Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Tatbestand der Willenserklärung

Lotto-Spielgemeinschaft – Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichtabgabe

Lotto-Spielgemeinschaft – Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichtabgabe

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und L bilden eine Lotto-Tippgemeinschaft. Sie legen gemeinsam Zahlenreihen fest und wechseln sich mit der Abgabe der Scheine ab. T vergisst die Abgabe der Scheine, sodass der Tippgemeinschaft ein Gewinn von € 1 Mio. entgeht. L verlangt von T Schadensersatz in Höhe von €500.000.

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Einordnung des Falls

Lotto-Spielgemeinschaft – Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichtabgabe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L hat einen Schadensersatzanspruch gegen T, wenn T rechtlich verpflichtet war, die Scheine abzugeben.

Ja, in der Tat!

Ein Schadensersatzanspruch unter den Voraussetzungen der §§ 280ff. BGB setzt eine Pflichtverletzung des T voraus. Dazu müsste zwischen T und L ein Schuldverhältnis (z.B. in Form eines schuldrechtlichen Vertrags) bestehen. Denkbare Schuldverhältnisse für Lotto-Tippgemeinschaften sind ein Gesellschaftsvertrag über eine BGB-Gesellschaft (=GbR, § 705 BGB) oder ein Vertrag sui generis ("Tippvereinbarung", § 311 Abs. 1 BGB). L und T müssten bei Abschluss eines solchen Vertrags übereinstimmende Willenserklärungen in Bezug auf eine rechtliche Verpflichtung zur Abgabe der Scheine zum Ausdruck gebracht haben.
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2. T und L hatten bezüglich der Scheinabgabe Rechtsbindungswillen. T war zur Abgabe rechtlich verpflichtet. Der Verstoß begründet eine vertragliche Pflichtverletzung. L kann Schadensersatz verlangen.

Nein!

Ob bezüglich der Verpflichtung zur Scheinabgabe ein Rechtsbindungswille bestand, ist unter Berücksichtigung der Interessenlage beider Parteien nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte festzustellen (§§ 133, 157 BGB).Dass ein Spieler die Abgabe vergisst, kann leicht passieren. Nähme man eine rechtliche Verbindlichkeit an, würde dies für ihn ein außerordentliches Schadensersatzrisiko mit sich bringen. Die Ersatzpflicht hätte unter Umständen eine Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz zur Folge. Eine rechtliche Verpflichtung zur Abgabe kann bei privaten Tippgemeinschaften angesichts dieser Risiken nicht gewollt sein.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

H. Schmidt von Church

H. Schmidt von Church

2.3.2020, 21:21:06

Ich verstehe nicht, weshalb L nicht zumindest einen SE-Anspruch in Höhe seiner Kosten des Scheins hat. Dass ein Anspruch i.H.v. 500.000 leuchtet ein, aber für muss zumindest die obige Regulierung greifen.

H. Schmidt von Church

H. Schmidt von Church

2.3.2020, 21:22:08

I.H.v 500.000 nicht in Frage kommt*

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

31.3.2020, 09:17:25

Hi, Danke für die Frage! Als Anspruchsgrundlage kommt § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Dieser setzt aber stets ein Schuldverhältnis voraus. Hieran fehlt es, weil die Parteien ohne Rechtsbindungswillen handelten (vgl. Frage 2). Eine weitere Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz wäre § 823 Abs. 1 BGB, aber dafür fehlt es an der Einwirkung auf ein geschütztes Rechtsgut! Ansonsten fällt mir keine Anspruchsgrundlage ein, an dir man denken könnte. Ich hoffe, die Frage beantwortet zu haben! Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

HAGE

hagenhubl

4.5.2024, 10:06:58

Wie wäre denn der Fall zu lösen, dass ein Lottospieler einen Bekannten bittet, seinen Lottoschein abzugeben und dieser zwar zusagt, aber aus Neid und Gehässigkeit den Schein absichtlich nicht abgibt und dem Lottospieler dadurch ein Lottogewinn durch die Lappen geht? Muss der Bekannte dann auch nicht haften?

Johannes Nebe

Johannes Nebe

27.6.2024, 19:32:02

Zur Antwort von @[Stefan Thomas Neuhöfer](116235): In der Subsumtion wurde noch argumentiert, dass wegen des außerordentlichen Schadensersatzrisikos mit Existenzbe

drohung

keine rechtliche Verpflichtung zur Abgabe gewollt sein kann. Offensichtlich verfängt das Argument aber nur in Bezug auf die entgangene Auszahlung des Gewinns, nicht in Bezug auf die Kosten für den Tippschein. Also kann aus dem Argument und der daraus folgenden Nichtexistenz einer rechtlichen Verpflichtung nicht ein Ausschluss des Schadensersatzes für den Tippschein folgen, wie @[H. Schmidt von Church](22827) es vorschlug. Lösen könnte man das Problem wohl nur über einen

konkludent

vereinbarten Haftungsausschluss, der sich auf entgangenen Lottogewinn bezieht, nicht aber auf die Kosten für den Tippschein.

JulianF

JulianF

10.9.2024, 19:02:08

Nein, hätte sich T „pflichtgemäß“ verhalten und den Schein eingelöst, wären die Kosten für den Schein ebenfalls entstanden. Die Kosten des Tippscheins sind daher nicht ersatzfähig, es handelt sich um den Vertrauensschaden. Dieser könnte allenfalls dann liquidiert werden, wenn eine Pflicht des T bestünde, seine Sorgfaltswidrigkeit im Vorhinein anzukündigen, sodass L die Möglichkeit hätte, von der Vereinbarung zurückzutreten. Dies erscheint aber zurecht fernliegend.

