Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)

Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)

3. Juli 2025

22 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Hersteller H verkauft eine Reinigungsanlage an U, die bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten soll. Der hierfür zuständige Schwimmschalter in der Anlage ist jedoch ab Werk defekt. Dadurch überhitzt die Reinigungsanlage und explodiert.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

In der „Schwimmerschalter-Entscheidung“ befasst sich der BGH mit der Frage, ob eine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn ein mangelhaftes Bauteil die Beschädigung der restlichen Anlage verursacht. Dies bejaht der BGH, wenn der Mangel nur einen „funktionell begrenzten“ Teil der im Übrigen einwandfreien Anlage betrifft.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Reinigungsanlage war mangelhaft. Hat U Mängelgewährleistungsansprüche gegen H aus dem Kaufvertrag (§§ 437, 434 BGB)?

Ja!

Dies setzt einen Sachmangel bei Gefahrübergang voraus (§§ 434, 446, 447 BGB). Die Reinigungsanlage sollte bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten, was sie jedoch aufgrund des defekten Schwimmschalters nicht tat. Damit hat sie einen Sachmangel (§ 434 Abs. 1 BGB). Dieser Mangel lag auch bereits ab Werk vor, d.h. auch bei Gefahrübergang (§§ 446, 447 BGB). Im Originalfall war der Anspruch aber bereits verjährt und die kaufrechtliche Gewährleistung (wohl) auch wirksam ausgeschlossen (RdNr. 22). U hatte somit keinerlei Ansprüche gegen H aus §§ 437, 434 BGB. Deshalb stellte sich die Frage, ob U deliktische Ansprüche gegen H geltend machen kann.
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2. H hat einen defekten Schwimmschalter geliefert und an U übereignet. Hat H allein dadurch Us Eigentum an der Anlage verletzt (823 Abs. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Rahmen der Prüfung von § 823 Abs. 1 BGB musst Du zunächst ermitteln, welches Recht oder Rechtsgut durch welche konkrete Handlung des Schädigers verletzt worden sein könnte. Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Der defekte Schwimmschalter ist zwar wahrscheinlich in seiner Sachsubstanz beeinträchtigt. Er war dies jedoch von Anfang an. U hat zu keinem Zeitpunkt Eigentum an einer Anlage mit funktionsfähigem Schwimmschalter besessen. In dem Mangel kann deshalb keine Eigentumsverletzung liegen. Das bedeutet: U hat gegen H keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB aufgrund des defekten Schwimmschalters (allein).

3. U könnte neben den Ansprüchen aus § 437 BGB auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen H zustehen. Sind deliktische Ansprüche subsidiär zur kaufrechtlichen Gewährleistung?

Nein, das trifft nicht zu!

Im Zivilrecht gilt grundsätzlich uneingeschränkte Anspruchskonkurrenz. Das bedeutet, dass der Geschädigte vertragliche und deliktische Ansprüche nebeneinander geltend machen kann. Dies erlangt etwa dann besondere Bedeutung, wenn kaufrechtliche Gewährleistungsrechte wegen der teilweise kürzeren Verjährungsfrist (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB: zwei Jahre) bereits nicht mehr durchsetzbar sind. Deliktische Ansprüche unterliegen der Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB). Führe Dir das noch einmal vor Augen: Im Originalfall hatte U keinerlei Ansprüche aus dem Kaufvertrag, da diese verjährt und (wohl) wirksam abbedungen waren. Für U war es daher entscheidend, ob er einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen H hat. Bei von Anfang an mangelhaften Sachen ist jedoch der Punkt der „Eigentumsverletzung“ (§ 823 Abs. 1 BGB) problematisch. Dazu gleich mehr!

4. Könnte der Schaden, der durch die Explosion der Anlage entstanden ist, eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB sein?

Ja!

Hier liegt der Knackpunkt des Falles: Du musst unterscheiden zwischen dem mangelhaften Schwimmschalter als Teil der Anlage und der Anlage insgesamt. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB allein wegen der Lieferung einer Anlage mit defektem Schwimmschalters scheidet – mangels Rechts(gut)verletzung – aus. Durch die spätere Explosion der gesamten Anlage könnte jedoch eine vom Schwimmschalter unabhängig zu bewertende Rechtsgutsverletzung eingetreten sein. Nach der Rechtsprechung liegt keine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB vor, wenn eine mangelhafte Sache von Anfang an insgesamt mangelhaft ist und der später eingetretene Schaden sich mit dem ursprünglichen Mangel deckt (= Stoffgleichheit). Zum Zeitpunkt der Explosion stand die Anlage in Us Eigentum. Sie ist explodiert, also vollständig unbrauchbar geworden. Grundsätzlich könnte hierin eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB liegen. Dafür dürfte jedoch keine Stoffgleichheit zwischen dem mangelhaften Schwimmschalter und der zerstörten Anlage bestehen.

5. Nach der Rspr. hat U nur einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, wenn zwischen dem defekten Schwimmschalter und Us explodierten Eigentum Stoffgleichheit besteht.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Rechtsprechung liegt keine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB vor, wenn zwischen dem ursprünglichen Mangelunwert und dem daraus entstandenen Schaden Stoffgleichheit besteht. Etwas anderes gilt, wenn ein begrenzter anfänglicher Mangel an der Kaufsache später zu Schäden an der Sache selbst oder anderen Gegenständen führt (= sog. „Weiterfresserschaden“). Stoffgleichheit liegt vor, wenn (1) die Kaufsache aufgrund des Mangels von Anfang an wertlos ist, weil (a) das defekte Teil und die Gesamtsache eine Einheit bilden oder (b) der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kann.

6. Besteht zwischen dem defekten Schwimmschalter und der zerstörten Anlage Stoffgleichheit?

Nein!

Stoffgleichheit liegt vor, wenn (1) die Kaufsache aufgrund des Mangels von Anfang an wertlos ist, weil (a) das defekte Teil und die Gesamtsache eine Einheit bilden oder (b) der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kannDer Schwimmschalter wäre leicht auszutauschen gewesen. Die Anlage war auch ohne den defekten, abgrenzbaren Schwimmschalter nicht völlig wertlos. Zwischen dem defekten Schwimmschalter und dem späteren Schaden an der gesamten Anlage besteht damit keine Stoffgleichheit. H hat Us Eigentum verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB). Auch die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB sind hier gegeben. Insbesondere besteht für den Fabrikations- oder Konstruktionsfehler eine Verschuldensvermutung nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung. H konnte sich im Originalfall nicht exkulpieren. Dazu später mehr!
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