Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Abgabe und Zugang von Willenserklärungen
Annahmeverweigerung des Empfangsboten ohne Einflussnahme des Adressaten
Annahmeverweigerung des Empfangsboten ohne Einflussnahme des Adressaten
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M will eine Wohnung kündigen, die er von V gemietet hat. Die Kündigung muss bis zum 31.3. zugehen. Am Mittag des 31.3. trifft M den V nicht an. M möchte die Kündigung der Ehefrau E des V übergeben. E fühlt sich jedoch überfordert und verweigert die Annahme der Kündigung.
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Einordnung des Falls
Annahmeverweigerung des Empfangsboten ohne Einflussnahme des Adressaten
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. E ist Empfangsbotin des V. Da E die Annahme verweigert hat, ist nicht mit der Weiterleitung an V zu rechnen.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Da E die Annahme verweigert hat, muss V sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen, als hätte E die Erklärung entgegengenommen und an ihn weitergeleitet.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jurakatze1987
4.12.2019, 20:59:01
Auch diese Lösung kann nicht stimmen. Denn hier wird gesagt, dass die Frau grundlos die Annahme verweigert hat und der Adressat keinen Einfluss darauf hat, weshalb kein Zugang eingetreten sei. Bei der anderen Variante ein paar Fallbeispiele vorher, wirft die Ehefrau den Brief sogar weg. Da besteht auf einmal Zugang. Obwohl V darauf genauso wenig Einfluss hatte.
ErdbärIn
7.12.2019, 11:29:50
Aber das ist doch ein Unterschied: Wenn die Frau den Brief wegwirft, muss sich V das deshalb zurechnen lassen, da der M doch aufgrund der Verkehrsanschauung damit rechnen muss, dass der Brief zugeht. Wenn die E aber verweigert, dann ist es für den M ja offenkundig, das damit nicht zurechnen ist. Die Einschränkung über Treue und Glaube soll sicherstellen, dass die E nicht böswillig unter Einwirkung durch V verweigert. Es geht insgesamt um den Schutz des M und nicht um den des V.
Christian Leupold-Wendling
11.12.2019, 16:23:19
Hi Jurakatze, gute Frage, danke! Der abstrakte Maßstab ist dieser: "ZUGANG (Phase 3) tritt bei Übergabe der Erklärung an einen
EMPFANGSBOTEN zu der Zeit ein, zu der nach NORMALEN UMSTÄNDEN mit der WEITERLEITUNG an den Empfänger zu rechnen ist." In dem Fall, in dem die Frau den Brief im Supermarkt nimmt und später wegwirft, ist der erste Teil der Definition erfüllt (Übergabe an den
Empfangsboten). In dem Fall hier, in dem die Frau den Brief nicht annimmt, ist der erste Teil bereits nicht erfüllt (keine Übergabe an den
Empfangsboten). Man kann zu einem Zugang aber nur gelangen über § 242 BGB wg. der
Annahmeverweigerung. Das ist aus den genannten Gründen hier aber nicht gerechtfertigt.
Ciojure
16.12.2019, 23:28:02
Schon das dritte Mal hier, dass ich genauso wie du gedacht habe @erdbär.
Jurakatze1987
16.12.2019, 23:34:06
Okay, glaube, jetzt habe ich es verstanden. Vielen Dank ans Team und alle, die mitgelesen und mitdiskutiert haben.
kleinerPadawan
19.3.2023, 08:41:24
Mal etwas allgemeines zu diesem Level/ Fallabschnitt: Die Kategorie heißt
Empfangsboteund
Empfangsvertreter. In den behandelten Fällen tauchen aber nur Empfangs- und Erklärungsboten auf. Wäre es nicht treffender es so zu benennen? Denn hier geht es ja insbesondere um die Abgrenzung vom Empfangs- zum Erklärungsboten.
Nora Mommsen
20.3.2023, 12:08:11
Hallo kleiner Padawan, danke für die Anregung! Wir schauen mal, ob wir hier eine Umbenennung des Kapitels Sinn ergibt und die Übersichtlichkeit fördert. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Isabelle.Sophie
3.11.2023, 11:41:44
Das Verhalten der Frau ist also keine vorsätzliche oder arglistige
Zugangsvereitelung, aber zählt das Verhalten der Frau dann als fahrlässige
Zugangsvereitelung, sodass ein erneuter Zustellungsversuch auf den Zeitpunkt des ersten Zustellungsversuchs zurückwirkt?
Leo Lee
4.11.2023, 10:49:17
Hallo Isabelle.Sophie, in der Tat ist es so, dass im vorliegenden Fall nicht mal eine fahrlässige
Zugangsvereitelungvorliegt, da „Fehler“ der Familienmitglieder i.d.R. nicht gem.
