Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB)

Beförderungserschleichung bei Hoffnung, nicht aufzufallen („Schwarzfahrer-Fall“)

Beförderungserschleichung bei Hoffnung, nicht aufzufallen („Schwarzfahrer-Fall“)

26. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

P ist pleite und will sich die Fahrtkosten auf dem Weg zu seinem Freund sparen. Ohne Ticket steigt er in die Straßenbahn, setzt sich unauffällig auf einen Sitzplatz und fährt vier Stationen.

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Einordnung des Falls

Beförderungserschleichung bei Hoffnung, nicht aufzufallen („Schwarzfahrer-Fall“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P könnte sich gemäß § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er ohne Ticket mit der Bahn fuhr.

Ja, in der Tat!

P müsste dafür objektiv zunächst (1) die Beförderung durch ein Verkehrsmittel, (2) welche entgeltlich ist, (3) erschlichen haben.
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2. Ist die Fahrt mit der Straßenbahn eine Beförderung mit einem Verkehrsmittel im Sinne des § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB?

Ja!

Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jeder Transport von Personen oder Sachen durch ein öffentliches oder privates Verkehrsmittel.Entgelt ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung.Durch die Fahrt mit der Straßenbahn wird P durch ein öffentliches Verkehrsmittel befördert. Diese Fahrt soll auch gegen Entgelt erfolgen.

3. Nach Ansicht der Rspr. erfordert das Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, dass Sicherheitsvorkehrungen umgangen werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Wann die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschlichen wird, ist strittig. Nach der Rspr. genügt dafür, dass der Täter die Leistung nutzt und sich dabei durch sein Verhalten mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur muss der Täter darüberhinaus Kontroll- oder Sicherungsvorkehrungen ausschalten oder umgehen.

4. Hat sich P nach Ansicht der Rspr. die Beförderung erschlichen?

Ja, in der Tat!

Es genügt nach Ansicht der Rechtsprechung, dass der Täter die Leistung nutzt und sich dabei durch sein Verhalten mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt.P ist mit der Bahn gefahren und hat sich wie jeder andere zahlende Fahrgast verhalten. Er hat damit den Anschein erweckt, dass er die AGB des Verkehrsbetriebs erfüllt und ein Ticket hat. Damit hat er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgeben. P hat sich die Beförderung nach Ansicht der Rechtsprechung erschlichen.

5. Hat sich P die Beförderung auch nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur erschlichen?

Nein!

Ein Erschleichen liegt nach überwiegender Auffassung in der Literatur vor, wenn der Täter die Leistung nutzt und dafür Kontroll- oder Sicherungsvorkehrungen ausschaltet oder umgeht.P ist mit keinen Sicherheitsvorkehrungen in Kontakt gekommen. Er hat diese folglich auch nicht ausgeschaltet oder umgangen. Nach überwiegender Literaturauffassung hat sich P die Beförderung damit nicht erschlichen. Eine Strafbarkeit nach § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB schiede aus.Mangels getäuschtem Kontrolleur läge auch kein Betrug und in der Regel auch kein versuchter Betrug vor, sodass P straflos bliebe.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

jeci

jeci

27.7.2024, 12:53:32

Wie stellt sich die hL das in der Praxis denn vor? Im Ausland, wo teilweise Drehkreuze beim Zutritt zur Bahnstation überwunden werden müssen, sehe ich die Notwendigkeit der Überwindung von Sicherungs-/Kontrollmechanismen. Aber in Deutschland ist ja per se erst mal alles frei zugänglich, sodass ich in der Praxis gerade nicht nachvollziehen kann, wie das ablaufen soll?

LELEE

Leo Lee

28.7.2024, 12:01:43

Hallo jeci, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat hat die h.L. manchmal Ansichten, die etwas realitätsfremd sein mögen. Beachte aber, dass sich die L

ehre

gerade durch theoretischere Ansätze auszeichnet. Sie geht über die „aktuelle“ Lage – etwa an Bahnhöfen – hinaus und stellt sich die Frage, wie ein Problem rechtlich optimal gelöst werden könnte. Dass im Ausland oft Drehkreuze benutzt werden an Bahnhöfen, ist erstmal unerheblich, da sich die h.L. in Deutschland sich auf die „deutschen“ Sachverhalte bezieht. Achte zudem auch darauf, dass 265a StGB und der Streit sich nicht primär aus der Bahnhofssituation, sondern auch aus anderen Situationen sich ergeben hat (etwa wenn man den Eintritt zum Fußballstadion durch Überwindung solcher Mechanismen verschafft) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

FTE

Findet Nemo Tenetur

16.10.2024, 12:11:03

Eine (vll etwas “ketzerische”) Gegenfrage zur Frage, wie sich die hL in der Praxis vorstellt: Muss denn das Verhalten unbedingt strafbar sein? Eine bestimmte Auslegung entscheidet ja auch bei anderen Tatbeständen darüber, ob etwas strafbewehrt sein soll oder nicht. Mit Straftatbeständen wird zudem oftmals auch eine kriminalpolitische Agenda verfolgt. Vielleicht verfolgt die hL auch da eine anderes Ziel als die Rspr. Die Idee, dass das Fahren ohne Fahrschein keine Straftat iSd § 265a StGB ist, ist mE aus vielerlei Gründen sehr zu befürworten. Hier nur zwei eher rechtsdogmatische: 1) Strafrecht = ultima Ratio Fürs Fahren ohne Fahrschein direkt das schärfste Schwert auspacken? Warum? Schon an dieser Stelle sollte man mE bedenken, dass Straftatbestände nichts Gottgegebenes sind. Nur weil sie einmal da sind, heißt das nicht, dass man ihre Existenz nicht dennoch in Frage stellen sollte. Das gilt immer, bei dieser Norm finde ich persönlich aber einmal mehr: Sie wurde 1935 eingeführt. Den Strafbarkeitsvorstellungen des damaligen “Gesetzgebers” ist mit Vorsicht zu begegnen. 2) Art. 103 II GG “Erschleichen” ist denkbar unbestimmt. Wenn dann die sehr weite Auslegung der Rspr strafbarkeitsbegründend ist, finde ich das ziemlich problematisch. Wenn man der Meinung ist, dass dieses Verhalten unbedingt strafwürdig ist, muss man es mE genauer formulieren. Außerdem noch eine persönliches Anliegen: wenn die Frage lautet, wie man sich etwas in der Praxis vorstellt, gehört die Frage, was die Norm tatsächlich für Folgen hat und ggf. ein Rückgriff auf empirische Daten, wen die Norm wie trifft, mE auch zur Beantwortung dieser Frage dazu. Und bei dieser Norm ist es tatsächlich so, dass sie oftmals mittellose Menschen unverhältnismäßig hart trifft. Der eigentliche Betrag um den es geht, ist nicht sehr hoch. Die Folgen für die “Täter” auch in Kombination mit der Ersatzfreiheitsstrafe können verheerend sein, während die Bearbeitung der Fälle eine große Belastung für die Justiz ist. Es wird zur Frage des Fahrens ohne Fahrscheins viel diskutiert, beispielhaft nur https://verfassungsblog.de/wenn-das-gesetz-sozialschadlicher-ist-als-die-straftat/.


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