Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Geheimer Vorbehalt / Scherzerklärung / Scheingeschäft

Kündigung unter Vorbehalt bei Kenntnis dieses Vorbehalts durch Dritten (§ 116. S. 2 BGB)

Kündigung unter Vorbehalt bei Kenntnis dieses Vorbehalts durch Dritten (§ 116. S. 2 BGB)

18. Januar 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Münchner Kneipier M erfährt von seiner Nachbarin N, dass die gemeinsame Vermieterin V der N gekündigt hat, damit N einer Mieterhöhung zustimmt. N erklärt, dass V nun dasselbe mit M vorhabe. Kurz darauf kommt es, wie von N prophezeit.

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Einordnung des Falls

Kündigung unter Vorbehalt bei Kenntnis dieses Vorbehalts durch Dritten (§ 116. S. 2 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat eine Kündigungserklärung abgegeben.

Ja!

Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf Beendigung eines Vertrages gerichtet ist. V handelte bewusst und wusste, dass sie eine rechtserhebliche Erklärung abgibt. Sie besaß also Handlungswillen und Erklärungsbewusstsein. Jedoch wollte sie die Rechtsfolge einer Kündigung (die Beendigung des Mietverhältnisses) nicht herbeiführen. V fehlte damit der Geschäftswille. Dessen Fehlen ist aber aus Gründen des Verkehrsschutzes unbeachtlich. Die Kündigung ging M auch zu und wurde damit wirksam (§ 130 Abs. 1 BGB).
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2. Da V das Mietverhältnis tatsächlich nicht kündigen wollte und M dies wusste, ist die Kündigungserklärung nichtig (§ 116 S. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Gibt der Erklärende eine Willenserklärung ab und behält sich dabei insgeheim vor, die Rechtsfolgen des Erklärten nicht zu wollen, ist dieser gegenüber dem Empfänger bewusst verheimlichte Vorbehalt (sog. „Mentalreservation“) unbeachtlich (§ 116 S. 1 BGB). Der Rechtsverkehr vertraut auf die abgegebene Erklärung. Automatisch nichtig ist eine unter geheimem Vorbehalt abgegebene Erklärung allerdings dann, wenn der Empfänger den Vorbehalt kennt (§ 116 S. 2 BGB).. Denn dann kann er nicht schutzwürdig auf die Erklärung vertrauen. M hatte hier zuvor von N erfahren, dass V ihm tatsächlich nicht kündigen wollte. Die Willenserklärung ist daher nichtig (§ 116 S. 2 BGB).

3. Das Mietverhältnis zwischen M und V endet infolge der Kündigung mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

Nein, das trifft nicht zu!

Das zeitlich unbefristete Mietverhältnis endet durch Kündigung eines Vertragsteils nach Ablauf der Kündigungsfrist (§ 542 Abs. 1 BGB). Die Kündigungserklärung des V war gemäß § 116 S. 2 BGB nichtig, sodass das Mietverhältnis nicht endet. Bei Mietverhältnissen über Geschäftsräume beträgt die Kündigungsfrist mindestens 6 Monate (§ 580a Abs. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ErdbärIn

ErdbärIn

16.12.2019, 20:55:48

Was ich nicht ganz verstehe : warum kann er darauf vertrauen, dass die Information überhaupt so stimmt? Wäre es nicht fahrlässig, auf so eine Information zu vertrauen? Immerhin kann es sich V doch anders überlegt haben und möchte den M nun doch kündigen. Muss der Rechtsverkehr wirklich auf eine Aussage von einer Dritten Person vertrauen und danach bewerten? Ich finde, M muss auch so darauf vertrauen, dass V nur das erklärt, was sie tatsächlich erklären möchte.

DO

DonQuiKong

27.2.2020, 08:15:31

Ja, ich finde das Beispiel auch schlecht gewählt. Kann er nicht versehentlich ein notariell beglaubigtes

Schriftstück

über ihren wahren Willen finden?

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

16.9.2020, 23:02:59

@ErdbärIn, sehr interessanter Gedanke! Allerdings ist hier m. E. wegen sachverhaltsnaher Auslegung („wie prophezeit“) eine tats. Kenntnis des geheimen Vorbehalts anzunehmen und nicht led. ein Vertrauen/Vermuten des geheimen Vorbehalts: M. a. W. ein ausgeprägteres kogn. Element. Nach Palandt BGB, 67. Aufl., § 116 Rn. 4 gilt außerdem: „Wie der and[ere] Teil die Kenntn[is] erlangt hat, ist gleichgültig.

