Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
G verklagt S auf Zahlung von €10.000. Am Tag vor der mündlichen Verhandlung zahlt S an G. Er vergisst, das seinem Anwalt zu erzählen. Bei der Verhandlung ist S nicht anwesend. Niemand erwähnt die Zahlung. S wird zur Zahlung verurteilt. G kündigt die Vollstreckung an.
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Einordnung des Falls
Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. S kann zulässigerweise eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) erheben.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Klage ist begründet, wenn S die Einwendung tatsächlich zusteht und diese nicht präkludiert ist.
Ja!
3. Die Einwendung des S ist ausgeschlossen (§ 767 Abs. 2 ZPO). Die Klage ist unbegründet.
Genau, so ist das!
4. Wenn G vollstreckt hat, kann S den vollstreckten Betrag (zweite Zahlung) mit einer Leistungsklage von G zurückverlangen.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Wenn G vollstreckt, kann S die ursprünglich gezahlten €10.000 (erste Zahlung) mit einer Leistungsklage von G zurückverlangen, da diese ihren Zweck verfehlt hat.
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
11.3.2021, 12:45:25
Fiat Iustitia!
26.5.2021, 12:10:08
Sehe ich keinen Grund für. insbesondere muss der Gläubiger die Erfüllung durch S nicht in den Prozess einführen. Zur sorgfältigen Prozessführung seitens des Beklagten gehört es grundsätzlich, für ihn günstige tatsächliche oder rechtliche, Umstände vorzutragen.
826ist fernliegend mmN.
ccd
25.2.2022, 21:55:06
Mir fehlt hier, dass das Urteil im Erkenntnisverfahren bereits bestandskräftig ist. Schließlich schützt die Präklusion gerade den
322 ZPO.
Lukas_Mengestu
28.2.2022, 10:59:18
Hallo ccd, vielen Dank für Deinen Hinweis. In der Tat soll die Präklusion typischerweise der Absicherung der materiellen Rechtskraft dienen. Allerdings gilt die Präklusion nicht nur für rechtskräftige Entscheidungen. Vielmehr ist auch eine
Vollstreckungsabwehrklagegegen vorläufig vollstreckbare Urteile
präkludiert, wenn die Einwendung vor Schluss der mündlichen Verhandlung hätte gelted gemacht werden müssen (vgl. K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, 6.A. 2020, § 767 RdNr. 77). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Bienenschwarmverfolger
5.6.2022, 21:10:38
Habt ihr eine Fundstelle dazu, dass eine spätere
Leistungsklageaus § 812 BGB in jedem Fall unbegründet wäre? M. E. hat der BGH (NJW-RR 2012, 304, ganz am Ende) angedeutet, dass eine solche Rückforderung zumindest in Betracht kommt. Im Kaiser-Skript wird die Problematik für den ähnlich gelagerten Fall behandelt, dass der Schuldner zwischen Erlass eines VUs und dem Ablauf der Einspruchsfrist erfüllt und deshalb nach hM ebenfalls
präkludiertist (9. Aufl. Rn. 22 Fn. 75). Als Lösungsmöglichkeiten schlägt Kaiser (i) Treuwidrigkeit der Vollstreckung oder (ii) die Kondiktionen ob rem (Leistungszweck der Abwendung der Zwangsvollstreckung verfehlt) bzw. ob causam finitam (Erfüllungswirkung weggefallen) vor. Alle diese Einwände entstehen erst aufgrund der Vollstreckung durch G und können deshalb nicht
präkludiertsein. Makowsky, JuS 2014, 901, 903 legt dar, dass der Schuldner mit dem Bereicherungsanspruch sogar gegen titulierten Anspruch aufrechnen könnte. Auch diese Aufrechnung wäre nicht
präkludiert, da die Aufrechnungslage erst mit Vollstreckungsbeginn entsteht.
GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär
6.6.2022, 11:37:12
Sehe ich ähnlich, mE müsste der Schuldner hier jedenfalls den zuerst gezahlten Betrag kondizieren können, wenn schon die
Vollstreckungsabwehrklagepräkludiert
ist. Das Ergebnis der Doppelzahlung erscheint mir untragbar. Schließlich soll 767 II ZPO die
Rechtskraftwirkungdes Urteils schützen, nicht aber zu ungerechtfertigten Vermögensverschiebungen führen.
Lukas_Mengestu
14.7.2022, 13:06:03
Hallo ihr beiden, vielen Dank für eure sehr guten Hinweise. Das war hier in der Tat etwas missverständlich dargestellt, da sich die Aufgabe zunächst nur mit der Frage beschäftigt hat, ob die vollstreckte Forderung (zweite Zahlung) von S zurückgefordert werden kann. Dies ist aber nach der, auch von Bienenschwarmverfolger, zitierten Rechtsprechung in den Fällen nicht möglich, in denen der Vollstreckende nicht arglistig gehandelt hat und somit ein Anspruch aus §
826 BGBfehlgeht. Im Ergebnis bleibt es aber nicht bei einer Doppelzahlung, vielmehr hat der BGH in seiner Entscheidung in der Tat angedeutet, dass im Hinblick auf die erste Zahlung (ursprüngliche Erfüllung) ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB (Zweckverfehlungskondiktion) in Betracht kommt. Dementsprechend kann sich S durchaus sein Geld wieder zurückholen. Allerdings trägt er in der Zwischenzeit das Insolvenzrisiko des G. Wir haben das in der Aufgabe noch einmal präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
evanici
9.9.2023, 15:05:31
Das heißt aber im Ergebnis, dass auch für die erste Zahlung ein Rechtsgrund vorlag und auch weiterhin vorliegt? S zahlt also einmal auf den Anspruch des G und beim zweiten Mal auf den Titel. Man würde also nicht sagen, dass beispielsweise durch § 815 III ZPO eine Wegnahme des Geldes ja als Zahlung gilt, damit der Rechtsgrund für die ursprüngliche Zahlung weggefallen ist und somit § 812 I 2 F. 1 einschlägig wäre?
