Grundfall: Examenszeugnis

19. Mai 2025

4 Kommentare

4,8(12.989 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T hat in Mainz das Erste Staatsexamen mit 7 Punkten abgelegt. Er will nun sein Referendariat in Hamburg beginnen, ohne lange warten zu müssen. Daher tauscht er auf dem Examenszeugnis die 7 durch eine 14 aus. Das veränderte Zeugnis schickt T an das Hanseatische Oberlandesgericht.

Diesen Fall lösen 88,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Grundfall: Examenszeugnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich gemäß § 267 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Ist das Examenszeugnis ein taugliches Tatobjekt?

Genau, so ist das!

Taugliches Tatobjekt im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist die Urkunde. Dies ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion), die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion) und die ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion). Das Zeugnis verkörpert die Gedankenerklärung, dass T das Erste Staatsexamen mit 7 Punkten bestanden hat. Es ist gerade dazu bestimmt und geeignet, den erfolgreichen Abschluss zu beweisen. Das Zeugnis lässt das jeweilige Justizprüfungsamt als Aussteller erkennen. Abschlusszeugnisse sind „klassische“ Beispiele für Urkunden.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Taugliche Tathandlung der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) kann nur das Verfälschen einer echten Urkunde sein.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Deliktsbezeichnung „Urkundenfälschung“ (§ 267 Abs. 1 StGB) umfasst drei Tatbestände: (1) Herstellen einer unechten Urkunde, (2) Verfälschen einer echten Urkunde und (3) Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde.Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs. § 267 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt.

3. Indem T die Note auf dem Examenszeugnis austauschte, hat er eine echte Urkunde verfälscht (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Eine Urkunde ist echt, wenn sie von demjenigen stammt, der sich aus ihr als Urheber der verkörperten Gedankenerklärung ergibt. Tatobjekt der Verfälschung kann nur eine vorhandene echte Urkunde sein. Unter Verfälschung ist jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer echten Urkunde zu verstehen. Durch die nachträgliche Veränderung muss der Anschein erweckt werden, dass die Urkunde von vornherein den ihr nachträglich beigelegten Inhalt gehabt und dass der Aussteller die urkundliche Erklärung von Anfang an in der jetzt vorliegenden Form abgegeben habe.T hat den Inhalt des echten Zeugnisses nachträglich verändert. Dadurch wird der Anschein erweckt, dass das Landesjustizprüfungsamt ihm ein Zeugnis über 14 Punkte ausgestellt hat.

4. T hat eine echte Urkunde verfälscht (§ 267 Abs. 1 Var. 2 StGB). Scheiden damit die weiteren Tatbestandsvarianten aus § 267 Abs. 1 StGB automatisch aus?

Nein, das ist nicht der Fall!

T könnte hier zusätzlich eine unechte Urkunde hergestellt haben (§ 267 Abs. 1 Var. 1 StGB). Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht (h.M., Geistigkeitstheorie). Maßgeblich für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung. Eine solche liegt vor, wenn zum Zwecke der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums über die Person des wirklichen Ausstellers getäuscht wird. Durch die nachträgliche Veränderung hat T gleichzeitig auch eine unechte Urkunde hergestellt: Die Erklärung „14 Punkte” stammt in Wirklichkeit nicht vom erkennbaren Aussteller (Landesjustizprüfungsamt). Die Herstellung einer unechten Urkunde ist typische Folge der Verfälschungshandlung. Wenn ursprünglich eine echte vorhandene Urkunde bestand, dann tritt die Herstellungsvariante hinter der Verfälschungsvariante zurück. Durch das Vorlegen der Urkunde beim OLG könnte T zusätzlich auch die dritte Tatbestandsvariante (Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde) verwirklicht haben. § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB schauen wir uns später an!
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juraddicted

Juraddicted

5.2.2025, 15:37:45

Wie stelle ich das in den Konkurrenzen dar? auch für den Fall, dass wie angedeutet, alle Varianten erfüllt sind? vielen Dank :)

S

s

13.3.2025, 09:03:42

Was wäre, wenn ich eine bereits verfälschte Urkunde erneut verändere? Sie wäre dann ja schon keine echte Urkunde mehr, sodass das Verfälschen ausscheidet. Ich stelle mir den Frage insbesondere für den Fall, dass die Person nicht, weiß, dass die Urkunde verfälscht ist.

BASA

Barbara Salesch

23.4.2025, 23:11:13

Ich würde sagen, dass wenn der Täter davon ausgeht, eine echte Urkunde vor sich zu haben und er diese dann abändert, ein

untauglicher Versuch

des § 267 I Var. 2 StGB vorliegt.

MUS

musikmeli

29.4.2025, 14:02:01

Liebes Jurafuchs-Team, würde unter Verfälschen auch das Schwärzen von personenbezogenen Angaben in einer Urkunde fallen, die man vor Weitergabe an einen Dritten – aus Datenschutzgründen – unkenntlich machen will? Z.B das Geburtsdatum des Ehepartners. Auf der einen Seite wäre es zwar eine nachträgliche Veränderung. Auf der anderen ist das Schwärzen als solches ja eigentlich so deutlich erkennbar, dass man damit doch nicht den Anschein erwecken kann, als wäre das

Schriftstück

von vornherein so vorgesehen gewesen. Auf einem als Kopie gekennzeichneten/ersichtlichen Ausdruck würde das Schwärzen – so denke ich – ohnehin keine Urkundenfälschung darstellen oder einen anderen Tatbestand verwirklichen? Jedenfalls wären doch beide Fälle nicht zur

Täuschung im Rechtsverkehr

geeignet, da das Schwärzen offensichtlich ist? Liege ich (teilweise) richtig mit meinen Überlegungen? Vielen Dank und viele Grüße Melanie


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community