Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)


[...Wird geladen]

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Hersteller H verkauft eine Reinigungsanlage an U, die bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten soll. Der hierfür zuständige Schwimmerschalter in der Maschine ist jedoch ab Werk defekt. Dadurch überhitzt die Reinigungsanlage und explodiert.

Einordnung des Falls

In der „Schwimmerschalter-Entscheidung“ befasst sich der BGH mit der Frage, ob eine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn ein mangelhaftes Bauteil die Beschädigung der restlichen Anlage verursacht. Dies bejaht der BGH, wenn der Mangel nur einen „funktionell begrenzten“ Teil der im Übrigen einwandfreien Anlage betrifft.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. U hat Mängelgewährleistungsansprüche gegen H aus dem Kaufvertrag (§ 437 BGB).

Ja!

Dies setzt einen Sachmangel bei Gefahrübergang voraus (§§ 434, 446 BGB). Ein Sachmangel ist jede negative Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit. Die Reinigungsanlage sollte bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten, was sie jedoch aufgrund des defekten Schwimmerschalters nicht tat. Damit hat sie einen Sachmangel (§ 434 Abs. 1 BGB). Dieser Mangel lag auch bereits ab Werk vor, d.h. auch bei Gefahrübergang (§§ 446, 447 BGB).

2. Indem H dem U einen defekten Schwimmerschalter geliefert und übereignet hat, hat er das Eigentum des U verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Der defekte Schwimmerschalter ist gegebenenfalls in seiner Sachsubstanz beeinträchtigt. Er war dies jedoch von Anfang an. U hat also zu keinem Zeitpunkt Eigentum an einem funktionsfähigen Schwimmerschalter besessen. In dem Mangel kann deshalb keine Eigentumsverletzung liegen.

3. Deliktische Ansprüche sind subsidiär zu den Gewährleistungsrechten aus dem Kaufrecht.

Nein, das trifft nicht zu!

Im Zivilrecht gilt grundsätzlich uneingeschränkte Anspruchskonkurrenz. Das bedeutet, dass der Geschädigte vertragliche und deliktische Ansprüche nebeneinander geltend machen kann. Dies erlangt etwa dann besondere Bedeutung, wenn kaufrechtliche Gewährleistungsrechte wegen der teilweise kürzeren Verjährungsfrist (zwei Jahre (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB)) bereits undurchsetzbar sind. Deliktische Ansprüche unterliegen der Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB).

4. Indem H dem U eine Reinigungsanlage geliefert und übereignet hat, in der ein defekter Schwimmerschalter verbaut war, der die Zerstörung der Reinigungsanlage des U verursacht hat, hat er das Eigentum des U verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der BGH nimmt eine deliktische Haftung an, wenn der Sachmangel nicht nur das Äquivalenzinteresse des Käufers (=mangelfreie Eigentumsübertragung), sondern auch sein Integritätsinteresse (keine Verletzung seiner Rechtspositionen) verletzt. Wenn zwischen dem Mangelunwert der Sache und dem eingetretenen Schaden Stoffgleichheit bestehe, sei die Gesamtsache von Anfang an mangelhaft. Dann schieden deliktische Ansprüche aus. Stoffgleichheit nimmt die Rspr. an, wenn die Kaufsache aufgrund des Mangels von Anfang an wertlos ist, weil (1) das defekte Teil und die Gesamtsache eine Einheit bilden, oder (2) der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kann. Der Schalter ist ein funktionell begrenztes Steuerungsgerät, das leicht auszutauschen gewesen wäre. Insbesondere im Vergleich zum später eingetretenen Schaden hätte dies wirtschaftlich nur einen geringen Aufwand bedeutet. Es fehlt somit an der Stoffgleichheit. Vielmehr hat sich die in der Mitlieferung des schadhaften Schalters liegende Gefahrenursache erst nach Eigentumsübergang zu einem über diesen Mangel hinausgehenden Schaden realisiert (=Weiterfresserschaden) und dadurch das im übrigen mangelfreie Eigentum des U an der Anlage insgesamt verletzt.

Jurafuchs kostenlos testen


Johannes Nebe

Johannes Nebe

24.5.2023, 22:50:50

Die Erklärung des Weiterfresserschadens ist nicht gut gelungen. In der vorletzten Frage muss man die

Eigentumsverletzung

des U mit Ja beantworten, wenn man schon an die ganze explodierte Maschine denkt. Der Clou des Weiterfresserschadens ist doch, dass an dem mangelhaften oder defekten Teil selbst keine

Eigentumsverletzung

entsteht. Dazu hätte die Frage sich aber auf das Eigentum am Schwimmerschalter beziehen müssen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.10.2023, 14:27:13

Hallo Johannes Nebe, danke für deine Rückmeldung. Tatsächlich lautet die vorletzte Frage, ob H durch die Lieferung und

