Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Hersteller H verkauft eine Reinigungsanlage an U, die bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten soll. Der hierfür zuständige Schwimmerschalter in der Maschine ist jedoch ab Werk defekt. Dadurch überhitzt die Reinigungsanlage und explodiert.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
In der „Schwimmerschalter-Entscheidung“ befasst sich der BGH mit der Frage, ob eine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn ein mangelhaftes Bauteil die Beschädigung der restlichen Anlage verursacht. Dies bejaht der BGH, wenn der Mangel nur einen „funktionell begrenzten“ Teil der im Übrigen einwandfreien Anlage betrifft.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. U hat Mängelgewährleistungsansprüche gegen H aus dem Kaufvertrag (§ 437 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem H dem U einen defekten Schwimmerschalter geliefert und übereignet hat, hat er das Eigentum des U verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Deliktische Ansprüche sind subsidiär zu den Gewährleistungsrechten aus dem Kaufrecht.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Indem H dem U eine Reinigungsanlage geliefert und übereignet hat, in der ein defekter Schwimmerschalter verbaut war, der die Zerstörung der Reinigungsanlage des U verursacht hat, hat er das Eigentum des U verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja!
7 Tage kostenlos* ausprobieren
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Johannes Nebe
24.5.2023, 22:50:50
Die Erklärung des
Weiterfresserschadens ist nicht gut gelungen. In der vorletzten Frage muss man die Eigentumsverletzung des U mit Ja beantworten, wenn man schon an die ganze explodierte Maschine denkt. Der Clou des
Weiterfresserschadens ist doch, dass an dem mangelhaften oder defekten Teil selbst keine Eigentumsverletzung entsteht. Dazu hätte die Frage sich aber auf das Eigentum am Schwimmerschalter beziehen müssen.
Nora Mommsen
27.10.2023, 14:27:13
Hallo Johannes Nebe, danke für deine Rückmeldung. Tatsächlich lautet die vorletzte Frage, ob H durch die Lieferung und
Übereignungeines defekten Schwimmschalters das Eigentum verletzt hat. Diese Frage ist eindeutig mit nein zu beantworten. Genau das ist eben auch der Punkt. Man muss im Kopf ganz klar trennen zwischen den einzelnen Elementen der Sache. Der Schwimmschalter alleine ist noch keine Eigentumsverletzung. Aber eine Maschine mit eingebautem defektem Kleinteil ist es eben, wenn durch das Kleinteil auch der Rest beschädigt wird. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
dario.b
7.6.2024, 21:10:27
Ich muss mich allerdings Johannes anschließen. Die Formulierung ist jedenfalls uneindeutig, weil nicht gefragt wird WORAN die Eigentumsverletzung hervorgerufen wird. Zwar wird explizit nur nach der Lieferung des defekten Schalters gefragt, aber da es sich dabei um die
Verletzungshandlungim Rahmen des anschließend zu bejahenden
Weiterfresserschadens handelt, ist die Frage strenggenommen auch zu bejahen.
CR7
18.6.2024, 17:21:46
Ich finde die Darstellung hier auch nicht ganz gelungen. Ich habe es in meinen Unterlagen wie folgt stehen, vielleicht hilft es den anderen, das Problem eher zu verstehen P-Aufriss:
Weiterfresserschaden- Prüfungsstandort: Nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB bei § 823 I BGB in RGV •
Nacherfüllungsanspruch(§§ 437 Nr.1, 439 I BGB): Verjährt nach 2 Jahren ab Besitzverschaffung (§ 438 I Nr.3 BGB). • Problem: Kenntnis des Mangels erst nach 2 Jahren -> Verjährungseinrede des Verkäufers. • Nach Verjährung: Schadensersatz nur aus deliktischem Schuldverhältnis (§ 823 I BGB), da 3 Jahre Verjährung (§ 195 BGB). • § 823 I BGB: Problem: Keine “Eigentumsverletzung”, da bereits mangelhaftes Eigentum von Anfang an. Lösung des Problems: Die Sache wird „aufgespaltet“ - Mangelhafter Teil → Temperaturregler - Mangelfreier Teil → Sache ohne Temperaturregler - Schon hier kann man sehen, ob eine
Stoffgleichheit(s.u.) gegeben ist. Maßgeblich ist dann die
Stoffgleichheit. Wenn
Stoffgleichheit(+) → § 823 I (-).
Stoffgleichheitliegt (Faustformel) vor, wenn die Sache technisch nicht behebbar ist oder dies sehr teuer wäre. - Mangelfreier Teil: - Die Sache ohne Temperaturregler genießt Eigentumsschutz nach § 823 I BGB - Mangelhafter Teil verletzt mangelfreien Teil („der Mangel frisst sich also weiter auf den mangelfreien Teil“) - Voraussetzungen also (innerhalb von § 823 I BGB bei Rechtsgutsverletzung prüfen) - Das defekte Teil ist vom Rest „isolierbar“ → Temperaturregler kann man ausbauen - Dieses Teil ist mangelhaft → Temperaturregler spinnt, falsch gelötet, verstaubt etc. - Ohne das isolierbare Teil hat die mangelfreie Restsache einen eigenständigen Wert → Temperaturregler wird in der freien Industrie max. Wenige Euro kosten - keine
Stoffgleichheit(
Integritätsinteresseist betroffen) → Temperaturregler kann mit geringem Aufwand behoben werden, ohne dass die andere mangelfreie Restsache beschädigt wird → Temperaturregler kann einfach rausgebaut werden und ein neuer ohne Folgeprobleme eingebaut werden Dann ist das
Integritätsinteressebetroffen. Das ist das Interesse daran, dass die mangelfreie Sache (also die Sache ohne Temperaturregler) erhalten bleibt. Dieses wurde durch den überhitzen Temperaturregler verletzt. Rechtsfolge: Rechtsgutsverletzung (+), dann § 823 I BGB weiter prüfen (Handlung, HB-Kausalität, etc.)
evanici
11.9.2023, 10:46:14
Ist die
Verletzungshandlungwirklich die Lieferung und
Übereignungund müsste man hier nicht eher auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht abstellen?
Lukas_Mengestu
18.12.2023, 17:42:14
Hallo evanici, die pflichtwidrige Handlung ist hier in der Tat in erster Linie die Lieferung einer mangelhaften Reinigungsanlage, die letztlich für die Zerstörung der Anlage selbst ursächlich war. Die "Verkehrssicherungspflicht" wird aber noch im Rahmen des Verschuldens relevant. Grundsätzlich wird es dem Geschädigten schwerfallen nachzuweisen, dass der Hersteller die pflichtwidrige Lieferung verschuldet hat. Der BGH hat für diese Fälle der Produzentenhaftung eine
Beweislastumkehrentwickelt, sofern es sich um Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler handelt. Hier hatte der BGH offen gelassen, ob ein Konstruktions- oder
Fabrikationsfehlerhandelte, da sich in beiden Fällen der Unternehmer hätte entlasten müssen. Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team