Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§§ 80, 80a VwGO)

Statthaftigkeit Antrag nach §§ 80, 80a VwGO: Wegfall der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 VwGO): § 212a BauGB

Statthaftigkeit Antrag nach §§ 80, 80a VwGO: Wegfall der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 VwGO): § 212a BauGB

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Veganer V hat ein Haus am Rande eines reinen Wohngebiets. Die zuständige Baubehörde erteilt Schlachterin S eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Schlachthauses auf dem angrenzenden Grundstück. V will gegen die Genehmigung vorgehen.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit Antrag nach §§ 80, 80a VwGO: Wegfall der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 VwGO): § 212a BauGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V begehrt die Aufhebung der an S erteilten Baugenehmigung. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagt V. Statthaft ist die Verpflichtungsklage.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§ 88 VwGO). Begehrt der Kläger die Aufhebung eines Verwaltungsakts, ist die Anfechtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Dagegen ist die Verpflichtungsklage statthaft, wenn der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt. V möchte, dass S das Schlachthaus nicht bauen darf. Damit begehrt er die Aufhebung der erteilten Baugenehmigung. Statthaft ist die Anfechtungsklage.
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2. Die Baugenehmigung ist an S adressiert und nicht an V. Können Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte zugunsten Dritter aufschiebende Wirkung entfalten?

Ja, in der Tat!

Richtet sich die Klage gegen einen an den Kläger adressierten Verwaltungsakt, ergibt sich die aufschiebende Wirkung aus § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Kläger kann auch gegen einen Verwaltungsakt vorgehen, der an einen Dritten adressiert ist. Diese Drittanfechtungsklage kommt vor allem in Betracht, wenn der Dritte durch den Verwaltungsakt begünstigt wird und derselbe Verwaltungsakt den Kläger belastet. Nach § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO entfalten Widerspruch und Anfechtung auch bei solchen Verwaltungsakten mit Doppelwirkung aufschiebende Wirkung. In der Lehre wird aber auch oft der Begriff der „Drittwirkung“ (statt Doppelwirkung) benutzt: Denn mit Verwaltungsakten mit Doppelwirkung eigentlich die Konstellation gemeint ist, dass der Adressat eines Verwaltungsakts durch diesen begünstigt und gleichzeitig belastet wird.S kann mit der Genehmigung ihr Bauvorhaben legal verwirklichen. Für V könnte der Bau eine subjektive Belastung sein. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Vs Anfechtungsklage entfaltete grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 S. 2 VwGO).

3. Auch bei der Drittanfechtung einer Baugenehmigung, entfaltet die Anfechtung aufschiebende Wirkung.

Nein!

Grundsätzlich bewirken Widerspruch und Anfechtungsklage, dass der Verwaltungsakt zunächst keine Wirkung mehr entfaltet (= Suspensiveffekt), § 80 Abs. 1 VwGO. In § 80 Abs. 2 VwGO sind jedoch Ausnahmefälle geregelt. Unter anderem tritt die aufschiebende Wirkung nicht ein, wenn Landesrecht oder Bundesrecht dies festlegt (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). In § 212a BauGB findet sich eine solche Regelung. Nach § 212a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Wenn V die Baugenehmigung anficht, entfaltet diese trotzdem weiterhin Wirkung. S kann legal bauen.

4. Auch im Rahmen einer Drittanfechtung besteht die Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a VwGO.

Genau, so ist das!

Zur Sicherung seiner Rechte kann der Kläger im Falle einer Drittanfechtung nach § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen. Nach § 80a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 VwGO kann das Gericht die Vollziehung des Verwaltungsakts aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen. Um zu Verhindern, dass S während des laufenden Verwaltungsprozesses bereits ihre Schlachterei errichtet, muss V zusätzlich zu seiner Klage einen Antrag nach § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO auf einstweiligen Rechtsschutz stellen. Zur Zitiertweise: In Fällen des § 80a VwGO solltest Du zunächst die einschlägige Konstellation identifizieren (§ 80a Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Abs. 2 VwGO) und dann nicht § 80a Abs. 3 VwGO vergessen, denn Abs. 3 regelt den gerichtlichen Rechtsschutz in Fällen des § 80a VwGO und verweist auf § 80 Abs. 5 VwGO.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ri

ri

27.3.2022, 20:27:00

Ein VA mit Doppelwirkung kann auch nur den Adressaten treffen: der VA ist sowohl begünstigend als auch belastend (zB Flachdach genehmigt statt Spitzdach- gibts das? Kein flaches, sondern spitzes Dach halt, kein Plan von Dächern), ein VA mit Drittwirkung hingegen wirkt für den Adressaten und einen Dritten.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.3.2022, 09:31:34

Hallo Ri, wir haben hier die gesetzliche Terminologie verwendet, die in § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO verwendet wird. In der Tat ist diese Formulierung aber unglücklich gewählt, da hierdurch suggeriert werden könnte, dass beide Wirkungen in derselben Person eintreten (=Misch

verwaltungsakt

). Deshalb wird in der Lehre dafür plädiert wird, den Begriff der Doppelwirkung zu vermeiden (und am besten im Gesetz zu ändern) und stattdessen von dem

Verwaltungsakt

mit Drittwirkung zu sprechen (vgl. Gersdorf, in: BeckOK-VwGO, 60.Ed. Stand: 01.07.2021, § 80a RdNr. 7; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 80a RdNr. 12). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ri

ri

28.3.2022, 10:40:33

Wow, mir ist das nie aufgefallen, dass das tatsächlich im Gesetz steht, man wird immer wieder überrascht, was tatsächlich alles in den Normen steht😀 vielen Dank für die Antwort 🙏

BAY

bayilm

16.5.2024, 17:58:21

Ich persönlich finde die Ausführung hier in dem Unterkapitel zu §

80a VwGO

ziemlich dünn. Hier wird zum Beispiel gar nicht der Streit um § 80a Abs. 3 VwGO thematisiert. Außerdem gibt es keine wirkliche Aufgabe für die Unterscheidung zwischen den § 80a Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO und eventuelle Konstellation, die einer analogen Anwendung bedürfen.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

18.6.2024, 17:59:20

Hallo @[bayilm](190202), danke für die Rückmeldung - wir sind stets dabei, unsere Inhalte weiter auszubauen und zu verbessern & kümmern uns zeitnah um diese Kapitel hier. Bitte hab noch etwas Geduld. Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team


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