Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Geschäftsfähigkeit
Vorübergehende Störung der Geistesfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) beim Empfänger
Vorübergehende Störung der Geistesfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) beim Empfänger
2. April 2025
25 Kommentare
4,8 ★ (21.306 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Mieter M hat Freunde zu sich nach Hause eingeladen, um zu grillen und sich anschließend zu betrinken. Vermieter V wirft am frühen Abend (um 17 Uhr) durch den Briefschlitz von Ms Haustür die Kündigung. M zerfetzt das Schreiben ungelesen im volltrunkenen Zustand (3,0 Promille).
Diesen Fall lösen 80,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Vorübergehende Störung der Geistesfähigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) beim Empfänger
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und wird hier unter Abwesenden abgegeben. Werden empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Abwesenden erst wirksam mit tatsächlicher Kenntnisnahme?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist die Kündigung an dem Abend wirksam geworden, als V sie in den Briefschlitz eingeworfen hat?
Ja!
3. Wird Vs Kündigung erst wirksam, wenn M wieder nüchtern ist?
Nein!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Elisabeth F.
21.4.2022, 22:16:37
Mich irritiert,dass der
Zugangbereits am Abend eintritt-abends ist doch für gewöhnlich nicht mit Post zu rechnen. Dann müsste der
Zugangdoch erst am nächsten Tag eintreten, oder?

Saberhack
22.4.2022, 09:11:04
Hallo Elisabeth, da hast du grundsätzlich recht. Was genau unter früher Abend zu verstehen ist, ist natürlich nicht wirklich eindeutig. „Bei verkörperten WE liegt
Zugangvor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Briefe gehen zu, sobald nach der
Verkehrssittemit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Zusteller wie die PostAG stellen auch nachmittags zu. Daher ist bei bis 18 Uhr eingeworfenen Briefen die Leerung am selben Tag zu erwarten.“ (Quelle: Lektion Abgabe und
Zugangvon Willenserklärung) Ich gehe davon aus, dass insbesondere die Tatsache entscheidend ist, dass das Kündigungsschreiben in den „Briefschlitz“ – und nicht in den Briefkasten – geworfen wurde.

CH1RON
22.4.2022, 13:11:51
Da bei „Jurafuchs“ auch die Bilder zum Sachverhalt gehören, spricht selbiges genau dafür, was Saberhack meint: Der Briefschlitz bietet im Fall eine direkte Einwurfmöglichkeit „in den Wohnbereich“ des M - mithin seinen Machtbereich - beim Briefkasten kann man getrost (mE bis 18.00 Uhr) mit mein:e Vorredner:in argumentieren ;)
Jone
24.6.2022, 07:06:16
Inwieweit würde es sich auf den
Zugangauswirken, wenn V Kenntnis vom Trunkenheitszustand des M hat? Z.B. weil er ihn zuvor gesehen hat und sein Zustand offensichtlich war…

Nora Mommsen
6.7.2022, 14:25:41
Hallo Jone, danke für deine Frage. Bei einer persönlichen Übergabe des Briefes würde es sich um eine verkörperte Erklärung gegenüber Anwesenden handeln. Deine Frage bezieht sich aber auf die Abgabe einer Erklärung unter Abwesenden. Dort ist der
Zuganggegeben, wenn nach den gewöhnlichen Umständen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Dafür sind objektive Umstände maßgeblich, auf individuelle Umstände kommt es nicht an. Der Empfänger hat grundsätzlich dafür zu sorgen, dass er empfangsbereit ist. Es ist also ähnlich, wie wenn er im Urlaub ist. Da erfolgt auch ein
Zugang, auch wenn der Erklärende von der Abwesenheit Kenntnis hat. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
cornelius.spans
5.12.2024, 20:32:01
Hi, ich wäre im Fall der Kenntnis des Erklärenden auch davon ausgegangen, dass dies den
Zugangverspätet eintreten lässt. Danke also für die Klarstellung. Wenn ich das richtig im Kopf habe, kommt es zu genau dieser Wirkung aber im Fall des § 147 II BGB. Um den Urlaubs-Fall zu nutzen, würde die Kenntnis des Erklärenden über den Urlaub und damit die Abwesenheit des Empfängers der Willenserklärung (per Brief an die Wohnadresse des Empfängers) dazu führen, dass sich die Annahmefrist verlängert. Kommt diese Abweichung in der Wirkung der Kenntnis daher, dass § 147 II BGB explizit auf den "Antragenden" abstellt und daher auf einen obj. Dritten in der Person des Antragenden und damit auch unter Berücksichtigung dessen Wissen abzustellen ist, wohingegen § 130 I 1 BGB kein subj. Bezugspunkt hat und damit rein obj. zu verstehen ist? Was meint Ihr? MFG
Stella2244
19.2.2025, 19:06:38
@[cornelius.spans](264551) genau so ist es denke ich
Dogu
27.5.2023, 11:06:20
Müsste die erste Frage nicht eher lauten "nur" wirksam bei tatsächlicher Kenntnisnahme, damit die Antwort Nein ist? Tatsächliche Kenntnisnahme reicht ja bei zielgerichteter Abgabe und
Zugangauch aus, liegt hier aber nicht vor, sodass es auf den Regelfall ankommt.

SvzW
23.10.2023, 12:44:06
Stimme dir zu und würde auch behaupten das die erste Frage zu ungenau ist. Es müsste um ein "nur" oder "erst" konkretisiert werden, da die WE spätestens mit tatsächlicher Kenntnisnahme wirksam wird.

MenschlicherBriefkasten
13.11.2023, 15:19:03
Wenn der M die Kündigung sofort nach dem Einwurf gelesen hätte, wäre sie dann in dem Zeitpunkt jedenfalls zugegangen? Also ist es so, dass normalerweise der
Zuganggegeben ist, wenn die WE im Machtbereich des Empfängers ist und die Kenntnisnahme möglich, in jedem Falle aber dann, wenn der Empfänger sie tatsächlich gelesen hat?
Leo Lee
19.11.2023, 11:12:42
Halo MenschlicherBreifkasten, genauso ist es! § 130 BGB geht – wie die Überschrift suggeriert – erstmal davon aus, dass die WE nicht unmittelbar zugeht, weil der Empfänger abwesend ist. Und für genau diesen Fall stellt die Norm die Fiktion auf, dass der
Zugangdann schon passiert, wenn für gewöhnlich mit Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Jedoch werden Fiktionen immer von der „Realität“ geschlagen, womit auch beim
Zugangdie TATS. KENNTNISNAHME IMMER die MGL. hierzu schlägt! Somit gilt: Wenn jemand um 3 Uhr nachts einen Brief einwirft und dieser Brief dann tats. zur Kenntnis genommen wird, liegt
Zugangvor :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

MenschlicherBriefkasten
19.11.2023, 12:13:03
Danke!
Niro95
23.3.2024, 16:38:53
Was wäre denn die Grenze, ab wann nicht mehr nur eine „vorübergehende“ Geisteskrankheit angenommen wird?
Leo Lee
29.3.2024, 03:48:09
Hallo Niro95, vielen Dank für die sehr gute Frage! Hierzu gibt es in der Literatur keine wirklich einheitliche Definition (vielmehr eine grobe Umschreibung als „nicht Dauerzustand“); jedoch gibt es Fallgruppen, an denen du dich orientieren kannst, etwa: Alkohol, Medikamente oder Rauschgift (da die Wirkungen hiervon i.d.R. nach einer bestimmten Zeit natürlich abklingen! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Spickhoff § 105 Rn. 40 f. sehr empfehlen :) Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo