Geheimer Vorbehalt bei Kenntnis des Vertreters (§§ 116 S. 2, 166 Abs. 1 BGB)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Auktionshaus A versteigert einen Banksy des Eigentümers E. B weiß, dass sein Feind F es unbedingt ersteigern will. B selbst hat kein Interesse, gibt aber ein Gebot ab (€1,5 Mio.), um den Preis hochzutreiben und erhält unerwartet den Zuschlag. A wusste um den Jux, den B sich erlaubt.

Einordnung des Falls

Geheimer Vorbehalt bei Kenntnis des Vertreters (§§ 116 S. 2, 166 Abs. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag durch den Zuschlag zustande.

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Ja!

Eine Versteigerung ist ein besonderer Fall des Vertragsschlusses, der in § 156 S. 1 BGB geregelt ist. Das Gebot des Bieters ist Antrag, der Zuschlag des Auktionators im Namen des Verkäufers (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) eine Annahme. Die Durchführung der Versteigerung ist bloße invitatio ad offerendum. Der Zahlungsanspruch des E gegen B (§ 433 Abs. 2 BGB) setzt voraus, dass E mit B einen Kaufvertrag geschlossen hat. Dies erfordert zwei übereinstimmende Willenserklärungen. B müsste auf der Auktion einen Antrag - eine Willenserklärung in Form eines Gebots - abgegeben haben.

2. B hat ein Angebot, in Form eines Gebots, gerichtet auf Abschluss eines Kaufvertrages abgegeben. Objektiver und subjektiver Tatbestand der Willenserklärung liegen vor.

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Genau, so ist das!

Ein Angebot (§ 145 BGB) ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf Abschluss eines Vertrages gerichtet ist. B handelte bewusst und wusste, dass ein Gebot bei einer Auktion eine rechtserhebliche Erklärung darstellt. B besaß also Handlungswille und Erklärungsbewusstsein. Jedoch wollte er keinen Vertragsschluss herbeiführen. Ihm fehlte damit der Geschäftswille. Dessen Fehlen ist aber aus Rechtsverkehrsschutzgründen unbeachtlich. Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Willenserklärung liegen somit vor. A hat das Angebot auch vernommen. Es ist ihm also zugegangen.

3. B wollte das Bild tatsächlich nicht kaufen und A wusste dies. Ist Bs Willenserklärung gemäß § 116 S. 2 BGB nichtig?

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Ja, in der Tat!

Gibt der Erklärende eine Willenserklärung ab und behält sich dabei insgeheim vor, die Rechtsfolgen des Erklärten nicht zu wollen, ist dieser gegenüber dem Empfänger bewusst verheimlichte Vorbehalt (sog. „Mentalreservation“) unbeachtlich (§ 116 S. 1 BGB). Automatisch nichtig ist eine Willenserklärung unter einem geheimen Vorbehalt allerdings dann, wenn der Empfänger den Vorbehalt kennt (§ 116 S. 2 BGB). Denn er kann dann nicht schutzwürdig auf die Erklärung vertrauen. A kannte den Vorbehalt des B. Da es bei Vertretergeschäften grundsätzlich auf die Kenntnis des Vertreters und nicht die des Vertretenen ankommt (§ 166 Abs. 1 BGB), ist die Willenserklärung nichtig.

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BEN

Benzindiesel

10.4.2020, 14:29:53

Ist nicht darauf abzustellen, ob die Mitbietenden den Vorbehalt des B kannten?

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

10.4.2020, 15:36:32

Hi, vielen Dank für die Frage! Bei der Versteigerung kommt der Vertrag zwischen dem Bieter und dem Versteigerer zustande. Am Wortlaut des § 116 S. 2 BGB orientiert bedeutet das, dass "der andere" (dem gegeüber die Willenserklärung abzugeben ist) der Versteigerer ist - nicht die anderen Bieter. Ich hoff, dass die Frage damit beantwortet ist! Für das Jurafuchs-Team - Stefan

BEBE

Benni Bertelmann

8.11.2022, 11:42:13

Aber birgt das nicht in der Folge gewisse Billigkeitsgefahren? Wenn ich zu einer Auktion gehe und unter geheimen Vorbehalt mitbiete, um den Preis hochzutreiben und der Auktionator darum weiß (ggf. auch indem ich dafür gesorgt habe, dass er Kenntnis erlangt). Dann muss ich am Ende nicht den Kaufpreis zahlen, aber der Preis wurde für die anderen Teilnehmenden trotzdem hochgetrieben. Kommt dann eine c.i.c zu Gunsten desjenigen in Betracht, der den hohen Preis zahlen muss?

