Kündigung unter geheimem Vorbehalt (§ 116 S. 1 BGB)

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V kündigt dem M ordentlich das unbefristete Mietverhältnis über eine Kneipe in der Münchener Innenstadt, obwohl sie das in Wirklichkeit nicht will. Sie hofft, dass M sie anflehen wird, das Mietverhältnis weiterzuführen, und deshalb einer saftigen Mieterhöhung zustimmen wird.

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Einordnung des Falls

Kündigung unter geheimem Vorbehalt (§ 116 S. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Kündigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft.

Ja, in der Tat!

Einseitige Rechtsgeschäfte bestehen, anders als Verträge, nur aus einer Willenserklärung (z.B. Testament, Widerruf, Anfechtung, Rücktritt, Kündigung). Hierbei ist zwischen empfangsbedürftigen Willenserklärungen (Kündigung, Rücktritt, Widerruf, Anfechtung) und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (Testament) zu unterscheiden. Eine wirksame Kündigung setzt als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung nur eine Willenserklärung, die Kündigungserklärung und deren Zugang voraus. Eine Zustimmung des Vertragspartners ist zu ihrer Wirksamkeit nicht erforderlich.
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2. V hat eine Kündigungserklärung abgegeben.

Ja!

Eine Kündigung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf Beendigung eines Vertrages gerichtet ist. V handelte bewusst und wusste, dass sie eine rechtserhebliche Erklärung abgibt. Sie besaß also Handlungswille und Erklärungsbewusstsein. Jedoch wollte sie die Rechtsfolge einer Kündigung (Beendigung des Mietverhältnisses) nicht herbeiführen. Ihr fehlte damit der Geschäftswille. Dessen Fehlen ist aber aus Rechtsverkehrsschutzgründen unbeachtlich. Die Kündigung ging M auch zu und wurde damit wirksam (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB analog).

3. Da V das Mietverhältnis tatsächlich nicht kündigen wollte, ist ihre Kündigungserklärung nichtig (§ 116 S. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Gibt der Erklärende eine Willenserklärung ab und behält sich dabei insgeheim vor, die Rechtsfolgen des Erklärten nicht zu wollen, ist dieser gegenüber dem Empfänger bewusst verheimlichte Vorbehalt (sog. „Mentalreservation“) unbeachtlich (§ 116 S. 1 BGB). Dies folgt auch aus der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB). Der Rechtsverkehr vertraut auf die abgegebene Willenserklärung. M wusste nicht, dass V ihm tatsächlich nicht kündigen wollte. Die Willenserklärung ist daher wirksam. Automatisch nichtig ist eine Willenserklärung unter einem geheimen Vorbehalt nur dann, wenn der Empfänger den Vorbehalt kennt (§ 116 S. 2 BGB) und somit nicht schutzwürdig auf die Erklärung vertrauen kann.

4. Angesichts der wirksamen Kündigung durch V endet das Mietverhältnis zwischen M und V mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

Ja, in der Tat!

Das zeitlich unbefristete Mietverhältnis endet durch Kündigung eines Vertragsteils nach Ablauf der Kündigungsfrist (§ 542 Abs. 1 BGB). Da dem M eine wirksame Kündigung der V zugegangen ist, endet das Mietverhältnis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Bei Mietverhältnissen über Geschäftsräume beträgt die Kündigungsfrist mindestens sechs Monate (§ 580a Abs. 2 BGB). Das Mietverhältnis über die Kneipe endet somit zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, frühestens in sechs Monaten (§§ 542 Abs. 1, 580 a Abs. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

UL

Ulmenhorst

19.11.2022, 13:05:05

Ist schon bemerkenswert: einerseits sei der Mieter schutzwürdig in Bezug auf 116 Abs. 2 BGB, was aber i.E. dazu führt, dass sein Mietverhältnis endet. Da fragt sich der Mieter vielleicht, was ihm seine Schutzwürdigkeit jetzt gebracht hat. Auf der anderen Seite dürfte dem Mieter aber ja in einem Prozess, in dem die Frage des geheimen Vorbehalts einer Kündigung erörtert und wie hier gelöst wird, regelmäßig ein SE-Anspruch wegen etwaiger Mehrausgaben für einen neuen Mietvertrag zustehen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 15:44:41

Hallo Ulmenhorst, inwiefern sollte der Mieter hier einen Schadensersatzanspruch haben? Sofern die Kündigung rechtmäßig ergeht, ist es Vs gutes Recht, die Kündigung auszusprechen. Wenn M nun etwas anderes gefunden hat, dann kann er dort nach Ablauf der Mietzeit einziehen. Will V nun, dass M weiterhin bei ihr wohnt, so wird sie nicht umhin kommen, einen neuen Vertrag aufzusetzen. Im Zuge dessen können beide dann über die Kosten verhandeln, die durch die unnötige Suche verursacht wurden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

NF

NF

1.4.2023, 21:50:50

Ulmenhorst, andererseits kann sich der Mieter jedenfalls trotz Vorbehalts auf die Kündigung "verlassen" und entsprechend handeln. Die Vermieterin muss für ihre Kündigung geradestehen, selbst wenn sie einen geheimen Vorbehalt hatte, und verliert einen Mieter, selbst wenn sie es nicht wollte. Falls die Vermiterin doch noch Interesse an dem Mietverhältnis hat, liegt es an ihr, dem Mieter ein entsprechendes Angebot zu machen, was der Mieter nach seiner Wahl annehmen oder ablehnen kann. Der Mieter ist mMn durch

§ 116 BGB

auch nicht unangemessen benachteiligt, da er sich s.o. aus Rechtssicherheitsgründen wenigstens auf die Erklärung einstellen kann und die Vermieterin ja in diesem Fall ohnehin ein Kündigungsrecht hat, dass sie ausüben kann, ob mit oder ohne Vorbehalt.

SI

silasowicz

6.8.2023, 14:36:14

Heißt das im Umkehrschluss, dass die Kündigung unwirksam gewesen wäre, wenn M Vs Vorbehalt gem. § 116 II gekannt hätte, auch wenn V das nicht weiß?

LELEE

Leo Lee

10.8.2023, 16:59:16

Hallo silasowicz, genauso ist es. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärung kommt es immer darauf an, wie der EMPFÄNGER diese verstehen durfte bei verständiger Würdigung unter Berücksichtigung der Verkehrssitten + Treu und Glauben, §§ 133, 157, 242 BGB. D.h., V muss nicht wissen, dass der M weiß, dass V ihre Erklärung nicht "ernst gemeint" hat. Denn solange der Empfänger diese Reservation kennt, müssen wir nicht mehr den Rechtsverkehr "schützen" :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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