Ersatz der Einbaukosten der mangelfreien Sache
4. Juli 2025
18 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Senior-Partner P kauft bei Fliesenfachmann F 50 Fliesen, um diese in der Kanzleiküche verlegen zu lassen. Nach dem Verlegen stellt sich heraus, dass die Fliesen Materialfehler aufweisen. F liefert 50 neue Fliesen nach. P reißt die Fliesen persönlich raus, ist aber so viel körperliche Arbeit nicht gewohnt und beauftragt für €500 einen Handwerker mit der Neuverlegung.
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Einordnung des Falls
Ersatz der Einbaukosten der mangelfreien Sache
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer Nacherfüllung verlangen (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB).
Ja!
2. F muss die Verlegungskosten ersetzen, weil P einen Nacherfüllungsanspruch hat (§ 439 Abs. 3 BGB).
Genau, so ist das!
3. F hätte stattdessen auch darauf bestehen können, dass er die Fliesen selber verlegt, weil dies für ihn günstiger gewesen wäre.
Nein, das trifft nicht zu!
4. P hätte einen Vorschuss für die Einbaukosten verlangen können.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ehemalige:r Nutzer:in
12.11.2021, 19:32:54
Wo ist denn in § 439 II BGB ein Kostenvorschussanspruch herauszulesen?

Tigerwitsch
14.11.2021, 00:52:51
Maßgeblich ist der
Schutzzweckdes sog. Unentgeltlichkeitsgebots, wofür insbesondere § 439 II BGB als eigenständige AGL steht. Hintergrund ist, dass nach der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie die
Nacherfüllungunentgeltlich erfolgen soll. Um dies zu gewährleisten, hat der Verkäufer im Falle einer unklaren Mängelursache das Kostenrisiko für die Untersuchung zu tragen. Insoweit kann etwa der Käufer einen Transportkostenvorschuss verlangen. Mit anderen Worten soll der Käufer von eventuellen finanziellen Belastungen geschützt werden, die ihn u.U. davon abhalten könnten, von seinem Gewährleistungsrecht Gebrauch zu machen. Entstehende Transportkosten können etwa einen solchen Hinderungsgrund darstellen. Der Verbraucher/Käufer muss daher auch nicht erst umständlich einen Kostenvorschuss gerichtlich durchsetzen, sondern kann sich direkt auf § 439 II BGB berufen: Dafür spricht schließlich, dass die
Nacherfüllungin einer bestimmten, angemessenen Frist zu erfolgen hat: Ein langer Rechtsstreit über Kosten liefe dem zuwider. Siehe dazu insbesondere BGH, U. v. 19.07.2017 - AZ.: VIII ZR 278/16.

