Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)

Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)

13. Februar 2025

20 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Hersteller H verkauft eine Reinigungsanlage an U, die bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten soll. Der hierfür zuständige Schwimmschalter in der Anlage ist jedoch ab Werk defekt. Dadurch überhitzt die Reinigungsanlage und explodiert.

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Einordnung des Falls

In der „Schwimmerschalter-Entscheidung“ befasst sich der BGH mit der Frage, ob eine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn ein mangelhaftes Bauteil die Beschädigung der restlichen Anlage verursacht. Dies bejaht der BGH, wenn der Mangel nur einen „funktionell begrenzten“ Teil der im Übrigen einwandfreien Anlage betrifft.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Reinigungsanlage war mangelhaft. Hat U Mängelgewährleistungsansprüche gegen H aus dem Kaufvertrag (§§ 437, 434 BGB)?

Ja!

Dies setzt einen Sachmangel bei Gefahrübergang voraus (§§ 434, 446, 447 BGB). Die Reinigungsanlage sollte bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten, was sie jedoch aufgrund des defekten Schwimmschalters nicht tat. Damit hat sie einen Sachmangel (§ 434 Abs. 1 BGB). Dieser Mangel lag auch bereits ab Werk vor, d.h. auch bei Gefahrübergang (§§ 446, 447 BGB). Im Originalfall war der Anspruch aber bereits verjährt und die kaufrechtliche Gewährleistung (wohl) auch wirksam ausgeschlossen (RdNr. 22). U hatte somit keinerlei Ansprüche gegen H aus §§ 437, 434 BGB. Deshalb stellte sich die Frage, ob U deliktische Ansprüche gegen H geltend machen kann.
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2. H hat einen defekten Schwimmschalter geliefert und an U übereignet. Hat H allein dadurch Us Eigentum an der Anlage verletzt (823 Abs. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Rahmen der Prüfung von § 823 Abs. 1 BGB musst Du zunächst ermitteln, welches Recht oder Rechtsgut durch welche konkrete Handlung des Schädigers verletzt worden sein könnte. Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Der defekte Schwimmschalter ist zwar wahrscheinlich in seiner Sachsubstanz beeinträchtigt. Er war dies jedoch von Anfang an. U hat zu keinem Zeitpunkt Eigentum an einer Anlage mit funktionsfähigem Schwimmschalter besessen. In dem Mangel kann deshalb keine Eigentumsverletzung liegen. Das bedeutet: U hat gegen H keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB aufgrund des defekten Schwimmschalters (allein).

3. U könnte neben den Ansprüchen aus § 437 BGB auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen H zustehen. Sind deliktische Ansprüche subsidiär zur kaufrechtlichen Gewährleistung?

Nein, das trifft nicht zu!

Im Zivilrecht gilt grundsätzlich uneingeschränkte Anspruchskonkurrenz. Das bedeutet, dass der Geschädigte vertragliche und deliktische Ansprüche nebeneinander geltend machen kann. Dies erlangt etwa dann besondere Bedeutung, wenn kaufrechtliche Gewährleistungsrechte wegen der teilweise kürzeren Verjährungsfrist (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB: zwei Jahre) bereits nicht mehr durchsetzbar sind. Deliktische Ansprüche unterliegen der Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB). Führe Dir das noch einmal vor Augen: Im Originalfall hatte U keinerlei Ansprüche aus dem Kaufvertrag, da diese verjährt und (wohl) wirksam abbedungen waren. Für U war es daher entscheidend, ob er einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen H hat. Bei von Anfang an mangelhaften Sachen ist jedoch der Punkt der „Eigentumsverletzung“ (§ 823 Abs. 1 BGB) problematisch. Dazu gleich mehr!

4. Könnte der Schaden, der durch die Explosion der Anlage entstanden ist, eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB sein?

Ja!

