Referendariat: Prozessrecht & Klausurtypen

Die ZVR-Klausur

Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO

Materiell-rechtliche Einwendungen / Zahlung an den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO analog)

Materiell-rechtliche Einwendungen / Zahlung an den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO analog)

31. Mai 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G verklagt S erfolgreich auf Zahlung von €100.000 und beauftragt Gerichtsvollzieher Z mit der Vollstreckung. Z fordert S zur Zahlung auf. S zahlt daraufhin an Z. Z setzt sich mit dem Geld in die Karibik ab. G kündigt gegenüber S die erneute Vollstreckung an.

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Einordnung des Falls

Materiell-rechtliche Einwendungen / Zahlung an den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO analog)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) des S gegen G ist zulässig.

Ja!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. S richtet sich hier mit dem materiell-rechtlichen Einwand, er habe bereits gezahlt und so den Anspruch erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB), gegen den Anspruch. Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist also statthaft. G hat die Vollstreckung angekündigt, sodass für S auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
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2. Die Vollstreckungsabwehrklage des S ist begründet, wenn ihm eine materiell-rechtliche Einwendung gegen G zusteht.

Genau, so ist das!

Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist begründet, wenn (1) die Sachbefugnis vorliegt, (2) dem Kläger eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch zusteht und (3) diese nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) ist. Bei Punkt (2) ist zu prüfen, ob der Anspruch des G gegen S tatsächlich erfüllt und damit erloschen ist. Während Du im Rahmen der Zulässigkeit prüfst, ob die behauptete Einwendung materiell-rechtlicher Natur ist und sich gegen den Anspruch selbst richtet, führst Du in der Begründetheit eine Prüfung der Einwendung nach materiellem Recht durch.

3. S hat den Anspruch des G durch Zahlung an Z erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Weder die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher (§ 815 Abs. 3 ZPO) noch die freiwillige Zahlung an den Gerichtsvollzieher haben Erfüllungswirkung. Erfüllungswirkung hat erst die Ablieferung des Geldes durch den Gerichtsvollzieher beim Vollstreckungsgläubiger (§ 362 Abs. 1 BGB). Nach der herrschenden Amtstheorie gilt der Gerichtsvollzieher nicht als Erfüllungsvertreter des Vollstreckungsgläubigers, weil er als Gerichtsvollzieher eine Amtsperson ist und daher hoheitlich im Rahmen eines staatlichen Verfahrens tätig ist. Z hat das Geld nicht an G abgeliefert, sodass keine Erfüllung eingetreten ist.

4. Die Vollstreckungsabwehrklage ist begründet, obwohl die Zahlung des S an Z keine Erfüllung darstellt.

Ja!

Die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher gilt als Zahlung des Vollstreckungsschuldners an den Vollstreckungsgläubiger (§ 815 Abs. 3 ZPO). Für die freiwillige Zahlung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher gilt nach dem BGH § 815 Abs. 3 ZPO analog. Diese Regelung enthält zwar keine materiell-rechtliche Erfüllungsfiktion, regelt aber abweichend von § 270 BGB die Gefahrtragung bei einer Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher. Nach Zahlung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher trägt der Vollstreckungsgläubiger das Risiko einer Nicht-Weiterleitung des Geldes an ihn - selbst bei einer Unterschlagung durch den Gerichtsvollzieher. Das hindert ihn daran, nochmal beim Schuldner zu vollstrecken. Diese Einwendung steht S also tatsächlich zu. Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) ist begründet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BIBE

bibe

6.7.2022, 13:56:56

Kann der G dann gegen den Z im Rahmen der Amtshaftung vorgehen? Vielen Dank där die Antwort :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2022, 16:30:46

Hallo bibe, leitet der Gerichtsvollzieher den empfangenen Betrag nicht den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften entsprechend an den

Vollstreckungsgläubiger

weiter, so dass der Gläubiger hierüber nicht verfügen kann, liegt eine Verletzung von

Amtspflichten

vor, die dem Gerichtsvollzieher sowohl gegenüber dem

Schuld

ner als auch gegenüber dem Gläubiger obliegen (Amtstheorie). Dies kann im Wege eines Amtshaftungsverfahrens geltend gemacht werden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

9.9.2023, 14:09:32

Was ist denn dann die Einrede des S? § 815 III ggf. analog als lex specialis zu § 270 BGB? Und warum ist das eine MATERIELL-rechtliche Einwendung?

PAT

Patrick4219

24.2.2024, 16:40:42

Ich würde vermuten, dass hier die Einrede in der

Unmöglichkeit

der Leistung nach § 275 Abs. 1 BGB liegt.

EG

Eginhard

15.7.2024, 11:40:39

275 dürfte bei

Geldschuld

en eigentlich nicht gehen.

FW

FW

14.10.2024, 12:07:56

Ich hätte gesagt die Einwendung ist dennoch §§ 433 II, 362 I BGB. Normalerweise müsste ja für die

Erfüllung

die Leistungshandlung vorgenommen werden ( Zahlung des S an Z) und dann zusätzlich noch der Leistungserfolg eintreten ( Weiterleitung von Z an G). Da der Z jedoch den

Geld

betrag unterschlagen hat, tritt wegen des fehlenden Leistungserfolges aber keine

Erfüllung

ein. Jetzt stellt der § 815 III ZPO analog jedoch klar, dass eine Zahlung an den Gerichtsvollzieher als „Zahlung“ VON SEITEN des

Schuld

ners gilt. Somit hat der

Schuld

ner nach dieser gesetzlichen Fiktion an den Gläubiger gezahlt und dementsprechend auch erfüllt, vgl. §§ 433 II, 362 I.

G0d0fMischief

G0d0fMischief

22.1.2025, 10:47:27

Ich würde mit § 242 BGB arbeiten. Indem G hier erneute Zahlung verlangt, obwohl er gem. § 815 III ZPO analog die Gefahr für den zufälligen Untergang des Leistungsgegenstandes bzw. wie hier die Unterschlagung trägt. Verhält er sich rechtsmissbräuchlich.

JulianF

JulianF

10.2.2025, 11:03:33

Ich würde sagen, dass § 815 III eher für den Untergang der Forderung spricht, nicht nur für eine Einrede nach § 242. Im Grunde ist das der Rechtsgedanke des

Leistungsgefahr

übergangs bei einer

Gattungsschuld

nach §§ 275 I, 243 II, da der

Schuld

ner die seinerseits

erforderlich

e

Erfüllung

shandlung abgeschlossen hat. § 815 III modifiziert diese §§ 275 I, 243 II, sodass sie auch auf

Geldschuld

en anwendbar sind. Untergang also nach §§ 275 I,

243 II BGB

, § 815 III ZPO.

JURAFU

jurafuchsles

9.2.2024, 16:13:39

im Thomas/Putzu zu §815 Rn. 10 steht, dass es eine reine

Gefahrtragung

sregel ist ohne

Erfüllung

swirkung? wie genau passt das zu dem Fall? Verstehe es noch nicht ganz!

SDEE

SDee

29.2.2024, 12:29:56

Was wären dann Anspruchsgrundlagen für den Rückgriff des Gläubigers gegen den GV im Innenverhältnis?

Dogu

Dogu

26.4.2024, 12:08:28

Amtshaftung


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