Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Klassiker im Öffentlichen Recht
„Luftsicherheitsgesetz“
„Luftsicherheitsgesetz“
9. Mai 2023
11 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Um die Sicherheit des Luftraums zu gewährleisten, beschließt der Bundestag das Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG). Durch § 14 Abs. 3 LuftSiG wird die Bundeswehr ermächtigt, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug mitsamt der Passagiere mit Waffengewalt abzuschießen. Vielflieger V geht gegen das Gesetz vor.
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Einordnung des Falls
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2006 darüber zu entscheiden, ob der Abschuss eines unbemannten oder lediglich mit Terroristen besetzten Flugzeug verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht verneinte eine Verfassungswidrigkeit. Insbesondere wird die Menschenwürde der Terroristen nicht beeinträchtigt. Vielmehr entspricht es "der Subjektstellung des Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird" (RdNr. 141).
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V erhebt Verfassungsbeschwerde. Ist diese zulässig?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist der Schutzbereich des Rechts auf Leben (Art. 2 Abs. 1 GG) eröffnet? Greift § 14 Abs. 3 LuftSiG in diesen ein?
Genau, so ist das!
3. Könnte der Eingriff durch Art. 2 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein, wenn § 14 Abs. 3 LuftSiG formell und materiell verfassungskonform ist?
Ja, in der Tat!
4. Das LuftSiG müsste formell verfassungskonform sein. Fraglich ist insbesondere die Gesetzgebungskompetenz.
Ja!
5. Ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz für § 14 Abs. 3 LuftSiG aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Kommt die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 GG, die die Katastrophenhilfe regelt, in Betracht?
Ja, in der Tat!
7. Ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz für § 14 Abs. 3 LuftSiG aus Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 GG?
Nein!
8. Das LuftSiG könnte auch materiell verfassungswidrig sein. Kommt ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in Betracht?
Genau, so ist das!
9. Unter der Menschenwürde versteht man die unveräußerliche Subjektqualität eines jeden Menschen. Wird der Gewährleistungsgehalt anhand der Objektformel bestimmt?
Ja, in der Tat!
10. Liegt kein Verstoß gegen die Menschenwürde vor, da die Passagiere unweigerlich sterben werden, indem die Terroristen das Flugzeug gezielt zum Absturz bringen?
Nein!
11. Wird der Menschenwürdegehalt nicht berührt, weil das Flugzeug durch die Terroristen als Waffe eingesetzt wird und die Passagiere selbst Teil dieser Waffe sind?
Nein, das ist nicht der Fall!
12. Wird die Menschenwürde der Passagiere im Falle des Abschusses nicht berührt, weil der Staat seiner Schutzpflicht nachkommt und den Tod einer größeren Anzahl von Menschen verhindert?
Nein, das trifft nicht zu!
13. Kann auch eine mutmaßliche Einwilligung der Passagiere in einen möglichen Abschuss, als Rechtfertigung nicht angenommen werden?
Ja!
14. Werden im Falle des Abschusses von unbeteiligten Passagieren durch § 14 Abs. 3 LuftSiG Menschen zum Objekt staatlichen Handelns, wodurch § 14 Abs. 3 LuftSiG wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG materiell verfassungswidrig ist?
Genau, so ist das!
15. Ist ein Abschuss verfassungsrechtlich unzulässig, selbst wenn das Flugzeug unbemannt ist oder sich nur Terroristen an Bord befinden?
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Anne
19.6.2024, 14:42:41
Was ist letztlich die Kompetenz für § 14 Abs. 3 LuftSiG? Könnte man es nicht auf Art. 73 Nr. 1 GG stützen, da es letztlich um den Schutz der Zivilbevölkerung geht?

