Öffentliches Recht

VwGO

Fortsetzungsfeststellungsklage

(Tiefgreifender) Grundrechtseingriff? (Grundfall)

(Tiefgreifender) Grundrechtseingriff? (Grundfall)

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Neonazi N wird verdächtigt, einen Anschlag auf eine Synagoge zu planen. Die Polizei durchsucht deswegen Ns Schlafzimmer. N tobt vor Wut und möchte feststellen lassen, dass die Durchsuchung ein massiver Grundrechtseingriff war.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

(Tiefgreifender) Grundrechtseingriff? (Grundfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Durchsuchung hat sich noch nicht erledigt. Statthaft ist die Anfechtungsklage.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Maßnahme einer polizeilichen Durchsuchung ist ein Verwaltungsakt, der sofort vollzogen wird. Der Verwaltungsakt hat sich damit erledigt, wenn die Polizei die Durchsuchung beendet hat. Statthaft ist dann nicht mehr die Anfechtungsklage, sondern die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog). Die Durchsuchung von Ns Wohnung hat sich erledigt. Statthaft ist die Fortsetzungsfeststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung, dass die Durchsuchung rechtswidrig war.
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2. N müsste ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung haben. Teilweise wird dieses bereits dann bejaht, wenn ein Grundrechtseingriff vorliegt.

Ja, in der Tat!

Zum Teil wird das berechtigte Interesse an der nachträglichen Feststellung (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO a.E.) bereits dann angenommen, wenn ein Verwaltungsakt ein Grundrecht verletzt. Dem ist entgegenzuhalten, dass durch einen Verwaltungsakt fast immer ein Grundrecht berührt ist, sei es auch "nur" Art. 2 Abs. 1 GG. Demnach würde das eingrenzende Kriterium des berechtigten Interesses praktisch leer laufen. Aus diesem Grund reicht eine Grundrechtsverletzung allein nicht aus, um ein berechtigtes Interesse im Sinne der Fortsetzungsfeststellungsklage zu bejahen.

3. Ein berechtigtes Interesse liegt unumstritten dann vor, wenn es sich um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff handelt.

Nein!

Ob ein besonders schwerwiegender, tiefgreifender Grundrechtseingriff ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO begründet, ohne dass weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen, ist umstritten. Eine Ansicht in der Literatur nimmt dies an. Das BVerwG lehnt diese Ansicht ausdrücklich ab. Auch nach der st. Rspr. des BVerfG ist nur dann ein Feststellungsinteresse anzunehmen, wenn es sich die Maßnahme, die den Eingriff in das Grundrecht begründet hat, typischerweise schnell erledigt. Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff als solcher reicht danach nicht aus.

4. Für die Auffassung des BVerwG spricht, dass es kein Bedürfnis für die eigenständige Fallgruppe "schwerwiegender Grundrechtseingriff" gibt.

Genau, so ist das!

Das BVerwG lehnt die Auffassung, nach der bereits ein schwerwiegender Eingriff in Grundrechte ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO begründen soll, ausdrücklich ab. Dafür spricht, dass es für diese Fallgruppe neben den anderen, allgemein anerkannten Fallgruppen, kein Bedürfnis gibt. Sind nicht zugleich die Voraussetzungen einer anderen Fallgruppe erfüllt, ist nicht ersichtlich, weshalb der vom erledigten schwerwiegenden Grundrechtseingriff nicht mehr nachteilig Betroffene ein anzuerkennendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse besitzen soll.

