Zivilrecht
Sachenrecht
Der Besitzschutz
Anspruch gegen den bösgläubigen Besitzer gem. § 1007 Abs. 1 BGB
Anspruch gegen den bösgläubigen Besitzer gem. § 1007 Abs. 1 BGB
6. Juli 2025
23 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Arbeitgeber A überlässt seinem Arbeitnehmer N einen Dienstwagen zu rein dienstlichen Zwecken. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gibt N den Wagen nicht an A heraus. A fordert den Wagen zurück.
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Einordnung des Falls
Anspruch gegen den bösgläubigen Besitzer gem. § 1007 Abs. 1 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses war N Besitzer des Dienstwagens.
Nein, das trifft nicht zu!
2. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses hatte A jederzeit einen Herausgabeanspruch gegen N (§ 1007 Abs. 1 BGB).
Nein!
3. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat N Besitz am Firmenwagen erworben.
Genau, so ist das!
4. N war bei Besitzerwerb bösgläubig im Sinne des § 1007 Abs. 1 BGB.
Ja, in der Tat!
5. A hat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Herausgabenanspruch gegen N (§ 1007 Abs. 1 BGB).
Ja!
6. Der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB ist ein petitorischer Anspruch.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Willenserklärer
15.4.2020, 12:56:51
Ich weiß, dass 861 ein poss. Anspruch (vorläufige Klärung der Besitzverhältnisse) und 1007 ein petit. Anspruch (endgültige Regelung derselben) ist. Allerdings nur, weil ich das so gelesen/gelernt habe. Aus dem Gesetz heraus wird mir das nicht klar. Was ist denn die teleologische oder systematische Begründung/Herleitung und welchen praktischen Vorteil hat die Unterscheidung?
Stefan Thomas Neuhöfer
15.4.2020, 14:18:58
Hi, spannende Frage! Systematisch:
Possesorische Ansprüche sind im Buch 3, Abschnitt 1 (Besitz) geregelt.
Petitorische Ansprüchehingegen Buch3, Abschnitt 3, Titel 4 (Ansprüche aus Eigentum). Beide Ansprüche unterscheiden sich in den Anspruchsvoraussetzungen: §§ 861, 862 setzen
verbotene Eigenmachtgegen den Besitzer voraus (
§ 858 BGB), der Anspruch aus § 1007 Abs. 1 und 2 hingegen nicht (die genauen Voraussetzungen sind nach den beiden Ansprunchsgrundlagen in Abs. 1 und Abs. 2 verschieden).
Stefan Thomas Neuhöfer
15.4.2020, 14:19:15
Wesentlicher praktischer Unterschied ist, dass die
possesorischen Ansprüche im einstweiligen zivilprozessualen Rechtsschutz nicht die
Glaubhaftmachungeines
Verfügungsgrundes erfordern. Man kann also mit dem "blanken" materiellen Anspruch einstweiligen Rechtsschutz in Form einer einstweiligen (Leistungs-)Verfügung bekommen. Das liegt daran, dass diese schnell und unmittelbar durchsetzbar sein sollen (vgl.
§ 863 BGB) und der Anspruchsteller sich auch im Wege der Selbsthilfe den Besitz wiederverschaffen könnte. Das soll durch die Inanspruchnahme der Gerichte nicht verschlechtert werden. Ergo: Possessorische Ansprüche sind prozessual schnell durchsetzbar (wichtig z.B. wenn der Vermieter im Winter die Fenster aushängt).
Stefan Thomas Neuhöfer
15.4.2020, 14:19:32
Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan
ehemalige:r Nutzer:in
24.2.2022, 20:03:15
Aber hat N nicht auch den Besitz durch
verbotene Eigenmachterlangt, sodass A auch aus 861 herausverlangen könnte?
jomolino
14.3.2022, 15:29:14
Könntet ihr noch Aufgaben ergänzen die stärker auf die einzelnen Voraussetzungen der possessorischen wie petitorischen Ansprüche eingehen, und nicht nur (wie in einigen Fällen den Anspruch als solchen abfragen. Gut wäre auch eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Voraussetzungen, vielleicht durch eine zuordnungsaufgabe?

Lukas_Mengestu
15.3.2022, 11:06:38
Lieben Dank für den Hinweis, nomamo. Gerne werden wir hierzu noch einige Fälle ergänzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
cjackson94
8.12.2022, 17:21:55
Hier wird bei der
Bösgläubigkeitauf § 932 II BGB verwiesen. Da bezieht sich doch die
Bösgläubigkeitauf die Eigentümerstellung. Müsste man nicht eher auf § 990 I BGB verweisen? Da bezieht sich ja die
Bösgläubigkeitbzw. Gutgläubigkeit auf die fehlende Besitzberechtigung wie im vorliegenden Fall.