Tigerwitsch
14.11.2021, 00:59:11
Der BGH (a.a.O.) führt u. a. aus: „Die Kostentragungsregelung des § 439 Abs. 2 BGB begründet in Fällen, in denen eine
Nacherfüllungdie Verbringung der Kaufsache an einen entfernt liegenden
Nacherfüllungsorterfordert und bei dem Käufer deshalb Transportkosten zwecks Überführung an diesen Ort anfallen, bei einem
Verbrauchsgüterkaufnicht nur einen Erstattungsanspruch gegen den Verkäufer; der Käufer kann nach dem
Schutzzweckder von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie geforderten Unentgeltlichkeit der
Nacherfüllungvielmehr grundsätzlich schon vorab einen (abrechenbaren) Vorschuss zur Abdeckung dieser Kosten beanspruchen, auch wenn das Vorliegen des geltend gemachten Mangels noch ungeklärt ist. […] Denn die dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Kaufsache unentgeltlich zu bewirken, soll – wie auch schon der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. April 2008 (C-404/06, aaO Rn. 34 – Quelle) hervorgehoben hat – den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, solche Ansprüche geltend zu machen. […] [Die Vorschrift bringt] auch zum Ausdruck, dass dem Verkäufer in Fällen, in denen sich die vom Käufer erhobene Mängelrüge als berechtigt erweist, zugleich das mit der Klärung einer unklaren Mängelursache verbundene Kostenrisiko zugewiesen ist. An diesem Risiko hat der Käufer grundsätzlich keinen Anteil, insbesondere nicht in der Weise, dass er zunächst einmal mit den für die Mängelklärung anfallenden Aufwendungen in Vorlage treten müsste. Denn dies würde nicht nur mit dem über § 439 Abs. 2 BGB umgesetzten Unentgeltlichkeitsgebot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie kollidieren. Ein solches Erfordernis, die Kosten zunächst selbst vorzulegen, ist vielmehr bei Verbrauchsgüterkäufen auch grundsätzlich geeignet, den Käufer angesichts der damit einhergehenden Belastungen und Unsicherheiten über eine spätere Erstattung von einer (effektiven) Geltendmachung seiner Ansprüche abzuhalten. […] Sie sollten der Klägerin vielmehr genauso wie das Risiko erspart bleiben, einen Vorschussanspruch gerichtlich durchsetzen zu müssen. Zudem würde dies – dem Zweck der Vorschusspflicht zuwider – in aller Regel zugleich mit dem in Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie aufgestellten Gebot einer
Nacherfüllunginnerhalb einer angemessenen Frist kollidieren, für deren Lauf entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bereits auf die Stellung eines tauglichen
Nacherfüllungsbegehrens abzustellen wäre.“
ehemalige:r Nutzer:in
14.11.2021, 01:07:27
@Tigerwitsch: Vielen Dank für diese ausführliche Antwort! 🙏
n00b
5.12.2022, 03:16:59
Kann man sagen, dass L Recht hat und "Richterrecht" vorliegt? An anderen Stellen im BGB wird ein Kostenvorschuss explizit geregelt.

Marleen_
12.2.2023, 11:34:46
Handelt es sich hierbei nicht um einen Werkvertrag, sodass der F letztendlich das Wahlrecht der
Nacherfüllunginnehat?

Lukas_Mengestu
13.2.2023, 12:12:12
Hallo Marleen, ausweislich des Sachverhalts verkauft F lediglich die Fliesen, sodass es sich um einen
Kaufvertraghandelt. Bestand die ge
schuldete Leistung auch im Einbau, so müsste man nach dem Schwerpunkt abgrenzen, ob ein
Kaufvertrag mit Montageverpflichtungoder ein Werkvertrag vorliegt. Dies ist letztlich immer eine Einzelfallentscheidung (vgl. zum Einbau einer Küche: BGH Urt. vom 19. Juli 2018 – VII ZR 19/18 = ZfBR 2018, 775). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Marleen_
13.2.2023, 12:19:36
Ah verstehe, danke :)

MenschlicherBriefkasten
21.11.2024, 12:24:21
Lt. Maverick
24.4.2025, 13:43:32
würde voraussetzen, dass der F (Verkäufer) die Fliesen selbst für P angefertigt und ihm verkauft hatte. Er ist aber nur Fliesenfachhändler und bezieht lediglich bereits fertige Fliesen von den Herstellern.

G0d0fMischief
10.6.2025, 10:22:19
Würde § 439 III BGB auch für den Fall greifen dass man vergebliche Aufwendungen i.S.d.
§ 284 BGBgetätigt hat? Beispiel: Mangelhaftes Handy an das man eine mangelfreie Panzerglasfolie angebracht hat. Der Sache nach ist die Panzerglasfolie mangelfrei. Das Handy aber mangelhaft. Durch das Entfernen der Panzerglasfolie würde diese aber unbrauchbar und damit mangelhaft. Erfasst der § 439 III BGB in diesem Fall auch die Kosten für eine neue Panzerglasfolie? Im Prinzip wäre der Fall ja komplett von
§ 284 BGBgedeckt, aber der § 439 III BGB könnte ja eine lex specialis Regelung zum
§ 284 BGBsein.

geraumezeit
30.6.2025, 16:44:34
Hallo, Frage 2 bezieht sich nur auf die Neuverlegungskosten, ist das korrekt? Denn F ist gem. § 439 III BGB nicht ersatzpflichtig für die ursprünglichen Verlegekosten der mangelhaften Fliesen, sondern nur für die Neuverlegungskosten.