Vollstreckbarkeit bei Sieg des Säumigen

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B wird durch Versäumnisurteil zur Zahlung von €350.000 verurteilt. Nach ihrem zulässigem Einspruch wird das Versäumnisurteil vollständig aufgehoben und die Klage abgewiesen. Was gilt für die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit?

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Einordnung des Falls

Vollstreckbarkeit bei Sieg des Säumigen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es gelten die allgemeinen Regeln für das kontradiktorische Urteil.

Ja, in der Tat!

Im Hinblick auf die vorläufige Vollstreckbarkeit nach Aufhebung des Versäumnisurteils gelten die allgemeinen Regeln zur vorläufigen Vollstreckbarkeit für das kontradiktorische Urteil, insbesondere §§ 708 Nr.11, 709, 711, 713 ZPO.
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2. Nur die Beklagte kann wegen der Kosten des Rechtsstreits vollstrecken.

Nein!

Nicht nur die Beklagte kann Kosten vollstrecken, sondern auch der Kläger.. Denn bei Aufhebung des Versäumnisurteils ergeht folgende Kostenentscheidung: „Die Beklagte trägt die Kosten ihrer Säumnis. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.“ Daraus folgt, dass sowohl eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit für den Kläger, der wegen der Kosten der Säumnis vollstrecken kann, als auch über die vorläufige Vollstreckbarkeit für die Beklagte, die wegen der übrigen Kosten des Rechtsstreits vollstrecken kann, zu treffen ist.

3. Für den Kläger lautet die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit: „Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.“

Genau, so ist das!

Bis zu einer vollstreckbaren Summe von €1.500 greifen § 708 Nr.11 ZPO und § 711 ZPO ein. Die Vollstreckung kann ohne Sicherheitsleistung erfolgen, soweit der Vollstreckungsgegner nicht von seiner Abwendungsbefugnis Gebrauch machen. K kann nur wegen der Kosten der Säumnis vollstrecken (§ 344 ZPO), also der Mehrkosten, die durch den Einspruchstermin entstanden sind. Ohne weitere Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass diese unter €1.500 liegen, sodass § 708 Nr.11 ZPO und § 711 ZPO eingreift.Zu den weiteren Kosten gehören zB Reisekosten für die Wahrnehmung des Einspruchstermins durch den Einspruchsgegner; Kosten für eine zusätzliche oder nochmalige Ladung von Zeugen sowie deren eventuelle Kosten für einen Verdienstausfall.

4. Für die Beklagten lautet die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit: „Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.“

Ja, in der Tat!

Liegt der Ausnahmetatbestand des § 708 ZPO nicht vor, sind grundsätzlich alle Urteile nach § 709 S. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.B kann wegen der übrigen Kosten des Rechtsstreits vollstrecken. Bei einem Gegenstandswert von €350.000 übersteigen allein die Kosten seiner Verteidigung €1.500 deutlich, sodass § 708 Nr.11 ZPO nicht eingreift. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich daher nach § 709 S.1 und S.2 ZPO.Bei einem Gegenstandswert von €350.000 beträgt eine einfache Anwaltsgebühr bereits €2.879. Bs Verteidigungskosten belaufen sich auf 1,3 Verfahrensgebühren (VV 3100), 1,2 Terminsgebühren (VV 3104), €20 Postentgelt (VV 7002) und 19% Umsatzsteuer (VV 7008), mithin €8588,8,3Merke: Wenn der anwaltlich vertretene Beklagte nur seine Kosten vollstrecken kann und vollständig obsiegt, liegt die Grenze ab der man gem. § 709 ZPO tenorieren muss, bei einem Streitwert von mehr als €7.000 (Verteidigungskosten = €1517,25).

5. Es ist zudem zu tenorieren, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf (§ 709 S.3 ZPO).

Nein!

§ 709 S.3 ZPO ist nur anwendbar bei Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils, nicht aber bei dessen Aufhebung. Denn wenn das Versäumnisurteil aufgehoben wird und infolgedessen nicht mehr existent ist, besteht keine Gefahr, dass aus diesem wegen § 708 Nr.2 ZPO noch (ohne Sicherheitsleistung) vorläufig vollstreckt werden könnte.

6. Die beiden Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit können im Tenor kombiniert werden.

Genau, so ist das!

Im Tenor fasst man dies üblicherweise wie folgt zusammen: „Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.“ In den Entscheidungsgründen stellst Du dies nur kurz fest: „Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 S.1 und 2, 708 Nr.11, 711 ZPO.“
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

medoLaw

medoLaw

9.3.2023, 09:47:06

Wieso sind die Kosten des Klägers aufgrund der Säumnis unter 1.500 €? In der Erklärung stand, dass keine Termingebühr anfallen würde, aber der Anwalt ist doch da hingefahren und musste auch den Antrag auf Versäumnisurteil stellen? 🤔 und dann musste er ja nach dem Einspruch nochmal zur Verhandlung fahren. Dann müssten es ja 2 Termingebühren sein?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2023, 15:18:30

Hallo medoLaw, sehr gut, dass Du nachfragst. Der Begriff "Termingebühr" ist in der Tat missverständlich. Denn die Termingebühr entsteht nicht für jeden Termin, den der Anwalt wahrnimmt, sondern insgesamt nur einmal (§ 15 Abs. 2 S. 1 RVG). Diese Kosten sind aber nicht wegen der Säumnis angefallen, sondern auch, wenn B erschienen wäre. Die Terminsgebühr erhöht sich durch den zweiten Termin insoweit nicht. Da K vollumfänglich verloren hat, muss er insoweit auch in vollem Umfang seine Anwaltsgebühren tragen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team

GEI

Geithombre

3.2.2024, 21:13:31

Wenn man davon ausgeht, dass der Kläger weniger als 1.500€ vollstrecken kann, wäre dann nicht auch

§ 713 ZPO

naheliegend, so dass der Beklagten keine Abwendungsbefugnis zuzugestehen ist?

TI

Timurso

3.2.2024, 21:30:21

Die Voraussetzungen des

§ 713 ZPO

liegen aber nicht vor, da das Rechtsmittel der Berufung gegen das Urteil statthaft ist. Selbst wenn der Beklagte nicht (ausreichend) beschwert ist, kann der Kläger Berufung einlegen. In diesem Fall könnte der Beklagte Anschlussberufung einlegen (unabhängig von der Berufungssumme) und jedenfalls die Abänderung der Kostenentscheidung beantragen. Der Gedanke des 713 ZPO, dass ein Schutz nicht erforderlich ist, da das Urteil sofort rechtskräftig wird, ist damit nicht erfüllt.

GEI

Geithombre

4.2.2024, 19:09:23

Danke dir, weil das so oft erlassen ist habe ich (zu lange) nicht mehr die vV intensiv gemacht. Diese blöde unselbständige Anschlussberufung nach § 5

24 ZPO

geht mir immer durch, weil ich zu eng auf nur auf die konkrete Beschwer schaue.

WES

westwing

4.9.2024, 19:47:47

im Tenor der letzten Aufgabe wird festgestellt, dass B vorläufig vollstrecken kann gegen Sicherheitsleistung (seine Kosten = 8.xxx €) warum hat hier K keine Abwendungsbefugnis nach 713?

WES

westwing

9.9.2024, 15:46:45

Hat sich erledigt. Für die Beklagte erfolgt keine Vollstreckung nach 711 nr. 4-11 daher auch keine abwendungsbefugnis und nur die Sicherheitsleistung.


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