Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Leistungskondiktion

Anfängliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 (condictio indebiti)

Anfängliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 (condictio indebiti)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S fährt das Auto des E an. S gibt dem Fahrer D 1.000 € als Schadensersatz (§ 823 Abs. 1 BGB), da er D für den Eigentümer hält. Tatsächlich hatte D das Auto gerade gestohlen.

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Einordnung des Falls

Anfängliche Rechtsgrundlosigkeit, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 (condictio indebiti)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten. D hat Eigentum und Besitz an den Geldscheinen erlangt.
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2. Eigentum und Besitz an den Geldscheinen hat D „durch Leistung“ des S (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erlangt.

Genau, so ist das!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Für das Leistungsbewusstsein ist ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich. Es genügt natürliche Einsichtsfähigkeit. S hat bewusst und zweckgerichtet (als Ausgleich für den Schaden am Fahrzeug) das Vermögen des D gemehrt.

3. S hat die Leistung an D "ohne rechtlichen Grund" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.

Ja, in der Tat!

Das Merkmal "ohne rechtlichen Grund" entscheidet darüber, ob der Bereicherte die Bereicherung behalten darf. Es gibt keine einheitliche Definition der Rechtsgrundlosigkeit, die für alle Leistungskondiktionen gelten würde. Es sind zu unterscheiden: (1) Leistung zur Befreiung von einer Verbindlichkeit (condictio indebiti), (2) Rechtsgrund bestand, ist aber ex nunc entfallen (condictio ob causam finitam), (3) Leistung verfolgt einen Zweck, der über Befreiung von einer Verbindlichkeit hinausgeht (condictio ob rem) und (4) Gesetzes- oder Sittenverstoß des Leistungsempfängers (condictio ob turpem vel iniustam causam). Zu 1:Bei der condictio indebiti fehlt der Rechtsgrund, wenn die Schuld, die getilgt werden soll, von Anfang an nicht besteht.. S wollte von einem deliktischen Schadensersatzanspruch gegenüber D frei werden. Eine entsprechende Schuld gegenüber D bestand indes nie, weil nur E als Halter des Fahrzeuges und nicht D entsprechende Ansprüche zustehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ROBE

Robert910

2.5.2020, 11:45:31

Wieso hat bei der ersten Frage D Eigentum am Auto erlangt? Dem dürfte § 935 BGB entgegenstehen.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

21.6.2020, 12:36:03

Hi Robert, danke für die Frage. In der ersten Frage geht es um das

Geld

, nicht das Auto. § 935 BGB steht einem gutgläubigen Erwerb entgegen, wenn die Sache „abhanden gekommen“ ist (hier nicht der Fall). Nach § 935 Abs. 2 BGB ist die Norm zudem nicht auf

Geld

anwendbar.

MANUM

ManuMomo

12.2.2021, 12:27:49

Liegt mit § 951 nicht doch ein Rechtsgrund vor, weil S mit seiner Zahlung an D von seiner Pflicht frei geworden ist?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.4.2021, 16:41:49

Hallo ManuMomo, könntest Du das vielleicht noch etwas näher erläutern, inwiefern Du § 951 BGB hier für anwendbar hälst? Gegenüber E wird S durch Zahlung an D gerade nicht von seiner Verpflichtung zum Schadensersatz (§ 823 I StGB /§ 7 I StVG) frei. Denn für die Erfüllungswirkung des § 362 I BGB muss grds. an den berechtigten Gläubiger geleistet werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ANY

ANY

31.1.2022, 08:13:56

Vermutlich war § 851 gemeint. Wie wirkt sich dieser bereicherungsrechtlich aus?

Simon

Simon

26.3.2023, 22:01:55

Dann wäre der Fall mE wie folgt zu lösen: S hat keine Bereicherungsansprüche gegen D, da § 851 BGB einen Rechtsgrund für die Erlangung von Eigentum und Besitz an dem

Geld

darstellt. Daher sind Ansprüche des E gegen den D zu prüfen: D hat Eigentum und Besitz am

Geld

erlangt. Dies geschah auch auf Kosten des E, da § 851 BGB (als Folge der Leistung des S an den D) zum Erlöschen seines Anspruches gegen S führt. Daher auch Erlangung in sonstiger Weise. § 851 BGB stellt im Verhältnis zwischen E und D keinen Rechtsgrund zum Behaltendürfen dar, denn die Norm soll nur den gutgläubigen S schützen. Vorrang der Leistungskondiktion greift hier nicht, denn die Leistung des S an den D wirkt wie eine Leistung an E, sodass S nicht vor Einwendungen des D geschützt werden muss, und auch das Insolvenzrisiko keine Rolle für S spielt. D kann sich, da er bösgläubig ist, wegen §§ 814 IV, 819 I, 292, 987 ff. BGB nicht auf

Entreicherung

berufen. Damit kann E den

Geld

betrag von D herausverlangen.