Sebastian Schmitt
1.4.2025, 08:50:14
Hallo @Anne, nach dem BVerfG gab es keine, deswegen war das Gesetz auch schon formell verfassungswidrig (BVerfG NJW 2006, 751, 753 f). Wir haben das jetzt noch etwas deutlicher klargestellt. Art 73 Nr 1 GG war nach dem BVerfG deswegen nicht einschlägig, weil es § 14 III LuftSiG systematisch als Gefahrenabwehr und Unterstützung der Polizeikräfte einstufte, bei der es sich gerade nicht um "Verteidigung" iSd Art 73 Nr 1 GG handle. Den Unterpunkt "Schutz der Zivilbevölkerung" verstand das BVerfG als Teilbereich der "Verteidigung", er sei deshalb ebenfalls nicht einschlägig: "§ 14 III LuftSiG ist Teil der Bestimmungen in Abschnitt 3 des Luftsicherheitsgesetzes. Dieser trägt die Überschrift „Unterstützung und Amtshilfe durch die Streitkräfte” und macht damit deutlich, dass es sich bei deren Einsatz, so wie er in den §§ 13-15 LuftSiG geregelt ist, primär nicht um die Wahrnehmung einer eigenständigen Aufgabe des Bundes, sondern „im Rahmen der Gefahrenabwehr” und der „Unterstützung der Polizeikräfte der Länder” (§ 13 I LuftSiG) um die Hilfe bei der Bewältigung einer den Ländern obliegenden Aufgabe handelt. Diese Hilfe vollzieht sich, wie § 13 LuftSiG in seinen Absätzen 1 bis 3 im Einzelnen ausweist, in den Bahnen einerseits des Art. 35 II 2 GG und andererseits des Art. 35 III GG. Da diese Artikel unstreitig zu den Regelungen des Grundgesetzes gehören, die i.S. des Art. 87a II GG den Einsatz der Streitkräfte außerhalb der Verteidigung ausdrücklich zulassen [...], geht es § 14 III LuftSiG ebenso wie den übrigen Regelungen des Abschnitts 3 des Gesetzes, auch im Sinne der Kompetenznorm des Art. 73 Nr. 1 GG, nicht um Verteidigung (a. A. die Begr. z. Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, BT-Dr 15/2361, S. 14, und weiter etwa auch BVerwG, DÖV 1973, 490, 492). Auch der in den Kompetenztitel „Verteidigung” eingeschlossene Teilbereich des Schutzes der Zivilbevölkerung ist deshalb nicht einschlägig." (BVerfG NJW 2006, 751, 754) Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Major Tom(as)
1.4.2025, 08:51:34
Falls sich dir die Frage noch stellt, antworte ich mal :) Bei Art. 73 Nr.1 GG gehört der "Schutz der Zivilbevölkerung" vgl. "einschließlich" als Unterbereich zur "Verteidigung" - dies meint aber, wie man aus Art. 80a/ 87aff GG herauslesen kann, nur die Verteidigung im "Verteidigungsfalle", sprich: Krieg. Daher passt diese Gesetzgebungskompetenz nicht, das LuftSiG soll ja gerade immer gelten. Das BVerfG hat in seiner Originalentscheidung angenommen, im LuftSiG gehe es um eine Bundeswehr-Unterstützung für die Gefahrenabwehr. Es stellt auf Art. 35 II 2, III GG ab, denen es eine solche weitergehende
Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sacheentnimmt. Sprich: ungeschriebene Kompetenz in Anlehnung an Art. 35 GG :)

Sebastian Schmitt
1.4.2025, 10:48:17
Hallo @Anne, kleine Ergänzung von mir nach dem Beitrag von @[Major Tom(as)](258980), mit dem sich mein Beitrag hier wohl zeitlich genau überschnitten hat. Wenn die Ergänzung jetzt nicht kommt, bist Du nämlich vermutlich irritiert... ;) Major Tom(as) hat nicht ganz Unrecht mit Art 35 GG, auf den das BVerfG zunächst abstellt. Letztlich fehlt es aber trotzdem an einer einschlägigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Nach dem BVerfG ist § 14 III LuftSiG deshalb schon formell verfassungswidrig, weil die Norm über dasjenige hinausgeht, was die (denkbare) Grundlage des Art 35 GG zulässt. Inhaltlich geht das sehr ins Detail zu (wehrverfassungsrechtlichen) Fragen, die im Studium in dieser Tiefe kaum eine Rolle spielen dürften. Bei vertieftem Interesse: BVerfG NJW 2006, 751, 754 ff. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team