Zivilrecht

Sachenrecht

Der Besitzschutz

Herausgabeanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 249 Abs.1 BGB

Herausgabeanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 249 Abs.1 BGB

14. Oktober 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Dieb stiehl Mann iPhone als Illustration für Fall zu Herausgabeanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 249 Abs.1 BGB
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Klassisches Klausurproblem

Dieb D stiehlt B das iPhone.

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Einordnung des Falls

Herausgabeanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 249 Abs.1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe des iPhones aus § 861 Abs. 1 BGB.

Genau, so ist das!

Der Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Besitzentzug beim Anspruchsteller durch verbotene Eigenmacht, (2) fehlerhafter Besitz des Anspruchsgegners, (3) kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB, (4) kein Erlöschen nach § 864 BGB. D entzog B den Besitz mit verbotener Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB). D besitzt auch fehlerhaft gegenüber B, da er die verbotene Eigenmacht selbst begangen hat (§ 858 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Anspruch ist auch nicht nach § 861 Abs. 2 BGB ausgeschlossen oder nach § 864 Abs. 1 BGB erloschen.
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2. B hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe des iPhones aus § 1007 Abs. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Früherer Besitz des Anspruchstellers an beweglicher Sache, (2) jetziger Besitz des Anspruchsgegners, (3) Bösgläubigkeit des Anspruchsgegners bei Besitzerwerb, (4) kein Ausschluss des Anspruchs nach § 1007 Abs. 3 BGB. B war ursprünglich Besitzer des iPhones. Aktueller Besitzer ist D, der bei Besitzerwerb bösgläubig war. Der Anspruch ist weder nach § 1007 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB (Bösgläubigkeit des Anspruchstellers bei Besitzerwerb), noch nach § 1007 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 BGB (freiwillige Besitzaufgabe), noch nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB (derzeitiges Besitzrecht des jetzigen Besitzers) ausgeschlossen.

3. B hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe des iPhones aus § 823 Abs. 1 BGB.

Ja!

Der Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen: (1) Rechtsgutsverletzung, (2) Verletzungshandlung, (3) Haftungsbegründende Kausalität, (4) Rechtswidrigkeit, (5) Verschulden, (6) Vorliegen eines Schadens.Die Rechtsgutsverletzung liegt im Entzug des berechtigten Besitzes, der ein "sonstiges Recht" darstellt. Auch wird hierdurch gleichzeitig das Eigentum beeinträchtigt. D beging die Rechtsgutsverletzung durch aktives Tun. Das aktive Tun war auch kausal für die Rechtsgutsverletzung. Die Rechtswidrigkeit gilt als indiziert. Auch das Verschulden liegt vor. D handelte vorsätzlich (§ 276 Abs. 1 BGB). Der Schaden besteht im Verlust des unmittelbaren Besitzes und der damit entzogenen Nutzungsmöglichkeit sowie in der Beeinträchtigung des Eigentums.

4. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB erfordert die Verletzung eines Schutzgesetzes.

Genau, so ist das!

Im Unterschied zu § 823 Abs. 1 BGB, der die geschützten Rechtsgüter aufzählt, enthält § 823 Abs. 2 BGB keine derartige Aufzählung. An dieser Stelle ist daher die Verletzung eines Schutzgesetzes notwendig. Damit werden diese Gesetze, sofern sie nicht selbst schon eine Ersatzpflicht normieren, mit einer weiteren Rechtsfolge ausgestattet. § 823 Abs. 2 BGB gilt neben § 826 BGB und dem sonstigen Recht aus § 823 Abs. 1 BGB als "kleine Generalklausel".

5. § 823 Abs. 2 BGB unterscheidet sich bezüglich der geschützten Rechtsgüter nicht von § 823 Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Vermögen als solches wird von § 823 Abs. 1 BGB nicht geschützt. Dient ein Schutzgesetz dem Schutz des Vermögens (so etwa die §§ 263 ff. StGB), so kann aus § 823 Abs. 2 BGB ein Schadensersatzanspruch begründet werden, der sich aus § 823 Abs. 1 BGB nicht herleiten lässt. Hierin liegt die größte Bedeutung des § 823 Abs. 2 BGB.

6. Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB kann jede Rechtsnorm sein, die die Interessen der Allgemeinheit schützt.

Nein!

Schutzgesetze sind alle Rechtsnormen (vgl. Art. 2 EGBGB), die ein Handlungsgebot enthalten, das gerade dem Schutz des Geschädigten zu dienen bestimmt ist. Ob die Norm gerade dem Individualschutz dient, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei ist zu fragen, ob es dem gesetzgeberischen Willen entspricht, einen Schadensersatzanspruch zu schaffen. Normen, die keinen gesetzgeberisch intendierten Individualschutz aufweisen, sondern im Interesse der Allgemeinheit bestehen, sind keine Schutzgesetze.

7. § 858 BGB ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.

Genau, so ist das!

Einer Mindermeinung nach ist § 858 BGB kein Schutzgesetz, da die Norm nur dem allgemeinen Rechtsfrieden diene. Die herrschende Meinung sieht in § 858 BGB ein Schutzgesetz, da dies der gesetzgeberischen Intention entspreche und § 858 BGB der Erhaltung des individuellen Besitzstands diene. Um Widersprüche zu § 823 Abs. 1 BGB zu vermeiden (dort wird nur der berechtigte Besitz geschützt), sei diese Einschränkung auch bei § 823 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen.

8. Sofern das jeweilige Schutzgesetz kein Verschuldenserfordernis vorsieht, muss das Verschulden auch bei der Prüfung von § 823 Abs. 2 BGB nicht geprüft werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Doch! Das Verschulden muss bei dem Anspruch nach § 823 Abs. 2 S. 2 BGB immer geprüft werden!

9. D handelte mit verbotener Eigenmacht, als er B das iPhone stahl.

Ja!

Verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) ist jede widerrechtlich vorgenommene Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzers in der Ausübung seiner tatsächlichen Sachherrschaft. Widerrechtlich ist die Besitzbeeinträchtigung, wenn sie ohne den Willen des Besitzers erfolgt und gesetzlich nicht besonders gestattet ist. Die Beeinträchtigung kann in einer Sachentziehung oder in einer sonstigen Störung bestehen.D entzog B den Besitz an dessen iPhone ohne seinen Willen. Dies war auch nicht durch eine gesetzliche Regelung besonders gestattet, sondern verwirklichte einen Straftatbestand (§ 242 Abs. 1 StGB).

10. B hat einen Anspruch auf Herausgabe des iPhone aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 858 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB gegen D.

Genau, so ist das!

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt voraus: (1) Verletzung eines Schutzgesetzes, (2) Rechtswidrigkeit, (3) Verschulden, sofern dies nicht schon beim Verstoß gegen das Schutzgesetz zu prüfen ist, § 823 Abs. 2 S. 2 BGB), (4) Vorliegen eines Schadens.§ 858 BGB stellt ein Schutzgesetz dar, gegen das D verstoßen hat. D handelte rechtswidrig. Da § 858 BGB kein Verschuldenserfordernis vorsieht, ist dieses gem. § 823 Abs. 2 S. 2 BGB zu prüfen. D handelte vorsätzlich, als er B das iPhone stahl (§ 276 Abs. 1 BGB). Der Schaden besteht hier im Verlust des unmittelbaren Besitzes und der damit entzogenen Nutzungsmöglichkeit.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

17.5.2020, 19:17:25

Ich dachte die Rechtswidrigkeit bei der Verletzung von sonstigen Rechten ist gerade nicht indiziert und muss geprüft und festgestellt werden.

