Ersatz der Einbaukosten der mangelfreien Sache
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Senior-Partner P kauft bei Fliesenfachmann F 50 Fliesen, um diese in der Kanzleiküche verlegen zu lassen. Nach dem Verlegen stellt sich heraus, dass die Fliesen Materialfehler aufweisen. F liefert 50 neue Fliesen nach. P reißt die Fliesen persönlich raus, ist aber so viel körperliche Arbeit nicht gewohnt und beauftragt für €500 einen Handwerker mit der Neuverlegung.
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Einordnung des Falls
Ersatz der Einbaukosten der mangelfreien Sache
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer Nacherfüllung verlangen (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. F muss die Verlegungskosten ersetzen, weil P einen Nacherfüllungsanspruch hat (§ 439 Abs. 3 BGB).
Genau, so ist das!
3. F hätte stattdessen auch darauf bestehen können, dass er die Fliesen selber verlegt, weil dies für ihn günstiger gewesen wäre.
Nein, das trifft nicht zu!
4. P hätte einen Vorschuss für die Einbaukosten verlangen können (§ 439 Abs. 2 BGB).
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ehemalige:r Nutzer:in
12.11.2021, 19:32:54
Tigerwitsch
14.11.2021, 00:52:51
Maßgeblich ist der
Schutzzweckdes sog.
Unentgeltlichkeitsgebots, wofür insbesondere
§ 439 II BGBals eigenständige AGL steht. Hintergrund ist, dass nach der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie die Nacherfüllung unentgeltlich erfolgen soll. Um dies zu gewährleisten, hat der Verkäufer im Falle einer unklaren Mängelursache das Kostenrisiko für die Untersuchung zu tragen. Insoweit kann etwa der Käufer einen Transportkostenvorschuss verlangen. Mit anderen Worten soll der Käufer von eventuellen finanziellen Belastungen geschützt werden, die ihn u.U. davon abhalten könnten, von seinem Gewährleistungsrecht Gebrauch zu machen. Entstehende Transportkosten können etwa einen solchen Hinderungsgrund darstellen. Der Verbraucher/Käufer muss daher auch nicht erst umständlich einen Kostenvorschuss gerichtlich durchsetzen, sondern kann sich direkt auf
§ 439 II BGBberufen: Dafür spricht schließlich, dass die Nacherfüllung in einer bestimmten, angemessenen Frist zu erfolgen hat: Ein langer Rechtsstreit über Kosten liefe dem zuwider. Siehe dazu insbesondere BGH, U. v. 19.07.2017 - AZ.: VIII ZR 278/16.
Tigerwitsch
14.11.2021, 00:59:11
Der BGH (a.a.O.) führt u. a. aus: „Die Kostentragungsregelung des
§ 439 Abs. 2 BGBbegründet in Fällen, in denen eine Nacherfüllung die Verbringung der Kaufsache an einen entfernt liegenden
Nacherfüllungsorterfordert und bei dem Käufer deshalb Transportkosten zwecks Überführung an diesen Ort anfallen, bei einem
Verbrauchsgüterkaufnicht nur einen Erstattungsanspruch gegen den Verkäufer; der Käufer kann nach dem
Schutzzweckder von Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie geforderten
Unentgeltlichkeitder Nacherfüllung vielmehr grundsätzlich schon vorab einen (abrechenbaren) Vorschuss zur Abdeckung dieser Kosten beanspruchen, auch wenn das Vorliegen des geltend gemachten Mangels noch ungeklärt ist. […] Denn die dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der Kaufsache unentgeltlich zu bewirken, soll – wie auch schon der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17.
April 2008 (C-404/06, aaO Rn.
34– Quelle) hervorgehoben hat – den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, solche Ansprüche geltend zu machen. […] [Die Vorschrift bringt] auch zum Ausdruck, dass dem Verkäufer in Fällen, in denen sich die vom Käufer erhobene Mängelrüge als berechtigt erweist, zugleich das mit der Klärung einer unklaren Mängelursache verbundene Kostenrisiko zugewiesen ist. An diesem Risiko hat der Käufer grundsätzlich keinen Anteil, insbesondere nicht in der Weise, dass er zunächst einmal mit den für die Mängelklärung anfallenden Aufwendungen in Vorlage treten müsste. Denn dies würde nicht nur mit dem über
§ 439 Abs. 2 BGBumgesetzten
Unentgeltlichkeitsgebot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie kollidieren. Ein solches Erfordernis, die Kosten zunächst selbst vorzulegen, ist vielmehr bei Verbrauchsgüterkäufen auch grundsätzlich geeignet, den Käufer angesichts der damit einhergehenden Belastungen und Unsicherheiten über eine spätere Erstattung von einer (effektiven) Geltendmachung seiner Ansprüche abzuhalten. […] Sie sollten der Klägerin vielmehr genauso wie das Risiko erspart bleiben, einen Vorschussanspruch gerichtlich durchsetzen zu müssen. Zudem würde dies – dem Zweck der Vorschusspflicht zuwider – in aller Regel zugleich mit dem in Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie aufgestellten Gebot einer Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist kollidieren, für deren Lauf entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bereits auf die Stellung eines tauglichen Nacherfüllungsbeg
ehrens abzustellen wäre.“
ehemalige:r Nutzer:in
14.11.2021, 01:07:27
@Tigerwitsch: Vielen Dank für diese ausführliche Antwort! 🙏
n00b
5.12.2022, 03:16:59
Kann man sagen, dass L Recht hat und "Richterrecht" vorliegt? An anderen Stellen im BGB wird ein Kostenvorschuss explizit geregelt.
Marleen_
12.2.2023, 11:34:46
Handelt es sich hierbei nicht um einen Werkvertrag, sodass der F letztendlich das Wahlrecht der Nacherfüllung innehat?
Lukas_Mengestu
13.2.2023, 12:12:12
Hallo Marleen, ausweislich des Sachverhalts verkauft F lediglich die Fliesen, sodass es sich um einen Kaufvertrag handelt. Bestand die geschuldete Leistung auch im Einbau, so müsste man nach dem Schwerpunkt abgrenzen, ob ein Kaufvertrag mit Montageverpflichtung oder ein Werkvertrag vorliegt. Dies ist letztlich immer eine
Einzelfallentscheidung (vgl. zum Einbau einer Küche: BGH Urt. vom 19. Juli 2018 – VII ZR 19/18 = ZfBR 2018, 775). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Marleen_
13.2.2023, 12:19:36
Ah verstehe, danke :)
MenschlicherBriefkasten
21.11.2024, 12:24:21
kleinerPadawan
6.3.2023, 13:47:38
Kann man als Argument dafür, dass die Kostenvorschusspflicht des
§ 439 II BGBsich bei Unternehmergeschäften nur auf die Nacherfüllung iSd §439 I BGB bezieht, einfach einen Umkehrschluss aus § 475 IV heranziehen, da dieser dies explizit nur für den
Verbrauchsgüterkaufvorsieht?
Lukas_Mengestu
7.3.2023, 14:46:18
Hallo denismact89, in der Tat kannst Du hier mit der Systematik des Gesetzes argumentieren. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Vorschussanspruch explizit nur bei Verbrauchsgüterkäufen normiert hat, folgt umgekehrt, dass im allgemeinen Kaufrecht ein solcher gerade nicht vorgesehen ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team