Simon

Simon

30.9.2023, 21:43:09

C.i.c. würde ich ablehnen, da zwischen den Bietenden ja kein Vertrag zustandekommen soll. Evtl. liegt aber ein Anspruch aus § 826 BGB vor. Vlt. besteht sogar ein Anfechtungsrecht nach § 123 I BGB, da über das Vorliegen eines wirksamen Gebotes getäuscht wurde, was aber voraussetzen würde, dass der Täuschende von der Unwirksamkeit seines Gebotes wusste.

Simon

Simon

30.9.2023, 21:44:45

Außerdem müsste beachtet werden, dass die Täuschung durch einen Dritten erfolgte.

UNBE

UnbekannterNutzer

31.1.2021, 16:43:11

Ich finde die Frage, ob der Tatbestand einer WE vorliegt, ist nicht ausreichend präzise. Schließlich gehört der Geschäftswille auch zum Tatbestand einer WE. Er ist zwar nicht notwendig für das Zustandekommen, aber trotzdem Teil des Tatbestandes. Oder übersehe ich da etwas?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

31.1.2021, 20:59:25

Hi, vielen Dank für die Frage! Ich glaube das Problem ist rein terminologisch. Tatbestand in der Normentheorie ist „die Gesamtheit aller tatsächlichen Voraussetzungen des Gesetzes für eine Rechtsfolge.“ (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Tatbestand) Der Geschäftswille ist gerade keine Voraussetzung dafür, dass eine Willenserklärung vorliegt, d.h. auch nicht Teil des Tatbestands.

UNBE

UnbekannterNutzer

1.2.2021, 00:34:30

Ok, danke für die schnelle Antwort!

SUN

Sunny2022

12.7.2022, 21:35:07

Was wäre eigentlich, wenn E während der Auktion neben B steht und B dem E von seinem Jux erzählt, A allerdings nichts davon weiß. Da E möchte, dass sein Banksy für 1,5 Mio. ersteigert wird, sagt er nichts. Wäre dann ein Vertrag zustandegekommen und hätte B die Möglichkeit der Anfechtung? Oder wäre durch die Kenntnis des E der 116 direkt erfüllt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2022, 13:01:48

Hallo Sunny2022, der "andere" im Sinne des § 116 BGB ist der Vretragspartner. Der Vertrag kommt hier zwischen B und dem Auktionshaus zustande, sodass § 116 BGB nicht einschlägig ist. Eine Anfechtung scheidet aus, weil B bei der Erklärung keinem Irrtum unterlag und auch nicht bedroht oder arglistig getäuscht wurde. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

NATA

nataliaco

30.5.2023, 16:03:33

Warum ist denn das Auktionshaus Vertragspartner? Dieses ist doch nur Vertreter des E (laut Lösung), sodass diesen gem. § 164 Abs. 1 die Rechtsfolgen treffen.

Richter Alexander Hold

Richter Alexander Hold

14.11.2023, 11:33:41

Ich könnte mir vorstellen, dass man hier § 166 II BGB entsprechend anwenden könnte, vorausgesetzt man sieht den Fall hier so, dass das Auktionshaus A Vertreter des Eigentümers E ist und in dessen Namen den Vertrag abschließt. Denn ebenso wie im klassischen Fall des § 166 II BGB, in dem ein bösgläubiger Hintermann einen „dummen“ Vertreter vorschickt, um gutgläubig Eigentum erwerben zu können, hat E hier ja ebenfalls eine rechtsmissbräuchliche Gesinnung. Er nutzt den „dummen“ A, der von dem Vorbehalt des B nichts weiß, um vertreten durch ihn einen Kaufvertrag zu einem ihm vorteilhaften Preis abzuschließen, obwohl er selbst den Vorbehalt kennt und er selbst daher ohne den Vertreter A wegen § 116 S. 2 BGB einen solchen Vertrag niemals wirksam abschließen könnte. Die beiden Fälle sind daher vergleichbar und demnach wäre § 166 II BGB entsprechend anzuwenden. Man könnte natürlich auch nur nach dem Wortlaut des § 166 I BGB gehen und nur auf die Unkenntnis des A abstellen, sodass § 116 S. 2 BGB nicht einschlägig und der Kaufvertrag wegen des geheimen Vorbehalts des B daher nicht wirksam geschlossen sein würde.