Rechthaber

Rechthaber

5.10.2024, 18:43:07

@[JulianF](239931) kann man nicht mit der

Rentabilitätsvermutung

argumentieren, die Aufwendungen des Lottoscheins sind in der Erwartung getätigt worden , dass der Gewinn die Lottokosten wieder amortisiert. ein erwerbswirtschaftlicher Zweck ?

JulianF

JulianF

8.10.2024, 13:34:15

@[Rechthaber](162337) Ja das wäre theoretisch die einzige Möglichkeit, an Kosten des Scheins zu kommen. Der Kauf des Lottoscheins verfolgt aber keinen wirtschaftlichen Zweck, niemand kauft sich einen Lottoschein und kann erwarten, dass er sich rentiert.

JUL

juliptrs

22.3.2020, 18:28:26

Meines Erachtens müsste die Antwort auf Frage 1 „falsch“ lauten. Denn der SE-Anspruch bestünde auch dann, wenn den T zwar keine Pflicht zur Abgabe (=

Leistungspflicht

), aber eine sonstige Verhaltenspflicht (zB, bei Versäumnis der Abgabe rechtzeitig die anderen zu informieren) treffen würde (sog.

Gefälligkeit

im rechtsgeschäftlichen Bereich).

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

22.3.2020, 22:16:09

Hi, danke für Deinen Beitrag. Spitzfindig, aber lässt sich hören. Wir haben die erste Aussage leicht umformuliert (Verpflichtung zur Abgabe keine zwingende Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch, aber wenn eine Abgabepflicht bestand, dann gibt es jedenfalls einen Schadensersatzanspruch). In der Praxis scheint uns Dein Sachverhalt allerdings mehr als unwahrscheinlich: Warum sollte sich jemand zwar nicht verpflichten zur Abgabe aber dazu, bei versäumter Abgabe die anderen zu informieren? Im Übrigen würde sich uE bei einer Verletzung der Informationspflicht nicht zwingend ein Schadensersatzanspruch ergeben nach der

Differenzhypothese

(würde man die Pflichtverletzung wegdenken, würde nicht zwingend der Schaden entfallen).

VALA

Vanilla Latte

5.10.2023, 19:46:02

Ich kenne das aus der Uni auch so: reine gesellschaftliche

Gefälligkeit

vs

Gefälligkeit

im rechtsgeschäftlichen Sinne. Beim 2.besteht zumindest eine Sorgfaltspflicht sodass man neben Delikt auch 280I, 241 II prüfen kann, wobei ich leider nie verstanden habe, wie man ohne Schuldverhältnis auf 280I kommt.

/Q

/qwas

23.1.2024, 09:59:45

So wie ich das verstanden habe, wir diese Unterscheidung nur von der Literatur vorgenommen und von der Rspr nicht anerkannt.

BIE

Bienenschwarmverfolger

5.4.2020, 17:20:40

Überlegung zur ersten Frage: Soweit ich weiß, kann man den Fall auch vertretbar über §§ 708, 277 BGB lösen. Auch wenn man grobe Fahrlässigkeit annimmt, kann man noch vertretbar einen

konkludent

en Haftungsausschluss annehmen. Dann wäre T zur Abgabe des Scheins rechtlich verpflichtet gewesen, müsste aber trotzdem nicht haften.

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

6.4.2020, 08:38:22

Hi, vielen Dank für den Hinweis! Die Lösung klingt plausibel und ohne Weiteres vertretbar, auch wenn ich sie noch nirgendwo selbst gelesen habe. Wir haben uns bei unserem Vorschlag am Urteil des BGH orientiert. Viele Grüße Für das Jurafuchs-Team - Stefan

¥€$

¥€$

7.3.2021, 10:28:22

Ist bei Frage 2 nicht viel mehr auf eine stillschweigende Vereinbarung eines Haftungsausschlusses (Argument Rspr.), als auf den Rechtsbindungswillen abzustellen? Wie spielt das zusammen? Sofern ein Haftungsausschluss stillschweigend vereinbart wurde liegt ja grundsätzlich ein Rechtsbindungswille auf die gesamte Vereinbarung vor?

Speetzchen

Speetzchen

8.3.2021, 22:38:33

Hey, in einem ersten Schritt guckt man, ob ein RBW vorliegt. Liegt dieser nicht vor (wie hier der Fall) kommen keine vertraglichen SE Ansprüche in Betracht. Die Frage nach einem

konkludent

en bzw.

stillschweigender Haftungsausschluss

stellt sich im Rahmen einer Haftung aus Delikt. Da dem T aber nur ein Vermögensschaden entstanden ist, liegt schon keine Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 823 vor. Sodass es vorliegend nicht auf diese Frage ankommt. Lg

STE

Stella2244

23.8.2024, 15:23:17

aber man könnte sich doch auch auf einen vertraglichen Haftungsausschluss bezüglich des entgangenen Gewinns einigen. oder nicht? also man nimmt einen Betrag mit einem vertraglichen Haftungsausschluss für den Gewinn an, dann müsste der der den schein nicht abgibt trotzdem für die Kosten des Scheins Ansichten haften. Warum solle das nicht gehen?


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