Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Angebot und Annahme – versteckter Dissens, § 155 BGB

Angebot und Annahme – versteckter Dissens, § 155 BGB

17. Februar 2025

19 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A beauftragt H mit der Verlegung von „Naturstein“. A versteht unter „Naturstein“ natürlich gewachsenes Material. H versteht darunter mit Kunstharz verklebte Marmorbruchstücke. Eine objektive Bedeutung des Begriffs „Naturstein“ gibt es nicht.

Diesen Fall lösen 48,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen A und H ist ein Vertrag über die Verlegung von „Naturstein“ zustande gekommen (§ 631 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen. Haben sich die Parteien bei einem als geschlossen angesehenen Vertrag über einen Punkt, der geregelt werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Einigung über diesen Punkt geschlossen sein würde (versteckter Dissens, § 155 BGB). A und H waren sich uneinig, was mit "Naturstein" gemeint ist. Da dieser Punkt das herzustellende Werk und damit einen wesentlichen Vertragsbestandteil betrifft, ist nicht anzunehmen, dass A und H den Vertrag auch ohne Einigung über diesen Punkt hätten schließen wollen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

10.2.2022, 18:11:23

Liebes Jurafuchs-Team, im vorherigen Fall weist ihr klar darauf hin, dass die 154,

155 BGB

keine Anwendung finden, wenn keine Einigung über die essentialia negotii zustande gekommen ist. Hier wird das leider nicht ganz so deutlich.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.2.2022, 09:17:07

Hallo QuiGonTim, im vorherigen Fall lag bereits keine Einigung über den Gläubiger bzw.

Schuld

ner vor. Da dies zu den absoluten Mindestbestandteilen eines Vertrages gehört, lag dort ein

Totaldissens

vor. Hier ist dies anders. Einigkeit besteht darüber, dass H Unternehmer und A Besteller ist. Auch über die Art der ge

schuld

eten Leistung und den Preis herrscht Einigkeit. Lediglich über das zu verwendende Material herrscht Uneinigkeit. Dies stellt noch keinen

Totaldissens

dar. Vielmehr ist nach §

155 BGB

zu ermitteln, ob trotz des Dissenses ein wirksamer Vertrag vorliegt. Dies ist hier indes nicht der Fall, weswegen auch hier im Ergebnis kein Vertragschluss vorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dave K. 🦊

Dave K. 🦊

7.4.2022, 19:07:54

Danke für die sehr gute Erklärung!

Ala

Ala

9.7.2024, 13:01:15

Kann man nicht auch sagen, dass über die ge

schuld

ete Hauptleistung eben keine Einigkeit herrscht, denn es ist unklar, was mit „Naturstein“ gemeint ist?

SCAR

scarlux

10.8.2024, 13:20:31

Ich verstehe daraus, das bei Werkverträgen §631 das ge

schuld

ete Werk ein essentieller Vertragsbestandteil ist, bei dem dann das Material, aus dem es bestehen soll, ebenso wichtig ist und kein

Totaldissens

darüber herrschen darf, weil dies den Vertrag torpediert

CO

cornelius.spans

4.11.2024, 21:34:54

Ich sehe den Fall hier auch so wie Ala und scarlux. Beim Werkvertrag ist das versprochene Werk Teil der essentialia negotii. Hier besteht dieses Werk im Erfolg, dass ein Boden verlegt wird. Das Gesamtwerk ist nur erbracht, wenn die Bestandteile, die Arbeit, also das Verlegen und das richtige Material, also der Naturstein zusammenkommen. Daher sehe ich hier auch das Material als Teil des ge

schuld

eten Erfolgs und damit als Teil der essentialia negotii. Durch die fehlende Einigung liegt daher ein

Totaldissens

und somit schon kein Vertrag vor. LG

WY

Wysiati

30.12.2024, 15:09:34

Essentialia negotii bezeichnen meinem Verständnis nach diejenigen Inhalte einer Vereinbarung, die notwendig sind, das „Gerüst“ eines Vertrages wie dem aus § 6

31 BGB

zu „bauen“. Bei einem Kauvertrag sind das Käufer und Verkäufer, dass gekauft werden soll und der Preis. Bei dem Werkvertrag sind das Besteller und Unternehmer und dass ein Erfolg erreicht werden soll. Nicht die Vergütung, siehe § 632 BGB. Siehe dazu auch MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, BGB § 631 Rn. 50-52, der sich auf den Vertragsgegenstand bezieht. Natürlich bleibt dann immer noch die Frage nach dem Vertragsgegenstand. Der Erfolg kann näher bestimmt sein. Eine Person will den Hausbau, die andere die Autoreparatur. Hier wäre ein

Totaldissens

anzunehmen, das „Gerüst“ des Vertrages ist schon nicht da. Unterscheiden wir nun zwei Konstellationen. Ein „Vertrag“ wird durchgeführt. Die Parteien einigen sich aber nicht über den Unternehmer und den Besteller. Das Sachmängelrecht ist nicht anwendbar, denn der Vertrag besteht schon nicht. Ein Vertrag wird durchgeführt, aber ohne Vereinbarung über die Steinart. Dann ist das