Dogu

Dogu

30.6.2023, 12:51:42

Könnte man auch vertreten, dass hier schon der äußere Rechtsbindungswille von B und damit eine Willenserklärung fehlt, da aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts in der Lage des Auktionators klar ist, dass sich der Antragende vertraglich gar nicht binden will? Meiner Erinnerung nach lösen die AS Skripte die Problematik teilweise auch so.

DEL

deliaco

16.1.2024, 01:44:46

Push, die Frage stelle ich mir auch. Vielleicht könnte ein Moderator kurz aufklären?

SI

silasowicz

6.8.2023, 14:45:50

Ich finde die Antwort, dass objektiver und subjektiver Tatbestand der Willenserklärung vorliegen, so nicht richtig. Zwar ist am Ende dennoch ein wirksames Angebot zustande gekommen, aber es fehlt doch klar am subjektiven Geschäftswillen... Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn nur E Bescheid wüsste?

LELEE

Leo Lee

9.8.2023, 16:48:08

Hallo silasowicz, man könnte in der Tat meinen, ein subj. Geschäftswille liege nicht vor, da der B "eigentlich" nur den F ärgern wollte. Jedoch darf man nicht vergessen, dass der Geschäftswille im Grunde nur bedeutet, ob der Erklärende GENAU DIESES Rechtsgeschäft herbeiführen wollte oder nicht; die Gründe für dieses Rechtsgeschäft sind erstmal egal, wie § 116 1 BGB klarstellt. Vorliegend wollte der B zwar den F ärgern, jedoch dadurch, dass er GERADE den Preis hochtreibt, indem er die entsprechenden Gebote (durch eine Willenserklärung) abgibt. Somit wollte er auch gerade diese Willenserklärungen abgeben. Dass er insgeheim nur den B ärgern wollte, ist eine sog. Mentalreservation gem. § 116 1 BGB, die wiederum unbeachtlich ist. Somit bleibt der B letztlich hierauf "sitzen". Wenn nur der E das gewusst hätte, wäre es insoweit unerheblich, als der Vertrag hier allein zw. dem B und dem Auktionshaus A zustande kommt. B würde sich natürlich ärgern, jedoch sind ihm die "Hände gebunden". Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB, 9. Auflage, Armbruster § 116 Rn. 1 ff. empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

SI

silasowicz

19.8.2023, 13:38:50

Das heißt, unterm Strich ist ein Geschäftswille mit Mentalreservation immer noch ein subjektiver Geschäftswille, sozusagen ein "unbeachtlicher Motivirrtum" :-)

PAUL21

Paul21

19.10.2023, 20:27:01

Ihr widersprecht euch. Im ersten Fall – der bis auf die Kenntnis des Auktionators mit diesem identisch ist – verneint ihr noch das Vorliegen eines Geschäftswillens. Was ist es nun?

<I

<isa_hh>

20.2.2024, 09:46:09

Wird dadurch nicht der B zu Unrecht geschützt? Wenn B ohne Konsequenz davon kommt, nur weil F wusste, dass B unter Vorbehalt das Gebot abgibt, habe ich irgendwie ein Störgefühl. Obschon es dem § 116 Abs. 2 BGB entspricht, das ist mir klar ..

<I

<isa_hh>

20.2.2024, 09:51:58

Mir ist ein Fehler unterlaufen. Nicht F weiß es, sondern A. Die beiden Personen habe ich vertauscht - dann ist auch logisch, dass der Erklärungsempfänger dann nicht auf die Erklärung vertrauen kann, aber dennoch ihm den Zuschlag erteilt. Dann ist die Konsequenz für B, dass seine Erklärung nichtig ist und die Versteigerung wiederholt wird und somit F ein neues Gebot abgeben kann.


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