§ 278 BGBzuzurechnen sind (siehe etwa Müko-BGB 9. Auflage, Einsele § 130 Rn. 36). Weiterhin wird auch in der Entscheidung festgehalten, dass keine Fahrlässigkeit vorliegt, denn der Empfänger hat – lt. Sachverhalt – keine Fahrlässigkeit an den Tag gelegt (es war wirklich nur der „Vertreter“, der Mist gebaut hat, https://research.wolterskluwer-online.de/document/603e08a6-bf40-464a-bab0-99b462933fbe# Rn. 5). Somit müsste unser Erklärende tatsächlich „von vorne“ die Willenserklärung abgeben :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Richter Alexander Hold
12.11.2023, 13:03:04
Liebes Jurafuchs-Team, wäre es möglich, dass ihr den Text zu den Literaturempfehlungen zur Kopie freigebt, damit man insbesondere die Urteile, auf die verwiesen wird, einfach heraus kopieren und bei Google oder Beck-Online suchen und nachlesen kann? Das würde die Recherche enorm vereinfachen. So muss man immer, insbesondere auf dem iPad, zwischen Jurafuchs und Safari wechseln und das Aktenzeichen usw. mühsam händisch eintippen.
Lukas_Mengestu
14.11.2023, 16:54:08
Hallo
Richter Alexander Hold, lieben Dank für den guten Vorschlag. Das schauen wir uns an! Da unsere Entwickler derzeit ganz gut ausgelastet sind, bitte ich Dich hier aber noch um ein wenig Geduld. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
28.1.2024, 13:57:07
In den Kommentaren zu dieser Aufgabe klang schon, dass auch hinsichtlich der Frage des Zugangs beim (Nicht-)Auftreten von Erklärungs- und
Empfangsboten die Wertung des
§ 278 BGBheranzuziehen sei. Ist dem tatsächlich so? Wie wäre der Fall zu lösen, wenn nicht die Ehefrau im Privathaus, sondern die Dame am Empfangsschalter in den Geschäftsräumen den Empfang der Erklärung (grundlos) verweigert hätte?
Nora Mommsen
28.1.2024, 14:36:03
Hallo QuiGonTim, danke für deine Frage. Auf einen Boten findet
§ 278 BGBkeine Anwendung. Da ist wie im Fall auch dargestellt nur relevant, ob der Empfänger das Verhalten (in diesem Fall die Weigerung) vorher abgesprochen hatte. In dem Fall würde das entsprechend zugerechnet. Unproblematisch ist es, wenn anstelle des Empfängers ein
Empfangsvertreterhandelt. Sein zugangsverhinderndes Verhalten wird rechtsgeschäftlich qualifiziert. In der Literatur wird z.T. davon gesprochen, dass eine Zurechnung nach dem Gedanken der § 164 Abs. 3, 166 Abs. 1 BGB erfolgt. Da es auch um die Zurechnung der Weigerung liegt und diese gerade rechtsgeschäftlich eingeordnet wird, könnte man auch davon sprechen, dass diese dem Empfänger nach dem Rechtsgedanken des
§ 278 BGBzugerechnet wird. Dies natürlich gesetzt dem Falle, dass die Voraussetzungen des
§ 278 BGBim Übrigen vorliegen. Im Falle eines Boten ist aber keinesfalls
§ 278 BGBanzusprechen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs Team
QuiGonTim
28.1.2024, 15:46:25
Danke für die schnelle Antwort. :)
busy B 🐝 ✨
25.6.2024, 20:06:04
Nur zum besseren Verständnis: Worin ist dann in diesem Fall die Abgabe zu sehen? Hat der M durch das "Hinhalten" des Briefes ggü. der Ehefrau die WE willentlich in den Rechtsverkehr entäußert?
as.mzkw
21.8.2024, 13:20:37
Wäre ja zu einfach die Erklärung in den Briefkasten zu werfen … 😂
Findet Nemo Tenetur
2.11.2024, 21:43:43
Ich verstehe nicht, weswegen E hier noch als Empfangsbotin zu klassifizieren ist. Dazu müsste sie doch entweder vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden sein (hier (-)) oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt und geeignet anzusehen sein. Eine Person (die nicht der Empfänger ist), die die Annahme eines Briefes verweigert, weil sie mit der Situation überfordert ist, würde aber doch von der Verkehrsanschauung dann nicht mehr als zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt und geeignet angesehen werden. Dass nach der Verkehrsanschauung gemeinsam lebende Ehegatten erstmal als
Empfangsboten eingestuft werden, leuchtet mir ein. Aber weswegen ist dies eine von der konkreten Situation unabhängige, stets gültige Annahme? Wenn beispielsweise eine für den Verkehr offenkundige Sprach- oder sonstige Verständnisbarriere bei dem angetroffenen Ehegatten bestünde, müsste man ja konsequenterweise auch in diesem Fall die Emfpangsboteneigenschaft bejahen. Wird das so gemacht? Das käme mir komisch vor.