen Ansprüchen kommt es auf ein Recht zum Besitz an. Dies unterscheidet den petitorischen Anspruch (§ 1007 BGB) von den possessorischen Ansprüchen (§§ 861, 862 BGB): Die possessorischen Ansprüche resultieren alleine aus dem faktischen Besitz. Dies erklärt sich aus einem unterschiedlichen Regelungszweck: Petitorische Ansprüche regeln die Besitzlage endgültig, während possessorische Ansprüche die Besitzverhältnisse nur vorläufig regeln.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Willenserklärer

Willenserklärer

15.4.2020, 12:56:51

Ich weiß, dass 861 ein poss. Anspruch (vorläufige Klärung der Besitzverhältnisse) und 1007 ein petit. Anspruch (endgültige Regelung derselben) ist. Allerdings nur, weil ich das so gelesen/gelernt habe. Aus dem Gesetz heraus wird mir das nicht klar. Was ist denn die teleologische oder systematische Begründung/Herleitung und welchen praktischen Vorteil hat die Unterscheidung?

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

15.4.2020, 14:18:58

Hi, spannende Frage! Systematisch:

Possesorisch

e Ansprüche sind im Buch 3, Abschnitt 1 (Besitz) geregelt.

Petitorische Ansprüche

hingegen Buch3, Abschnitt 3, Titel 4 (Ansprüche aus Eigentum). Beide Ansprüche unterscheiden sich in den Anspruchsvoraussetzungen: §§ 861, 862 setzen

verbotene Eigenmacht

gegen den Besitzer voraus (

§ 858 BGB

), der Anspruch aus § 1007 Abs. 1 und 2 hingegen nicht (die genauen Voraussetzungen sind nach den beiden Ansprunchsgrundlagen in Abs. 1 und Abs. 2 verschieden).

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

15.4.2020, 14:19:15

Wesentlicher praktischer Unterschied ist, dass die

possesorisch

en Ansprüche im einstweiligen zivilprozessualen Rechtsschutz nicht die

Glaubhaftmachung

eines

Verfügungsgrund

es erfordern. Man kann also mit dem "blanken" materiellen Anspruch einstweiligen Rechtsschutz in Form einer einstweiligen (Leistungs-)Verfügung bekommen. Das liegt daran, dass diese schnell und unmittelbar durchsetzbar sein sollen (vgl.

§ 863 BGB

) und der Anspruchsteller sich auch im Wege der Selbsthilfe den Besitz wiederverschaffen könnte. Das soll durch die Inanspruchnahme der Gerichte nicht verschlechtert werden. Ergo: Possessorische Ansprüche sind prozessual schnell durchsetzbar (wichtig z.B. wenn der Vermieter im Winter die Fenster aushängt).

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

15.4.2020, 14:19:32

Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

24.2.2022, 20:03:15

Aber hat N nicht auch den Besitz durch

verbotene Eigenmacht

erlangt, sodass A auch aus 861 herausverlangen könnte?

JO

jomolino

14.3.2022, 15:29:14

Könntet ihr noch Aufgaben ergänzen die stärker auf die einzelnen Voraussetzungen der possessorischen wie petitorischen Ansprüche eingehen, und nicht nur (wie in einigen Fällen den Anspruch als solchen abfragen. Gut wäre auch eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Voraussetzungen, vielleicht durch eine zuordnungsaufgabe?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2022, 11:06:38

Lieben Dank für den Hinweis, nomamo. Gerne werden wir hierzu noch einige Fälle ergänzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

cjackson94

cjackson94

8.12.2022, 17:21:55

Hier wird bei der

Bösgläubigkeit

auf § 932 II BGB verwiesen. Da bezieht sich doch die

Bösgläubigkeit

auf die Eigentümerstellung. Müsste man nicht eher auf § 990 I BGB verweisen? Da bezieht sich ja die

Bösgläubigkeit

bzw. Gutgläubigkeit auf die fehlende Besitzberechtigung wie im vorliegenden Fall.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.12.2022, 19:03:45

Hallo cjackson94, bei der

Bösgläubigkeit

sind immer drei Punkte zu prüfen. Bezugspunkt, Zeitpunkt, Maßstab. Während die ersten beiden Punkte sich bei § 990 Abs. 1 BGB und § 932 Abs. 2 BGB unterscheiden, wird der Maßstab von § 932 Abs. 2 BGB festgelegt. § 990 Abs. 1 BGB definiert einen anderen Bezugspunkt (

Besitzrecht

) und Zeitpunkt (zwei verschiedene). Einen eigenen Maßstab legt die Norm aber nicht fest. Generell gilt, dass im Zivilrecht - wenn keine eigene Definition besteht häufig auf die Definition aus § 932 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden kann. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

cjackson94

cjackson94

8.12.2022, 19:05:53

Danke für die schnelle Antwort! :)

EVA

evanici

14.9.2023, 14:07:37

Und ein Herausgabeanspruch vor

Beendigung

des Arbeitsverhältnisses würde sich dann woraus ergeben? Aus dem Arbeitsvertrag? Oder ggf. aus einem

konkludent

geschlossenen Verwahrungsvertrag zwischen A und N? Oder tatsächlich gar nicht?

