Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB)
Beförderungserschleichung bei Hoffnung, nicht aufzufallen („Schwarzfahrer-Fall“)
Beförderungserschleichung bei Hoffnung, nicht aufzufallen („Schwarzfahrer-Fall“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
P ist pleite und will sich die Fahrtkosten auf dem Weg zu seinem Freund sparen. Ohne Ticket steigt er in die Straßenbahn, setzt sich unauffällig auf einen Sitzplatz und fährt vier Stationen.
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Einordnung des Falls
Beförderungserschleichung bei Hoffnung, nicht aufzufallen („Schwarzfahrer-Fall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. P könnte sich gemäß § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er ohne Ticket mit der Bahn fuhr.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist die Fahrt mit der Straßenbahn eine Beförderung mit einem Verkehrsmittel im Sinne des § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB?
Ja!
3. Nach Ansicht der Rspr. erfordert das Erschleichen der Beförderung durch ein Verkehrsmittel, dass Sicherheitsvorkehrungen umgangen werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Hat sich P nach Ansicht der Rspr. die Beförderung erschlichen?
Ja, in der Tat!
5. Hat sich P die Beförderung auch nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur erschlichen?
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jeci
27.7.2024, 12:53:32
Wie stellt sich die hL das in der Praxis denn vor? Im Ausland, wo teilweise Drehkreuze beim Zutritt zur Bahnstation überwunden werden müssen, sehe ich die Notwendigkeit der Überwindung von Sicherungs-/Kontrollmechanismen. Aber in Deutschland ist ja per se erst mal alles frei zugänglich, sodass ich in der Praxis gerade nicht nachvollziehen kann, wie das ablaufen soll?
Leo Lee
28.7.2024, 12:01:43
Hallo jeci, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat hat die h.L. manchmal Ansichten, die etwas realitätsfremd sein mögen. Beachte aber, dass sich die L
ehregerade durch theoretischere Ansätze auszeichnet. Sie geht über die „aktuelle“ Lage – etwa an Bahnhöfen – hinaus und stellt sich die Frage, wie ein Problem rechtlich optimal gelöst werden könnte. Dass im Ausland oft Drehkreuze benutzt werden an Bahnhöfen, ist erstmal unerheblich, da sich die h.L. in Deutschland sich auf die „deutschen“ Sachverhalte bezieht. Achte zudem auch darauf, dass 265a StGB und der Streit sich nicht primär aus der Bahnhofssituation, sondern auch aus anderen Situationen sich ergeben hat (etwa wenn man den Eintritt zum Fußballstadion durch Überwindung solcher Mechanismen verschafft) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Karolin
16.10.2024, 12:11:03
Eine (vll etwas “ketzerische”) Gegenfrage zur Frage, wie sich die hL in der Praxis vorstellt: Muss denn das Verhalten unbedingt strafbar sein? Eine bestimmte Auslegung entscheidet ja auch bei anderen Tatbeständen darüber, ob etwas strafbewehrt sein soll oder nicht. Mit Straftatbeständen wird zudem oftmals auch eine kriminalpolitische Agenda verfolgt. Vielleicht verfolgt die hL auch da eine anderes Ziel als die Rspr. Die Idee, dass das Fahren ohne Fahrschein keine Straftat iSd § 265a StGB ist, ist mE aus vielerlei Gründen sehr zu befürworten. Hier nur zwei eher rechtsdogmatische: 1) Strafrecht = ultima Ratio Fürs Fahren ohne Fahrschein direkt das schärfste Schwert auspacken? Warum? Schon an dieser Stelle sollte man mE bedenken, dass Straftatbestände nichts Gottgegebenes sind. Nur weil sie einmal da sind, heißt das nicht, dass man ihre Existenz nicht dennoch in Frage stellen sollte. Das gilt immer, bei dieser Norm finde ich persönlich aber einmal mehr: Sie wurde 1935 eingeführt. Den Strafbarkeitsvorstellungen des damaligen “Gesetzgebers” ist mit Vorsicht zu begegnen. 2) Art. 103 II GG “Erschleichen” ist denkbar unbestimmt. Wenn dann die sehr weite Auslegung der Rspr strafbarkeitsbegründend ist, finde ich das ziemlich problematisch. Wenn man der Meinung ist, dass dieses Verhalten unbedingt strafwürdig ist, muss man es mE genauer formulieren. Außerdem noch eine persönliches Anliegen: wenn die Frage lautet, wie man sich etwas in der Praxis vorstellt, gehört die Frage, was die Norm tatsächlich für Folgen hat und ggf. ein Rückgriff auf empirische Daten, wen die Norm wie trifft, mE auch zur Beantwortung dieser Frage dazu. Und bei dieser Norm ist es tatsächlich so, dass sie oftmals mittellose Menschen unverhältnismäßig hart trifft. Der eigentliche Betrag um den es geht, ist nicht sehr hoch. Die Folgen für die “Täter” auch in Kombination mit der Ersatzfreiheitsstrafe können verheerend sein, während die Bearbeitung der Fälle eine große Belastung für die Justiz ist. Es wird zur Frage des Fahrens ohne Fahrscheins viel diskutiert, beispielhaft nur https://verfassungsblog.de/wenn-das-gesetz-sozialschadlicher-ist-als-die-straftat/.