Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB („Hühnerpest-Fall“)


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Pharmaunternehmen P vertreibt Impfstoff gegen Hühnerpest. Landwirt L impft seine gesamte Hühnerfarm mit einer verseuchten Charge des Mittels. Dadurch erkranken alle Tiere an Hühnerpest und verenden.

Einordnung des Falls

Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB („Hühnerpest-Fall“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P hat das Eigentum des L verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er eine verseuchte Charge Impfstoff verkauft hat.

Ja, in der Tat!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Zu (3): Eine Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Auf Tiere sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anwendbar (§ 90a BGB). Indem P die Hühner des L infiziert und dadurch sogar getötet hat, hat er auf die Sachsubstanz des Eigentums des L eingewirkt.

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Henk

Henk

15.3.2020, 08:05:08

Vielleicht kann man mit einem Satz noch die haftungsbegründende Kausalität (Verkaufen-Tod der Hühner) erwähnen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2021, 12:43:26

Hallo Henk, vielen Dank für Deine Anmerkung. Du hast natürlich Recht, dass man zu diesem Fall noch einiges mehr sagen könnte. Darunter die haftungsbegründende Kausalität, aber auch die Frage nach dem Verschulden des Produzenten. In unseren systematischen Kursen schichten wir die verschiedenen Prüfungspunkte indes nach Möglichkeit ab, sodass wir hier zunächst nur das Thema Rechtsgutsverletzung behandeln und in späteren Einheiten dann auf die haftungsbegründende Kausalität sowie weitere Punkte eingehen. Der Sachverhalt selbst ist aus unserer Sicht indes insoweit eindeutig, dass der Kausalzusammenhang Verkauf der versuchten Charge - Erkrankung - Tod deutlich wird. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LawLessLand

LawLessLand

23.3.2020, 16:13:07

mE müsste man hier klarstellen, ob durch Verkauf + Verabreichung das Eigentum geschädigt wird. Für mich las sich die Frage so, als ob schon der Verkauf des verseuchten Impfstoffs die Verletzung sein sollte (Stichwort

Stoffgleichheit

)

GEL

gelöscht

2.6.2020, 23:30:38

Der Verkauf des Impfstoffs ist hier auch die Verletzungshandlung. Auf die Verabreichung kann nicht abgestellt werden, weil diese nicht durch P erfolgt.

Stoffgleichheit

braucht man hier nicht, das ist kein Weiterfresserschaden sondern eine Frage der Kausalität.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2021, 13:09:52

Hallo ihr beiden, in der Tat stellt hier schon der Verkauf die schädigende Handlung dar. Diese kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der tatbestandsmäßige Erfolg entfiele (Äquivalenztheorie), die Schädigung liegt nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit (Adäquanz) und die Haftung entfällt auch nicht im Hinblick auf den

Schutzzweck der Norm

. Die haftungsbegründende Kausalität liegt damit vor. Der Weiterfresserschaden ist an dieser Stelle tatsächlich nicht ganz passend, denn es geht bei dieser Figur darum, die Abgrenzung zwischen dem Mängelgewährleistungsrecht und dem Deliktsrecht zu klären. Es geht also um Fälle, in denen lediglich ein Teil eines Verkaufsgegenstandes mangelhaft ist (zB Thermostat einer Sonnenbank / Reifen eines Fahrzeuges) und infolge dieses mangelhaften Bauteils der übrige Teil des Gegenstandes beschädigt wird. Nur hier ist die Frage der "

Stoffgleichheit

" im Hinblick auf die Abgrenzung, ob das Integritätsinteresse oder das

Äquivalenzinteresse

betroffen ist, zu thematisieren. Der vorliegende Fall bietet dafür indes keinen Anlass, denn verkauft wurde ja allein der Impfstoff und nicht das Gesamtpaket "geimpfte Hühner". Ich hoffe, es wird so etwas klarer. Beste Grüße, Lukas für das Jurafuchs-Team

Feri

Feri

12.9.2020, 01:08:58

Substanzverletzung erfolgt entweder durch direkte Einwirkung des Schädigers oder mittelbar durch einen „Weiterfresser“. Dies ist hier tatsächlich streitbar. Das Mittel war mangelhaft und wurde anschließend mit den zunächst intakten lebenden Sachen (rein rechtlich) „zusammengeführt“. Auf die

Stoffgleichheit

ist einzWenn dadurch dann die Gesamtsache unbrauchbar wird, ist für die Verjährung festzustellen, ob 434ff, 438 oder 823 I, 195, 199 zur Anwendung kommt. Im letzteren Fall müsste der Schaden als Eigentumsschaden qualifizierst sein. Das ist dann der Fall, wenn nicht das Nutzungs- und

Äquivalenzinteresse

, sondern das Integritätsinteresse verletzt ist. Hier kam es dem Geschädigten gerade auf die Erhaltung seines Eigentums an. Daher liegt mit Sterben aller Tiere eine

Eigentumsverletzung

vor.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2021, 13:23:41

Hallo Feri, im Ergebnis bin ich bei Dir, allerdings musst Du mit der Verwendung des "Weiterfresserschadens" ein wenig vorsichtig sein. Diese Figur dient nicht dazu jede mittelbare Einwirkung des Schädigers auf Rechtsgüter des Geschädigten herzuleiten. Vielmehr ist die Frage, inwieweit mittelbare Schädigungen dem Schädiger zuzurechnen sind grundsätzlich eine Frage, die im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität relevant wird. Beim Weiterfresserschaden geht es vielmehr darum zwischen Mängelgewährleistungsrecht und Deliktsrecht abzugrenzen. Dies betrifft indes nur Fälle, in denen ein TEIL eines EINHEITLICHEN Verkaufsgegenstandes (zB Reifen eines Fahrzeuges) mangelhaft ist. Hier hat P dem L aber ja einen mangelhaften Impfstoff verkauft, der wiederum eine ANDERE Sache des L zerstört hat. Insoweit läge hier auch im Hinblick auf die vertragliche Beziehung unproblematisch ein Integritätsschaden und somit ein Schadensersatz neben der Leistung (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 241 II BGB) vor. Auf einen "Weiterfresserschaden" kommt es insoweit nicht an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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