5. Im Fall des N mangelt es an dem erforderlichen berechtigten Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO liegt grundsätzlich vor allem vor, wenn eine der Standard-Fallgruppen einschlägig sind. Dazu gehören vor allem die Wiederholungsgefahr, das Präjudizinteresse sowie das Rehabilitationsinteresse und die Fälle der kurzfristigen Erledigung. Bei der Durchsuchung handelt es sich um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff (Art. 13 Abs. 1 GG). Die Durchsuchung ist aber auch ein Maßnahme, die sich kurzfristig erledigt. Auf den Streit, ob ein schwerwiegender Eingriff allein ausreicht, kommt es deswegen nicht an. N hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TAME

Tamer

24.11.2021, 21:14:08

Könnten man hier in der Subsumtion nicht auch mit der Fallgruppe der Wiederholungsgefahr argumentieren? Es ist ja nicht auszuschließen, dass die Polizei nochmals vorbeischaut. Denn eine komplette Entkräftung des Verdachts ggü. N wird im Sachverhalt nicht angesprochen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.11.2021, 10:53:04

Hallo Tamer, der Sachverhalt ist an dieser Stelle etwas knapp. Denkbar wäre das bei lebensnaher Betrachtung aber durchaus. Beachte aber bei der Prüfung, dass es immer einer "konkreten" Wiederholungsgefahr bedarf. Es muss also "in absehbarer Zeit bei im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit einer gleichartigen negativen Entscheidung zu rechnen sein oder sich die in Bezug auf den erledigten Verwaltungsakt kontroversen Rechtsfragen zwischen den Beteiligten sein" (vgl. BVerwG NVwZ 1994, 282). Hierfür bedarf es konkreter Anhaltspunkte füf eine Wiederholung und nicht bloß die vage oder abstrakte Möglichkeit einer Wiederholung (vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

GNU

Gnu

31.1.2023, 11:11:44

Liebes Team, ist die Durchsuchung an sich nicht ein

Realakt

? Von ihr selbst geht ja keine Regelungswirkung aus. Wäre dann nicht die allgemeine FK und nicht die FFK die

statthafte Klageart

? Ich bin etwas verwirrt

CR7

CR7

16.2.2023, 14:20:41

Ich auch, bitte um Antwort! :D

KR

kristinaelghazi

22.3.2023, 11:39:29

In der Regel sind polizeiliche Maßnahmen als Verwaltungsakte einzustufen. Auch scheinbar rein vollziehenden Akten (

Realakt

en) geht in der Regel eine Entscheidung mit regelndem Charakter voraus, die ebenso als Verwaltungsakt einzustufen ist.

Juramaus

Juramaus

18.5.2023, 13:51:37

Die Ansicht nach welcher eine

konkludente Duldungsverfügung

in Verbindung mit polizeilichem Realhandeln ergeht ist meines Wissens nach veraltet. Sie basierte vorallem auf der Notwendigkeit für den Rechtsschutz, welcher bei

Realakt

en quasi nicht existent war. Mittlerweile haben wir die

allgemeine Feststellungsklage

weswegen sich die Annahme dass jedes polizeiliche Handeln VA ist dahingehend erübrigt.

GO

gova

14.3.2024, 12:02:13

Ich habe die Fallgruppen „tiefgreifender Grundrechtseingriff“ und „kurzfristige Erledigung“ in einem gelernt (s.o.). Könnte man beide Fallgruppen als eine betrachten und wäre dann der Streit nicht entbehrlich?

PK

P K

14.3.2024, 19:50:37

Aus meiner Sicht ja, weil es letztlich auf die kurzfristige Erledigung ankommt. Art. 19 IV GG fordert hier unabhängig von der Eingriffstiefe effektiven Rechtsschutz.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

15.3.2024, 11:03:12

Hallo gova, danke für deine Frage! Hier kommt zum Tragen, dass die Rechtsprechung eben nicht allein den schwerwiegenden Eingriff ausreichen lässt, sondern zusätzlich fordert, dass dieser sich "typischerweise kurzfristig erledigt" und somit ohne die nachträgliche Kontrolle nie die Möglichkeit einer Überprüfung bestände. In den meisten Fällen wird das daher gar nicht erst aufgedröselt" sondern als eine Fallgruppe gelernt. Das reicht für Klausuren auch aus, diese beiden Kriterien so zu kennen und zu beherrschen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

GO

gova

15.3.2024, 14:29:16

Perfekt, danke für die schnellen Antworten :).


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