Kennenmüssen

(§ 122 II) genügt nicht.“

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

23.5.2020, 16:08:04

Es geht hier ja um den Schutz des Rechtsverkehrs, nicht um den Schutz der V. V kündigt, obwohl sie gar nicht kündigen will. Normalerweise ist der Rechtsberkehr schutzwürdig und die Kündigung geht durch, der innere Vorbehalt bleibt unbeachtet. Falls aber der Adressat der einseitigen WE der V (Kündigung) M Sonderwissen von dem inneren Vorbehalt der V hat, dann ist er nicht schutzwürdig. Er muss nicht darauf vertrauen, dass V ihre Erklärung ernst meint. Was hier zugegeben für ihn positiv ist. Das muss es aber natürlich nicht immer sein. Und wenn V die Erklärung doch ernst meinte (Beweisfrage), ist die Kündigung natürlich wirksam. Finde das Gesetz löst das sehr schön an dieser Stelle.

RAN

Rankelthorn

25.11.2024, 09:56:23

Falls sie die Kündigung doch ernst meint, was schützt den K davor, dass ihm seine die Zeit der Kündigungsfrist verstreicht ohne dass er sich um Umzug und neue Lokalität kümmert? Für ihn war ja klar dass die Kündigung nicht gilt. Also wenn sie insgeheim einen Vorberhalt hatte, von dem er wusste, den sie aber dann insgeheim entfernt hat, wovon er nicht wusste. Dann hat er einfach Pech gehabt, oder?

FRED

Frederieke

3.10.2024, 19:10:15

Was ich nicht so ganz verstehe ist, wo ich § 116 Abs. 2 prüfe, weil wenn der andere von der Nichtigkeit weiß, sollten wir das dann nicht schon in der Auslegung der Willenserklärung berücksichtigen, weil ein objektiver Dritter wüsste, das kein Rechtbindungswille vorliegt?

RAN

Rankelthorn

25.11.2024, 09:51:41

Die Willenserklärung der V musst du vom Spezialwissen des K trennen. Die Willenserklärung steht für sich. Ein objektiver Dritter würde diese als legitim ansehen. Es liegt ja ein objektiv erschließbarer

Rechtsbindungswille

vor usw.. Dass dieser insgeheim nicht vorliegt ist dem Zweiten (Kneipier) nur durch Spezialwissen bekannt, was mit der Willenserklärung nichts zu tun hat. Dass die Nachbarin dem Kneipier die Info gesteckt hat, ist ja nicht Teil der Willenserklärung der Vermieterin.

BEN

benjaminmeister

10.11.2024, 20:30:09

Ich finde in dem Beispiel die Annahme eines Vorbehalts (fehlender Geschäftswille) tatsächlich gar nicht so eindeutig. Die Kündigung wirkt nur als Druckmittel, wenn die Vermieterin sie ernst meint, weil nur dann der Mieter darauf angewiesen ist, einem höheren Mietzins zuzustimmen. Natürlich kann man einerseits sagen, dass es die Vermieterin nur einmal versuchen will mit der Mieterhöhung, aber im Zweifel den Vertrag auch weiterlaufen lassen möchte, wenn der Mieter nicht darauf eingeht. Andererseits kann man sicherlich auch vertreten, dass es der Vermieterin darauf ankommt, dass an den bisherigen Mieter nur zu einem höheren Mietzins vermietet wird und im Zweifel trotz gegenteiligem (aber unbeachtlichem) Wunsch die Beendingung in Kauf genommen wird (ähnlich der Argumentation im Strafrecht beim Vorsatz, wenn zwar nicht das notwendige Zwischenziel, aber das Endziel gewollt wird und man dann auch den Vorsatz bzgl. des Zwischenziels bejaht, obwohl der Zwischenerfolg in gewisser Weise unerwünscht ist).

Hannah B.

Hannah B.

14.12.2024, 23:33:20

Bei der zweiten Aussage sind nach dem Fettgedruckten zwei Punkte am Satzende.


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