Öffentliches Recht
VwGO
Vorläufiger Rechtsschutz (§§ 80, 80a VwGO)
Statthafte Antragsart - Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO
Statthafte Antragsart - Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Gemüsehändlerin G betreibt einen Stand auf dem Wochenmarkt. Behörde B weist die Standplätze jeweils für ein Jahr zu. G erhält ein Schreiben, indem B zum einen die Standgebühr für das vergangene Jahr festsetzt und G zum anderen mitteilt, sie werde keine neue Standzuweisung für das nächste Jahr erhalten.
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Einordnung des Falls
Statthafte Antragsart - Abgrenzung nach § 123 Abs. 5 VwGO
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. G will gerichtlichen Rechtsschutz ersuchen. Richtet sich die statthafte Klage- bzw. Antragsart nach Gs Rechtsschutzbegehren (vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. G ist zunächst der Ansicht, dass die Standgebühr zu hoch ist. Ist die Festsetzung der Standgebühr ein Verwaltungsakt?
Ja, in der Tat!
3. Die Standgebühr ist eine „öffentliche Abgabe“ im Sinne von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO. Wenn G die Standgebühr anfechten würde, hätte Gs Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung?
Nein!
4. Weil Gs Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung entfaltet, will G zusätzlich einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz stellen. Ist hier ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO vorrangig statthaft (§ 123 Abs. 5 VwGO)?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. G will auch noch erreichen, dass B ihr eine neue Standzuweisung erteilt. Ist auch hierfür die Anfechtungsklage in der Hauptsache statthaft?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Gs alte Standzuweisung gilt nur noch eine Woche, weswegen G das Klageverfahren nicht abwarten will. Hat G die Möglichkeit, die neue Standzuweisung (vorläufig) früher zu bekommen?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Pp2
31.8.2024, 09:51:06
würde bzgl der Erteilung der Standerlaubnis die HS vorweggenommen werden?
Hausotter
31.8.2024, 17:47:51
Meiner Meinung nach hängt das hier auch von der Zeit bis zur Entscheidung der Hauptsache ab. Die Hauptsache wird nicht bis zur nächsten Woche entschieden sein, deshalb läge mMn bezüglich der Termine eine
Vorwegnahme der Hauptsachevor, die noch vor Entscheidung der Hauptsache s
tattfinden. Bezüglich der Termine, die erst nach der Hauptsache s
tattfinden würden könnte die Standerlaubnis ja dann trotzdem noch rechtzeitig entfallen, also läge dazu keine Vorwegnahme vor. Der Standardfall für eine Vorwegnahme ist ja beispielsweise die Erteilung von Informationen, deren Veröffentlichung man faktisch nicht mehr rückgängig machen kann. Hier sehe ich das differenzierter, andererseits ist im Rahmen des Eilrechtsschutzes ja vermutlich gar nicht absehbar, bis wann die Hauptsache entschieden ist.