SE.

se.si.sc

17.6.2023, 09:17:16

Interessant, sehe die Diskussion hier gerade erst zufällig. Ich stimme mit dem ersten Teil dessen überein, was Simon geschrieben hat. Nun kann man im wertungsgeprägten Bereicherungsrecht vieles vertreten, anders als Simon sehe ich hier aber keinen Grund, vom Vorrang der Leistungsbeziehung abzurücken und komme deswegen zum Zwischenergebnis, dass ein Anspruch des E gegen D aus

Nichtleistungskondiktion

ausscheidet, weil D das Bar

geld

durch Leistung des S erhalten hat. Den Ausgleich zwischen E und D würde ich dann schlicht (so nach meiner kurzen Recherche wohl auch die gängige Kommentarmeinung, zB MüKo-BGB, § 851 Rn 8) über § 816 II BGB laufen lassen, der genau für solche Fälle da ist. Die Wirksamkeit der Leistung des S and D ggü E folgt hier dann aus § 851 BGB.

STE

Stella2244

27.6.2024, 14:34:18

@[Simon](45455) ich denke 851 scheidet als Rechtsgrund aus wegen „es sei denn, dass ihm das Recht des Dritten bekannt war oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt war“ oder nicht? Hier müsste doch D zumindest grob fahrlässig über das Recht des E Kenntnis haben.

Jonas91

Jonas91

17.6.2023, 08:58:05

Dass E „Halter des Wagens“ ist, wäre doch aber nur für eine Passivlegitimation wichtig , oder ? Für die Aktivlegitimation für einen Anspruch aus 7 I StVG kommt es doch eigentlich auf die Eigentümerstellung des E an? Oder werfe ich da was durcheinander?

Kind als Schaden

Kind als Schaden

18.7.2023, 19:07:06

Im Ergebnis sehe ich das genau so. Es ist so, dass die Halterstellung vermuten lässt, dass der Halter auch Eigentümer ist. Aber klar: Der Halter !muss nicht! auch gleichzeitig Eigentümer sein, zumal vorliegend auch auf § 823 I BGB abgestellt wird und nicht auf § 7 StVG.

AR

Artimes

15.12.2023, 10:10:21

Wann/wo ist der Meinungsstreit zur subjektiven bzw. objektiven Rechtsgrundlosigkeit in der Klausur von Bedeutung?

YODA

Yoda

25.5.2024, 17:46:08

Leistung ist jede bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Das Vorliegen ist aus Sicht eines objektiven Beobachters an Stelle des Empfängers (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen. Würde ein objektiver Beobachter nicht wissen, dass keine Leistung des Schädigers vorliegen kann, da dieser nicht an den Geschädigten geleistet hat, sondern den Dieb?

LELEE

Leo Lee

27.5.2024, 08:57:05

Hallo Yoda, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat könnte man meinen, die Leistung müsse aus Sicht des obj. Betrachters bewertet werden. Achte jedoch darauf, dass nach der h.M. die Leistungsfrage aus Sicht des Empfängers zu bewerten ist! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 812 Rn. 58 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

YODA

Yoda

31.5.2024, 10:10:41

Hallo Leo Lee, danke für die Antwort. Ich habe mit dem ersten Satz eigentlich lediglich den

Wortlaut

von Jurafuchs wiedergegeben.

STE

Stella2244

27.6.2024, 14:22:40

Auch aus Sicht des D könnte man doch meinen es liegt keine Leistung vor, weil der Dieb ja weiß, dass er nie einen Anspruch gehabt hat. Bestimmt man also aus sich des Empfängers, hier D müsst man doch eine Leistung ablehnen oder?

Dogu

Dogu

20.8.2024, 12:05:03

Naja aber es geht ja darum, was der Leistende aus Sicht des objektivierten Empfängers getan hat. Und aus Sicht des Diebes wollte er die SE-Forderung erfüllen, auch wenn er weiß, dass sie ihm nicht zusteht.


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