Zivilrecht

Deliktsrecht

Haftung nach StVG

Erhöhte Sorgfaltspflicht bei vorausfahrendem Fahrschulfahrzeug

Erhöhte Sorgfaltspflicht bei vorausfahrendem Fahrschulfahrzeug

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fahrschülerin F ist auf Fahrstunde mit ihrem Lehrer L, der auch Halter des Wagens ist. In der Ausfahrt eines Kreisverkehrs bremst F den Wagen voll ab, weil sich etwa 4m entfernt Personen der Fahrbahn nähern. S fährt daraufhin auf das Fahrschulauto auf.

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Einordnung des Falls

Erhöhte Sorgfaltspflicht bei vorausfahrendem Fahrschulfahrzeug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei einem Unfall im Straßenverkehr kommt nur ein Anspruch gegen den Fahrer des anderen Fahrzeugs in Betracht.

Nein, das trifft nicht zu!

Für die Haftung im Straßenverkehr gibt es spezielle Anspruchsgrundlagen: Eine verschuldensabhängige Haftung des Fahrers (§ 18 Abs. 1 S. 1 StVG) und eine Gefährdungshaftung des Halters (§ 7 Abs. 1 StVG). Beide Vorschriften sind vor dem allgemeinen Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 315b,c StGB) zu prüfen. Die Voraussetzungen der Halterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) und der Fahrzeugführerhaftung (§ 18 Abs. 1 S. 1 StVG) liegen hier vor: F ist Fahrerin, L ist Halter des Fahrschulautos. Der Unfallschaden ist bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden, nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen und stellt für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis (§ 17 Abs. 3 StVG) dar.
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2. Der Vorausfahrende muss beweisen, dass der Hinterherfahrende den nötigen Abstand missachtet hat.

Nein!

Der Beweis des ersten Anscheins (Beweiserleichterung) spricht bei einem Auffahrunfall dafür, dass der Hinterherfahrende den nötigen Abstand nicht eingehalten hat. Dieser sogenannte Anscheinsbeweis kann vom Hinterherfahrenden erschüttert werden, wenn er atypische Umstände darlegt und beweist, die den üblichen Geschehensablauf in Zweifel ziehen. S trägt als Hinterherfahrender die Darlegungs- und Beweislast.

3. S hat den erforderlichen Sicherheitsabstand gewahrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO). LG Saarbrücken: Es lägen keine atypischen Verhältnisse vor, die den Beweis des ersten Anscheins für einen zu kurzen Sicherheitsabstand erschütterten, weil bei einem vorausfahrenden Fahrschulauto mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen zu rechnen sei. Das plötzliche Abbremsen oder auch "Abwürgen" des Motors gehöre zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers. Daher sei der Anscheinsbeweis nicht erschüttert (RdNr. 11f.). Folglich hat S gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen.

4. Für die Anrechnung des Mitverschuldensanteils des S gilt § 254 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch für die Anrechnung eines Mitverschuldens enthält das StVG eine speziellere Vorschrift: § 17 StVG. Diese ist auch auf den Anspruch gegen einen anderen Fahrer aus der Fahrzeugführerhaftung (§ 18 Abs. 1 S. 1 StVG) anwendbar (§ 18 Abs. 3 StVG). § 17 Abs. 1 StVG normiert die Haftung im Innenverhältnis, wenn einem Dritten ein Schaden entstanden ist. § 17 Abs. 2 StVG gilt für das Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander. Vorliegend sind zur Ermittlung des Mitverschuldens und des Haftungsanteils der Fahrer S und F untereinander die wechselseitigen Verursachens- und Verschuldensbeiträge abzuwägen. In diese Abwägung ist auch der einzuhaltende Sicherheitsabstand einzustellen.

5. Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 StVG ist von hälftigem Mitverschulden des S auszugehen.

Nein!

LG Saarbrücken: Die Annahme hälftigen Mitverschuldens würde die gesonderte Sorgfaltspflicht des hinter dem Fahrschulwagen befindlichen Fahrzeugs nicht ausreichend würdigen. Das nachfolgende Fahrzeug habe besondere Vorsicht walten zu lassen, denn die deutliche Kenntlichmachung von Fahrschulfahrzeugen bei Übungsfahrten diene dem Zweck, auf das insoweit erhöhte Risiko eines unangepassten Fahrverhaltens, etwa in Form des unvermittelten Abbremsens ohne zwingenden Grund, hinzuweisen. Aufgrund des Herannahens von Personen sei das Abbremsen auf Stillstand nicht völlig fernliegend und hätte bei der Wahl des Abstandes berücksichtigt werden müssen. Andererseits sei bei der Ausfahrt aus einem Kreisverkehr die Reaktionsmöglichkeit nachfolgender Fahrzeuge geringer, was sich zu Lasten der Haftung des vorausfahrenden Wagens auswirke. Eine Haftungsverteilung von 30 % (F) zu 70 % (S) sei angemessen (RdNr. 15.).
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