TR

Tr(u)mpeltier

14.6.2020, 20:17:09

Hey Isa Bell, zum Teil hast du damit völlig recht. Denn die bekanntesten sonstigen Rechte, das

APR

bzw das

Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

, sind sog. Rahmenrechte, bei denen die Rechtswidrigkeit in der Tat nicht indiziert wird. Allerdings sind dies nicht die einzigen sonstigen Rechte. Zu diesen zählen neben dem berechtigten Besitz u.a.

dingliche Rechte

(Hypothek, Grundschuld),

Anwartschaftsrecht

e oder Immaterialgüterrrechte (z.B. Urheberrecht). Bei diesen wird die Rechtswidrigkeit der Handlung regelmäßig durch Erfüllung des TB indiziert.

IUS

iustus

24.11.2020, 15:06:03

Könnte man bei der Frage, ob ein Schutzgesetz vorliegt, auch mit der ör

Schutznormtheorie

ggf. analog argumentieren?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

24.11.2020, 17:07:14

Hallo iustus, das habe ich noch nie gesehen und würde es im Examen auch nicht tun. Denn die öffentlich-rechtliche

Schutznormtheorie

dient der Bestimmung von subjektiv-ÖFFENTLICHEN Rechten. Es bedarf für den Anspruch nach §

823 Abs. 2 BGB

aber nur eines (allgemein) subjektiven Rechts. LG

lege artis

lege artis

17.4.2021, 21:33:51

Was ist, wenn Dieb D 9 Jahre alt ist und schuldunfähig nach § 19 StGB? Verantwortlichkeit nach 828 ist nicht ausgeschlossen. Wirkt sich die strafrechtliche Schuldunfähigkeit auf 823 II iVm

242 StGB

aus? Ich hätte nein gesagt, sodass 823 II,

242 StGB

(+), finde dazu nichts bei Beck online. Was meint ihr?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2021, 10:55:15

Hi lege artis, im Hinblick auf die Schuldfähigkeit kommt es bei § 823 II StGB tatsächlich auf die zivilrechtliche Wertung, also §§ 827, 828 BGB an (MüKo-BGB/Wagner, 8.A. 2020, § 823 Rn. 609). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

OFAC

omnimodo facturus

20.7.2022, 17:57:21

Der Vollständigkeit halber für Interessierte. Herausgabeansprüche gibt es hier aus den folgenden Normen: 985 861 I

1007

I, II 823 I 823 II iVm 858 I 823 II iVm 242 I StGB 812 I 1 Alt. 2

826
Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.8.2022, 12:44:55

*"//

LexSuperior

LexSuperior

24.12.2022, 00:53:31

@[omnimodo facturus](142597) der Sachverhalt sagt aber nichts darüber aus ob er auch Eigentümer gewesen ist… der (frühere) Besitz ist eindeutig, aber hinsichtlich des Eigentums schweigt der SV. Würde man sich hier dem Vorwurf ausgesetzt sehen Umstände in den Sachverhalt hineinzudeuten die so nicht im Sachverhalt stehen ? Vielleicht könnte ein Moderator kurz antworten 😁

LexSuperior

LexSuperior

24.12.2022, 00:54:53

@[

Lukas Mengestu

](136780) vielleicht könntest du kurz was dazu sagen sobald bzw. Wenn du Zeit dafür findest 😁

OFAC

omnimodo facturus

24.12.2022, 00:56:36

Ich bin nicht ganz sicher, was die Antwort von Lukas zu bedeuten hat. 😂 Aber zu deinem Kommentar: klar, steht nicht so drin, war einfach nur lebensnahe Sachverhaltsauslegung von mir. Geht ja nur um so einen Gesamtblick, was noch in Betracht kommen könnte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.12.2022, 03:46:11

Salut ihr beiden, mein "Kommentar" war in der Tat nur ein fehlgeschlagener interner Hinweis. Ich hatte omnimodo facturus Ausführungen auch einfach als allgemeine Ergänzung verstanden, an welche Ansprüche man denken muss, wenn als Anspruchsziel die Herausgabe einer Sache begehrt wird. Natürlich hast Du aber insoweit recht, LexSuperior, dass in einer Examensklausur die Eigentumsverhältnisse geklärt sein müssen, um einen Anspruch aus 985 BGB zu bejahen. Beste Grüße und frohe Feiertage, Lukas

KR

kristinaelghazi

23.10.2023, 22:42:25

Könnte man in einer Klausur, wenn zu den Eigentumsverhältnissen nichts eindeutiges steht, wie hier im Fall, mittels §

1006 BGB

985 durchprüfen und die Eigentümerstellung bejahen?

