Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Fahrlässigkeit nach § 222 StGB: an Trunkenheit angepasstes Fahren

Fahrlässigkeit nach § 222 StGB: an Trunkenheit angepasstes Fahren

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die T fährt mit 1,5 Promille BAK aber sonst ordnungsgemäß, als die am Fahrbahnrand spielende 5-jährige M unvermittelt auf die Straße läuft und es zu einem tödlichen Unfall kommt. Bei einem ihrem Zustand angepassten Tempo, wäre dieser nicht passiert, indes schon, wenn T nicht betrunken gewesen wäre.

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Einordnung des Falls

Fahrlässigkeit nach § 222 StGB: an Trunkenheit angepasstes Fahren

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten, in dem sie unter Alkoholeinfluss Auto fuhr (§ 222 StGB).

Genau, so ist das!

Der einschlägige Sorgfaltsmaßstab ergibt sich aus § 316 StGB. Danach darf derjenige, der sich im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit befindet, kein Fahrzeug führen. Mit 1,5 Promille BAK ist T alkoholbedingt absolut fahruntüchtig. Gleichwohl fährt sie mit ihrem Auto.
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2. Der Tod der M war auch objektiv vorhersehbar.

Ja, in der Tat!

Die objektive Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen ist. Für einen durchschnittlichen Autofahrer ist es nicht unvorhersehbar, dass auch beim ordnungsgemäßen Fahren unter Alkoholeinfluss am Straßenrand spielende Kinder unvermittelt auf die Fahrbahn laufen und es so zu mitunter tödlichen Unfällen kommen kann.

3. Nach einer Ansicht in der Literatur ist M´s Tod der T auch objektiv zurechenbar, da der Unfall auch passiert wäre, wenn T nicht betrunken gewesen wäre.

Nein!

Im Rahmen der objektiven Zurechnung muss ein Pflichtwidrigkeitszuammenhang bestehen. Dieser ist nur gegeben, wenn der missbilligte Erfolg objektiv vermeidbar war, wenn der Erfolg also auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Für das pflichtgemäße Alternativverhalten stellt ein Teil der Literatur auf das Verhalten eines nüchternen Fahrers ab. Auch wenn T nüchtern gefahren wäre, hätte sie den Unfall nicht vermeiden können. Der Unfall mit M wäre nach dieser Ansicht unvermeidbar gewesen.

4. Nach der Rechtsprechung besteht indes ein hinreichender Zusammenhang, weil T ihre Geschwindigkeit nicht ihrer herabgesetzten Fahrtüchtigkeit angepasst hat.

Genau, so ist das!

BGH: Maßgeblich ist unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 S. 1, 2 StVO nur die Frage, wie schnell die Trunkenheitsfahrerin – abgesehen davon, dass sie überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte – angesichts ihrer herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit nur hätte fahren dürfen, um auf Gefahren in der gleichen Zeit wie eine nüchterne Person reagieren zu können. Wäre T in einem ihren Zustand angepassten Tempo gefahren, hätte sie den Unfall vermeiden können. Gegen diese Ansicht spricht die so erhöhte Inpflichtnahme des betrunkenen Fahrers gegenüber dem nüchternen sowie das Anknüpfen an ein anderes pflichtwidriges Verhalten (Fahren unter Alkoholeinfluss vs. Fahren entgegen § 3 Abs. 1 S. 1, 2 StVO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SME

smend40

14.10.2021, 12:59:40

Das ist doch primär ein Problem des Pflichtwidrigkeits- und nicht (wie suggeriert)

Schutzzweckzusammenhang

s? Genauer, welches hypothetische Verhalten Maßstab für die Beurteilung des

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

s bilden soll? Auf den Schutzzweck kommt es hier doch höchstens sekundär (i.e. bei der Beurteilung, welches (pflichtgemäße) Verhalten hinzuzudenken ist) an?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.10.2021, 11:27:53

Vielen Dank smend40! Für die

objektive Zurechnung

bedarf es sowohl des

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

s, als auch des

Schutzzweckzusammenhang

s. Im vorliegenden Fall muss der Schwerpunkt indes in der Tat auf dem

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

liegen und der Frage, welches Alternativverhalten hier gefordert wird. Wir haben die Aufgabe entsprechend überarbeitet. Schau Sie Dir gerne noch einmal an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

31.5.2023, 10:27:57

Ich stehe auf dem Schlauch: Warum knüpft die Rechtsprechung dann nicht einfach direkt an § 3 I 2 StVO an? Auch hier würde ja ein Sorgfaltspflichtverstoß vorliegen, der vorhersehbar war, oder nicht?

itsAnna

itsAnna

15.10.2023, 10:24:44

Die letzte Frage verwirrt mich ein wenig. Wir knüpfen vorher immer daran an, dass T betrunken gefahren ist. Nach der Vermeindbarkeitstheorie wäre aber der Unfall nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen, wäre sie nüchtern gefahren. Natürlich wäre der Unfall nicht eingetreten, wenn T langsamer gefahren wäre, aber dann müssten wir doch als strafbare Handlung eben auch an dieses an ihre Verhältnisse nicht angepasste Schneller-Fahren anknüpfen.

LELEE

Leo Lee

22.10.2023, 12:43:19

Hallo itsAnna, du hast völlig Recht damit, dass es etwas komisch ist, dass wir bei der FL daran anknüpfen, dass der Fahrer eben so fahren muss, wie er „betrunken in der Lage“ ist. Damit knüfpen wir eben an eine rechtMÄßIGE, sondern, rechtsWIDRIGE Alternativhandlung an. Deshalb hat diese Entscheidung viel Kritik erfahren. Vermutlich hat jedoch der BGH so entschieden, um die Person noch für die fahrlässige Tötung zu bestrafen: Also aus kriminalpolitischen Gründen. Eine nähere Erläuterung der Kritik findest du u.a. bei Wessels/Beulke/Satzger AT 52. Auflage, Rn. 1131 :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

TOB

Tobi0

23.1.2024, 17:57:34

Ich finde die vorletzte Frage missverständlich. Eine Ansicht kann auch eine Einzelansicht sein. Und ich wette darauf, das irgendjemand die Rspr unterstützt. Deshalb vielleicht "nach überwiegender Ansicht" formulieren


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