Jakob G.

Jakob G.

3.5.2025, 19:25:26

Arbeitsvertrag oder bei Regelungslücken hilfsweise Direktionsrecht, § 106 GewO. Wobei ich der Terminologie des Herausgabeanspruchs gegen

Besitzdiener

*innen insoweit kritisch gegenüberstehe, als diese ja im rechtlichen Sinne nichts "in der Kralle (= uBes)" haben, was "heraus" gegebenwerden kann - weil sie ja weisungsgebunden und sozial abhängig sind.

JI

Jimmy105

6.9.2024, 17:22:29

Zur Klarstellung, der Besitz wird nicht dadurch (automatisch) erworben, dass das Arbeitsverhältnis erlischt, sondern erst dadurch, dass der Arbeitnehmer (durch sein Verhalten) zum Ausdruck bringt sich die Besitzposition anmaßen zu wollen, also die

Besitzdienerschaft

gerade nicht (mehr) anerkennt? Der Besitz wird also dadurch begründet, dass er keinen Fremd

besitzwille

n mehr hat, sondern nunmehr Eigen

besitzwille

n, oder verstehe ich das falsch?

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

6.9.2024, 20:12:24

Der Arbeitnehmer hatte nie Fremd

besitzwille

n gegenüber seinem Arbeitgeber, denn es bestand gerade kein

Besitzmittlungsverhältnis

im Sinne des §

868 BGB

. Aufgrund der Weisungsbefugnis innerhalb des Arbeitsverhältnisses lag hier eine

Besitzdienerschaft

vor,

§ 858 BGB

. Wäre beispielsweise eine leihe vereinbart gewesen wäre es, wie du beschrieben hast. Mit dem ersten Teil deiner Frage liegst du aber richtig: Indem der Arbeitnehmer, das

Fahrzeug

nicht herausgegeben hat, hat er sich zum Eigenbesitzer, § 854 BGB, auf geschwungen.

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

6.9.2024, 20:13:13

Am Ende meinte ich natürlich den zweiten Teil deiner Frage. 

JI

Jimmy105

6.9.2024, 22:18:39

Ich bin da terminologisch durcheinander gekommen mit dem "

Besitzdiener

willen". Es ging ja um die Frage ob er "für einen anderen" oder für sich selbst besitzen wollte. Die (nicht mehr vorhandene) Weisungsgebundenheit hatte ich dabei unterstellt. Danke dir und LG

Jakob G.

Jakob G.

3.5.2025, 19:12:50

Ich bin mir nicht sicher, ob es der Terminologie des "

Besitzdiener

willens" bedarf, soweit hiermit eine rein internes voluntatives Element gemeint ist. Vielmehr ist soziale Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit in Bezug auf die Sache erforderlich für

Besitzdienerschaft

. Vgl. Jacoby/von Hinden § 855 Rn. 3 (17.A): "Ein entgegenstehender innerer Wille des

Besitzdiener

s ist unbeachtlich (BGHZ 8, 130; "Fund" durch

Besitzdiener

in als Angestellte im Theater). Bringt der

Besitzdiener

jedoch erkennbar zum Ausdruck, nicht mehr für den Besitzherrn besitzen zu wollen, so verliert dieser seinen Besitz. Zum

Abhandenkommen

bei

Besitzdienerschaft

vgl § 935 Rz 3."

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

27.2.2025, 11:07:08

Warum genau liegt hier kein BMV vor? Ich hätte ein solches hier angenommen in Gestalt einer Art Überlassungsvertrages. Es kommt aber anscheinend auf den Willen an? Wieso will er hier das Auto nicht für den Arbeitgeber besitzen?

LELEE

Leo Lee

28.2.2025, 12:33:53

Hallo MensclicherBriefkasten, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könne man hier meinen, es läge ein BMV vor. Jedoch gilt es zu beachten, dass zwei entscheidende Aspekte fehlen: 1. Bei einem BMV ist i.d.R. nötig, dass ein Vertragsverhältnis besteht, vermöge dessen der

Besitzmittler

(also das wäre der N) einen EIGENEN Besitz eingeräumt bekommt (etwa beim Mietvertrag der Mieter). Allerdings war es hier so, dass der A weiterhin Besitzer bleibt und der N eben nicht unmittelbare Besitzer, sondern lediglich

Besitzdiener

i.S.d. 855 wird. Weiterhin ist ein Besitzmittlungswille - also der Wille des N, FÜR den A zu besitzen - ebenfalls abzulehnen, da N durch die Nichtrückgabe vielmehr den Willen, für sich SELBST zu besitzen, ausgedrückt hat. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, F. Schäfer § 868 Rn. 11 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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