Außenbereichsinsel
11.1.2024, 11:42:49
Verneint nicht die h.M. eine Zweckverfehlungskondiktion, wenn der nicht erreichte Zweck ausschließlich in der
Erfüllung einer Verbindlichkeitbesteht, da für diese Konstellation insoweit die Leistungskondiktion spezieller sei? Gibt es für diese Abweichung hier einen besonderen Grund?
easy
26.1.2024, 11:22:17
Bei der zweiten Frage zu Fall 1 hat sich ein kleiner Fehler in der Subsumtion eingeschlichen. In der Subsumtion wird davon gesprochen, dass G an S gezählt hätte und der Einwand deswegen
präkludiertsei.
Leo Lee
27.1.2024, 17:04:18
Hallo easy, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir haben den Fehler nun korrigiert und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Patrick4219
24.2.2024, 17:33:11
Welcher Zweck wurde denn mit der Zahlung der 10.000,-€ vor Urteilsverkündung verfehlt? Ich verstehe die Begründung in der Antwort leider nicht wirklich. Nur weil der Erfüllungseinwand im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage
präkludiertist, heißt dies ja nicht, dass die Erfüllungswirkung der Zahlung nicht eingetreten ist. Unterstellt man in diesem Fall dem Schuldner, dass er mit der Zahlung der 10.000,-€ vor Urteilsverkündung die Verhinderung eines Zahlungstitels verhindern wollte und sieht hierin die Zweckverfehlung?
Patrick4219
24.2.2024, 17:48:36
Noch eine Idee: Zweck war nicht bloß die Erfüllung der Vertragsverpflichtung sondern zudem auch die Herbeiführung der Erfüllungswirkung. Erfüllung nach § 362 BGB ist eingetreten aber durch die Präklusion nicht die Erfüllungswirkung. Ergo wurde der Zweck verfehlt 🤔
Dogu
2.5.2024, 16:24:25
Naja der Zweck war ja die Forderung dergestalt zu beseitigen, dass Rechtsfrieden herrscht und nicht darin, lediglich den materiellen Anspruch zu erfüllen und trotzdem noch der Zwangsvollstreckung ausgesetzt zu sein.
Dogu
2.5.2024, 16:25:14
Ups zu spät Deinen zweiten Beitrag gesehen. :D
Patrick4219
25.2.2024, 11:56:59
Liebes JF-Team, Bei der o.g. Frage hat sich ein Fehler eingeschlichen. Es wird danach gefragt, ob der Schuldner die vollstreckte Summe durch
Leistungsklagezurückerhalten kann. Die richtige Antwort Möglichkeit ist "Nein". Im Hinweistext steht jedoch als erster Satz sinngemäß "Er kann die
verlängerte Vollstreckungsabwehrklagegeltend machen, diese ist eine auf § 812 BGB gestützte
LEISTUNGSKLAGE."
Nora Mommsen
1.3.2024, 13:37:19
Hallo Patrick4219, danke für deine Rückmeldung! Die Frage-Antwort Kombination ist richtig. Denn gefragt ist danach ob S in diesem Fall ganz konkret das Geld mit einer
Leistungsklagezurückverlangen kann. Die Antwort erläutert dann wiederum, dass dies grundsätzlich in Form der verlängerten
Vollstreckungsabwehrklagein Betracht kommt. In diesem konkreten Fall ist diese aber durch Präklusion ausgeschlossen. Daher ist die Antwort nein, denn die Frage ist nicht, ob es grundsätzlich in Betracht kommt, sondern ob es konkret möglich ist. Auch die "Fall-Back" Option einer klageweisen Geltendmachung gestützt auf §
826 BGBfällt in diesem Fall aus, denn S ist eine nachlässige Prozessführung vorzuwerfen. Der BGH stellt an eine Klage gestützt auf §
826 BGBhohe Anforderungen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Rechthaber
20.7.2024, 12:50:51
kann man nicht aufgrund der Präklusion des 767 ZPO dem Zahlungsanspruch den Einwand 242 entgegen halten dolo agit, da nach der präklusion des Erfülungseinwands ein Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion entstanden ist, sodass es rechtsmissbräuchlich erscheint den ursprünglichen Zahlungsanspruch durch den Vollstreckungsggläuibigr vollstrecken zu lassen und dann der Vollstreckungsschuldner aus 812 den selben Betrag wieder einklagen zu lassen