CR7

CR7

10.1.2024, 12:05:31

@[kristinaelghazi](202026) Wäre nicht falsch, da du aus dem Gesetz heraus schließt, aber ich würde darauf achten, den SV nicht zu überdehnen und nach dem Bearbeitervermerk zu schauen. Lautet die Frage: "Wie ist die Rechtslage", musst du meistens alles prüfen oder kurz anprüfen, ist nur nach den Besitzverhältnissen gefragt, wäre das mE falsch.

Felix_99

Felix_99

8.11.2023, 16:43:44

Warum wäre hier keine Prüfung aus § 823 Abs.1 BGB möglich?

Bubbles

Bubbles

9.11.2023, 15:37:41

§ 823 I BGB wird doch geprüft und bejaht

LELEE

Leo Lee

11.11.2023, 20:02:58

Hallo Warda, magst du uns vielleicht kurz mitteilen, was du mit der Frage genau meinst :)? Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

PR

Prokurist

23.11.2023, 22:32:51

Würde man hier bei § 823 I nicht vorrangig eine

Eigentumsverletzung

anstelle der Verletzung des berechtigten Besitzes als

sonstiges Recht

prüfen? Diebstahl ist ja eigentlich der klassische Fall einer

Eigentumsverletzung

nach 823 I…

LELEE

Leo Lee

25.11.2023, 10:31:48

Hallo Prokurist, vielen Dank für den Hinweis! Selbstverständlich liet bei einem Diebstahl auch die Beeinträchtigung des Eigentums i.S.d. Vorenthaltung des Besitzes vor! Hierzu kann ich i.Ü. vertiefend auch die Lektüre von MüKo-BGB 8. Auflage, Wagner § 823 Rn. 255 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

WAL

Waltrop

14.1.2024, 23:14:27

Reicht 858 nicht aus?

KE🦦

kerberos 🦦

15.1.2024, 11:31:20

Hey! § 858 regelt nur die

verbotene Eigenmacht

allein, nicht aber den Umfang des Anspruchs aus § 823 II, deshalb wird § 249 (grds.

Naturalrestitution

) hier mE mitgenannt.

Friedrich CarI von Savigny

Friedrich CarI von Savigny

13.2.2024, 15:56:48

Liebes Team von Jurafuchs, mir stellt sich die Frage, ob man nicht für die dogmatische Richtigkeit 859 zusätzlich zum 858 zitieren müsste um dem Erfordernis eines Schutzgesetz gerecht zu werden. So wie ich das verstehe enthält § 858 I BGB eine Begriffsbestimmung und ist selbst noch kein Schutzgesetz. Über das Selbsthilferecht in §

859 BGB

sind die §§ 858,

859 BGB

im Zusammenwirken aber ein Individualschutzgesetz im Sinne des §

823 II BGB

. Würde gerne eure Meinung hierzu hören :)

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

12.11.2024, 16:52:14

Hallo @[Friedrich CarI von Savigny](234864), diskutieren kann man das natürlich und ich kann Deine Argumente durchaus nachvollziehen. Ich würde allerdings für Prüfungszwecke empfehlen, allein bei § 858 BGB zu bleiben. Es ist mE absolut üblich, hier nur § 858 BGB als Schutzgesetz zu nennen (so zB MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl 2024, § 823 Rn 689) und so macht es auch der BGH (NJW 2014, 3727, 3727; NJW 2012, 528, 528). Dass sich der Schutzgesetzcharakter möglicherweise erst im Zusammenspiel mit anderen Normen ergibt, mag sein, eine Prüfungsarbeit ist aber nicht der richtige Ort, um das "auszutesten". Vor diesem Hintergrund wollen wir es auch in unserer Aufgabe gerne "nur" bei § 858 BGB belassen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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