Hier liegt der Knackpunkt des Falles: Du musst unterscheiden zwischen dem mangelhaften Schwimmschalter als Teil der Anlage und der Anlage insgesamt. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB allein wegen der Lieferung einer Anlage mit defektem Schwimmschalters scheidet – mangels Rechts(gut)verletzung – aus. Durch die spätere Explosion der gesamten Anlage könnte jedoch eine vom Schwimmschalter unabhängig zu bewertende Rechtsgutsverletzung eingetreten sein. Nach der Rechtsprechung liegt keine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB vor, wenn eine mangelhafte Sache von Anfang an insgesamt mangelhaft ist und der später eingetretene Schaden sich mit dem ursprünglichen Mangel deckt (= Stoffgleichheit). Zum Zeitpunkt der Explosion stand die Anlage in Us Eigentum. Sie ist explodiert, also vollständig unbrauchbar geworden. Grundsätzlich könnte hierin eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB liegen. Dafür dürfte jedoch keine Stoffgleichheit zwischen dem mangelhaften Schwimmschalter und der zerstörten Anlage bestehen.

5. Nach der Rspr. hat U nur einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, wenn zwischen dem defekten Schwimmschalter und Us explodierten Eigentum Stoffgleichheit besteht.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Rechtsprechung liegt keine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB vor, wenn zwischen dem ursprünglichen Mangelunwert und dem daraus entstandenen Schaden Stoffgleichheit besteht. Etwas anderes gilt, wenn ein begrenzter anfänglicher Mangel an der Kaufsache später zu Schäden an der Sache selbst oder anderen Gegenständen führt (= sog. „Weiterfresserschaden“). Stoffgleichheit liegt vor, wenn (1) die Kaufsache aufgrund des Mangels von Anfang an wertlos ist, weil (a) das defekte Teil und die Gesamtsache eine Einheit bilden oder (b) der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kann.

6. Besteht zwischen dem defekten Schwimmschalter und der zerstörten Anlage Stoffgleichheit?

Nein!

Stoffgleichheit liegt vor, wenn (1) die Kaufsache aufgrund des Mangels von Anfang an wertlos ist, weil (a) das defekte Teil und die Gesamtsache eine Einheit bilden oder (b) der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kannDer Schwimmschalter wäre leicht auszutauschen gewesen. Die Anlage war auch ohne den defekten, abgrenzbaren Schwimmschalter nicht völlig wertlos. Zwischen dem defekten Schwimmschalter und dem späteren Schaden an der gesamten Anlage besteht damit keine Stoffgleichheit. H hat Us Eigentum verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB). Auch die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB sind hier gegeben. Insbesondere besteht für den Fabrikations- oder Konstruktionsfehler eine Verschuldensvermutung nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung. H konnte sich im Originalfall nicht exkulpieren. Dazu später mehr!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Johannes Nebe

Johannes Nebe

24.5.2023, 22:50:50

Die Erklärung des

Weiterfresserschaden

s ist nicht gut gelungen. In der vorletzten Frage muss man die

Eigentumsverletzung

des U mit Ja beantworten, wenn man schon an die ganze explodierte Maschine denkt. Der Clou des

Weiterfresserschaden

s ist doch, dass an dem mangelhaften oder defekten Teil selbst keine

Eigentumsverletzung

entsteht. Dazu hätte die Frage sich aber auf das Eigentum am Schwimmerschalter beziehen müssen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.10.2023, 14:27:13

Hallo Johannes Nebe, danke für deine Rückmeldung. Tatsächlich lautet die vorletzte Frage, ob H durch die Lieferung und Übereignung eines defekten Schwimmschalters das Eigentum verletzt hat. Diese Frage ist eindeutig mit nein zu beantworten. Genau das ist eben auch der Punkt. Man muss im Kopf ganz klar trennen zwischen den einzelnen Elementen der Sache. Der Schwimmschalter alleine ist noch keine

Eigentumsverletzung

. Aber eine Maschine mit eingebautem defektem Kleinteil ist es eben, wenn durch das Kleinteil auch der Rest beschädigt wird. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

dario.b

dario.b

7.6.2024, 21:10:27

Ich muss mich allerdings Johannes anschließen. Die Formulierung ist jedenfalls uneindeutig, weil nicht gefragt wird WORAN die

Eigentumsverletzung

hervorgerufen wird. Zwar wird explizit nur nach der Lieferung des defekten Schalters gefragt, aber da es sich dabei um die

Verletzungshandlung

im Rahmen des anschließend zu bejahenden

Weiterfresserschaden

s handelt, ist die Frage strenggenommen auch zu bejahen.

