§ 439 Abs. 4 BGB – Relative Unverhältnismäßigkeit
31. Mai 2025
13 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Anwältin A kauft bei Handyhändler H für ihre selbstständige berufliche Tätigkeit ein neues iPad Pro für €1.500. Als nach einem Monat einer der Lautstärkeregler abfällt, verlangt sie von H Lieferung eines neuen iPads (Kosten: €500). H verweigert dies und will lieber das iPad reparieren (Kosten: €5).
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Einordnung des Falls
§ 439 Abs. 4 BGB – Relative Unverhältnismäßigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer Nacherfüllung verlangen (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Verkäufer könnte die Nachlieferung verweigern, wenn diese nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich wäre (§ 439 Abs. 4 BGB).
Genau, so ist das!
3. Die Nachlieferung ist hier relativ unverhältnismäßig.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juramaus
25.4.2022, 17:26:52
Wieso sind die Kosten einer Nachlieferung um ein vielfaches höher hier? Wenn die Nachbesserung wirklich nur 5 Euro kostet, könnte V doch auch das gebrauchte iPad zurücknehmen und bei sich reparieren, um es dann weiter zu verkaufen oder nicht? Natürlich entstehen dann noch ein bisschen Versandkosten und eventuell muss ein Abschlag vom Preis beim Zweitverkauf gemacht werden. Aber sehe jetzt nicht, dass das absolut unverhältnismäßig ist. Ich habe das Gefühl, dass für die Lösung hier 1.500 Euro mit 5 Euro verglichen wurde,
was mMn nicht der Realität entsprechen würde, wenn man den Fall mal weiterdenkt. Oder unterliege ich hier einem Denkfehler?

Lukas_Mengestu
2.5.2022, 13:32:06
Hallo Juramaus, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Sachverhalt entsprechend ergänzt. Falsch wäre es hier in der Tat die €1.500 mit den €5 zu vergleichen. Zwar ist der Wert der Sache immer der Ausgangspunkt. Im nächsten Schritt sind weitere Kosten wie Transport noch zu berücksichtigen. Aber in der Tat ist sodann der Wert der zurückzugebenden Sache abzuziehen sowie ggfs. auch ein bestehender
Nutzungsersatzanspruch, den der Verkäufer ggü. dem Käufer evtl. hat (vgl. Höpfner, in: BeckOGK-BGB, 1.1.2022, § 439 RdNr. 146). Bei dem Verkauf von neuer Sachen ist dabei aber zu berücksichtigen, dass unabhängig von der objektiven
Beschaffenheitdie Sache bereits dadurch einen erheblichen Wertverlust erleidet, dass sie nun nur noch als Gebraucht
wareverkauft werden kann. Inwieweit dieser groß genug ist, um die Nachlieferung gänzlich auszuschließen, ist dann letztlich eine Frage des Einzelfalls. In diesem Fall betragen die Nachlieferungskosten das 100-fache der Reparaturkosten, weswegen von der
Unverhältnismäßigkeitausgegangen werden kann. Ein derart hoher Wertverfall läge in der Praxis wohl noch nicht vor, dient hier aber dazu, den Fall eindeutig zu gestalten :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Josef K
12.5.2025, 10:55:14
Könnten im Sachverhalt vielleicht die Angaben diesbezüglich ausgebaut werden? Man muss schon einige Vermutungen in Bezug auf den Aufwand des Verkäufers anstellen...
Raphaeljura
12.6.2023, 00:09:17
Wie ist den der
§ 275 II BGBvon dem § 439 IV 1 BGB abzugrenzen? Nach § 439 IV 3 BGB kann der Verkäufer beide Nach
erfüllungsarten verweigern.
David.
13.7.2023, 18:47:08
Bei § 439 IV handelt es sich um eine
wirtschaftliche Unmöglichkeitseinrede, die Anforderungen sind allerdings geringer als bei §
275 II. Im Anwendungsbereich der Nach
erfüllungwird §
275 IIdeswegen von § 439 IV praktisch verdrängt.
nataliaco
17.11.2023, 13:58:23
Liebes Jurafuchs-Team, wenn der Käufer sein Wahlrecht bzgl. der Art der Nach
erfüllungausgeübt hat und diese Art entweder fehlgeschlagen ist, vom Verkäufer nach § 439 IV verweigert wurde oder sonst wie nicht erbracht wird/werden kann, ist der Käufer dann wegen des Vorrangs der Nach
erfüllungtrotzdem verpflichtet, zuerst die andere Art der Nach
erfüllungzu verlangen, oder kann er direkt die anderen Gewährleistungsrechte geltend machen?
Leo Lee
18.11.2023, 14:49:35
Hallo nataliaco, auf deine Frage gibt es zwar in den Kommentaren keine Stelle, die mit „Ja“ oder „Nein“ antwortet. Allerdings fordern die anderen Gewährleistungsrechte (
Rücktrittetwa) nur, dass eine Nachfrist gesetzt wurde (also bei §§ 437 ff. die Nach
erfüllungsfrist) und mehr nicht. Und bei § 439 I hat der Käufer die Wahl, welche Modalität er verlangt (es sei denn natürlich, eine Modalität ist unmöglich gem. § 275). Daraus lässt sich schließen, dass es ausreicht, dass der Käufer sich für eine Nach
erfüllungsmöglichkeit der Wahl entscheidet und sich dann auf Gewährleistungsrechte berufen kann, wenn dieser Nach
erfüllungsmöglichkeit nicht nachgekommen wird. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 323 Rn. 48 und 8. Auflage, Westermann § 439 Rn. 6 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo