Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Angebot und Annahme
Angebot und Annahme – versteckter Dissens, § 155 BGB
Angebot und Annahme – versteckter Dissens, § 155 BGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A beauftragt H mit der Verlegung von „Naturstein“. A versteht unter „Naturstein“ natürlich gewachsenes Material. H versteht darunter mit Kunstharz verklebte Marmorbruchstücke. Eine objektive Bedeutung des Begriffs „Naturstein“ gibt es nicht.
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Zwischen A und H ist ein Vertrag über die Verlegung von „Naturstein“ zustande gekommen (§ 631 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
10.2.2022, 18:11:23
Liebes Jurafuchs-Team, im vorherigen Fall weist ihr klar darauf hin, dass die 154,
155 BGBkeine Anwendung finden, wenn keine Einigung über die essentialia negotii zustande gekommen ist. Hier wird das leider nicht ganz so deutlich.
Lukas_Mengestu
11.2.2022, 09:17:07
Hallo QuiGonTim, im vorherigen Fall lag bereits keine Einigung über den Gläubiger bzw. Schuldner vor. Da dies zu den absoluten Mindestbestandteilen eines Vertrages gehört, lag dort ein
Totaldissensvor. Hier ist dies anders. Einigkeit besteht darüber, dass H Unternehmer und A Besteller ist. Auch über die Art der geschuldeten Leistung und den Preis herrscht Einigkeit. Lediglich über das zu verwendende Material herrscht Uneinigkeit. Dies stellt noch keinen
Totaldissensdar. Vielmehr ist nach §
155 BGBzu ermitteln, ob trotz des Dissenses ein wirksamer Vertrag vorliegt. Dies ist hier indes nicht der Fall, weswegen auch hier im Ergebnis kein Vertragschluss vorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Dave K. 🦊
7.4.2022, 19:07:54
Danke für die sehr gute Erklärung!
Ala
9.7.2024, 13:01:15
Kann man nicht auch sagen, dass über die geschuldete Hauptleistung eben keine Einigkeit herrscht, denn es ist unklar, was mit „Naturstein“ gemeint ist?
scarlux
10.8.2024, 13:20:31
Ich verstehe daraus, das bei Werkverträgen §631 das geschuldete Werk ein essentieller Vertragsbestandteil ist, bei dem dann das Material, aus dem es bestehen soll, ebenso wichtig ist und kein
Totaldissensdarüber herrschen darf, weil dies den Vertrag torpediert
cornelius.spans
4.11.2024, 21:34:54
Ich sehe den Fall hier auch so wie Ala und scarlux. Beim Werkvertrag ist das versprochene Werk Teil der essentialia negotii. Hier besteht dieses Werk im Erfolg, dass ein Boden verlegt wird. Das Gesamtwerk ist nur erbracht, wenn die Bestandteile, die Arbeit, also das Verlegen und das richtige Material, also der Naturstein zusammenkommen. Daher sehe ich hier auch das Material als Teil des geschuldeten Erfolgs und damit als Teil der essentialia negotii. Durch die fehlende Einigung liegt daher ein
Totaldissensund somit schon kein Vertrag vor. LG
DeliktusMaximus
31.7.2022, 18:31:08
Müsste man hier nicht auf den objektiven Begriff des Natursteins abzielen? Eine von beiden Seiten wird den Begriff doch nach der Verkehrsauffassung richtig verwendet haben, womit der Vertrag gültig und der anderen Seite lediglich die Anfechtung ermöglichen werden würde.
Lukas_Mengestu
1.8.2022, 14:29:47
Hallo DeliktusMaximus, dieser Fall beruht auf einer Entscheidung des Kammergerichts in Berlin. Das Gericht hatte im Hinblick auf den Begriff Naturstein explizit ausgeführt, dass es eben keine objektive Bedeutung des Begriffes Naturstein gibt, weswegen keine Seite den Begriff "richtig" verwendet hat: "Eine objektive Bedeutung des Begriffs Naturstein gibt es nicht. Die Bezeichnung ist weder rechtlich geschützt, etwa in Form einer Marke oder eines Geschmackmusters, noch folgt aus der Bezeichnung des bei der Bemusterung ausgewählten Materials „Verde Tinos Marmor”, dass der Begriff Naturstein ausschließlich in dem Sinne eines natürlich gewachsenen Materials zu verstehen ist [....] Eine einheitliche Verkehrsauffassung über die Bedeutung des Begriffs Naturstein lag zumindest zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vor." (KG, Urteil vom 14. 9. 2007 - 21 U 242/04 = NJW-RR 2008, 300). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
ehemalige:r Nutzer:in
10.8.2023, 18:04:40
Kommt aus dem Grund, dass es keine objektive Bedeutung des Begriffs Naturstein gibt, auch nicht die
falsa demonstratio non nocetin Betracht?
Lukas_Mengestu
17.8.2023, 13:49:07
Hallo Hannah-Rebecca, die
falsa demonstratio non nocetist nur anwendbar, wenn die Parteien subjektiv eine Einigung erzielt haben, auch wenn ihre Erklärungen objektiv auf einen anderen Erfolg gerichtet sind (zB Haifischfleisch/Walfischfleisch). Das haben wir vorliegend nicht, da ein solch gemeinsames Verständnis hier ja gerade fehlt :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
ehemalige:r Nutzer:in
17.8.2023, 14:21:20
Lieben Dank für die hilfreiche Antwort!
silasowicz
6.8.2023, 13:48:11
Gut, das Kammergericht hat anders entschieden, aber könnte man ggf. zu einem anderen (gegenteiligen) Ergebnis kommen, wenn man schwerpunktmäßig auf die Verlegungsleistung abstellt und nicht auf das Material, sodass der Vertragsschluss dann bejaht werden könnte und der Käufer anfechten müsste? Mängelgewährleistung wäre für den Käufer wahrscheinlich auch nicht möglich, da sich die Parteien ja im Ergebnis gerade nicht über die Ist-/Soll
beschaffenheitdes Materials verständigt haben... Dreh- und Angelpunkt ist hier wahrscheinlich, dass man das Material als vertragswesentlichen Bestandteil ansieht, oder?