Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt

16. Juli 2025

21 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G verklagt S auf Zahlung von €10.000. Am Tag vor der mündlichen Verhandlung zahlt S an G. Er vergisst, das seinem Anwalt zu erzählen. Bei der Verhandlung ist S nicht anwesend. Niemand erwähnt die Zahlung. S wird zur Zahlung verurteilt. G kündigt die Vollstreckung an.

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Einordnung des Falls

Präklusion / maßgeblicher Zeitpunkt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S kann zulässigerweise eine Vollstreckungsabwehrklage767 ZPO) erheben.

Ja, in der Tat!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vollstreckungsabwehrklage767 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. S kann sich mit dem materiell-rechtlichen Einwand, er habe bereits gezahlt und so den Anspruch erfüllt, gegen den in dem Urteil titulierten Anspruch richten. Die Vollstreckungsabwehrklage ist statthaft. G kündigt die Vollstreckung an; diese „droht“ also, sodass für S auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
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2. Die Klage ist begründet, wenn S die Einwendung tatsächlich zusteht und diese nicht präkludiert ist.

Ja!

Die Vollstreckungsabwehrklage767 ZPO) ist begründet, wenn (1) die Sachbefugnis vorliegt, (2) dem Kläger eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch zusteht und (3) diese nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) ist. S und G sind als Vollstreckungsschuldner bzw. -gläubiger sachbefugt. S hat tatsächlich an G gezahlt, sodass Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) eingetreten ist. Die Einwendung besteht also. Schließlich darf die Einwendung nicht präkludiert (§ 767 Abs. 2 ZPO) sein.

3. Die Einwendung des S ist ausgeschlossen (§ 767 Abs. 2 ZPO). Die Klage ist unbegründet.

Genau, so ist das!

Einwendungen sind ausgeschlossen (§ 767 Abs. 2 ZPO), wenn die Tatsachen, auf denen sie beruhen, schon zum Zeitpunkt des Erkenntnisverfahrens, in dem Einwendungen spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, gegeben waren. Es kommt auf den Zeitpunkt des objektiven Entstehens an, unabhängig davon, ob der Schuldner von der Einwendung Kenntnis hatte. Bei Endurteilen ist dieser Zeitpunkt grundsätzlich der Schluss der mündlichen Verhandlung (§§ 767 Abs. 2, 296a S. 1 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt hatte S bereits gezahlt. S oder sein Anwalt hätten die Einwendung der Erfüllung bereits im Erkenntnisverfahren geltend machen können und müssen. Die Einwendung der Erfüllung ist ausgeschlossen (§ 767 Abs. 2 ZPO). Die Klage des S ist unbegründet.

4. Wenn G vollstreckt hat, kann S den vollstreckten Betrag (zweite Zahlung) mit einer Leistungsklage von G zurückverlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

In solchen Fällen kommt zwar grundsätzlich eine auf § 812 BGB gestützte verlängerte Vollstreckungsabwehrklage gegen den Vollstreckungsgläubiger in Betracht. Das ist eine Leistungsklage auf Rückzahlung des Vollstreckungsbetrags. Sie ist aber nur dann begründet, wenn eine vor Beendigung der Zwangsvollstreckung erhobene Vollstreckungsabwehrklage begründet gewesen wäre. Grund dafür ist, dass auch nach der Zwangsvollstreckung die Rechtskraft nicht ausgehöhlt werden soll.Die Vollstreckungsklage ist aufgrund der Präklusion der Erfüllung unbegründet. Die einzige Möglichkeit, den vollstreckten Betrag zurückzubekommen, wäre eine Klage gestützt auf § 826 BGB. Diese hat strenge Anforderungen. Der Anspruch aus § 826 BGB scheitert nach Auffassung des BGH aber, wenn S – wie hier – eine nachlässige Prozessführung im Vorprozess vorzuwerfen ist.

5. Wenn G vollstreckt, kann S die ursprünglich gezahlten €10.000 (erste Zahlung) mit einer Leistungsklage von G zurückverlangen, da diese ihren Zweck verfehlt hat.

Ja!

Ein Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) besteht, wenn der Bereicherungsgläubiger (1) etwas, (2) durch Leistung erlangt hat und (3) der mit der Leistung verbundene Zweck verfehlt wurde.S hat die €10.000 an G gezahlt, um seine bestehende Verbindlichkeit zu tilgen. Da S bezüglich des Erfüllungseinwandes präkludiert ist, wurde dieser Zweck indes nicht erreicht. Somit hat er einen Anspruch auf die zunächst geleisteten €10.000 und kann diese im Wege der Leistungsklage von G zurückfordern.Der BGH hat hierzu nicht explizit Stellung genommen, bejaht im Ergebnis aber wohl auch einen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion in dieser Konstellation (vgl. BGH NJW-RR 2012, 304).
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