Übereignung

eines defekten Schwimmschalters das Eigentum verletzt hat. Diese Frage ist eindeutig mit nein zu beantworten. Genau das ist eben auch der Punkt. Man muss im Kopf ganz klar trennen zwischen den einzelnen Elementen der Sache. Der Schwimmschalter alleine ist noch keine

Eigentumsverletzung

. Aber eine Maschine mit eingebautem defektem Kleinteil ist es eben, wenn durch das Kleinteil auch der Rest beschädigt wird. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

dario.b

dario.b

7.6.2024, 21:10:27

Ich muss mich allerdings Johannes anschließen. Die Formulierung ist jedenfalls uneindeutig, weil nicht gefragt wird WORAN die

Eigentumsverletzung

hervorgerufen wird. Zwar wird explizit nur nach der Lieferung des defekten Schalters gefragt, aber da es sich dabei um die Verletzungshandlung im Rahmen des anschließend zu bejahenden Weiterfresserschadens handelt, ist die Frage strenggenommen auch zu bejahen.

CR7

CR7

18.6.2024, 17:21:46

Ich finde die Darstellung hier auch nicht ganz gelungen. Ich habe es in meinen Unterlagen wie folgt stehen, vielleicht hilft es den anderen, das Problem eher zu verstehen P-Aufriss: Weiterfresserschaden - Prüfungsstandort: Nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB bei § 823 I BGB in RGV • Nacherfüllungsanspruch (§§ 437 Nr.1, 439 I BGB): Verjährt nach 2 Jahren ab Besitzverschaffung (§ 438 I Nr.3 BGB). • Problem: Kenntnis des Mangels erst nach 2 Jahren -> Verjährungseinrede des Verkäufers. • Nach Verjährung: Schadensersatz nur aus deliktischem Schuldverhältnis (§ 823 I BGB), da 3 Jahre Verjährung (§ 195 BGB). • § 823 I BGB: Problem: Keine “

Eigentumsverletzung

”, da bereits mangelhaftes Eigentum von Anfang an. Lösung des Problems: Die Sache wird „aufgespaltet“ - Mangelhafter Teil → Temperaturregler - Mangelfreier Teil → Sache ohne Temperaturregler - Schon hier kann man sehen, ob eine

Stoffgleichheit

(s.u.) gegeben ist. Maßgeblich ist dann die

Stoffgleichheit

. Wenn

Stoffgleichheit

(+) → § 823 I (-).

Stoffgleichheit

liegt (Faustformel) vor, wenn die Sache technisch nicht behebbar ist oder dies sehr teuer wäre. - Mangelfreier Teil: - Die Sache ohne Temperaturregler genießt Eigentumsschutz nach § 823 I BGB - Mangelhafter Teil verletzt mangelfreien Teil („der Mangel frisst sich also weiter auf den mangelfreien Teil“) - Voraussetzungen also (innerhalb von § 823 I BGB bei Rechtsgutsverletzung prüfen) - Das defekte Teil ist vom Rest „isolierbar“ → Temperaturregler kann man ausbauen - Dieses Teil ist mangelhaft → Temperaturregler spinnt, falsch gelötet, verstaubt etc. - Ohne das isolierbare Teil hat die mangelfreie Restsache einen eigenständigen Wert → Temperaturregler wird in der freien Industrie max. Wenige Euro kosten - keine

Stoffgleichheit

(Integritätsinteresse ist betroffen) → Temperaturregler kann mit geringem Aufwand behoben werden, ohne dass die andere mangelfreie Restsache beschädigt wird → Temperaturregler kann einfach rausgebaut werden und ein neuer ohne Folgeprobleme eingebaut werden Dann ist das Integritätsinteresse betroffen. Das ist das Interesse daran, dass die mangelfreie Sache (also die Sache ohne Temperaturregler) erhalten bleibt. Dieses wurde durch den überhitzen Temperaturregler verletzt. Rechtsfolge: Rechtsgutsverletzung (+), dann § 823 I BGB weiter prüfen (Handlung, HB-Kausalität, etc.)

EVA

evanici

11.9.2023, 10:46:14

Ist die Verletzungshandlung wirklich die Lieferung und

Übereignung

und müsste man hier nicht eher auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht abstellen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.12.2023, 17:42:14

Hallo evanici, die pflichtwidrige Handlung ist hier in der Tat in erster Linie die Lieferung einer mangelhaften Reinigungsanlage, die letztlich für die Zerstörung der Anlage selbst ursächlich war. Die "Verkehrssicherungspflicht" wird aber noch im Rahmen des Verschuldens relevant. Grundsätzlich wird es dem Geschädigten schwerfallen nachzuweisen, dass der Hersteller die pflichtwidrige Lieferung verschuldet hat. Der BGH hat für diese Fälle der Produzentenhaftung eine Beweislastumkehr entwickelt, sofern es sich um Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler handelt. Hier hatte der BGH offen gelassen, ob ein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handelte, da sich in beiden Fällen der Unternehmer hätte entlasten müssen. Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


© Jurafuchs 2024