Kündigung unter Vorbehalt bei Kenntnis dieses Vorbehalts durch Dritten (§ 116. S. 2 BGB)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Münchner Kneipier M erfährt von seiner Nachbarin N, dass die gemeinsame Vermieterin V der N gekündigt hat, damit N einer Mieterhöhung zustimmt. N erklärt, dass V nun dasselbe mit M vorhabe. Kurz darauf kommt es, wie von N prophezeit.

Einordnung des Falls

Kündigung unter Vorbehalt bei Kenntnis dieses Vorbehalts durch Dritten (§ 116. S. 2 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat eine Kündigungserklärung abgegeben.

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Ja!

Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf Beendigung eines Vertrages gerichtet ist. V handelte bewusst und wusste, dass sie eine rechtserhebliche Erklärung abgibt. Sie besaß also Handlungswillen und Erklärungsbewusstsein. Jedoch wollte sie die Rechtsfolge einer Kündigung (die Beendigung des Mietverhältnisses) nicht herbeiführen. V fehlte damit der Geschäftswille. Dessen Fehlen ist aber aus Gründen des Verkehrsschutzes unbeachtlich. Die Kündigung ging M auch zu und wurde damit wirksam (§ 130 Abs. 1 BGB).

2. Da V das Mietverhältnis tatsächlich nicht kündigen wollte und M dies wusste, ist die Kündigungserklärung nichtig (§ 116 S. 2 BGB).

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Genau, so ist das!

Gibt der Erklärende eine Willenserklärung ab und behält sich dabei insgeheim vor, die Rechtsfolgen des Erklärten nicht zu wollen, ist dieser gegenüber dem Empfänger bewusst verheimlichte Vorbehalt (sog. „Mentalreservation“) unbeachtlich (§ 116 S. 1 BGB). Der Rechtsverkehr vertraut auf die abgegebene Erklärung. Automatisch nichtig ist eine unter geheimem Vorbehalt abgegebene Erklärung allerdings dann, wenn der Empfänger den Vorbehalt kennt (§ 116 S. 2 BGB).. Denn dann kann er nicht schutzwürdig auf die Erklärung vertrauen. M hatte hier zuvor von N erfahren, dass V ihm tatsächlich nicht kündigen wollte. Die Willenserklärung ist daher nichtig (§ 116 S. 2 BGB).

3. Das Mietverhältnis zwischen M und V endet infolge der Kündigung mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

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Nein, das trifft nicht zu!

Das zeitlich unbefristete Mietverhältnis endet durch Kündigung eines Vertragsteils nach Ablauf der Kündigungsfrist (§ 542 Abs. 1 BGB). Die Kündigungserklärung des V war gemäß § 116 S. 2 BGB nichtig, sodass das Mietverhältnis nicht endet. Bei Mietverhältnissen über Geschäftsräume beträgt die Kündigungsfrist mindestens 6 Monate (§ 580a Abs. 2 BGB).

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ErdbärIn

ErdbärIn

16.12.2019, 20:55:48

Was ich nicht ganz verstehe : warum kann er darauf vertrauen, dass die Information überhaupt so stimmt? Wäre es nicht fahrlässig, auf so eine Information zu vertrauen? Immerhin kann es sich V doch anders überlegt haben und möchte den M nun doch kündigen. Muss der Rechtsverkehr wirklich auf eine Aussage von einer Dritten Person vertrauen und danach bewerten? Ich finde, M muss auch so darauf vertrauen, dass V nur das erklärt, was sie tatsächlich erklären möchte.

DO

DonQuiKong

27.2.2020, 08:15:31

Ja, ich finde das Beispiel auch schlecht gewählt. Kann er nicht versehentlich ein notariell beglaubigtes Schriftstück über ihren wahren Willen finden?

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

16.9.2020, 23:02:59

@ErdbärIn, sehr interessanter Gedanke! Allerdings ist hier m. E. wegen sachverhaltsnaher Auslegung („wie prophezeit“) eine tats. Kenntnis des geheimen Vorbehalts anzunehmen und nicht led. ein Vertrauen/Vermuten des geheimen Vorbehalts: M. a. W. ein ausgeprägteres kogn. Element. Nach Palandt BGB, 67. Aufl., § 116 Rn. 4 gilt außerdem: „Wie der and[ere] Teil die Kenntn[is] erlangt hat, ist gleichgültig. Kennenmüssen (§ 122 II) genügt nicht.“

Eigentum verpflichtet 🏔️

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23.5.2020, 16:08:04

Es geht hier ja um den Schutz des Rechtsverkehrs, nicht um den Schutz der V. V kündigt, obwohl sie gar nicht kündigen will. Normalerweise ist der Rechtsberkehr schutzwürdig und die Kündigung geht durch, der innere Vorbehalt bleibt unbeachtet. Falls aber der Adressat der einseitigen WE der V (Kündigung) M Sonderwissen von dem inneren Vorbehalt der V hat, dann ist er nicht schutzwürdig. Er muss nicht darauf vertrauen, dass V ihre Erklärung ernst meint. Was hier zugegeben für ihn positiv ist. Das muss es aber natürlich nicht immer sein. Und wenn V die Erklärung doch ernst meinte (Beweisfrage), ist die Kündigung natürlich wirksam. Finde das Gesetz löst das sehr schön an dieser Stelle.


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