CR7

CR7

18.6.2024, 17:21:46

Ich finde die Darstellung hier auch nicht ganz gelungen. Ich habe es in meinen Unterlagen wie folgt stehen, vielleicht hilft es den anderen, das Problem eher zu verstehen P-Aufriss:

Weiterfresserschaden

- Prüfungsstandort: Nach §§ 437 Nr. 1,

439 BGB

bei

§ 823

I BGB in RGV •

Nacherfüllungsanspruch

(§§ 437 Nr.1, 439 I BGB): Verjährt nach 2 Jahren ab

Besitzverschaffung

(§ 438 I Nr.3 BGB). • Problem: Kenntnis des Mangels erst nach 2 Jahren -> Verjährungseinrede des Verkäufers. • Nach Verjährung: Schadensersatz nur aus deliktischem

Schuldverhältnis

(

§ 823

I BGB), da 3 Jahre Verjährung (

§ 195 BGB

). •

§ 823

I BGB: Problem: Keine “

Eigentumsverletzung

”, da bereits mangelhaftes Eigentum von Anfang an. Lösung des Problems: Die Sache wird „aufgespaltet“ - Mangelhafter Teil → Temperaturregler - Mangelfreier Teil → Sache ohne Temperaturregler - Schon hier kann man sehen, ob eine

Stoffgleichheit

(s.u.) gegeben ist. Maßgeblich ist dann die

Stoffgleichheit

. Wenn

Stoffgleichheit

(+) →

§ 823

I (-).

Stoffgleichheit

liegt (Faustformel) vor, wenn die Sache technisch nicht behebbar ist oder dies sehr teuer wäre. - Mangelfreier Teil: - Die Sache ohne Temperaturregler genießt Eigentumsschutz nach

§ 823

I BGB - Mangelhafter Teil verletzt mangelfreien Teil („der Mangel frisst sich also weiter auf den mangelfreien Teil“) - Voraussetzungen also (innerhalb von

§ 823

I BGB bei Rechtsgutsverletzung prüfen) - Das defekte Teil ist vom Rest „isolierbar“ → Temperaturregler kann man ausbauen - Dieses Teil ist mangelhaft → Temperaturregler spinnt, falsch gelötet, verstaubt etc. - Ohne das isolierbare Teil hat die mangelfreie Restsache einen eigenständigen Wert → Temperaturregler wird in der freien Industrie max. Wenige Euro kosten - keine

Stoffgleichheit

(

Integritätsinteresse

ist betroffen) → Temperaturregler kann mit geringem Aufwand behoben werden, ohne dass die andere mangelfreie Restsache beschädigt wird → Temperaturregler kann einfach rausgebaut werden und ein neuer ohne Folgeprobleme eingebaut werden Dann ist das

Integritätsinteresse

betroffen. Das ist das Interesse daran, dass die mangelfreie Sache (also die Sache ohne Temperaturregler) erhalten bleibt. Dieses wurde durch den überhitzen Temperaturregler verletzt. Rechtsfolge: Rechtsgutsverletzung (+), dann

§ 823

I BGB weiter prüfen (Handlung, HB-Kausalität, etc.)

