Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§§ 80, 80a VwGO)

Statthafte Antragsart - Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO

Statthafte Antragsart - Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gemüsehändlerin G betreibt einen Stand auf dem Wochenmarkt. Behörde B weist die Standplätze jeweils für ein Jahr zu. G erhält ein Schreiben, indem B zum einen die Standgebühr für das vergangene Jahr fordert und G mitteilt, sie würde keine neue Standzuweisung für das nächste Jahr erhalten.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Statthafte Antragsart - Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G will gerichtlichen Rechtsschutz ersuchen. Richtet sich die statthafte Klage- bzw. Antragsart nach Gs Rechtsschutzbegehren (vgl. § 88 VwGO)?

Genau, so ist das!

Dafür kommt es zunächst darauf an, welche rechtliche Qualität das behördliche Handeln hat, gegen das die Rechtsschutzsuchende vorgehen oder welches Handeln der Behörde sie erreichen will. Wenn ein Bescheid mehrere Maßnahmen enthält, solltest Du im Rahmen der statthaften Klage- oder Antragsart sauber zwischen beiden unterscheiden und jeweils getrennt prüfen, welche Klage- oder Antragsart einschlägig ist.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. G ist zunächst der Ansicht, dass die Standgebühr zu hoch ist. Ist die Festsetzung der Standgebühr ein Verwaltungsakt?

Ja, in der Tat!

Der Verwaltungsakt ist (1) eine hoheitliche Maßnahme (2) einer Behörde (3) zur Regelung (4) eines Einzelfalls (5) auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (6) mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen. (§ 35 S. 1 VwVfG). Behörde B hat hier eine öffentlich-rechtliche Gebühr für die Nutzung des Marktplatzes durch G (= Einzelfall) festgesetzt. Durch den Bescheid wird G verpflichtet, die Gebühr zu zahlen (= Regelung). Die Maßnahme ist auch nicht nur verwaltungsintern (= Außenwirkung). Das kannst Du in der Regel kürzer halten, wenn die Einordnung einer Maßnahme als Verwaltungsakt im konkreten Fall unproblematisch ist.

3. Die Standgebühr ist eine „öffentliche Abgabe“ im Sinne von § 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 VwGO. Wenn G die Standgebühr anfechten würde, hätte Gs Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung?

Nein!

Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage, wenn diese sich gegen die „Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten“ richtet. Öffentliche Abgaben im Sinne der Norm sind hoheitlich geltend gemachte öffentlich-rechtliche Geldforderungen, die zur Deckung des Finanzbedarfs eines Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen. Hierzu gehören vor allem Steuern, Gebühren und Beiträge. Die Gebühren zur Nutzung des Markts (= öffentliche Einrichtung) fallen unter den Begriff der öffentlichen Abgaben. Wenn G die Gebührenforderung anficht, entfaltet die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO). Dahinter steht der folgende Gedanke: Der Staat soll dadurch (finanziell) handlungsfähig bleiben, dass diese Einnahmen grundsätzlich schnell vollstreckt werden können.

4. Weil Gs Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung entfaltet, will G zusätzlich einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz stellen. Ist hier ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO vorrangig statthaft (§ 123 Abs. 5 VwGO)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im einstweiligen Rechtsschutz musst Du im Rahmen der statthaften Klageart immer eine Abgrenzung zwischen dem Rechtsschutz nach den §§ 80, 80a VwGO und dem § 123 Abs. 1 VwGO vornehmen. Die Unterscheidung richtet sich danach, welche Klage in der Hauptsache statthaft ist. Die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO sichert den vorläufigen Rechtsschutz bei allen Klagearten außer der Anfechtungsklage (§ 123 Abs. 5 VwGO). G will in der Hauptsache die Gebührenforderung (= Verwaltungsakt) anfechten (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Statthaft ist daher der einstweilige Rechtsschutz nach Maßgabe der §§ 80, 80a VwGO.

5. G will auch noch erreichen, dass B ihr eine neue Standzuweisung erteilt. Ist auch hierfür die Anfechtungsklage in der Hauptsache statthaft?

Nein, das trifft nicht zu!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (vgl. § 88 VwGO). Begehrt die Klägerin den Erlass eines Verwaltungsakts, ist die Verfpflichtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). B hat G mitgeteilt, G würde keine neue Standzuweisung erhalten, wenn die alte ausgelaufen ist. Die Standzuweisung ist ein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG). G begehrt, dass B ihr eine neue Zuweisung erteilt. Statthafte Klageart ist die Verpflichtungsklage.

6. Gs alte Standzuweisung gilt nur noch eine Woche, weswegen G das Klageverfahren nicht abwarten will. Hat G die Möglichkeit, die neue Standzuweisung (vorläufig) früher zu bekommen?

Ja!

Kannst Du aus dem Sachverhalt eine Eilbedürftigkeit erkennen, musst Du immer an den vorläufigen Rechtsschutz denken. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ist zunächst zwischen § 123 Abs. 1 VwGO und den §§ 80, 80a VwGO zu unterscheiden. Die Abgrenzung richtet sich danach, welche Klage in der Hauptsache statthaft ist. Die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO sichert den vorläufigen Rechtsschutz bei allen Klagearten außer der Anfechtungsklage (§ 123 Abs. 5 VwGO). Bezüglich der Erteilung einer neuen Standgenehmigung ist in der Hauptsache die Verpflichtungsklage statthaft. In diesem Fall sind die §§ 80, 80a VwGO nicht einschlägig. G kann nach aber § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Antrag auf einstweilige Erteilung der Standgenehmigung durch das Verwaltungsgericht stellen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PP2

Pp2

31.8.2024, 09:51:06

würde bzgl der Erteilung der Standerlaubnis die HS vorweggenommen werden?

HAUS

Hausotter

31.8.2024, 17:47:51

Meiner Meinung nach hängt das hier auch von der Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache ab. Die Hauptsache wird nicht bis zur nächsten Woche entschieden sein, deshalb läge mMn bezüglich der Termine eine Vorwegnahme der Hauptsache vor, die noch vor Entscheidung der Hauptsache stattfinden. Bezüglich der Termine, die erst nach der Hauptsache stattfinden würden könnte die Standerlaubnis ja dann trotzdem noch rechtzeitig entfallen, also läge dazu keine Vorwegnahme vor. Der Standardfall für eine Vorwegnahme ist ja beispielsweise die Erteilung von Informationen, deren Veröffentlichung man faktisch nicht mehr rückgängig machen kann. Hier sehe ich das differenzierter, andererseits ist im Rahmen des Eilrechtsschutzes ja vermutlich gar nicht absehbar, bis wann die Hauptsache entschieden ist.


© Jurafuchs 2024