Linne_Karlotta_
29.10.2024, 10:03:12
Hallo @[Pp2](257540), hallo @[Hausotter](155713), danke für eure Gedanken hierzu. In der
Tatist die Erteilung einer Standerlaubnis ein Sachverhalt, bei dem man in der Klausur i.R.v. § 123 Abs. 1 VwGO auf jeden Fall den Punkt des „Verbots der
Vorwegnahme der Hauptsache“ thematisieren sollte. Hier kommt es, wie @[Hausotter](155713) schon ganz richtig sagt, auf die konkrete Fallgestaltung an. Wenn das Gericht z.B. nur eine vorläufige Erlaubnis bis zum Beginn des Wochenmarkts erteilt, dann läge hierin keine
Vorwegnahme der Hauptsache(siehe hierzu z.B. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 22.A. 2024). In der Regel wird dem Antragsteller damit aber nicht geholfen sein, denn der Grund für den Eilantrag liegt ja gerade darin, dass der Markt, für den die Erlaubnis begehrt wird, unmittelbar bevorsteht und eine rechtzeitige gerichtliche
Hauptsacheentscheidungnicht zu erwarten ist. Der Antragsteller wird daher beantragen, dass die Erlaubnis (vorläufig) auch noch nach Beginn des Marktes wirkt. Nach der h.M. reicht es nicht aus, dass die Erlaubnis vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren erteilt wird, um eine
Vorwegnahme der Hauptsacheauszuschließen (denn dass die Regelung nur vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gilt, liegt ja schon in der
Natur der Sachedes Eilrechtsschutzes). Vielmehr kommt es allein darauf an, ob die einstweilige Anordnung rechtlich oder faktisch einer vorläufigen Verurteilung in der Hauptsache gleichkommt (vgl. Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 45. EL Januar 2024, § 123 RdNr. 141aff., beckonline). Dies wäre hier – mit der Erteilung der Erlaubnis – der Fall. Denn: Die Antragstellerin begehrt (in der Hauptsache), dass sie eine rechtliche Grundlage zur Teilnahme an dem Markt hat und somit auch am Markt teilnehmen kann. Genau das würde ihr bereits im einstweiligen Rechtsschutz zugestanden. Hier ist es irrelevant, für wie viele Tage sie diese rechtliche Grundlage hätte. Der Umstand, dass sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache am Markt teilgenommen hätte, wäre eine
Tatsache, die nicht mehr rückgängig zu machen wäre. Allerdings wird die Ausnahme aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes von der Rspr. oftmals sehr pauschal angenommen, sodass eine
Vorwegnahme der Hauptsachein vielen vergleichbaren Fällen nicht dazu führt, dass der Antrag unbegründet ist. Siehe hierzu z.B. VG Berlin, Beschluss vom 17.09.2021 - 1 L 277/21G, RdNr. 33 (openjur). Übrigens wird es durchaus kritisiert, dass es keine handfesten, eingrenzenden Kriterien zur Bestimmung der
Vorwegnahme der Hauptsachegibt und diese oftmals pauschal angenommen und ebenso pauschal eine Ausnahme aus Gründen des effektiven Rechtsschutz angenommen wird (siehe dazu z.B. Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 45. EL Januar 2024, § 123 RdNr. 141aff., beckonline). In der Klausur wird es in der Regel Hinweise dazu geben, dass es de Antragsteller „die wirtschaftlichen Einbußen nicht verkraften würde“ (etc.). Im Zweifel bietet es sich dann an, die
Vorwegnahme der Hauptsachemit der h.M. zu bejahen und eine Ausnahme auf Grundlage von Art. 19 Abs. 4 GG zu begründen. Aber auch hier gilt: Das Ergebnis ist weniger relevant, als dass ihr das Thema seht und entsprechend diskutiert. Ich hoffe, ich konnte euch damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Findet Nemo Tenetur
24.9.2024, 15:23:03
Dass der Bescheid über die Entrichtung der Gebühr ein VA ist, verstehe ich. Aber weswegen ist die alleinige Festsetzung der Gebühr (wie es in der Frage formuliert ist) ebenfalls ein VA? Denn nur durch die Festsetzung wird doch noch keine Rechtsfolge in Gang gesetzt, da es dazu noch der Forderung über die Entrichtung dieser Gebühr bedarf?
Wendelin Neubert
28.10.2024, 17:12:01
Danke für Deine Frage @[Karolin](205284). Durch die Festsetzung wird die Pflicht des Adressaten, für den Stand eine Gebühr in einer bestimmten Höhe entrichten zu müssen, festgesetzt. Damit ist die Begründung einer rechtlichen Pflicht verbunden (Rechtsfolge). Darin liegt also eine Regelung. Das ist ganz ähnlich bei der Festsetzung eines
Zwangsmittels in der Verwaltungsvollstreckung, die auch ein Verwwaltungsakt ist. Hier war allerdings der Sachverhalt etwas unsauber formuliert, worauf womöglich Dein Missverständnis basiert. Wir haben den Sachverhalt etwas klarer formuliert. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Bioshock Energy
28.10.2024, 14:45:52
welcher vorläufige Rechtsschutz ist s
tatthaft, wenn das Hauptsacheverfahren ein Widerspruchsverfahren ist? ich dachte eigentlich auch 80, 80a? oder liege ich falsch?
Linne_Karlotta_
29.10.2024, 09:33:56
Hey @[Bioshock Energy](207759), danke für Deine Frage. In der
Tatist auch der Widerspruch ein Rechtsbehelf der Hauptsache, das Widerspruchsverfahren als solches ist aber kein „Hauptsacheverfahren“ im Sinne von § 80 Abs. 5 VwGO. Die Abgrenzung zwischen § 123 / § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich nur nach der Frage, welches GERICHTLICHE Verfahren in der Hauptsache s
tatthaft ist. Das ergibt sich zunächst aus der Natur des gerichtlichen Eilverfahrens und zeigt sich z.B. auch darin, dass nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO „das Gericht der Hauptsache“ zuständig ist über den Eilantrag zu entscheiden. Da das Gericht nur über die Anfechtungsklage, nicht aber über den Widerspruch (= behördliches Verfahren) entscheiden kann, ist klar, dass hier (ausschließlich) geprüft werden muss, welches gerichtliche Verfahren in der Hauptsache s
tatthaft wäre. Wegen der „Doppelfunktion“ des Widerspruchsverfahrens steht dieses aber gewissermaßen zwischen dem behördlichen und dem gerichtlichen Verfahren. Es ist grds. Sachurteilsvoraussetzung der Anfechtungsklage, ein rechtzeitig eingelegter Widerspruch verhindert den Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts und wirkt sich auf die
Klagefristen aus. Der Widerspruch ist daher ein Rechtsbehelf der Hauptsache. Er gehört aber dennoch nicht in die Abgrenzung i.R.v. § 123 Abs. 5 VwGO. Dies ist auch nicht notwendig: Wenn die Anfechtungsklage im gerichtlichen Hauptsacheverfahren s
tatthaft ist, dann geht damit auch grundsätzlich die S
tatthaftigkeit des
Anfechtungswiderspruchs einher. Oder andersherum: Es ist kein Fall denkbar, in dem der
Anfechtungswiderspruchs
tatthaft wäre und nicht zugleich auch die Anfechtungsklage die richtige Klage in der Hauptsache wäre. Je nachdem, ob ein Widerspruch s
tatthaft ist, wirkt sich das auf die Zulässigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aus (z.B. auf die Frage, ob und welcher Rechtsbehelf in der Hauptsache eingelegt sein muss, bevor der Antrag gestellt wird, vgl. § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO, näheres hierzu bei: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 45. EL Januar 2024, § 80 RdNr. 460ff, beckonline). Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Major Tom(as)
15.11.2024, 12:11:32
Liebes Jurafuchs-Team, Das Kapitel hier befindet sich im Aufbau, oder? Es sind nämlich natürlich bei weitem nicht alle Zulässigkeitsvoraussetzungen enthalten (insb. auch nicht im Überblick der ersten Frage) Insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis zu ergänzen, innerhalb dessen regelmäßig drei Punkte geprüft werden müssen, wäre besonders wichtig, da es im Eilrechtsschutz "besonders" ist. LGs und Danke!
Linne_Karlotta_
15.11.2024, 16:34:16
Hallo @[Major Tom(as)](258980), wie du schon selbst feststellst, haben wir hier noch nicht alle relevanten Inhalte aufgenommen, da andere Inhalte auf unserer Prioritätenliste weiter oben standen. Wir sind aber gerade dabei, die Inhalte hier weiter auszubauen. Ich bitte dich hier noch um etwas Geduld. Viele Grüße & danke für dein Verständnis. Linne – für das Jurafuchs-Team