PA31

paragraf 31

17.1.2025, 23:12:04

Vielen lieben Dank für diese wunderbare Aufschlüsselung ❤️

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

23.1.2025, 11:46:22

Hey in die Runde, wir haben den Fall komplett überarbeitet, damit er besser verständlich ist. Ich hoffe, das hilft euch (noch) weiter. Knackpunkt im Originalfall war übrigens, dass U keinerlei

Gewährleistung

sansprüche gegen H hatte, da diese zum einen verjährt und zum anderen (wohl) wirksam vertraglich ausgeschlossen

ware

n (RdNr. 22). Der Ausschluss umfasst nach dem

Urteil

des BGH aber jedenfalls nicht den deliktischen Anspruch aus

§ 823

Abs. 1 BGB. Aus diesem Grund musste H den Schaden im Ergebnis ersetzen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

11.9.2023, 10:46:14

Ist die

Verletzungshandlung

wirklich die Lieferung und Übereignung und müsste man hier nicht eher auf die Verletzung einer

Verkehrssicherungspflicht

abstellen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.12.2023, 17:42:14

Hallo evanici, die pflichtwidrige Handlung ist hier in der Tat in erster Linie die Lieferung einer mangelhaften Reinigungsanlage, die letztlich für die Zerstörung der Anlage selbst ursächlich war. Die "

Verkehrssicherungspflicht

" wird aber noch im Rahmen des Ver

schuld

ens relevant. Grundsätzlich wird es dem Geschädigten schwerfallen nachzuweisen, dass der Hersteller die pflichtwidrige Lieferung ver

schuld

et hat. Der BGH hat für diese Fälle der Produzentenhaftung eine

Beweislastumkehr

entwickelt, sofern es sich um Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler handelt. Hier hatte der BGH offen gelassen, ob ein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler handelte, da sich in beiden Fällen der Unternehmer hätte entlasten müssen. Ich hoffe, es ist jetzt noch etwas klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Cocos.lawstudy

Cocos.lawstudy

14.11.2024, 21:38:32

Hallo, wie kann das sein. In der vorletzten Frage sagt ihr es liegt keine

Eigentumsverletzung

vor und jetzt in der letzten soll es plötzlich eine sein? Verstehe das nicht.

CAN

cann1311

14.11.2024, 23:18:31

Schau mal. Wird durch die eigentumsübertragung am defekten Schalter bereits das Eigentum verletzt? Nein. Wird das Eigentum verletzt wenn der defekte schwimmschalter noch mehr kaputt macht? Ja Das sind die Fragen des Falles anders formuliert, hoffentlich verstehst du es so besser

Cocos.lawstudy

Cocos.lawstudy

15.11.2024, 00:02:25

Super, vielen Dank. Jetzt verstehe ich es.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

23.1.2025, 11:28:52

Hey in die Runde, wir haben den Fall komplett überarbeitet, damit er besser verständlich ist. Ich hoffe, das hilft euch (noch) weiter. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

MAG

Magnum

13.12.2024, 14:37:14

Mir leuchtet nicht ein, warum hier das

Gewährleistung

srecht deliktische Ansprüche nicht verdrängt. Die Anfechtung wird ja beispielsweise auch (außer in Ausnahmefällen) ausgeschlossen, sofern

Gewährleistung

srechte einschlägig sind, um das Recht zur zweiten Andienung zu schützen. Wird genau dieses aber nicht hier durch die Heranziehung des Deliktsrecht untregraben? Immerhin hätte der Käufer ein Anspruch auf

Nacherfüllung

bezüglich der Maschine, da ja der

Weiterfresserschaden

auch Gegenstand des

Gewährleistung

srechts ist. Vielen Dank im Vorraus!

LOU

louisaamaria

15.12.2024, 13:51:36

Grundsätzlich stehen §

§ 823

ff. und das

Mängelgewährleistung

srecht insbesondere wege der unterschiedlicher Verjährungsfristen in Idealkonkurrenz. Allerdings ist das beim

Weiterfresserschaden

nicht ganz unumstritten. Vielleicht hilft dir der Artikel weiter: https://zjs-online.com/dat/artikel/2014_3_803.pdf. Auf S. 9 findet sich eine verständliche Erklärung, die sich mMn auch auf das neue Kaufrecht übertragen lässt.


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