Nora Mommsen
8.12.2022, 19:03:45
Hallo cjackson94, bei der
Bösgläubigkeitsind immer drei Punkte zu prüfen. Bezugspunkt, Zeitpunkt, Maßstab. Während die ersten beiden Punkte sich bei § 990 Abs. 1 BGB und § 932 Abs. 2 BGB unterscheiden, wird der Maßstab von § 932 Abs. 2 BGB festgelegt. § 990 Abs. 1 BGB definiert einen anderen Bezugspunkt (
Besitzrecht) und Zeitpunkt (zwei verschiedene). Einen eigenen Maßstab legt die Norm aber nicht fest. Generell gilt, dass im Zivilrecht - wenn keine eigene Definition besteht häufig auf die Definition aus § 932 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden kann. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
cjackson94
8.12.2022, 19:05:53
Danke für die schnelle Antwort! :)
evanici
14.9.2023, 14:07:37
Und ein Herausgabeanspruch vor
Beendigungdes Arbeitsverhältnisses würde sich dann woraus ergeben? Aus dem Arbeitsvertrag? Oder ggf. aus einem
konkludentgeschlossenen Verwahrungsvertrag zwischen A und N? Oder tatsächlich gar nicht?

Jakob G.
3.5.2025, 19:25:26
Arbeitsvertrag oder bei Regelungslücken hilfsweise Direktionsrecht, § 106 GewO. Wobei ich der Terminologie des Herausgabeanspruchs gegen
Besitzdiener*innen insoweit kritisch gegenüberstehe, als diese ja im rechtlichen Sinne nichts "in der Kralle (= uBes)" haben, was "heraus" gegebenwerden kann - weil sie ja weisungsgebunden und sozial abhängig sind.
Jimmy105
6.9.2024, 17:22:29
Zur Klarstellung, der Besitz wird nicht dadurch (automatisch) erworben, dass das Arbeitsverhältnis erlischt, sondern erst dadurch, dass der Arbeitnehmer (durch sein Verhalten) zum Ausdruck bringt sich die Besitzposition anmaßen zu wollen, also die
Besitzdienerschaftgerade nicht (mehr) anerkennt? Der Besitz wird also dadurch begründet, dass er keinen Fremd
besitzwillen mehr hat, sondern nunmehr Eigen
besitzwillen, oder verstehe ich das falsch?

Falsus Prokuristor
6.9.2024, 20:12:24
Der Arbeitnehmer hatte nie Fremd
besitzwillen gegenüber seinem Arbeitgeber, denn es bestand gerade kein
Besitzmittlungsverhältnisim Sinne des §
868 BGB. Aufgrund der Weisungsbefugnis innerhalb des Arbeitsverhältnisses lag hier eine
Besitzdienerschaftvor,
§ 858 BGB. Wäre beispielsweise eine leihe vereinbart gewesen wäre es, wie du beschrieben hast. Mit dem ersten Teil deiner Frage liegst du aber richtig: Indem der Arbeitnehmer, das
Fahrzeugnicht herausgegeben hat, hat er sich zum Eigenbesitzer, § 854 BGB, auf geschwungen.

Falsus Prokuristor
6.9.2024, 20:13:13
Am Ende meinte ich natürlich den zweiten Teil deiner Frage. 
Jimmy105
6.9.2024, 22:18:39
Ich bin da terminologisch durcheinander gekommen mit dem "
Besitzdienerwillen". Es ging ja um die Frage ob er "für einen anderen" oder für sich selbst besitzen wollte. Die (nicht mehr vorhandene) Weisungsgebundenheit hatte ich dabei unterstellt. Danke dir und LG

Jakob G.
3.5.2025, 19:12:50
Ich bin mir nicht sicher, ob es der Terminologie des "
Besitzdienerwillens" bedarf, soweit hiermit eine rein internes voluntatives Element gemeint ist. Vielmehr ist soziale Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit in Bezug auf die Sache erforderlich für
Besitzdienerschaft. Vgl. Jacoby/von Hinden § 855 Rn. 3 (17.A): "Ein entgegenstehender innerer Wille des
Besitzdieners ist unbeachtlich (BGHZ 8, 130; "Fund" durch
Besitzdienerin als Angestellte im Theater). Bringt der
Besitzdienerjedoch erkennbar zum Ausdruck, nicht mehr für den Besitzherrn besitzen zu wollen, so verliert dieser seinen Besitz. Zum
Abhandenkommenbei
Besitzdienerschaftvgl § 935 Rz 3."

MenschlicherBriefkasten
27.2.2025, 11:07:08
Warum genau liegt hier kein BMV vor? Ich hätte ein solches hier angenommen in Gestalt einer Art Überlassungsvertrages. Es kommt aber anscheinend auf den Willen an? Wieso will er hier das Auto nicht für den Arbeitgeber besitzen?
Leo Lee
28.2.2025, 12:33:53
Hallo MensclicherBriefkasten, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könne man hier meinen, es läge ein BMV vor. Jedoch gilt es zu beachten, dass zwei entscheidende Aspekte fehlen: 1. Bei einem BMV ist i.d.R. nötig, dass ein Vertragsverhältnis besteht, vermöge dessen der
Besitzmittler(also das wäre der N) einen EIGENEN Besitz eingeräumt bekommt (etwa beim Mietvertrag der Mieter). Allerdings war es hier so, dass der A weiterhin Besitzer bleibt und der N eben nicht unmittelbare Besitzer, sondern lediglich
Besitzdieneri.S.d. 855 wird. Weiterhin ist ein Besitzmittlungswille - also der Wille des N, FÜR den A zu besitzen - ebenfalls abzulehnen, da N durch die Nichtrückgabe vielmehr den Willen, für sich SELBST zu besitzen, ausgedrückt hat. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, F. Schäfer § 868 Rn. 11 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo