Globalbürgschaft

3. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um sich ein neues Schlagzeug zu kaufen, geht S zur G-Bank um einen Kredit über €5.000 aufzunehmen. G verlangt eine Sicherheit. B möchte bürgen und unterzeichnet die von der G übergebene vorformulierte Urkunde mit dem Inhalt: „Der Bürge haftet für alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen des Gläubigers gegen den Schuldner aus der Geschäftsbeziehung.“ B fragt sich, ob dies rechtens ist.

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Einordnung des Falls

Globalbürgschaft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Urkunde widerspricht dem Bestimmtheitserfordernis.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Bestimmtheitserfordernis ist eine ungeschriebene Voraussetzung für die Wirksamkeit des Bürgschaftsvertrages. Danach müssen zumindest die Personen der Hauptschuld und der Schuldgrund bestimmbar sein. Hintergrund des Bestimmtheitserfordernisses ist die Akzessorietät der Bürgschaft (§ 767 Abs. 1 BGB). Wenn die Hauptschuld nicht ermittelt werden kann, so besteht auch keine Bürgschaft. Die Haftung des Bürgen ist in der Bürgschaftsurkunde klar festgelegt. Der B haftet für alle Forderungen des Schuldners. Damit ist die Klausel hinreichend bestimmt.
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2. Die Urkunde ist als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB zu qualifizieren.

Ja!

Voraussetzung für das Vorliegen von AGB (§ 305 Abs. 1 BGB) ist eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die vom Verwender einseitig gestellt wird. Die Bürgschaftsurkunde ist durch die G-Bank vorformuliert. Bei lebensnaher Auslegung wird diese Urkunde auch für eine Vielzahl von Bürgschaftsverträgen mit der G-Bank verwendet. Ferner wurde die Bürgschaftsurkunde von der G-Bank dem B vorgelegt. Damit unterliegt die Bürgschaftsurkunde den Vorschriften der §§ 305ff. BGB.

3. Die Globalbürgschaft ist als überraschende Klausel einzuordnen. (§ 305c Abs. 1 BGB)

Genau, so ist das!

Eine Klausel ist überraschend, wenn sie so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihnen zu rechnen braucht (§ 305c Abs. 1 BGB). Maßgebliches Indiz ist das Verständnis eines Durchschnittskunden oder eine deutliche Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht. Ein Sicherungsgeber muss grundsätzlich nicht damit rechnen, dass er für alle künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners haftet, wenn er die Bürgschaft aufgrund eines Anlasses übernimmt. Denn mit dem Anlass ist eine Zweckvorstellung der von ihm gegebenen Sicherheit verbunden. B übernimmt die Bürgschaft aus dem Anlass, dass S einen Kredit für das Schlagzeug benötigt. Damit ist eine Vorstellung über den Zweck der von ihm gegebenen Sicherheit verbunden. Die Globalbürgschaft weicht von seinen Erwartungen des B ab. Ferner weicht die Klausel vom Grundgedanken des § 767 Abs. 1 S. 1 BGB ab.

4. Die Klausel verstößt hinsichtlich der Übernahme der Bürgschaft für alle zukünftigen Forderungen gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Im Bürgschaftsrecht bestimmt § 767 Abs. 1 S. 3 BGB dass die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert wird, wenn der Hauptschuldner nach Bürgschaftsübernahme ein Rechtsgeschäft vorkommt. Dieses wird auch als Verbot der Fremddisposition für Geschäfte nach der Übernahme der Bürgschaft bezeichnet. Durch die Übernahme einer Bürgschaft, die erst zukünftig entsteht, würde dieser wesentliche Grundgedanke ausgehöhlt werden.

5. Die Klausel hinsichtlich der Übernahme der Bürgschaft von bereits entstandenen Forderungen verstößt auch gegen den wesentlichen Grundgedanken des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB.

Nein!

§ 767 Abs. 1 S. 3 BGB normiert das Verbot der Fremddisposition für Geschäfte nach der Übernahme der Bürgschaft. Wenn eine Forderung besteht, wird § 767 Abs. 1 S. 3 BGB nicht berührt.

6. Die Klausel hinsichtlich der Übernahme der Bürgschaft von bereits entstandenen Forderungen verstößt gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs.1 S. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Nach dem Transparenzgebot muss eine Bestimmung hinreichend klar und verständlich sein. Der Bürge muss aus dem Formular erkennen können, welches Risiko er eingeht. Der Bürge B kann aus der Formulierung nicht entnehmen, für welche Forderungen er konkret haftet. Damit kann er das übernommene Risiko nicht einschätzen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

15.3.2022, 17:06:48

Mich verwundert, dass die Klausel überraschend sein kann, obwohl es ja DIE prägende Klausel des Vertrages ist, in der die Hauptpflicht geregelt wird. Bei dieser sollte ja davon auszugehen sein, dass sie zur Kenntnis genommen wird. Ich dachte, bei dem Verbot der überraschenden Klauseln geht es darum, dass im "Kleingedruckten" nichts unerwartetes versteckt werden soll.

VIC

Victor

15.3.2022, 17:19:48

§ 305c soll nicht nur vor einem Übersehen schützen, sondern auch vor mitunter plakativen Regelungen mit der jemand bri Vertragsschluss nicht zu rechnen braucht. Siehe Lösung. Der Kunde darf darauf vertrauen dürfen, dass sich AGB iRd halten, was bei Würdigung aller Umstände des Vertrages dieser Art zu erwarten ist. Das ist bei der anlassbezogenen Bürgschaft hinsichtlich der

Globalbürgschaft

gerade nicht der Fall. Hinsichtlich des Überraschungsmoments reicht das „nicht damit zu rechnen brauchen“.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.3.2022, 12:26:53

Hallo Daniel, Du hast in der Tat recht, dass die bloße Unüblichkeit alleine nicht ausreicht, damit eine

überraschende Klausel

vorliegt. Vielmehr muss der Klausel ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen (vgl. Basedow, in: MüKo-BGB, 8.A. 2019, § 305c RdNr. 12). Wie Victor aber schon zurecht einwendet, sind die Hürden bei unüblichen Klauseln hierfür relativ gering. Bei

Globalbürgschaft

en ist die Rechtsprechung hier recht streng (Nobbe, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5.A. 2017 § 91 RdNr. 95) und nimmt hier grundsätzlich an, dass diese überraschend ist. Offen gelassen hat der BGH dabei, ob dieser Überraschungseffekt durch besondere drucktechnische Hervorhebung beseitigt werden kann (BGH NJW

199

4, 2145). Jedenfalls bei einem entsprechenden Hinweis in den Verhandlungen würde der Überraschungseffekt ausscheiden. Da sich hierzu im Sachverhalt keine Hinweise finden, muss man hier aber bei dem Grundsatz bleiben, dass die

Globalbürgschaft

überraschend ist, zumal ja B eigentlich nur für die €5.000 bürgen möchte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Anastasia

Anastasia

18.8.2023, 22:04:59

Es scheint, dass die Argumente in diesem Fall eher auf dem Wunsch des Gerichts beruhen, den Bürgen unbedingt von allen Verpflichtungen zu befreien. Wenn wir die Willenserklärungen der Parteien auslegen und von der Umfangs- und Entstehungsakzessoriatät der Bürgerschaft ausgehen, müsste der Bürge hier eigentlich doch bis zum 5.000 haften. Diese Summe gehört eigentlich zu essentialia negotii und ist, streng genommen, nicht Teil der vorformulierten AGB. Aber in diesem Fall war es notwendig, die Bank zu bestrafen, damit sie es nie auf die Idee kommt,

Globalbürgschaft

en zu vereinbaren. Die Frage: Dürfen dann zumindest Kaufleute eine

Globalbürgschaft

(ohne eine bestimmbare Hochsumme und ohne Bezug auf eine bestimmte Grundschuld) vereinbaren?

LELEE

Leo Lee

19.8.2023, 10:57:14

Hallo Anastasia, das ist natürlich eine Frage, die sich so pauschal nicht beantworten lässt, zumal es keine spezifische Entscheidung gibt, die genau deine Frage behandelt hat. Jedoch: I. Bzgl. §

305c BGB

lässt sich sagen, dass eine solche

Globalbürgschaft

u.U. - weil Kaufleute eben Profis sind - nicht als überraschend einzustufen sein könnte. II. Jedoch unterscheidet § 767 I 3 BGB wiederum nicht zwischen Kaufleuten und "normalen" Leuten; auch im HGB gibt es hierzu keine abweichende Regelungen. Beachte jedoch, dass § 767 I 3 BGB nur die sog. Fremddisposition verbiete, d.h. die nachträglichen Vereinbarungen. zw. dem Gläubiger und dem Schuldner. D.h. nicht in solchen Fällen (wo dann

Globalbürgschaft

en zulässig sind), wo die Hauptschuld schon aufgrund Gesetzes Schwankungen unterliegt (etwa Unterhaltsverpflichtungen). Mithin lautet die Antwort (typisch Jura): Grundsätzlich nicht, vorbehaltich Ausnahmen! I.Ü. kann ich dir hierzu die Lektüre von MüKo-BGB, 7. Auflage, Hafersack § 767 Rn. 10 f. empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

DAV

David.

27.10.2023, 00:48:47

Korrigiert mich wenn ich falsch liege, aber ist die Rechtsfolge nicht gerade, dass die Bürgschaft für die Anlassverbindlichkeit wirksam bleibt und lediglich die Klausel bezüglich der Einbeziehung sonstiger Forderungen nichtig ist? Damit haftet der Bürge doch auf die 5.000€.

Paulah

Paulah

19.11.2023, 10:55:33

Ich sehe es auch so wie David. Nach § 306 Abs. 1 BGB sind ja nur die AGB nicht zum Vertragsbestandteil geworden. Der Vertrag über die Bürgschaft für 5.000 € bleibt im Übrigen wirksam.

DAV

David.

5.11.2023, 15:38:05

Man könnte hier noch mitaufnehmen, dass die

Inhaltskontrolle

nach § 307 III eröffnet ist, da das gesetzliche Leitbild der Bürgschaft ist, lediglich für eine einzelne Verbindlichkeit einzustehen.

Steinfan

Steinfan

12.4.2024, 19:00:54

Richtig, in den Lösungsskizzen wird auch üblicherweise erwartet, dass man hierzu etwas schreibt, da die Klausel ja eigentlich die Haupt

leistungspflichten

festlegt; und die sind ja normalerweise der

Inhaltskontrolle

entzogen. Zumindest die Klausel „alle künftigen Verbindlichkeiten“ weicht aber von § 767 I 3 BGB ab, weswegen zumindest bzgl. dieser die

Inhaltskontrolle

eröffnet ist. Würde mich auch über eine Ergänzung freuen. LG

Paulah

Paulah

21.11.2023, 18:07:36

Ich verstehe nicht, warum die Klausel nicht dem Bestimmtheitserfordernis widerspricht, aber gegen das Transparenzgebot verstößt, weil die Bestimmung nicht klar und verständlich ist und B aus der Formulierung nicht entnehmen kann, für welche Forderungen er konkret haftet. Wenn die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, verstößt sie doch auch gegen das Bestimmtheitserfordernis.

Jopies

Jopies

18.12.2023, 16:52:05

Bei dem Bestimmtheitserforderniss geht es darum, ob man entnehmen kann, ob eine bestimmte Forderung von der Bürgschaft gedeckt ist. (Bspw. ein Verstoß, wenn diese nur sehr subjektiv oder vage kategorisiert sind („er bürgt für alle extrem gefährdeten Forderungen“)) Solche Fragen stellen sich hier nicht, er haftet einfach für alle. Das Transparenzgebot verlangt, dass jede einzelne der Forderungen auch in dem Formular dargestellt ist.

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

22.5.2024, 18:14:39

Der Bestimmtheitsgrundsatz fordert (im Allgemeinen, das gilt aber auch für die Bürgschaft), dass die Forderung eindeutig bestimmbar sein müssen, eine konkrete Bestimmung ist nicht erforderlich (so ist zum Beispiel die Globalzession als Abtretung zulässig). Die Vorschriften der AGB Kontrolle sollen den Verbraucher allerdings weitergehend schützen, zum Beispiel durch das Transparenzgebot. Aus diesem Grund ist ausnahmsweise statt Bestimmenbarkeit eine konkrete Bestimmung erforderlich.


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