Sachmangel

recht § 633 II BGB anwendbar. Wegen der fehlenden Vereinbarung der

Beschaffenheit

entfällt der Vertrag selbst nicht, e contrario § 633 II BGB. Aber: §

155 BGB

sagt: haben sich die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. Es sollte eine Vereinbarung über den Stein getroffen werden. Diese Vereinbarung wurde tatsächlich nicht geschlossen. Die Parteien hätten aufgrund der potentiell hohen Wertunterschiede den Vertrag so nicht geschlossen. Das Vertragsgerüst selbst, die essentialia negotii, entfällt nicht. Schließlich zeigt § 633 II BGB, dass eine einfach fehlende

Beschaffenheitsvereinbarung

den Vertrag nicht ausschließt. §

155 BGB

ist aber problemlos erfüllt. Der Vertragsschluss scheitert an §

155 BGB

als Regelung für den Fall, dass eine Vereinbarung, die nach Parteiwillen geschlossen werden sollte, nicht geschlossen wird. Die Vereinbarung fehlt nicht nur, sie fehlt, obwohl sie geschlossen werden sollte. Meine Gedanken dazu, gerne korrigieren, wenn ihr einen denklogischen Fehler seht.

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

31.7.2022, 18:31:08

Müsste man hier nicht auf den objektiven Begriff des Natursteins abzielen? Eine von beiden Seiten wird den Begriff doch nach der Verkehrsauffassung richtig verwendet haben, womit der Vertrag gültig und der anderen Seite lediglich die Anfechtung ermöglichen werden würde.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.8.2022, 14:29:47

Hallo DeliktusMaximus, dieser Fall beruht auf einer Entscheidung des Kammergerichts in Berlin. Das Gericht hatte im Hinblick auf den Begriff Naturstein explizit ausgeführt, dass es eben keine objektive Bedeutung des Begriffes Naturstein gibt, weswegen keine Seite den Begriff "richtig" verwendet hat: "Eine objektive Bedeutung des Begriffs Naturstein gibt es nicht. Die Bezeichnung ist weder rechtlich geschützt, etwa in Form einer Marke oder eines Geschmackmusters, noch folgt aus der Bezeichnung des bei der

Bem

usterung ausgewählten Materials „Verde Tinos Marmor”, dass der Begriff Naturstein ausschließlich in dem Sinne eines natürlich gewachsenen Materials zu verstehen ist [....] Eine einheitliche Verkehrsauffassung über die Bedeutung des Begriffs Naturstein lag zumindest zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vor." (KG,

Urteil

vom 14. 9. 2007 - 21 U 242/04 = NJW-RR 2008, 300). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

10.8.2023, 18:04:40

Kommt aus dem Grund, dass es keine objektive Bedeutung des Begriffs Naturstein gibt, auch nicht die

falsa demonstratio non nocet

in Betracht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.8.2023, 13:49:07

Hallo Hannah-Rebecca, die

falsa demonstratio non nocet

ist nur anwendbar, wenn die Parteien subjektiv eine Einigung erzielt haben, auch wenn ihre Erklärungen objektiv auf einen anderen Erfolg gerichtet sind (zB Haifischfleisch/Walfischfleisch). Das haben wir vorliegend nicht, da ein solch gemeinsames Verständnis hier ja gerade fehlt :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

17.8.2023, 14:21:20

Lieben Dank für die hilfreiche Antwort!

SI

silasowicz

6.8.2023, 13:48:11

Gut, das Kammergericht hat anders entschieden, aber könnte man ggf. zu einem anderen (gegenteiligen) Ergebnis kommen, wenn man schwerpunktmäßig auf die Verlegungsleistung abstellt und nicht auf das Material, sodass der Vertragsschluss dann bejaht werden könnte und der Käufer anfechten müsste?

Mängelgewährleistung

wäre für den Käufer wahrscheinlich auch nicht möglich, da sich die Parteien ja im Ergebnis gerade nicht über die Ist-/Soll

beschaffenheit

des Materials verständigt haben... Dreh- und Angelpunkt ist hier wahrscheinlich, dass man das Material als vertragswesentlichen Bestandteil ansieht, oder?

Dogu

Dogu

7.12.2024, 15:48:17

Aber wenn ich einen neuen Boden haben will, ist doch nicht die Verlegung der Schwerpunkt? Nach dieser Logik wäre ja beim Kauf einer bestimmten Waschmaschine mit Montage die konkrete Waschmaschine gleichgültig, solange irgendein Gerät montiert wird? Hier kommt es dem Käufer offenkundig auf eine konkrete Kaufsache an, deren objektiver Bezeichnung er subjektiv eine Bedeutung zumisst, die ihr objektiv nicht zukommt. Man könnte hier im Übrigen eine

Mängelgewährleistung

überhaupt nicht prüfen (d.h. weder bejahen noch verneinen), da ja der Vertragsgegenstand unklar ist. Eine negative Abweichung (egal ob nach § 434 II oder III) kann nur festgestellt werden, wenn feststeht, von was überhaupt abgewichen worden sein könnte. Ein nicht existentes Material hat bspw. auch keine gewöhnliche Verwendung i.S.d. § 434 III 1 Nr. 1 BGB. Deswegen liegt hier ein

Totaldissens

vor.


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