+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der statthafte und formgerechte Einspruch des B geht erst nach Fristablauf bei Gericht ein. Grund dafür ist, dass Rechtsanwaltsgehilfe R aus Versehen den Schriftsatz an das falsche Gericht adressierte. R arbeitete bisher stets zuverlässig und auch sonst ist die Kanzlei optimal organisiert.
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Einordnung des Falls
Frist - Einspruch zu spät, aber unverschuldete Säumnis (Rechtsanwaltsgehilfe) - Wiedereinsetzung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Da der Einspruch des B verspätet bei Gericht einging, hat er nun keine Möglichkeit mehr, sich gegen das Versäumnisurteil zur Wehr zu setzen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Sofern der Einspruch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist erfolgt, kann unter folgenden Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (§§ 233 ff. ZPO): (1) Versäumung einer Notfrist, (2) Form (§ 236 Abs.1 ZPO), (3) Angabe und Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) des Wiedereinsetzungsgrundes (§ 236 Abs.2 ZPO), (4) Nachholung der versäumten Prozesshandlung, (5) Einhaltung der Antragsfrist (§ 234 ZPO), (6) Unverschuldete Fristversäumnis (§ 233 ZPO). Die Wiedereinsetzung ist in der zu wahrenden Frist inzident zu prüfen, denn sofern eine solche erfolgt, ist der Einspruch als rechtzeitig erfolgt anzusehen. Achtung: Oft lassen Klausurersteller die Partei einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen, obwohl die Frist nicht abgelaufen ist. Daher immer unter Beachtung der Sonn- und Feiertage prüfen, ob die Frist abgelaufen ist.
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2. B hat eine Notfrist versäumt.
Ja, in der Tat!
Notfristen sind nur diejenigen Fristen, die in der ZPO als solche bezeichnet sind (§ 224 Abs.1 S.2 ZPO).Die Einspruchsfrist ist nach § 339 Abs.1 ZPO eine Notfrist. Diese hat B versäumt.
3. B kann den Wiedereinsetzungsantrag formlos und ohne weitere Angaben stellen.
Nein!
Nach § 236 Abs.1 ZPO richtet sich die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. Der Antrag muss insbesondere die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten (§ 236 Abs.2 S.1 ZPO); diese sind glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO). Zudem muss innerhalb der Antragsfrist die versäumte Prozesshandlung nachgeholt werden (§ 236 Abs.2 S.2 ZPO). In der Regel erfolgt die Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung; sie ist aber auch durch alle anderen förmlichen Beweismittel möglich, vgl. § 294 ZPO.
4. B muss die Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen ab Zugang des Versäumnisurteils beantragen (§ 234 ZPO).
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden (§ 234 Abs.1 S.1 ZPO). Die Frist beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs.2 ZPO). Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden (§ 234 Abs.3 ZPO). B wahrt die Frist insbesondere dann, wenn er unmittelbar nach Kenntnis vom verspäteten Zugang der Einspruchsschrift die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
5. B müsste die Frist ohne sein Verschulden versäumt haben (§ 233 ZPO).
Ja, in der Tat!
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgt nur, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Notfrist einzuhalten. Nach § 233 S.2 ZPO wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Auch in Anwaltsprozessen, in denen grds. nach § 232 S.2 ZPO keine Rechtsbehelfsbelehrung erfolgen muss, ist ausnahmsweise über den Einspruch zu belehren (§ 232 S.2 ZPO a.E.).
6. B muss sich hier ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs.2 ZPO).
Nein!
Nach § 85 Abs.2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Dem Anwalt des B ist keine eigene Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen. Insbesondere liegt kein Organisationsverschulden vor, da seine Büroorganisation ausweislich des Sachverhalts optimal war. Der Anwalt darf darauf vertrauen, dass ein Büroangestellter, der sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, die Schriftstücke an das richtige Gericht versendet. Er muss insbesondere nicht jeden Versand eines Schreibens kontrollieren, da der Verschuldensmaßstab im Rahmen des § 233 ZPO nicht die äußerste oder größtmögliche Sorgfalt, sondern die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt ist.Werte hier sorgfältig die Akte aus. Es lassen sich leicht Abwandlungen bilden, die ein Organisationsverschulden des Anwalts begründen können.
7. Zwar liegt kein Verschulden des Anwalts vor, jedoch ein Verschulden des Rechtsanwaltsgehilfen R infolge fahrlässiger Falschabsendung. Wird dieses dem B zugerechnet?
Nein, das ist nicht der Fall!
Ein Verschulden von Angestellten des Prozessbevollmächtigten wird der Partei nicht über § 85 Abs.2 ZPO zugerechnet. Der Zivilprozessordnung ist eine Zurechnung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen, wie sie in § 278 BGB geregelt ist, fremd. Auch wenn hier ein Verschulden des R vorliegt, da er den Einspruchsschriftsatz fahrlässig an das falsche Gericht gesandt hat, ist ein solches dem B nicht zuzurechnen.
8. Durch den Einspruch des B wird der Prozess vorliegend gem. § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er vor der Säumnis des B war.
Ja, in der Tat!
Der zulässige Einspruch setzt den Prozess in die Lage zurück, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Der Einspruch des B ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft (§ 338 ZPO) und formgerecht (§ 340 ZPO) erfolgt. Dass B vorliegend die Einspruchsfrist (§ 339 ZPO) nicht eingehalten hat, steht der Zulässigkeit hier nicht entgegen, da dem B gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Er war ohne Verschulden gehindert, die Einspruchsfrist einzuhalten.